Ich fände es auch schön, wenn der schon einige Male gemachte Vorschlag umgesetzt würde, hier zumindest zeitweise einen Schlussstrich zu ziehen. Wollen wir nicht alle einfach jetzt aufhören, diesen Thread mit weiteren Beiträgen zu füllen, die doch immer nur zu gegenseitigen Vorwürfen führen? [...] Ich würde mir ja wünschen, dass wir die Liebe zur Oper als eine uns allen gemeinsame Basis akzeptieren, aber das hat bislang nicht funktioniert.
Ich habe beim Lesen dieser Diskussion in den letzten Tagen das ständige Jucken der Finger auf der Tastatur ignoriert. Wenn ich dem Jucken jetzt trotzdem nachgebe, dann bemühe ich mich, alles das, was ich eigentlich zum momentanen Streit zu sagen hätte, außen vor zu lassen und nur über meine Beziehung zur Oper (denn Liebe kann man das (noch?) nicht nennen), zu schreiben. Vielleicht motiviert das ja zu einem neuen Anfang.
Ich habe zu einer Zeit, als ich nur wenig klassische Musik gehört und schon gar keine Opern angesehen habe, Wagners Parsifal lieben gelernt. Auslöser war die Opern-Verfilmung von Syberberg, und in der Folge bin ich auch einmal nach Frankfurt gefahren und habe dort die Parsifal-Inszenierung von Ruth Berghaus gesehen. Damals kannte ich den Begriff Regietheater nicht. Ich weiß nur, dass ich fasziniert war, vor allem von der Musik, die mich jahrelang nicht losgelassen hat, dann aber auch von der Art, wie das jeweils, freilich auf völlig unterschiedliche Weise, von Berghaus und Syberberg ins Bild gesetzt worden war. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dabei irgendetwas als nicht werkgerecht anzusehen. Ich empfand das jeweils als in sich stimmig. Es waren für mich große und intensive Erlebnisse.
Freilich gab es damals keine Untertitel, keine Texteinblendungen, keine Erklärungen, es gab auch noch kein Internet, das es mir ermöglicht hätte, mich näher zu informieren, und ich kann mich auch nicht erinnern, ob es in Frankfurt ein Programmheft gab (vermutlich schon) oder was darin stand. Jahre später, als ich mir meine erste halbwegs vernünftige Anlage zum häuslichen Musikhören leisten konnte, war die allererste CD, die ich mir gekauft habe (neben Wiesels Ripped My Flesh von Frank Zappa) die Boulez-Aufnahme des Parsifal. Und da habe ich dann erstmals, beim Lesen des Booklets, den Text verstanden (was mir die Oper aber dann so verleidet hat, dass ich sie bis heute nicht mehr gesehen oder gehört habe, aber dazu unten mehr).
Wieder Jahre später (2009?) habe eine Gluck-Oper (Iphigene in Aulis) in Ulm gesehen. Auch damals war mir der Begriff Regietheater noch nicht geläufig, aber die Aufführung, in die ich von Bekannten geschleppt worden war, hatte mich immerhin so angesprochen, dass ich kurz danach wieder eine Gluck-Oper (Iphigenie auf Tauris ?) in Nürnberg besucht habe. Auch das war wohl, wie ich heute annehme, Regietheater. Aber auch da fand ich, in Unkenntnis des Librettos wohlgemerkt, nichts Anstößiges oder Unpassendes. Nein, es war einfach nur faszinierend und spannend.
Ich weiß natürlich nicht, was ich heute dazu sagen würde, wenn ich neben der Aufführung das Libretto verfolgen könnte. Ich kann aber mit einiger Sicherheit sagen, dass ich weder für den Parsifal noch für Gluck noch einmal in ein Operhaus gegangen wäre, wenn das erste Kennenlernen durch eine herkömmliche Inszenierung erfolgt wäre. Nach wie vor habe ich Zweifel, ob ich mich wirklich für Opern interessieren könnte, wenn sie so inszeniert wären wie ich das hier am 31.1.2105 zu einer Wolfgang-Wagner-Aufführung geschrieben habe, dass nämlich die Art und Weise der Personen, sich zu bewegen, mir zu großen Teilen statisch vorkommt mit den kurzen »Bewegungsausbrüchen«, die auf mich überhaupt nicht echt oder lebendig wirken und die den ganzen Zauber von Musik und Bühnenbild kaputtmachen. Das, was man hier Regietheater nennt, könnte mich auf lange Sicht für die Oper gerettet haben. Und erst seit ich bei Tamino bin und hier viele gescheite Sachen gelesen habe, beginne ich allmählich zu verstehen (oder, vielleicht besser formuliert, eine Bereitschaft dafür zu entwickeln), dass Opernhandlungen mit ihren Dialogen kein unfreiwillig lustiger Schwachsinn sein müssen (Georg Kreisler überzeichnet das ja in seinem Opernboogie). Ich habe vor, wenn ich in einigen Monaten im Ruhestand sein und dann hoffentlich mehr Zeit haben werde, mich auch mehr damit zu beschäftigen. Dann möchte ich mich hier auch über konkrete Inszenierungen austauschen. Anders als in diesem Thread hier, wo es ja oft um allgemeine oder grundsätzliche Aspekte geht, die oft spannend und erhellend sind und zu denen man sich auch als Nicht-Kenner äußern kann, muss man dann die Inszenierungen natürlich gesehen haben. Warten wir ab, wie sich das bei mir entwickelt. Immerhin bezog sich ja schon mein erstes eigentliches Anliegen hier bei Tamino (nachzulesen in Beitrag Nr. 52 vom 7. Oktober letzten Jahres unter Regietheater und künstlerische Freiheit) auf die Art der Inszenierung von Opern und auf meine Rezeptionshaltung.