AIDA in München, 28.09.2015 - Schrecklich

  • Wenn vor dem Münchner Nationaltheater eine Ansammlung hysterisch glucksender Ommas mit roten Röschen auf und abläuft, als wäre es eine Gruppe Schulmädchen beim Justin Bieber Konzert und man von weiblichen Groupies Mitte 50 mit „Suche Karte“ Schildern auf der Treppe des Haupteingangs fast erschlagen wird, kann man sich auch als Nicht-Opernfan denken, dass das orgelnde Sex-Symbol der gegenwärtigen Opernwelt wieder München heimsucht. So geschehen bei der aktuellen Aida-Wiederaufnahme. Alles was ich nach dieser schrecklichen und beängstigend bejubelten Vorstellung sagen kann ist OMG!
    Jonas Knödellocke hat seinem Namen wiedermal alle Ehre gemacht. Viel wurde in den letzten Tagen über den Radames, Celeste Aida, Pianissimo, Morendo, hohe Bs, Corelli und Bergonzi diskutiert. Eine interessante aber unerhebliche Diskussion, denn unser „Star“ klang von Anfang an, als habe er unmittelbar vor Vorstellungsbeginn einen (oder mehrere) deftige Fleischknödel auf der Wiesn verschluckt, das Gesamtpaket beinhaltete alles, was zwischen Registerbrüchen und Höhenproblemen eine ungenügende Gesangsleitung ausmacht. Die routinierte (trotz szenischem Rollendebüt!) und stocksteif emotionslose Gesangsleistung trug das übrige bei.....
    Immerhin hatte man an der Staatsoper mit Krassimira Stoyanova als Aida und Anna Smirnova als Amneris zwei wunderbare Damen aufgeboten, die zwar stimmlich nicht unbedingt dem „traditionellen“ Stimmtypus dieser Partien entsprechen, und auch im Falle von Frau Stoyanova auch mal an ihre Grenzen kommen (etwa bei Ritorna Vincitor), aber durch ihre Authentizität, gute Technik und stimmlichen Schönklang der einzige Grund waren, diesen Vorstellungsmurks zu besuchen, und die einem im übrigen szenischen und musikalischen Ambiente leid tun konnten. Ain Anger, klingt zwar als Ramfis bedrohlich tief, aber seine Tongebung ist matt und unsauber. So klingt man wenn man am Tag davor noch in Wien Chowanschtschina gesungen hat und dann schnell-schnell nach München gefahren ist. Herr Anger, der in München eingesprungen ist, hat seiner Stimme mit dieser Zusatzbelastung keinen Gefallen getan. Blass aber solide-routiniert war auch Marco Spotti als König, Franco Vasallo als Amonasro sang das „Dei Faraoni tu sei la schiava!“ wie „guten Morgen, liebe Sorgen“, ansonsten konnte man immerhin seinem Vortrag lauschen, ohne dass einem übel wurde. Dan Ettinger am Pult war eine Schande. Selten habe ich eine so lieblos-laute Aida abgespult gehört wie an diesem Abend. Staatsopernunwürdig, povero Verdi.
    Eine Beleidigung für die Augen war erneut Christoph Nels lieblos-halbszenischen Arrangement, dass auch der schlechtesten klassischen Inszenierung haushoch unterlegen ist. Eine akustisch ungünstig gestaltete (Wer denkt heute noch an die Deckelung?) Bühne von Jens Kilian mit einem immer wieder leicht veränderten grauen Klotz rotiert nervtötend fast permanent um die eigene Achse und verbaut die Szene für Solisten und Chor derart, dass am Ende nur noch das von RT-Fetischisten so häufig gescholtene Rampensingen stattfinden kann. Die Kostüme von Ilse Welter-Fuchs versuchen ein bisschen altägyptische Atmosphäre gemischt mit Samuraianleihen in dieser Tristesse zu verbreiten, leider gab Kostüm-Ilse die Sänger mit den „bauchnabelgespickten“ Panzern der Lächerlichkeit preis. Völlig indiskutabel ist die billig runtergestrampelte Choreographie, über die man fast lachen könnte, wenn es nicht so traurig wäre.
    Ach muss es schön sein, wenn man zur Münchner Bussi-Bussi Gesellschaft gehört und 500 Euro auf dem Schwarzmarkt oder Ebay bezahlt hat und sich am Ende selber betrügen muss, um die Kartenkosten irgendwie zu rechtfertigen und deshalb jubeln muss, was das Zeug hält.....
    Die Groupie-Schlange wurde am Bühnenausgang immer länger, dass konnte ich aus der Tram am Ende noch beobachten, ob Knödellocke am Ende erschienen ist, oder seine Stalker(innen) im Stich gelassen hat, entzieht sich dann doch meiner Kenntnis.

  • Interessant, diesen Verriss mit den Kritiken zu vergleichen (die sich allerdings auf die Wiederaufnahme am 25.9. zu beziehen scheinen).


    Die Süddeutsche schreibt zu Jonas Kaufmann:


    Aber das berühmte "Celeste Aida" lässt ja nicht lange auf sich warten: Und das sang Kaufmann in der Wiederaufnahme von Giuseppe Verdis "Aida" am Nationaltheater exzellent. Sein so berückend baritonal gefärbter Tenor leuchtete gleichwohl in der Höhe wunderbar; einschließlich jenes in der Partitur mit der Vortragsbezeichnung "morendo" geforderten Diminuendo auf dem hohen B, das sonst kaum ein Sänger realisiert. Auch im Übrigen war dieses Debüt - dem eine CD-Aufnahme unter Antonio Pappano vorausging - gelungen.


    Und die Abendzeitung jubelt sogar:


    Kaufmann ist der erste komplette Radamès seit Jahrzehnten. Er singt die Romanze als subtil kolorierte Liebeserklärung. Im Nil-Duett gibt es zärtliche und heldische Momente. Dann schleudert er das „Sacerdote, io resto a te!“ am Ende des dritten Akts kraftvoll in den Saal, als sei Mario del Monaco wieder auferstanden. Ein sinnlicher Thrill, den sonst kein Tenor unserer Tage bereithält.


    Und die Welt:


    Doch trotz allem Medien-Trara: in der Opernwelt wird dann eben doch live gezahlt. Und auch diesen "Aida"-Test hat Jonas Kaufmann eben in München an der Seite der ebenfalls debütierenden, fülliger und idiomatischer als die Harteros klingenden Krassimira Stoyanova bravourös bestanden. Als ein Radamès, der aus einer Kunstfigur einen singenden Menschen formt, der vor allem im zweiten Teil berührt und imponiert, der die große Geste mit imperialen Trompetentönen beherrscht, aber sich auch Duett innig und intim verströmt, bis hin zum letzten, transzendent verlöschenden "O terra, addio".


    Wenn man nicht dabei war, kann man angesichts der diametral entgegengesetzten Bewertung nur staunen und sich fragen, wer Recht hat. Oder hatte Kaufmann am 28. nur einen schlechten Tag?

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Figarooo,


    herrlicher konnte man den Mist kaum noch schildern. Und wenn Kaufmann singt, rennt natürlich alles hin und schlägt sich um Karten für den "Star". Auch wenn er noch so schlecht singt, muss natürlich die Presse - speziell in München - dennoch Lobeshymnen verbreiten - was denn sonst?


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Danke für den Bericht!


    Zur "Aida" kann ich nichts sagen, aber nur soviel: Jonas Kaufmanns Ausflüge ins italienische Fach konnten mich bisher auch nicht sonderlich zufriedenstellen. Sein Nessun dorma, sowohl auf der neuen CD als auch live bei den Proms, hat mich nicht vom Hocker gehauen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Danke für den Bericht, Figarooo! Da werden manche Dinge, die in den letzten Tagen aus den Fugen geraten sind, wieder gewaltig zurechtgerückt. :D


    Dass die Kritiker in Lobeshymnen ausbrechen ist ja nichts Ungewöhnliches mehr. Was hat man da in den letzten Tagen für Superlative über Kaufmann und seinen Radames lesen können. 'Bester Radames aller Zeiten', 'noch nie dagewesener Tenor' und ähnliches. :rolleyes:
    Der Hype um Kaufmann hat inzwischen groteske Formen angenommen. Dass er in den Augen bzw. Ohren seiner Fans nichts falsch macht, kann man ja noch irgendwie nachvollziehen (obwohl man auch als Fan eines Sängers seine Ohren nicht an der Garderobe abgeben sollte), aber von Kritikern (und sollten Kritiker nicht Kenner sein?) darf man schon erwarten, dass sie genau hinhören und auf dem Teppich bleiben.


    Kaufmann scheint mir im deutschen Fach am besten aufgehoben. Obwohl sein knödeliges, gaumiges Singen nun wirklich nicht jedermanns Geschmack ist. Stört das bei Wagner weniger?


    Gregor