"Weihnachtsopern"?

  • Ich kam gerade beim Stöbern im Spielplan der Oper Leipzig auf das Thema. Sollt es schon einmal da gewesen sein, bitte ich um Nachsicht: Angesichts vieler (teils sehr) alter Fäden (teils enormer Länge) tut es dem Forum evtl. gut, Themen ganz neu aufzugreifen; andernfalls mag ein geneigter Moderator verschieben.


    Alle Jahre wieder stehen natürlich "Hänsel und Gretel" auf dem Programm und verkaufen sich sehr gut. Angeblich besuchen viele Familien das Stück. Weihnachtlich? Abgesehen von einigen Stücken, die fast volkstümlich geworden sind, ist das doch eher schwere Kost. Die Vorlage der Gebr. Grimm ist an sozialer, familiärer und diabolischer Grausamkeit (mitsamt dem völlig unplausiblen Happy End) kaum zu überbieten. Selbst das entschärfte Opernlibretto hat es immer noch in sich: Totschlag (wenn auch in Notwehr) als Problemlösung passt sogar nicht zur Weihnachtszeit. Und wie angedeutet: Die Musik ist eher etwas für Wagnerianer.



    Der 2. Dauerbrenner: "La bohème". Eine sehr schöne Inszenierung mit poetischen anrührenden Bildern und einer sehr gelungenen Personenführung von ---- Peter Konwitschny und damit der Beweis, dass man seinen eigenen Vorurteilen nicht immer trauen sollte. ;-)


    Aber "Weihnachtsoper"? Vielleicht in dem Sinne, dass das Handlung und Musik daran erinnern, bei allem Konsumrausch, zu dem die "Weihnachtszeit" inzwischen ab Ende September verkommen ist, die Benachteiligten, Fremden und Armen und ihr Elend in der Zeit des "Festes der Liebe" nicht zu vergessen.


    Übrigens: Als "richtige" Weihnachtsopern fallen mir ganz spontan Menottis "Amahl" und Pfitzners "Christ-Elflein" ein. Beide so unbekannt (außerdem trifft Menotti nicht den Zeitgeschmack, und Pfitzner ist politisch verdächtig), dass sie kaum eine Chance haben, auf eine große Bühne zu kommen.


    CD Empfehlungen (mit der ausdrücklichen Bitte um andere Meinungen):


    Hänsel und Gretel:
    Suitner; Adam/Schröter/Springer/Hoff/Schreier (als Hexe eine Klasse für sich) jetzt preiswert bei Brilliant Opera


    La Bohéme
    Karajan; Pavarotti/Freni

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Lieber Misha,


    eine wirkliche Weihnachtsoper stammt von dem Dänen August Enna. Sein kurzer Einakter "Den lille pige med svovlstikkerne" - zu deutsch, das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern, nach dem Märchen von Hans Christian Andersen war seinerzeit ein großer Erfolg und wird auch heute noch manchmal zu Weihnachten (wenn auch konzertant) in Dänemark gespielt. Besonders die Ouvertüre ist von wirklich märchenhafter Schönheit und vielfach eingespielt worden.


    Hier die Link zu der Oper in unserem Opernführer: http://www.tamino-klassikforum.de/index.php?page=Thread&threadID=17201


    LG
    Christian

  • Hänsel und Gretel:
    Suitner; Adam/Schröter/Springer/Hoff/Schreier (als Hexe eine Klasse für sich) jetzt preiswert bei Brilliant Opera


    Das ist eine wunderbare Aufnahme. Ich würde sogar ein paar Euro drauflegen und mir die schöne Ausgabe im Samtschuber besorgen:


    Gut zwanzig Jahre später entstand diese perfekte Aufnahme mit einer beängstigenden Hexe und einer Gretel, die erstmals auch problemlos die Spitzentöne singt:


    Bezeichnend, dass in beiden grandiosen Aufnahmen dasselbe Orchester spielt.


    Jetzt bleibt nur noch abzuwarten, ob die kinderfreundliche Produktion der Wiener Staatsoper (Dirigent: Christian Thielemann) bald als DVD herauskommt - oder doch nur zu Weihnachten im Fernsehen gesendet wird.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.


  • Bei dieser Oper Rimski-Korsakows wundert es mich, dass man sie hier nicht öfters auf den Spielplänen findet. Das Werk nach einer Vorlage von Gogol, die Tschaikowski unter dem Titel "Das Pantöffelchen/Wakula der Schmied" ebenfalls vertont hat, besticht durch die für Korsakow typischen farbigen und zauberhaften Klänge. Schon allein das Vorspiel, das die Vorstellung einen sternenfunkelnden, klaren Nacht hervorruft ist ein wahres Kabinettstückchen. Die märchenhafte Handlung ist zwar einigermaßen wirr und hat trotz des Titels nur bedingt etwas mit Weihnachten zu tun, sollte einen aber nicht davon abschrecken, sich das Werk einmal zu Gemüte zu führen.


    Zum Kennenlernen tut es aber auch erstmal die von diversen Tänzen geprägte Suite, von der es mehrere (erschwingliche) Aufnahmen gibt, wie z.B. diese:


  • [...] eine wirkliche Weihnachtsoper stammt von dem Dänen August Enna. Sein kurzer Einakter "Den lille pige med svovlstikkerne" - zu deutsch, das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern, nach dem Märchen von Hans Christian Andersen war seinerzeit ein großer Erfolg und wird auch heute noch manchmal zu Weihnachten (wenn auch konzertant) in Dänemark gespielt.


    Spielt nicht die Handlung dieses Märchens in der Neujahrsnacht und nicht zu Weihnachten?

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat

    Zitat von Bertarido: Spielt nicht die Handlung dieses Märchens in der Neujahrsnacht und nicht zu Weihnachten?


    Das ist richtig, zumindest Andersen Märchen spielt in der Silvesternacht. Dennoch, die Oper passt in die Weihnachtszeit, die ja bekanntlich noch bis zum 6 Januar geht. Nicht dagegen das gleichnamige Werk von Helmut Lachenmann, das das Mädchen, das überlebt hat, im Erwachsenenalter als Terroristin darstellt, das mit den Schwefelhölzern Bomben zündet.
    Auch ich sehe mir gerne zu Weihnachten "Hänsel und Gretel" an, viel lieber aber noch das Ballett "Der Nussknacker" von Peter Tschaikowski das, auch wenn es darin eine Schlacht zwischen dem Nussknacker und dem Mäusekönig gibt, am Weihnachtsabend spielt und im zweiten Teil in ein weihnachtliches Märchenland entführt oder das Ballett "A Christmas Carol" nach Charles Dickens mit der Musik von Carl Davis.
    Rimski-Korsakows "Nacht vor Weihnachten" höre ich ebenfalls gerne, aber die gibt es wohl nicht als Inszenierung auf DVD.



    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Bertario,


    mal davon abgesehen, dass ich beim Link zum Opernführer Mist gemacht habe, spielt die Oper laut Libretto aber tatsächlich an Weihnachten, genauer sogar an Heiligabend. Die Vorlage kenne ich offengestanden nicht... als Kind war ich nie so der Märchenfan...ich bin da eher die Generation Pokemon :P


    LG
    Christian


  • Humperdincks Hänsel und Gretel hat mit Weihnachten nur soviel zu tun, als diese Oper am 23. Dezember 1893 in Weimar uraufgeführt wurde und seither vorwiegend in der Weihnachtszeit auf dem Spielplan steht.
    Pfitzners Christelflein dagegen ist eine "echte" Weihnachtsoper, weil sich die Handlung auf Weihnachten bezieht.

    mfG
    Michael

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  • Für mich ist eine der - wie es Misha ausdrückt - "richtigen" Weihnachtsopern der WERTHER von Massenet. Ich habe noch nie erlebt, dass der um Weihnachten herum gegeben wurde. Das Werk wird leider überhaupt nicht so oft gespielt. Es ist auch in unserem Opernführer vorhanden.


    Die Oper beginnt bekanntlich damit, dass die Kinder ein Weihnachtslied probieren, das in der deutschen Übersetzung so geht:


    Heilige Nacht! Heilige Nacht!
    Christus ward geboren,
    Der zum Heiland Euch erkoren,
    Hirten, Ihr von Israel!
    Hoch vom Himmelszelt
    Rauscht es wie von Hüterschwingen,
    Und man hört die Englein singen
    Durch die weite Gotteswelt:
    Heilige Nacht! Heilige Nacht!


    Den Weihnachtsbezug gibt es bekanntlich auch bei Goethe. Werther erschießt sich zu Weihnachten. Als Charlotte den Toten findet, erklingt von Ferne hinter den Kulissen eine kurze Sequenz aus dem Weihnachtslied vom Anfang. Das ist ganz wunderbar und sehr ergreifend. Es ist, als würde Werther dadurch Vergebung finden.



    Es gibt sehr schöne Aufnahmen des Werkes, die in meinen Ohren alle ihre Stärken haben. Hier eine Auswahl. Meine Neigung geht am Ende doch zu den historischen Dokumenten mit Thill und Vanzo, weil die idiomatisch am treffendsten sind.



    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Meine Lieblingsaufnahme von Hänsel und Gretel ist immer noch diese:


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Humperdincks Hänsel und Gretel hat mit Weihnachten nur soviel zu tun,
    als diese Oper am 23. Dezember 1893 in Weimar uraufgeführt wurde und seither vorwiegend in der Weihnachtszeit auf dem Spielplan steht.



    Ist ein Bezug nicht am Ende doch auch ein wenig dadurch gegeben? Und durch die Heimkehr des Besenbinders mit den vielen unerwarteten Gaben im ersten Bild, die für mich immer etwas von einen Bescherung hat?

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent