Irres Wasserplantschen - Stradella von César Franck

  • Am 26.10. in der frühen Morgenstunden zeigte arte aus der Opéra Royal de Wallonie in Lüttich die Aufzeichnung der unvollendeteten Jugendoper "Stradella" von César Franck, von dem ich bisher nur die Symphonischen Variationen, das 2. Klavierkonzert und einige Orgelwerke kenne. Da ich immer wieder neugierig auf Neues - vor allem auf dem Gebiet der Oper bin, habe ich die Oper aufgezeichnet angehört und (allerdings - weil es zuviel des Irren war - auf zwei Abende verteilt) sogar vollständig angeschaut, damit es nachher nicht wieder heißt, man könne sich aus Ausschnitten kein Urteil bilden.
    Kurz zum Inhalt:
    Stradella liebt die schöne Waise Leonore. Der Herzog von Venedig, der diese ebenfalls begehrt, hat - von dem Verhältnis nichts wissend - Stradella als Gesangslehrer für sie eingestellt, der sie ihm gefügig machen soll.
    Im ersten Akt, der in der Karnevalszeit spielt, wird Leonore durch Spadoni und die Schergen des Herzogs entführt.
    Im zweiten Akt findet Stradella sie eingesperrt im Schloss und plant die Flucht mit ihr. Doch ehe diese gelingt, kommt der Herzog und bedrängt Leonore. Dennoch kann Stradella nach einem kurzen Gefecht mit dem Herzog mit ihr entfliehen.
    Dritter Akt: In Rom, wohin die Liebenden geflohen sind, ist der Sänger Stradella gefeiert. Er soll in einer Kirche singen. Doch der vom Herzog beauftragte Spadoni hat ihn aufgespürt. Er dingt zwei Mörder, die ihn nach der Kirche umbringen sollen.
    Diese zögern jedoch, als sie das Lied des Sängers hören. Da kommt schließlich der Herzog und gibt die Liebenden frei.


    Vorweg schon eine Abänderung am Ende durch den Regisseur Jaco Van Dormael: Er lässt - entgegen dem Libretto - Leonore (wohl erschöpft vom fast zweistündigen Wassertreten) sterben und auch Stradella wird umgebracht, bevor der Herzog eintrifft.


    Nun zur Inszenierung:
    Der Bühnenboden ist während der ganzen Aufführung geflutet. Die Bühne war größtenteils leer und meist dunkelblau beleuchtet. Hin- und wieder erschienen auf der hinteren Wand oder in einem großen, herabgelassenen Spiegel undeutbare Videos oder Spiegelungen (auch z.B. des Orchestergrabens). Die Kostüme waren überwiegend dunkles Grau und so lang, dass sie durch das Wasser schwerfällig hinterher geschleift werden mussten. Von Karneval keine Spur.
    Damit - wie heutzutage üblich - schon während des Vorspiels "Action" auf der Bühne ist, stapft eine nackte junge Frau (sie sah wenigstens ästhetisch aus) durch das Wasser auf einen dort schwimmenden Koffer zu, entnimmt diesem eine Schlinge an zwei Stöcken und jagt riesige Seifenblasen über die Bühne (Sinn?). Vor dem dunklen Hintergrund erscheint eine Art Wolke durch die verschwommen ein Fenster durchscheint, hinter dem sich eine Frauengestalt bewegt. Der Herzog, aus dessen Kragen hinten ein riesiger Gazesack, gefüllt mit großen violetten Luftballons, die ihn in die Höhe halten ( ?( ) und Spadoni mit einer Schar von Häschern betreten zwei Stege über dem Wasser, müssen sich aber vorerst verstecken, denn Stradella kommt mit einer Schar junger Mädchen, die sich auf den Stegen niederlassen. Dann erscheint auch Leonore in einer sich im Hintergrund öffnenden Tür. Es kommt zu Liebesbezeugungen, während dessen die Liebenden aufeinander zu und wieder voneinander weggehen. Diese Bewegungen werden als Schattenbilder asynchron auf den Hintergrund projeziert ( ?( ). Gleichzeit werden von einem - diesmal bekleideten - Mädchen wieder die Seifenblasen über die Bühne geschickt ( ?( )
    Danach hat der Herzog endlich seine Chance. Spadoni naht mit einer grauen Schar in Regenmänteln, die mit Stöcken auf das Wasser peitschen, so dass es hoch aufspritzt ( ?( ). Dann wird Leonore in einer Wasserprozession entführt. Im Hintergrund ist zu der ganzen Szene noch ein Mondgesicht zu sehen, das ebenfalls singt (sollte es das - nicht erkennbare - Gesicht des Herzogs sein?)
    Im zweiten Akt wird eine riesige Fensterwand in das Wasser gelassen. Außerdem gibt es im Wasser noch zwei umgeworfene Stühle und eine schräge Nachttischlampe (wohl ein Saal im Schloss). Leonore, die sich dort wiederfindet, hat Schwierigkeiten, sich mit ihrer langen, von dort ebenfalls stehendem Wasser durchtränkten Schleppe durch den Raum zu bewegen. Manchmal setzt sie darüber hinaus auch ins Wasser, das ihr dann bis zum Bauch steht. Hinter dem Fenster erscheint zunächst Spadoni mit dem Chor der Häscher, dann Stradella mit den Mädchen. Als er Leonore erkannt hat, schickt er die Mädchen weg und dringt in den Raum ein. Die beiden planen die Flucht, doch ehe diese durch Stradellas Helfer Beppo bewirkt werden kann, ist plötzlich der Herzog da, der mit seinem langen Mantel ebenfalls Schwierigkeiten hat, auf Leonore einzudringen. Unglaubwürdig ist, dass dieser zunächst Stradella, der offen im Raum steht, nicht bemerkt. Unglaubwürdig ist auch, wie die beiden nach einem kurzen Scharmützel Stradellas mit dem Herzog mit ihren schweren, nassen Kleidern durch das sie umgebende Wasser entfliehen können. (Wo sind denn die Aufpasser?)
    Dritter Akt: Stradella ist in Rom, das ebenfalls unter Wasser steht. Er balanciert singend über Holzklötze, die im Wasser liegen. Später balanciert auch Spadoni, der ihn aufgespürt hat, über diese Holzklötze. Die beiden Ganoven, die er als Mörder auftreibt, stehen bis zum Kinn im Wasser, so dass man jeden Augenblick die Befürchtung hat, dass ihnen ein Schluck Wasser das Singen verderben könnte. Das wirk komisch und belustigend.
    Die dritte Hauptperson, die sich hier im Wasser bewegt, ist Leonore, die ihr Schicksal beklagt und dann langsam versinkt (gedoubelt).
    Dann die Kirche, die wieder aus zwei Stegen im Wasser besteht. Darüber im Hintergrund eine goldfarbene Projektion, die sich seifenblasenartig verändert (ob sie wohl ein religiöses Symbol andeuten soll?) Auf dem hinteren Steg erscheint ein Chor von seltsam vermummten Gestalten, die ein religiöses Lied anstimmen. Auf dem vorderen lässt sich Stradella nieder, der sein religiöses Lied vorträgt. Die beiden Mörder schwimmen heran, das Lied, in dem vor allem die ewige Verdammnis für Mörder besungen wird, hält sie zwar zunächst ab. Aber sie wurden ja bezahlt. Also bringen sie schließlich (entgegen dem Libretto) Stradella doch um. Sehr abwegig wirkt da der Text des Herzogs, der zu spät erscheint und schließlich sogar mit Spadoni in den religiösen Chor mit einstimmt, während ein großer, buntgestreifter Fisch über die Bühne in den Zuschauerraum schwebt.


    Musikalisch fand ich die Oper nicht schlecht, wobei mir vor allem die Rollen des Stradella (Marc Laho) der Herzogs (Philippe Rouillon) und des Spadoni (Werner van Mechelen) gut gefielen, während ich mir Leonore etwas romantischer vorstelle. Sicherlich hat bei mir auch die Inszenierung dem klanglichen Empfinden geschadet (wie schon mal gesagt: Das Auge hört mit). Ob diese Oper einer Ausgrabung würdig war, mag jeder für sich entscheiden


    Für Leute, die solche verrückten Inszenierungen lieben, hier ist die Gesamtinszenierung:


    www.youtube.com/watch?v=glhZjueYztA


    Ich habe hier wieder Worte wie "irr" und "verrückt" (ich kann das nicht anders benennen) gebraucht. Lieber Siegfried, freue dich also schon mal auf den nächsten Zwergenaufstand, deine nächste Operette.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Gerhard, vielen Dank für Deine Beschreibung und den Link zur Oper. ich habe mir gleich einige Passagen angesehen und gestaunt, wie gut insgesamt gesungen wurde. Sänger scheinen heute alles mitzumachen. In den Wasseranzügen müssen sie wohl ziemlich geschwitzt haben. Den Tenor Marc Laho fand ich recht schönstimmig, Isabelle Kabatou habe ich einmal in Hamburg als Maskenball-Amelia gehört (2001), sie hatte mir damals nicht gefallen.
    Wenn man sich nur einzelne Abschnitte anschaut, hinterlässt das Bühnenbild farblich und mit dem Wellenmuster keinen schlechten Eindruck. Dem Publikum schien es gefallen zuhaben, oder war der Herr mit dem bunten Hemd am Ende nicht der Regisseur? Im Theater hätte ich mich von diesem Inszenierungseinfall allerdings sehr stark ablenken lassen, fallen die Sänger hin, ertrinkt oder erfriert jemand, platzt der Boden und läuft das Wasser in den Orchestergraben etc. Ich hätte bedauert, dass dieser sehr aufwendige Effekt einen zu großen Teil des Theaterbudgets verbraucht hätte, und ich hätte den Sinn natürlich auch nicht verstanden. Vielleicht ist das die Antwort: Ohne die große Badewanne hätte Arte das Stück für die Übertragung vermutlich nicht ausgewählt. So bleibt in Erinnerung, dass Lüttich eine Oper hat, in der insgesamt auch ganz gut gesungen wird. Wenn ich mal dort ein/zwei Tage zu tun hätte, würde ich mir das Stück durchaus anschauen, schon allein, um den Tenor Marc Laho besser beurteilen zu können.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv