Strauss, Richard



  • Hallo,


    die Chöre von Mahler und Wagner habe ich in die dortigen Threads eingestellt.
    Bei den Chören von Strauss handelt es sich um Original-Kompositionen, also keine Transkriptionen.






    Der Abend, op. 34/1,Text Fr. Schiller
    Für 16-stimmig gem. Chor, a cappella


    Senke, strahlender Gott – die Fluren dürsten
    Nach erquickendem Thau, der Mensch verschmachtet,
    Matter ziehen die Rosse –
    Senke den Wagen hinab!
    Wie ein „Orgelpunkt“ schwebt der 1. Sopran, als strahlender Gott, sphärisch über dieser Strophe und die Bässe stellen mit absteigenden Melodiebögen den Erdenbezug her.


    Siehe, wer aus des Meers kristallner Woge
    Lieblich lächelnd dir winkt! Erkennt dein Herz sie?
    Rascher fliegen die Rosse,
    Tethys, die göttliche, winkt.
    Der Sopran ist nun in die Textvertonung (ohne Orgelpunkt und sphärische Klänge) mit einbezogen. Alle Stimmen fühlen sich von Tethys, der göttlichen, angesprochen - und wieder nutzt Strauss die (diesmal aufsteigenden) Bassstimmen, die Wirklichkeitsnähe auszudrücken.


    Schnell vom Wagen herab in ihre Arme
    Springt der Führer, den Zaum ergreift Cupido,
    Stille halten die Rosse,
    Trinken die kühlende Flut.
    Die Männerstimmen übernehmen erstmals von Anfang die Melodieführung und bei „den Zaum ergreift Cupido“ ändert Strauss Harmonik, Tempo, Stimmlage des Gesamtchores. Mit dim.rall. und bis zu pp wird die Musik zur umgreifenden „Stille“ und zugleich die letzte Strophe vorbereitend.


    An den Himmel herauf mit leisen Schritten
    Kommt die duftende Nacht; ihr folgt die süße
    Liebe. Ruhet und liebet!
    Phöbus, der Liebende, ruht.
    Aufsteigende Männerstimmen in p übernehmen die leisen Schritte himmelwärts. Die Textzeilen ab „ihr folgt…“ wechseln zwischen homophonen und polyphonen Passagen, wobei die Polyphonie (dem Text folgend) die Oberhand gewinnt. „Ruhet…“ und „Phöbus…“ verschmilzt nun Strauss polyphon, dabei wird der Text für Phöbus um „strahlend“ aus der 1. Strophe erweitert. Mit ruhigen, abgeklärten Chorklängen senkt sich die Nacht über/in die Musik.



    Hymne, op. 34/2, Text Fr. Rückert
    Für 16-stimmig gem. Chor, a cappella


    Jakob! dein verlorner Sohn
    Kehret wieder,
    O gräme dich nicht.
    Die Erhörung von Gottes Thron
    Steigt hernieder,
    O gräme dich nicht!

    Dieses traurige Herz wird einst
    Ruh' genießen,
    O sei nicht betrübt.
    Jede Thräne, welche du weinst,
    Wird zerfließen,
    O gräme dich nicht!

    Wann zur harrenden Erdenbraut
    Mit Liebkosen
    Der Frühling kehrt,
    Wird der Nachtigall Nest gebaut
    Unter Rosen,
    O gräme dich nicht!

    (Wenn des Himmels kreisendes Rad
    Dir zu Zeiten
    nicht geht nach Lust,
    Denk, nothwendig ein Kreislauf hat
    Ungleichheiten,
    O gräme dich nicht.) Nicht vertont

    Daß du der Sterne heimliches Thun
    Siehst nicht freier,
    O hadre nicht:
    Weltgeheimnisse wollen ruhn
    Unterm Schleier,
    O gräme dich nicht!

    Wenn der Strom des Verderbens braust
    Über's Gemäuer
    Irdischer Lust:
    Du, von der Arche des Herrn behaust,
    Trau dem Steuer,
    O gräme dich nicht!

    Zwar bedenklich ist unser Gang,
    Wo wir uns wenden,
    Kein Ziel zu sehn;
    Aber ein jeder Weg, wie lang,
    Muß einst enden,
    O gräme dich nicht!
    Ich habe nicht herausgefunden, wann Rückert diese Strophen (und die folgenden Strophen) verfasst hat. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass dies lange (?) nach dem Tod seiner zwei Lieblingskinder geschah (das Ostinato „ O gräme dich nicht“ spricht dafür). Einen langen Kampf und den daraus gewonnene Trost lese ich heraus. Wenn meine unbewiesene Annahme stimmt, dann hat Strauss die einzelnen Strophen individuell und treffend vertont (das gilt auch für andere durchlebte sehr schwere Schicksalsschläge).



    (Wer die Wuste durchpilgern will,
    anzubeten
    im Heiligthum:
    Schweigt, wenn Disteln ihn stechen, still;
    Dom zu treten,
    o gräme dich nicht.

    Meine Armuth, mein Wehgeschick,
    was mich kränket,
    und was mich drängt:
    Alles schaut mit einem Blick
    Gott, der's lenket,
    o gräme dich nicht.

    Und so lang in finsterer Nacht
    in Derwischen-
    Zellen Hafis
    Liest den Koran und Gottes Macht
    preist dazwischen,
    o gräme dich nicht.) Nicht vertont



    Vor den Türen, AV 123, Text Fr. Rückert
    Für (4-stimmigen?) Männerchor (1935)


    Ich habe geklopft an des Reichtums Haus;
    Man reicht mir 'nen Pfennig zum Fenster heraus.
    Ich habe geklopft an der Liebe Tür;
    Da standen schon fünfzehn andre dafür.
    Ich klopfte leis' an der Ehre Schloß;
    Hier tut man nur auf den Ritter zu Roß.
    Ich habe gesucht der Arbeit Dach;
    Da hört' ich drinnen nur Weh und Ach!
    Ich suchte das Haus der Zufriedenheit;
    Es kannt' es niemand weit und breit.
    Nun weiß ich noch ein Häuslein still,
    Wo ich zuletzt anklopfen will.
    Zwar wohnt darin schon mancher Gast,
    Doch ist für viele im Grab noch Rast.
    Auch eine Fassung einer (Winter-)reise, zumindest ein punktuell vergleichbarer Lebenslauf. Die einzelnen Lebensstationen vertont Strauss z. T. mit sehr viel musikalischer/m Ironie Sarkasmus. Den letzten vier Verszeilen (sie haben bei Müller einen anderen Verlauf) gibt Strauss sehr viel in den Tex hinein gehörten musikalischen Raum. (Es zählt zu seinen chorischen Spätwerken.)
    (Wie aktuell doch der Text ist!)



    Traumlicht, AV 123, Text Fr. Rückert
    Für (4-stimmigen?) Männerchor


    Ein Licht im Traum hat mich besucht,
    Es nahte kaum und nahm die Flucht.
    Der Blick ist tief hier eingesenkt,
    Den, als ich schlief, du mir geschenkt.
    Hell dämmert mild am Tage wach,
    O Nachtgebild', dein Glanz mir nach.
    Komm oft, o Stern, in meiner Ruh'!
    Dir schließ' ich gern die Augen zu.
    Hell dämmert mild ein Licht im Traum am Tage mir nach.
    Komm oft, o Stern, in meiner Ruh'!
    Dir schließ' ich gern die Augen zu.
    Das Unrealistische eines Traumbildes durch um fixierte Töne hin und her schwankende Melodiebögen musikalisch zu vermitteln ist ein geeignetes Mittel, aber dies über das ganze Chorstück weitgehend unverändert beizubehalten und auf die weiteren Gegebenheiten nur durch Stimmlage, Tempo, Dynamik einzugehen, ist für mich unbefriedigend, wenig textverdeutlichend (um nicht zu sagen einfallslos).



    Fröhlich im Maien, AV 123, Text Fr. Rückert
    Für (4-stimmigen?) Männerchor


    1. Blühende Frauen
    Lasset euch schauen
    Fröhlich im Tanze
    Unter dem Kranze!
    Refrain:
    Tanzet zu zweien
    Unter Schalmeien,
    Tanzet am Reihen
    Fröhlich im Maien!
    2. Prüfende Kenner
    Kommet, ihr Mäner,
    Sehet die klaren
    Bilder sich paaren,
    Refrain:
    3. Freut euch, ihr Alten,
    Junger Gestalten!
    Wie ihr gesprungen,
    Springen die Jungen,
    Refrain:
    4. Junge und schöne
    Töchter und Söhne,
    Enkel nicht minder
    Reizend als Kinder;
    Refrain:
    5. Junges Gelichter,
    Ihr seid nicht Richter;
    Jünglinge, wählet,
    Eh' es euch fehlet;
    Refrain:
    Die Strophen des Gedichts werden einschl. der Refrains individuell vertont, dabei bleibt aber der Gesamtcharakter der Vertonung erhalten – man kann auch sagen. die einzelnen Strophen und Refrains werden als Variationen vertont. Es ist keine simple Komposition, Rhythmik, Textverteilung, -behandlung, Harmonik, Dynamik stellen Anforderungen an die Ausführung – dennoch, ein kleiner Beigeschmack an den Klang, die Art von “Liedertafeln“ bleibt bei mir hängen.




    Über die Qualitäten des Chors des Bayerischen Rundfunks muss kein Wort verloren werden – er dürfte der beste professionelle Chor in der BRD sein (ob er „Polyphony“ erreicht?).


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Schön, dass Du Dich für die Chormusik von Richard Strauss verwendest. Sie steht leider viel zu selten im Fokus. Im Konzert habe ich nie etwas davon gehört. Die empfohlenen Aufnahmen kenne ich zwar nicht, dafür aber zwei anderes CDs, in denen auch die "Hymne" vertreten ist, die bei Friedrich Rückert übrigens mit "Gräme dich nicht!" betitelt ist, entstand zwischen 1819 und 1820. Seine Kinder kamen im Winter 1833 auf 1834 ums Leben. Also entstand das Gedicht eindeutig lange vor dem Unglück, dem wir die "Kindertotenlieder" zu verdanken haben. "Traumlicht" gehört zu der Gedichtsammlung "Haus und Jahr", die Anfang der 1830er Jahre entstand. Das kann vieles heißen. Genau habe ich es auch nicht herausbekommen. Die Kinder können also bereits tot gewesen sein. "Fröhlich im Maien" heißt bei Rückert "Maientanz" und findet sich in der Gedichtsammlung "Maienlieder in sechs Büchern", die 1838 entstand. Ich hoffe, dass ich etwas zu den Entstehungszeiten beitragen konnte. Ich beziehe mich auf die Werkausgabe in sechs Bänden, erschienen im Verlag Gustav Fock, ohne Jahreszahl.



    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Danke für die Daten zu Rückert.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich bin ein großer Freund der Chormusik von Strauss - denn sie ist auf ihre Weise sehr ungewöhnlich. Die unglaublich langen Bögen und weit tragenden Phrasen lassen deutlich erkennen dass Strauss eher in der Welt des Orchesters zu Hause war. Aber es ist keinesfalls so dass seine Chorwerke dadurch an Wirkung oder Atmosphäre verlieren würden - das Gegenteil ist der Fall! Aber was hier dem aufführenden Chor (ohne instrumentale Begleitung) abverlangt wird ist enorm und wohl der wichtigste Grund dafür dass man Strauss-Chorwerke ausgesprochen selten im Konzert erleben darf. Im Grunde wagen sich nur Rundfunkchöre regelmäßig an diese Materie heran.


    Vor allem "Der Abend" von Strauss hat es mir angetan. Dieses Werk baut eine derart dichte Atmosphäre auf dass einem die Gänsehaut in Schauern den Rücken hinunter läuft. Dazu eine typisch spätromantische Üppigkeit der Hamronien die man nur als süffig bezeichnen kann. Nach 12 Minuten des Hörens ist man regelrecht trunken. Es gehört zu meinen absoluten Lieblingswerken für Chor.


    Natürlich habe ich viele Aufnahmen, auch die oben bereits vorgestellten. Die Einspielung mit dem RIAS-Kammerchor bspw. finde ich grundsolide und höre sie mir gern an. Hier folgend möchte noch weitere Aufnahmen kurz vorstellen:



    Bspw. jene mit dem Norddeutschen Figuralchor geleitet von J. Straube (für mich eine Einspielung die im Vergleich zu den anderen etwas abfällt):


    Oder hier mit dem Danish National Radio Chor unter Parkman.


    Sehr toll ist diese Co-Produktion vom französischen Kammerchor "Accentus" und dem großartigen Lettischen Rundfunkchor (den ich vor einigen Jahren hier vorgestellt habe):


    Aber eine Aufnahme sticht vor allen anderen heraus: das unvergleichliche SWR-Vokalensemble hat hier eine Aufnahme vorgelegt die an chorischem Vermögen und gleichzeitig musischer Intensität ihresgleichen sucht. Typische Profi-Chor-Allüren (wie zu starkes Vibrato, spitze weil viele reifere Soprane, mangelndes Gehör für den Nebenmann und damit eingehender Intonationstrübungen) hinter sich lassend trägt der Chor dieses Werk vor als wäre es eine Leichtigkeit. Die unendlich lang erscheinenden Bögen dieser Musik wird dargeboten als hätten die Sänger Luft für viele Minuten. Für mich eine unfassbar gute Einspielung die mich beim Hören immer wieder fast zu Tränen rühren kann.

    Lg, der Thomas. :hello: