Joseph Haydns Werke - mehrheitlich Massenware am Puls seiner Zeit?

  • Vorsorglich habe ich ein Fragezeichen an das Ende des Threadtitels gestellt.


    In einem anderen Thread schrieb ich - nachdem in letzter Zeit die Vorrangstellung Haydns bei den Klaviersonaten und sogar bei den Streichquartetten in Frage gestellt wurde:


    Zitat

    Im Falle der Sinfonien kann man die letzten als herausragend betrachten (wenngleich ich ALLE liebe), ansonsten waren sie Massenware am Puls der Zeit


    Es war hier nicht meine Absicht, Haydn abzuwerten, sondern darauf hinzuweisen, daß zahlreiche Zeitgenossen Haydns Werke komponiert, haben, die den seinen ebenbürtig waren, oder zumindest von Zeitgenossen so betrachtet wurden.


    Ring Frei - 1. Runde
    Der Kampf ist eröffnet ;)


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Akfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Was meint man denn mit "Massenware"? Ich halte das für keine glückliche und auch eine historisch nicht passende Beschreibung von Haydns Schaffen.
    Anders als Händel oder Donizetti, die in der "Opernmühle" 3 oder mehr Opern im Jahr schreiben mussten, die dann erfolgreich sein mussten, oder man ging pleite, hat Haydn die ersten ca. 75 Sinfonien (und die meisten anderen Werke zwischen 1761 und 1781) für den Hof Eszterhazy (bzw. ein paar der frühen für Morzin oder andere) komponiert. Er musste regelmäßig für den Bedarf des Fürsten komponieren, aber er hatte keine Konkurrenz, war von keiner Pleite bedroht und komponierte auch nicht für einen "Massenmarkt" (wie annähernd, wenn auch nicht ganz im Sinne von Populärmusik des 20./21. Jhds., Rossini und Donizetti). Haydns eigene Charakterisierung über seine "Isolierung" ist bekannt.


    Verglichen mit Zeitgenossen hat Haydn auch nicht ungewöhnlich viel komponiert; er war immerhin auch gut 50 Jahre als Komponist aktiv.


    "am Puls der Zeit" ist ebenfalls eine wenig hilfreiche Formulierung. Denn sie unterschlägt, dass Haydn über etwa 40 Jahre (von ca. 1770 bis in die 1800er Jahre) den musikalischen Puls der Zeit ganz wesentlich mitbeeinflusst hat. Er war ja kein Trittbrettfahrer, sondern, obwohl er natürlich wie alle anderen Komponisten Anregungen anderer aufgegriffen hat, über Jahrzehnte hinweg stilprägend und zwar in einem solchen Maße, dass noch nach seinem Tod sich junge Komponisten wie z.B. Schubert in ihren frühen Sinfonien u.ä. an Haydn orientierten; jemand wie Brahms noch eine Generation später (z.B. in der 1. Serenade, aber auch in reifen Werken wie dem B-Dur-Quartett).


    Und Haydn galt auch nicht vor der Londonreise als irgendeiner unter dutzenden Zeitgenossen. Schon mit den Quartetten (opp.9,17,20) und Sinfonien um 1770 (44, 45...) wurde er europaweit bekannt. (Sonst wäre wohl kaum zu erklären, warum Mitte der 1770er die Quartette "op.3" unterschoben worden wären.) Ab den 1780er erhielt er Aufträge aus ganz Europa: Die "7 letzten Worte" für Cadiz, die Sinfonien 76-78 für London, dann die "Pariser Sinfonien". Die Quartette op.33 wurden sofort populär und ihre stilistischen Neuerungen von Jüngeren wie Mozart aufgegriffen.
    Es gibt historisch überhaupt keinen Zweifel an dem Ansehen, das Haydn seit 1780 genoss.
    Und zum wiederholten Male: Das "Dreigestirn" Haydn, Mozart, Beethoven findet man ca. 1810 bei E.T.A. Hoffmann:
    http://gutenberg.spiegel.de/bu…-instrumentalmusik-3078/1


    Das ist keine Erfindung irgendwelcher wilhelminischer (oder franzjosephinischer) nationalistischer Historiker Ende des 19. Jhds., sondern entspricht in etwa der zeitgenössischen Rezeption (bzw. im Falle von Mozart der in den ca. 20 Jahren nach seinem Tod).


    Irgendwie schwanken manche hier zwischen einem absurden Geniekult (wer einen Komponisten nicht als alles überragend anerkennt, missachtet ihn) und einem Relativismus, der tendenziell nach außermusikalischen Gründen (wie Pergolesis oder Mozarts früher Tod) für den Erfolg eines Komponisten sucht.
    Das ist natürlich beides unhaltbar. Haydn ist immerhin ein gutes Beispiel, da außermusikalische Faktoren wie früher Tod oder extravagantes Leben bei ihm keine Rolle spielten. Es kann also nur an der Musik liegen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich kann nur sagen, dass ich die meisten Sinfonien der großen Komponisten (Ausnahme Sibelius) kenne. Von Haydn kenne ich alle 104 und habe sie alle mindestens 10x gehört. Das war ein tolles Projekt, es hat 5 Jahre gedauert und jedes Mal habe ich mich wie ein Kind gefreut, wenn die nächste Sinfonie dran war. Aufnahmen: ausschließlich Hogwood, soweit die Gesamtausgabe ging. Leider haben die Unholde von der Decca die Reihe abgebrochen; dafür werden sie in der Hölle braten. Besonders liebe ich seine frühen, die 40-er (Sturm und Drang). Da ist überhaupt nichts von Massenware, alle sind originell und haben etwas Besonderes. Haydns Massenware fängt bei mir mit 89 an; die Oxforder und Londoner Sinfonien schätze ich nicht, zu groß besetzt, zu laut, zu sehr nach dem Publikum schielend.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich kann nur sagen, dass ich die meisten Sinfonien der großen Komponisten (Ausnahme Sibelius) kenne. Von Haydn kenne ich alle 104 und habe sie alle mindestens 10x gehört. Das war ein tolles Projekt.


    Dieser Aussage kann und möchte ich mich vollumfänglich anschließen - von der Tatsache abgesehen, daß es bei mir bislang 'nur' zu einem Durchlauf seines sinfonischen Gesamtwerks gereicht hat. Dennoch kann ich festhalten, daß ich von buchstäblich der ersten bis zur letzten Sinfonie immer wieder auf Einfälle von Haydn gestoßen bin, die bei mir nicht nur Staunen und / oder Begeisterung auszulösen vermochten, sondern die auch einen Grad an Kreativität und künstlerischer Freude offenbaren, der auch mich die Bezeichnung "Massenware" für reichlich unpassend halten lässt.


    Gehört habe ich übrigens die Gesamt-Einspielung von Adam Fischer, die ich jederzeit weiterempfehlen würde: auch ihn und sein Orchester hat Haydns Werk auch über die lange Strecke hörbar zu großen Leistungen motiviert.

  • Tobias C.B. schrieb in Beitrag 5 dieses Threads in Bezug auf Haydns Sinfonien:

    Zitat

    ....der auch mich die Bezeichnung "Massenware" für reichlich unpassend halten lässt.

    Natürlich war der Threadtitel absichtlich "reisserisch" und "überzogen".
    Haydn hat indes nicht nur Sinfonien und Streichquartette geschrieben.
    Ich darf beispielsweise dezent auf 118 (!!) Baryton Trios hinweisen......



    dr.Pingel schrieb in Beitrag 4 dieses Threads:

    Zitat

    Besonders liebe ich seine frühen, die 40-er (Sturm und Drang). Da ist überhaupt nichts von Massenware, alle sind originell und haben etwas Besonderes.


    Haydns Massenware fängt bei mir mit 89 an; die Oxforder und Londoner Sinfonien schätze ich nicht, zu groß besetzt, zu laut, zu sehr nach dem Publikum schielend.

    In Bezug auf die späten Sinfonien dürftest Du vermutlich recht einsam dastehen, sie sind in der Tat mit Sicht auf das (Londoner) Publikum geschrieben - etwas, das essentieller Bestandteil JEDER Komposition sein sollte.
    Diese Werke werden in der Regel als der Höhepunkt in Haydns symphischen Schaffen angesehen. Kein Wunder. Haydn wurde wider Willen seinem jüngeren Schüler Ignace Pleyel gegenübergestellt, er sah sich also unter Zugzwang gegenüber diesem, und hatte Angst, er könnte diesem in Sachen Publikumsgunst unterliegen, diese Ängste hat Haydn in einem Brief (Empfänger ist mir momentan nicht geläufig) schriftlich formuliert.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Meine Tochter und meine Frau haben wir zu Weihnachten 2001 diese in meinen Augen referenzwürdige Gesamtaufnahme der Symphonien geschenkt:



    Obwohl ich bis dahin schoen etliche Einzelaufnahmen hatte, begann erst da meine Reise durch den gigantischen Haydnschen Sinfonien-Kosmos und zog sich bis in den Sommerurlaub 2002 hin, für den ich mir die Pariser und die Londoner Symphonien aufgehoben hatte. Ich habe in der Tat alle Sinfonien in chronologischer Reihenfolge gehört, und das war ein gewaltiges Erlebnis. Vor allem in dieser Einspielung war ja auch bemerkenswert, dass sich während der Aufführungshistorie das Orchster kontinuierlich verändert hatte (durch Tod, anderweitiges Ausscheiden und durch Neueintritte) und dennoch eine musikalische Geschlossenheit von der ersten bis zur letzten Aufnahme zu verzeichnen war, und keine von allen Sinfonien war m. E. Massenwre.


    Dem Bruder Adam Fischers, des Dirgenten dieser Aufnahmen, Ivan Fischer, konnte ich übrigens gestern zu seinem 65. Geburtstag gratulieren:
    Erinnerungen an verstorbene und Geburtstags-Glückwünsche an lebende Musiker


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • ...und ich selbst fand den Thread-Titel über die Maßen provokant-arrogant, dass mir allein gerechtfertigt erschien, ihn zu ignorieren.
    Man kann sich die "Mühe" machen, 118 Baryton-Trios zu erforschen - sowohl als Interpret denn auch als Hörer und wird auch hier entdecken, dass "Masse" und "Klasse" einander nicht ausschließen.


    Bevor man Urteile fällt, sollte man sich eingehend mit der Musik befassen und nicht vor schierer Menge zurückschrecken - auch ein "Souverän" nicht, der, wenn es zumindest um Musik geht wenn schon nicht um Forenregeln, Sachkenntnis beweisen sollte.
    Und Liebe zur Musik statt Ignoranz. Selbst einem von mir wenig gemochten Komponisten wie Schubert träte ich nicht derart geringschätzend gegenüber wie hier intendiert Haydn gegenüber - um vielleicht Quoten zu erzielen mit reißerischen Thread-Titeln. Somit wird aus Qualität Quantität und Massenware!
    Ich persönlich hoffe, der Thread schläft ein, damit man sich im Forum wieder Musik ZUWENDET. Mit den Qualitäten, die Haydns Musik auszeichnen: nebst aller kontrapunktischer Kunstfertigigkeit, mit Witz und Humor - vor allem mit der Qualität, über sich selbst lachen zu können.


    Wenig herzliche Grüße hier,
    Mike

  • ...und ich selbst fand den Thread- Titel über die Maßen provokant-arrogant, dass mir allein gerechtfertigt erschien, ihn zu ignorieren.


    Natürlich ist der Titel dieses Threads bewusst provokant gewählt und bedeutet überhaupt nicht, dass dessen Verfasser dieser Ansicht ist. Aber kennen wir nicht alle noch den Ausdruck "Papa Haydn", wenn es um die Musik dieses großen Sinfonikers (u.v.a. Werke) geht? Haydn hat wohl immer noch ein Image-Problem, bei mir nicht und bei vielen hier sicher auch nicht, aber für die breite Masse vielleicht (Haydn = leichte Kost). Mit 104 Sinfonien war Haydn schon ein Vielschreiber, viele Werke waren ja Auftragswerke und es ging auch um Broterwerb. Dennoch hat jedes dieser Werke etwas Unverwechselbares, sind damit keine Massenware. Zum bloßen Stimmungsgeplätscher, zum Baden in großen Klängen und "großen Emotionen" taugt Haydns Musik nicht. Seine Musik führt vielmehr mit dem Hörer einen spielerischen Dialog, wie geht es weiter, was meinst du? Der Beginn der Klaviersonate C-Dur Hob. XVI:50 C-dur ist eigentlich ein Nichts: Drei einzelne hingetupfte Dreiklangtöne - und dann wird einer seiner raffinertesten Sätze daraus. Wer sich auf dieses geistige und geistreiche Spiel nicht einlassen kann oder will, wird mit Haydn nicht viel anfangen können. Und wie oft erleben wir in seiner Musik Überraschungen. Die Sinfonie Nr. 90 scheint beendet, da geht es nach kurzer Pause unerwartet weiter und dann noch einmal. Im Largo der Sinfonie Nr. 64 bricht die Musik ständig ab, erst nach kurzer Pause kommt die Auflösung. Ich glaube, kein Komponist vor Haydn hat solche Pausen komponiert. Und wie modern wirken die dort plötzlich auftretenden schrillen Dissonanzen! Wie oft wird bei Haydn aus sich ernsthaft anhörender Musik durch unerwartete Wendung plötzlich etwas Komisches? Natürlich sind immer auch die Interpreten gefordert, die Kreativität seiner Musik zu erkennen und umzusetzen, damit sich Haydn nicht langweilig anhört, was er niemals ist. Und auf keinen Fall Massenware.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Die Baryton-Trios sind wieder ein sehr besonderer Fall. Mal ganz unabhängig von der Qualität, MUSSTE Haydn diese Werke als Dienstpflicht komponieren und er hatte sonst keinerlei Profit davon. Das Baryton war ein obskures und nahezu obsoletes Instrument (selbst heute werden diese Werke teils in Bearbeitung für "normales" Streichtrio" gespielt); die Werke waren reines Privatvergnügen des Fürsten, Haydn konnte sie nicht außerhalb "vermarkten" wie Quartette oder Klaviersonaten.
    Also zwar unbestritten sehr viele Werke, die aus Pflicht komponiert wurden, aber auch keine "Massenmarkt"-Struktur wie annähernd bei der italienischen Oper des Barock oder des frühen 19. Jhds.
    Ich kann keine umfassende oder tiefere Kenntnis der Baryton-Trios beanspruchen. Zumindest in den größer besetzten Werken (Oktette oder Quintette) mit diesem Instrument hat Haydn aber wieder mal die Möglichkeiten eines eigentlich "leichten" Divertimento ausgereizt und einige erstaunliche Werke komponiert. (Die für mich faszinierendsten "Unterhaltungswerke" sind allerdings die späten Notturni mit "Lira organizzata" für den König von Neapel.)


    Das Problem ist, dass man Besonderheiten Haydns, gerade in eher leichten Werken wie Divertimenti, nicht pauschal besprechen kann. Wir sind in den Threads zu einigen Sinfonien ja ein wenig ins Detail gegangen und das müsste man da auch tun, um den Humor, die kleinen Besonderheiten usw. herauszustellen.


    Das sind für den heutigen Hörer, dessen Ohren in mancher Hinsicht "vergröbert" sind, oft Nuancen, die man nicht ohne Weiteres hört.
    (Eine ganz banale Schwierigkeit ist für Hörer, die die "Breite" von Schubert, Bruckner, Mahler u.a. gewöhnt sind, sich auf eine andere "Zeitskala" einzustellen. Ein Sonatensatz Haydns hat typischerweise nicht nur das doppelte Schlagtempo wie einer Bruckners, sondern in 2 min, die Bruckner benötigt, um ein Thema aufzustellen, ist hier ein halber Satz vorbei...)
    Etwa die Unterschiede zwischen den "Pariser Sinfonien", die sich eher an ein musikalisch gebildetes Publikum richteten (wobei Haydn kein direktes Feedback bekam), mit nur vereinzelten "populären" Elementen (wie der Romance in #85 u.ä.), vielen monothematischen und kompositorisch besonders raffinierten Sätzen und den Londoner Sinfonien, die teilweise mit offensichtlicheren "Gags" ein breiteres, weniger kenntnisreiches Publikum begeistern sollten.
    Haydn muss dafür aber nicht seinen Anspruch opfern (die einzigen der Londoner, die für mich ein wenig abfallen, sind die allererste, 96, die gleichwohl einen großartigen Kopfsatz hat, und die Militärsinfonie). Im Gegenteil enthalten die Londoner gleichermaßen raffinierte kontrapunktische Abschnitte in Finalsätzen (z.B. 95 und 101) wie 82 oder 92 und einige der ungewöhnlichsten und kühnsten Sätze Haydns überhaupt, etwa die Ecksätze von 103.

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Natürlich ist der Titel dieses Threads bewusst provokant gewählt und bedeutet überhaupt nicht, dass dessen Verfasser dieser Ansicht ist.

    Ich freue mich, daß ich immer wieder auf Leute mit Hirn und Sensibilität für strategisches Denken antreffe, die meine Taktik durchschauen uns ihre Beweggründe bestehen. Ich musste mitansehen, wie die ultraseriöse Klassikzeitschrift "HIFI- STEREOPHONIE" durch eine neugegründete Konkurrenzzeitschrift ins OUT gedrängt wurde. Diese neue Zeitschrift war - das war mein Eindruck - vor allem durch flapsige, und in jeder Hinsicht "auffällige" Headlines geprägt, sowie durch eher herstellerfreundliche Testberichte als das bei anderen Medien der Fall war. Zumindest den ersten Teil habe ich für mich im Rahmen meiner journalistischen Arbeit für das Forum übernommen.


    Aber - Letztlich steckt auch in der gröbsten Formulierung, wenn sie verwendet wird - auch ein Körnchen Wahrheit, letztlich kamen ja zarte Bemerkungen aus den Kreisen von Tamino Mitgliedern, was den die Besonderheit Haydns im Vergleich zu zahlreichen Zeitgenossen ausmache.
    Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, daß bei zahlreichen Haydn zugeschriebenen Werken deren Autorenschaft nicht absolut gesichert ist, bzw zu Lebzeiten des Komponisten, zahlreiche Werke sogannter "Kleinmeister" unter dem Namen "Haydn" gedruckt wurden (worüber sich dieser sehr geärgert hat) - und niemand ist das aufgefallen



    Johannes Roehl schrieb:

    Zitat

    Die Baryton-Trios sind wieder ein sehr besonderer Fall. Mal ganz unabhängig von der Qualität, MUSSTE Haydn diese Werke als Dienstpflicht komponieren und er hatte sonst keinerlei Profit davon.

    Das würde ein gewisses Desinteresse Haydn wohl erklären, denn er war eine sehr merkantil veranlagte Persönlichkeit, wofür es einige Überlieferungen gibt.



    Zitat

    Wir sind in den Threads zu einigen Sinfonien ja ein wenig ins Detail gegangen und das müsste man da auch tun, um den Humor, die kleinen Besonderheiten usw. herauszustellen

    Es wäre sicher ein Bereicherung für das Forum, wenn jene, die dazu in der Lage wären, diesen Ansatz weiterverfolgten - mir dem Bewusstsein im Hinterkopf, daß man damit nicht allzu viel Publikum erreicht. Es Gehört also eine gewisse Portion Idealismus dazu.



    Zitat

    Aber kennen wir nicht alle noch den Ausdruck "Papa Haydn", wenn es um die Musik dieses großen Sinfonikers (u.v.a. Werke) geht? Haydn hat wohl immer noch ein Image-Problem.....

    Das "Image-Problem" in Sachen "Papa Haydn" entstand vor allem durch die Bedeutungswandlung gewisser Wörter und der Unfähigkeit der heutigen "Gesellschaft" sich mit historischen Gegebenheiten von einst auseinanderzusetzen.


    "Papa Haydn" war ursprünglich ein Ehrentitel, eine Sympathiebezeugung - Heute würde man vielleicht "Streichquartett-Papst Haydn" oder so ähnlich schreiben wobei die Bezeichnung "Papa" im Falle Haydns vielleicht als "Übervater" zu deuten ist.
    Wie dem auch sei: Haydn wusste um diese Bezeichnung - und er liebte sie. Angeblich hatte Haydn einen Papagei, der die Besucher mit "Papa Haydn" begrüsste. Der Historiker, Musikkritiker (Fono Forum) und Verfasser zahlreicher Booklettexte (Preiser-Lebendige Vergangenheit) hat zu diesem Thema im Jahre 2009 einen Text verfasst, könnte hier vermutlich Erhellendes beitragen. Er ist seit heuer Mitglied in unserem Forum, bedauerlicherweise hat er bis dato keine Beiträge verfasst, vermutlich ist ihm der Umgangston hier zu unprofessionell(?).


    Mit Papa Haydn ist es wie mit dem "ehrwürdigen Greis" - heute allenfalls eine verhöhnende Anrede für Forenbetreiber etc, war er früher als Auszeichnnung gedacht.
    Zitat Wikipedia:

    Zitat

    „Heute amüsiert man sich königlich darüber, wenn man liest, daß etwa der große deutsche Philosoph Immanuel Kant in der Laudatio der Königsberger Universität zu seinem 50. (!) Geburtstag mit ‚Ehrwürdiger Greis‘ angesprochen wurde.“


    Oder aber das Wort "BRAV"
    Einst stand es für "TAPFER", noch in meiner Jugend war es ein Positivbegriff, stand für "angepasst", "adrett", "folgsam" und "gut erzogen" - heute gilt ein "braver Mann" als langweilig, unattraktiv, als Jammerlappen ohne Kanten - und in der Musik (hier finde ich wieder den Bogen zurück zur Musik) ein ausdrucksloses, uninteressantes Werk, ohne Dynamik, ohne hässliche Stellen, ohne Brüche, die die Deutschen so über alle Maßen lieben....


    Über Haydns Witz - und warum er viele Jahre hindurch nicht erkannt - oder ignoriert wurde - sollten wir uns an geeigneter Stell unterhalten. Vermutlich gibt es hier bereits einen eigenen Thread - wenn nicht werde ich einen schaffen.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Wenn sich Haydns "Massenware" über Generationen erhält und diese Werke nach wie vor zu den am meisten aufgeführten gehören, dann bietet sich die Schlussfolgerung an, dass diese Masse eben große Klasse ist.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • ...sollte man also erstmal nachlesen, in welchem Zusammenhang das "Papa Haydn" entstand, oder?
    Und wie es gemeint war von Mozart.
    Da hier nicht der Ort ist, sich en detail zu unterhalten, erzähle ich stattdessen von einem Musiker des Gewandhausorchesters, mit dem ich immer wieder in Schweigen geriet. Um Haydn. Der einen Lehrer hatte, der nicht mehr über Haydn sprach, sondern den Tränen nahe war und sich bekreuzigte, kam das Wort auf Haydn.
    Auch mir reicht mein Wortschatz nicht, über Haydn kluge Worte zu schreiben: seine Musik ist klüger als alles, was ich sagen könnte.
    Was ich aber empfinde beim Hören, das kann ich versuchen zu beschreiben: mitlachen bei diesen klugen Überraschungen; tiefe Einsamkeit empfinden beim Verstummen in den späten Quartetten und auch Sinfonien.
    Vor allem: Demut empfinden.

  • Lieber Mike,


    in diesem deinem letzten Beitrag kann ich dir voll zustimmen. Da ich schon öfters Werke Haydns mit aufgeführt habe, weiß ich, wie spannend das Erschließen seiner Werke sein kann, wenn man es richtig macht und wie grandios seine Werke sind, vor allem in meinem Bereich, den Messen und Oratorien, aber auch in den Sinfonien, Streichquartetten und Klaviersonaten.


    Jedes Mal, wenn ich an die von mir schon mit aufgeführte "Nelson-Messe" oder "Harmonie-Messe" denke oder an das als Nächstes auf dem Programm stehende Oratorium "Die Schöpfung", läuft es mir kalt den Rücken runter und werde ich demütig bei dem Empfinden, dass ich am Erschließen solcher Meisterwerke mitwirken darf.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).