„Bühne frei“, Georges Delnon, Intendant der Hamburgischen Staatsoper, stellt alte und neue Ensemblemitglieder vor (05.12.2015)

  • Die Sänger haben bei der „Bühne frei-Präsentation“ (zugunsten der Deutschen Muskelschwundhilfe) einen großen Vorteil, sie befinden sich auf dem zugedeckten Operngraben näher am Publikum und singen nur mit Klavierbegleitung. So kommen auch kleinere Stimmen zur Geltung. Von den Neuen beeindruckte vor allem die russische Mezzosopranistin Nadezhda Karyazina mit voluminöser, schönklingender Stimme (Händel: Gulio Cesare, Arie des Sesto). Katja Pieweck hatte einen Tag vorher krankheitsbedingt, leider, abgesagt, so dass das bedeutendste Stück des Abends (Saint-Saens: Samson und Dalila, Mon coeur s’ouvre a ta voix) schönstimmig von Marta Swiderska vorgetragen wurde. Die Ruhe und seelische Tiefe dieser Partie vermochte diese junge polnische Sängerin, derzeit Mitglied im Hamburger Opernstudio, noch nicht recht zu vermitteln. Die beiden Hamburger Kammersängerinnen Hellen Kwon und Gabriele Rossmanith zeigten den Neuen, was Stimmkraft ist. Hellen Kwon, jahrelanger Publikumsliebling, wagte sich an Elisabeths Hallenarie (Tannhäuser). Ich mag ihren strahlkräftigen, nahezu vibratofreien Sopran, den sie, unter die Haut gehend, goldschimmernd aufblühen lässt. Die Kollegin Rossmanith verführte das Publikum mit Operettenhaftigem (Strauß: eine Nacht in Venedig, Annenpolka). Zu Julia Dahn (der Intendant ließ bei der Vorstellung den zweiten Vornamen Maria weg): Sie sang sich ein als Nedda (ihr Duettpartner war der erst 29jährige Alexey Bogdanchikov, bei dem zu hoffen ist, das sich seine Stimme im Laufe der Jahre noch weiten und kräftigen möge; er sang auch noch die Cavatine des Valentin aus Gounods Faust) und zeigte mit der Arie der Manon (Massenet) „Je suis encore etourdie“, über welche Spannweite ihr Sopran verfügt. Was sie von anderen auszeichnet, ist eine schöne, dunkel timbrierte Tiefe. Die Höhe ist da, aber wenig spezifisch und für mein Ohr eher zu hart als weich fließend berandet; ihrer Stimme fehlt auch die berauschende Süße, die man von einer Sängerin, die in diesem großen Hause mit so vielen Premieren- und Hauptpartien bedacht wurde, erwarten sollte. Vielleicht entwickelt sich das ja noch mit den folgenden in dieser Saison geplanten Partien.


    Ich komme zu den Männern. Von der Stimmschönheit her hat mir am meisten der Bass Tigran Martirossian (seit langem im Hamburger Ensemble eine sichere Bank, so wie dereinst Harald Stamm) gefallen, er sang die Arie des Rodolfo „Vi ravviso“ aus La Somnabula von Bellini. Jürgen Sacher, seit 3 Jahrzehnten erprobter Tenorbuffo im Ensemble, wagte sich an die schwere Arie des Max im Freischütz. Seinem hellen Tenor fehlt denn doch die Kraft und die Heldentenorgrundierung, die ein Max benötigt. So wie sich dereinst Heinz Kruse vom Spieltenor zum Heldentenor wandelte (und einen Siegfried hinlegte, den ich so schön und so kraftvoll weder vor ihm noch nach ihm je wieder gehört habe; leider verstarb er, bevor er mit dieser Rolle weltweit Erfolg einheimsen konnte), wird sich die Karriere von Jürgen Sacher wohl nicht entwickeln. Im Ensemble ist er aber ein guter Walter der zu seiner Stimme passenden Rollen. Victor Rud sang die Ballade des Mercutio aus Romeo und Julia von Gounod, mir zu leise und zu uninspiriert. Das kann man von dem Bass Alin Anca nicht sagen (Rondo des Mephistopheles aus Gounods Faust), ob er er allerdings die Schwierigkeiten und auch die Schönheiten dieser Partie wirklich tief genug ausgelotet hat, vermag ich wegen fehlender Vergleiche in meinem akustischen Gedächtnis nicht zu sagen. Beeindruckt hat mich wider erwarten der Bariton Kartal Karagedik, der eindrucksvoll Schuberts „Wanderer“ gestaltete und dafür auch viel Beifall erhielt. Zuletzt will ich Wilhelm Schwinghammer nicht vergessen, der sich an „Odins Meeresritt“ von Carl Loewe wagte, was ich, das Ergebnis betreffend, vom Liedgesang nicht genügend verstehend, nicht ausreichend beurteilen kann.


    Die Klavierbegleitung lag bei Rupert Burleigh, der neue Intendant Georges Delnon führte durch das Programm. Man merkte, dass das Metier des Conferencier nicht seines ist. Er las viel vom Blatt ab, versuchte manchmal, Kontakt zum Publikum aufzubauen, was aber nicht so recht gelang. Dass oblag eher Gabriele Rossmanith, die das Publikum (und Delnon) eher aufzuheitern vermochte. Simone Young war (nicht nur) in dieser Beziehung eine Meisterin gewesen, sie hatte bei ihren Conferencier-Auftritten nicht nur ihre Sängerinnen und Sänger, sondern auch ihr Publikum im Griff. Entscheidend ist aber schließlich, dass uns die Sängerinnen und Sänger gut unterhalten und nicht, zumindest nicht direkt, der Intendant.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv