Es war uns gelungen, online Karten für den diesjährigen Ring des Nibelungen zu erhalten, zwar in der höchsten Kategorie, Parkett, 5. Reihe
Mitte; aber was solls, das macht man nur einmal im Leben. Es war für uns das erste Mal in Bayreuth. Das Theater ist riesig, der Portalrahmen
dagegen eher klein. Früher gab es solche Kinos, riesiger Saal und kleine quadratische Leinwand. So schlimm war es denn doch nicht. Die
Drehbühne, auf der sich eine originalgroße US-amerikanische Tankstelle mit angeschlossenem Motel und hinten gelegenem Swimming-Pool
befand (Bühne Alexandar Denic), ragte weit in die Seitenbühnen hinein. Das imponierende Bauwerk füllte fast die gesamte Bühne aus. Alberich
lag im Sonnenstuhl, zunächst verdeckt, die Rheintöchter tummelten sich am Pool. Schließlich zog Alberich ein glitzerndes Tuch aus dem Pool und
verschwand. Das ganze wurde ständig von einem Kameramann gefilmt und auf einen großen LED-Monitor übertragen, der dem Dach des Motels
aufsaß. Wotan tummelte sich mit seiner Sippschaft im Obergeschoss des Motels, sowohl Fricka als auch Freia liebkosend. Offenbar hatte sich hier
an der Route 66 im Mittleren Westen der USA ein Mafiaboss niedergelassen. Bald erschienen Fasolt und Fafner, um Freia zu beanspruchen. Sie
zierte sich mitzugehen, ihre Brüder Donner und Froh erwiesen sich als zu schwach, um sie vor den Gangsterbrüdern zu beschützen. Also ging es
mit Loges Hilfe hinab zu den Nibelungen. Allerdings nicht wie gehabt in unterirdische Gefilde, sondern auf die Tankstellenseite an der Vorderseite
Drehbühne, wo Alberich in einem Wohnwagen hauste. Nun traktierte uns der Inszenator (Frank Castorf) mit unergründbaren Ideen, so wurden
Alberich und Mime, bereits von Loge gefesselt, mit über den Kopf gezogenen Papiertüten an Tankstellenpfosten gebunden, später wieder gelöst,
denn sonst hätte Alberich seine von Wagner vorgeschriebenen Kunststücke nicht vorführen können. Wie würde Castorf den „Wurm“ zeigen?
Ganz einfach, die Verwandlung fand unsichtbar vor dem Publikum in dem Wohnwagen statt, der Kameramann übertrug stattdessen auf den
Großmonitor eine sich windende Würgeschlange, später sah man die Aufnahme eines Frosches. Der Kassierer in der Tankstelle (stumme Rolle)
wechselte schließlich die Flagge am Flaggenmast, zog eine Regenbogenfahne auf und verwandelt die Verkaufsstelle in eine Art Schwulendisco,
die später von Erda aufgesucht wurde. Nachdem Fasolt endlich von seinem Bruder erschlagen war, besetzten die Mitglieder der Gangsterfamile
schließlich alle strategisch wichtigen Positionen auf dem Dach des Motels und freuten sich auf ihr neues Wallhall. Dann schloss sich der Vorhang.
Es war besser als befürchtet und wahrscheinlich besser als von mir beschrieben. Meine Erwartungen an Bühnenbild und Inszenierung gingen
allerdings auch gegen Null. Das entscheidende Problem war, dass sich Wagners großartige Rheingoldmusik nicht gegen die im gewissen Sinne
bombastisch überbordende Inszenierung durchsetzen konnte. Woran lag das. Aus dem Orchestergraben gelangte ein wenig durchhörbarer,
eher diffuser, an alten Radio-Monoklang erinnernder Schall an das Ohr, der bei mir keine Emotionen weckte. Alles blieb diskret, so, als ob man
im eigenen Zimmer die Nachbarn nicht stören wollte. Der Orchesterton war eher hell und etwas flach, ihm fehlte Tiefe, Wärme und Volumen.
Dafür hörte man die Sänger 1A. Niemand musste sich gegen Wagners Klangwogen behaupten, wie sonst in „normalen“ Opernhäusern. Alle
sangen sehr wortverständlich, aber im Wesentlich ohne stimmlich zu beeindrucken, mit Ausnahmen. Wolfgang Koch gefiel als Wotan, aus
dem Durchschnitt ragten für mich auch Andreas Conrad als Mime und Lothar Odinius als Froh heraus. Warum Nadine Weissmann als
Erda bravourösen Schlussbeifall erhielt, erschloss sich mir nicht. Ich will nicht sagen, dass Albert Dohmen als Alberich ein Ausfall war, er hat
korrekt gesungen, aber eigentlich nie, weder stimmlich noch darstellerisch, die Tiefe dieser gequälten Seele ausloten können. Wolfgang Koch
wäre ein wesentlich geeigneterer Alberich gewesen. Morgen singt er den Wotan in der Walküre. Ich werde berichten.
Die weitere Besetzung: Daniel Schmutzhard (Donner), John Daszak (Loge), Claudia Mahnke (Fricka), Allison Oakes (Freia), Wilhelm
Schwinghammer (Fasolt), Andreas Hörl (Fafner), Mirella Hagen (Woglinde), Julia Rutigliano (Wellgunde), Anna Lapkovskaja (Floßhilde).
Dirigiert hat Kirill Petrenko.