Vaclav Neumann - Dirigent mit tschechischer und deutscher Karriere

  • In wenigen Tagen, am 2. September, jährt sich zum 20. Mal der Todestag von Vaclav Neumann ( (* 29. September 1920 in Prag; † 2. September 1995 in Wien). Mit einer gewissen Verwunderung stelle ich fest, dass es - wenn mich die Suchmaschine nicht völlig im Stich gelassen hat - keinen eigenen Thread zu diesem Dirigenten gibt. Das ist erstaunlich, wird er doch vergleichsweise häufig im Forum erwähnt und meist positiv.


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    Vaclav Neumann studierte am Prager Konservatorium; er war Mitgründer und erster Geiger des legendären Smetana-Quartetts. Seine ersten Posten Posten als Dirigent hatte er in Karlsbad und Brünn. 1956 wurde er als Dirigent an die Komischen Oper in Berlin gerufen. 1964 wurde er dann Chef des Gewandhausorchesters in Leipzig. 1968 legte er dies Amt aus Protest gegen den Einmarsch der Länder des Warschauer Pakts in die ČSSR nieder und wurde erster Dirigent der Tschechischen Philharmonie. Auf diesem Posten blieb er bis 1990. Außerdem war er von 1970 bis 1972 Generalmusikdirektor der Oper Stuttgart (was ich bis heute gar nicht wusste).


    Zum Abschluss seiner Karriere erlebte er die samtene Revolution in Prag und wurde eines deren künstlerischen Aushängeschilde. In Zusammenarbeit mit dem Bürgerechtsforum OF (Občanské fórum) dirigierte er zur Feier der Revolution ein Festkonzert mit der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven.


    Neumann galt als hervorragender Interpret der Werke von Antonin Dvorak, Leoš Janáček, Gustav Mahler sowie der neueren tschechischen Musik (Josef Suk, Bohuslav Martinů etc). Die Internationale Gustav Mahler Gesellschaft Wien verlieh ihm 1982 die goldene Mahler-Medaille. Seine Einspielungen der Dvorak Symphonien und Orchesterwerke wie auch seine GA der Mahlersymphonien stehen bei einigen Kennern hoch im Kurs. Einige Mahlersymphonien hat er auch in Leipzig eingespielt, mit vielgelobten Ergebnissen.



  • Mit einer gewissen Verwunderung stelle ich fest, dass es - wenn mich die Suchmaschine nicht völlig im Stich gelassen hat - keinen eigenen Thread zu diesem Dirigenten gibt. Das ist erstaunlich, wird er doch vergleichsweise häufig im Forum erwähnt und meist positiv.


    Da triffst Du den Nagel auf den Kopf, lieber Lutz. Als Neumann-Bewunderer und Sammler bin ich ja bekannt! :) ;)


    Noch einige unverzichtbare Aufnahmen aus meiner Sammlung:


    Ein absolutes "Muß":



    Ebenfalls unverzichtbar:



    Hier schon zu Recht hoch gelobt wegen der böhmischen, federleichten Eleganz:



    Natürlich auch in meiner Sammlung:



    Kurz vor seinem Tod in den 90igern nahm Neumann nochmals die Mahler-Symphonien 1-6 und 9 auf. Sie sind von der Aufnahmetechnik her seidiger und fülliger. Sehr zu empfehlen, leider derzeit ziemlich teuer und teilweise vergriffen. (Das Label Canyon ist im Besitz von Vladimir Ashkenazy.)



    Eine glühend-intensive Live-Aufnahme - von Neumanns besten:



    Schöne Grüße
    Holger

  • Auch ich schätze Vaclav Neumann sehr. Meine unverzichtbarsten Aufnahmen unter seiner Leitung sind die drei "Füchslein"-Aufnahmen (die frühe Audioeinspielung auf tschechisch mit Asmus, die Felsenstein-Verfilmung in deutscher Sprache mit Irmgard Arnold und Rudolf Asmus sowie die spätere tschechische Audioaufnahme mit Magdalena Hajossyova und Gabriele Benackova) sowie Mahlers II. mit Randova und Benackova.


    Empfehlenswert ist auch dieser deutschsprachige Premierenmitschnitt von Verdis "Othello" aus der Komischen Oper Berlin:



    Die Umstände seiner Rückkehr in die tschechische Heimat 1969 sind freilich umstritten: Dass er aus Protest gegen die Intervention sein Amt als Gewandhauskapellmeister niederlegte und aus Solidarität zurück in die tschechische Heimat ging, liest sich gut, edel und heldenhaft. Letztlich füllte er aber bereitwillig die Lücke, die Karl Ancerl bei der Tschechischen Philharmonie in Prag hinterließ, als dieser aufgrund der Ereignisse von 1968 aus seiner Heimat emigierte.


    In der Janacek-Biografie von Jiri Ort kommt Neumann gar nicht gut weg:


    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Die Umstände seine Rückkehr in die tschechische Heimat 1969 sind freilich umstritten: Dass er aus Protest gegen die Intervention sein Amt als Gewandhauskapellmeister niederlegte und aus Solidarität zurück in die tschechische Heimat ging, liest sich gut, edel und heldenhaft. Letztlich füllte er aber bereitwillig die Lücke, die Karl Ancerl bei der Tschechischen Philharmonie in Prag hinterließ, der aufgrund der Ereignisse von 1968 aus seiner Heimat emigierte.


    ... zum Glück jedenfalls für die Tschechische Philharmonie, lieber Stimmenliebhaber! Denn nach Neumann ist die Lücke, die er hinterlassen hat, leider nie mehr geschlossen worden. Die Reihe wirklich prägender, hochbedeutender Persönlichkeiten wie Talich, Kubelik, Ancerl, Neumann hat bis heute keine Fortsetzung gefunden.



    In den Filmaufnahmen, wo er spricht (sehr gut deutsch!) macht er jedenfalls den Eindruck eines wirklich warmherzigen Menschen. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Natürlich halte auch ich Vaclav Neumann angesichts der entstandenen Aufnahmen für einen Glücksfall für die Prager Philharmonie - und auch seine rege Gasttätigkeit als Opern- (Wiener Staatsoper, Deutsche Oper Berlin usw.) und Konzertdirigent spricht sicher nicht gegen ihn.


    Trotzdem kann es nicht schaden, das zu lesen, was bei Ort über ihn steht, wenn man sich intensiv mit ihm beschäftigen möchte. Als ich die dortige Kurzbiografie von ihm im Anhang las, hat es mir fast die Sprache verschlagen. Ich habe das Buch gerade nicht hier, kann daher auch nicht daraus zitieren. Da es abgesehen von den sehr kritischen Passagen zu Neumann eine sehr lohnende und vor allem gut geschriebene Janacek-Biografie ist, kann ich das Buch nur empfehlen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    Zitat Stimmenliebhaber: Trotzdem kann es nicht schaden, das zu lesen, was bei Ort über ihn steht, wenn man sich intensiv mit ihm beschäftigen möchte. Als ich die dortige Kurzbiografie von ihm im Anhang las, hat es mir fast die Sprache verschlagen. Ich habe das Buch gerade nicht hier, kann daher auch nicht daraus zitieren. Da es abgesehen von den sehr kritischen Passagen zu Neumann eine serh lohende und vor allem gut geschriebene Janacek-Biografie ist, kann ich das Buch nur empfehlen.


    Genau diesen Eindruck hatte ich nicht, als ich mir das Buch nach einer mich begeisternden Aufführung des schlauen Füchsleins gekauft hatte. Natürlich ist der persönliche Briefwechsel interessant und gibt viel persönliches preis, doch fehlten - so meine Erinnerung - doch essentielle Details seiner Biografie, die bestenfalls kurz angerissen worden sind. Zudem wimmelte es nur von Rechtschreibfehlern. Um einen intensiven Blick in die Werkentstehungen und seine Sprachmelodien zu bekommen, ist es tatsächlich empfehlenswert, wer jedoch - wie ich - trockene Fakten zu seinem Leben erwartet und schätzt, sollte auf eine andere Publikation über ihn zurückgreifen.


    LG
    Christian

  • Trotzdem kann es nicht schaden, das zu lesen, was bei Ort über ihn steht, wenn man sich intensiv mit ihm beschäftigen möchte. Als ich die dortige Kurzbiografie von ihm im Anhang las, hat es mir fast die Sprache verschlagen. Ich habe das Buch gerade nicht hier, kann daher auch nicht daraus zitieren. Da es abgesehen von den sehr kritischen Passagen zu Neumann eine serh lohende und vor allem gut geschriebene Janacek-Biografie ist, kann ich das Buch nur empfehlen.


    Die Janacek-Biographie interessiert mich! Leider gibt es noch keine Neumann-Biographie. Ich weiß aber von biographischen Ausführungen zu Talich und auch solchen von Charles Mackeras, der in Prag studierte und sowohl Talich als auch Neumann persönlich kannte, dass Janacek beim Regime "unerwünscht" war. Talich, weil er sich stark für Janacek einsetzte und auch noch kein Kommunist war (er war katholisch), wurde deshalb von der Partei sehr übel mitgespielt. Er erhielt praktisch Berufsverbot und einige seiner Orchester, die er gegründet hatte, wurden aufgelöst. Vor diesem Hintergrund (Neumann hat diese Talich-Geschichte lebendig miterlebt und sicher deswegen auch Angst gehabt) wird es verständlich, dass ein Musiker in so einer exponierten Position zu einer gewissen Zeit irgendwie "lavieren" muß. Und das wird natürlich je nach Standort des Biographen bzw. Historikers im nachhinein unterschiedlich bewertet - auf andere herausragende Musiker in ähnlichen Positionen trifft das schließlich auch zu, man denke nur an Furtwängler. In einem totalitären Staat zu leben und ein Amt auszuüben kann man im Grunde nie, ohne selber einen Kratzer abzubekommen, wenn man nicht ins Ausland flüchtet. Insofern wäre wirklich eine Neumann-Biographie wünschenswert, welche diese Dinge differenziert und ausführlich betrachtet. Wahrscheinlich ist die "Wahrheit" auch in diesem Falle nicht einfach, sondern kompliziert. Mir haben mal Kollegen in Polen erzählt, dass es in der Zeit vor Gomulka für Intellektuelle höchst lebensgefährlich war, zu existieren. In so einem Klima denkt und handelt man einfach anders als "normal". :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • wer jedoch - wie ich - trockene Fakten zu seinem Leben erwartet und schätzt, sollte auf eine andere Publikation über ihn zurückgreifen.


    Allein für die "trockenen Fakten" muss man ja heute keine Biografie mehr kaufen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon 5 Janacek-Biografien gelesen - und im Vergleich zu diesen kam mir Ort ungemein erfrischend und ehrlich vor. Aber wenn dir trocken lieber ist, kannst du dir ja Saremba zulegen! :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Jetzt also doch die Kurzvita von Neumann, verfasst von Ort auf S. 237 seiner Janacek-Biografie:


    Zitat

    Neumann, Václav (1920 - 1995) - Dirigent, Opernchef, seit 1945 Bratschist der Tschechischen Philharmonie; im März 1948 sprang er für Rafael Kubelík als Dirigent ein, wurde aufgrund dieses einzigen Dirigats zum Chef der Tschechischen Philharmonie ernannt (als eines der ersten zeitgenössischen "Werke" führte Neumann in Prag eine Kantate über Gottwald auf), nach seiner Abwahl durch das Orchester übernahm er die Leitung der Karlsbader und dann der Prager Symphoniker (1951 - 1963), leitete das Leipziger Gewandhausorchester (1964 - 1968), übernahm nach der Emigration von Karel Ancerl den Chefposten der Tschechischen Philharmonie (bis 1990).

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Dieser Thread konnte natürlich noch nicht im Threaddirectory sein, ich habe ihn trotzdem gefunden un möchte heute an Vaclav Neumanns Todestag erinnern, und zwar mit dieser Box:



    Heute ist sein 20. Todestag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Auch heute habe ich wieder hierhin gefunden, um an seien Geburtstag zu erinnern, und zwar mit dieser Aufnahme aus meiner Sammlung:





    Vaclav Neumann wäre heute 95 Jahre alt geworden.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).