Valery Gergiev - ein russischer Dirigent

  • Hallo allerseits,


    heute erinnerte ich mich wieder an den russischen Dirigenten Valéry Gergiev, für den ich gerne einen Thread eröffnen möchte. Seine Aufnahme der „Symphonie fantastique“ wanderte dann auch gleich auf meinen Merkzettel.


    Geboren am 2. Mai 1953 in Moskau, begann er in jungen Jahren zunächst mit dem Klavierspiel, wechselte aber bald zur Orchesterleitung und gewann 1975 den dortigen Dirigenten-Wettbewerb. Von da ab ging es steil bergauf mit seiner Karriere: Leitung des Armenischen Staatsorchesters, dann Chefdirigent der Kirov Oper (später umbenannt in Mariinsky Theater), kurz darauf Gastdirigent des London Symphony Orchestra usw. Es folgten Auftritte in den USA, London, Finnland, Deutschland etc. Ab Januar 2007 wird Gergiev neuer Chefdirigent des London Symphony Orchestra.
    Ein sehr aktiver und umtriebiger Dirigent, der sich vor allem mit seinen vitalen Interpretationen des russischen und spätromantischen Opern- und Konzertrepertoires einen Namen machte. Soweit ein paar Auszüge aus seinem beeindruckenden Werdegang.


    Mit Begeisterung habe ich ihn vor einigen Wochen im TV u.a. Rachmaninovs „Toteninsel“ dirigieren sehen. Ein echtes Erlebnis, selten habe ich einen so charismatischen und sich am Pult verausgabenden Dirigenten gesehen, der im Interview außerdem noch so sympathisch wirkt.


    Auf CD finden sich in meiner Sammlung:


    Erstens ein Überblick über sein Schaffen, eine CD mit verschiedenen russischen Stücken, „White Nights“, benannt nach dem gleichnamigen St. Petersburger Festival, das er mit aus der Taufe hob: (Die CD ist aber nur zum groben Kennen lernen gut, weil sie eben Stückwerk enthält.)



    Dann die Repin-Aufnahme u.a. des Tchaikovsky-Violinkonzertes, die mir viel besser gefällt als die mit dem London SO unter Krivine:



    Und seit kurzem der „Feuervogel“, den ich in dieser kraftstrotzenden Interpretation einfach umwerfend finde:



    Was haltet Ihr von diesem Dirigenten? Welche Aufnahmen könnt Ihr empfehlen?


    Gruß, Cosima :angel:


    DIRUTA

  • Zitat

    Original von Cosima
    ....selten habe ich einen so charismatischen und sich am Pult verausgabenden Dirigenten gesehen...


    jaja, das trifft, ein wild gestikulierender Mensch...
    ob ich das wirklich mag, vermag ich jetzt eigentlich gar nicht zu entscheiden.


    Folgende Aufnahmen, die ich alle empfehlen kann, befinden sich in meinem Besitz, auf dem Wunschzettel steht auch noch das ein oder andere.





    Von der Boris Godunov-DVD ( :jubel: ) und der Philips - "Master" - CD "Große Musik aus Russland" habe ich keien Abbildung gefunden.


    Ich muß erneut gestehen, daß mir auch die hier umstrittene Aufnahme von Rachmaninovs Zweitem KK gefällt, wobei es natürlich zweifellos vorrangigere Aufnahmen davon gibt.



    Ich bin gespannt, wie sich Gergiev in den kommenden Jahren entwickelt, zur Zeit baut die Universal ja einen derartigen Werbehype um ihn auf, daß eine unvoreingenommene Betrachtung erschwert wird.

  • Sagitt meint:


    Auf zwei Aufnahmen möchte ich hinweisen.


    Eine überragende Fünfte von Tchaikowskij mit den Wienern und eine DVD von Macht des Schicksals aus Petersburg ( dort war Verdi mit dieser Oper 1862).In beiden Fällen hohe Intensität des Musizierens. Die Oper mit mir unbekannten Sängern,hochkarätig,vor allem,wenn die Chöre einsetzten, was für Stimmen. Preiswert bei Agostini erschienen.

  • Neben dem hier schon genannten Feuervogel ist von Gergiev, der durchaus auch Aussetzer hat (wie das Verdi-Requiem u.a. mit Andrea Bocelli), wirklich hervorragend


    Mussorgsky - Boris Godunov - 1990 - DVD


    Regisseur, Bild und Ausstattung: Andrej Tarkowskij.


    Mit besten Grüßen


    Matthias

    Tobe Welt, und springe,
    Ich steh hier und singe.

  • Im Live-Konzert stelle ich höchste Ansprüche. Mein Erlebnis: Gergiev bot eine unvergessliche Siebente von Bruckner mit dem Mariinsky-Theater-Orchester. Dunkelste Farben im Adagio, sonorer Streicherklang.....

  • Gergievs "Nussknacker"-Einspielung finde ich auch überaus gelungen, mit seiner Gesamtaufnahme von "Romeo und Julia" kann man leben, auch wenn ich sie persönlich nicht unter die besten Aufnahmen dieses Ballettes einordenen würde.


    Bedenklich, was die musikalische Balance und auch Details der Interpretation angeht, sind einige seiner Live-Mitschnitte russischer Opern aus dem Marinskiy-Theater St. Petersburg: Gerade als ich neulich die (musikalisch sehr gelungene) Frankfurter Aufführung von Mussorgskys Chowantschina nach dem dritten Akt wegen allfälliger Müdigkeit verlies, hörte ich eben den dritten Akt noch einmal danach in Gergievs Einspielung: Abgesehen von dem grottig schlechten Chor, aus dem Einzelstimmen teilweise schrecklich hervorbrechen auch orchestral kein Meisterstück und rhythmisch bisweilen an der Grenze zum Betrug. Ich finde das sehr schade, da man die von Gergiev so eingespielten Stücke kaum sonst auf Tonträger bekommt und die interpretatorische Ungenauigkeit nicht eben dazu beiträgt, einen guten Eindruck von den Stücken zu bekommen. Bei Chowantschina gibt es immerhin die Alternative Abbado, aber wo findet man eine wirklich gute Aufnahme von Rimsky-Korsakows "Sadko", beispielsweise?


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Hi


    Zitat

    ..., aber wo findet man eine wirklich gute Aufnahme von Rimsky-Korsakows "Sadko", beispielsweise?


    Schwierig! Bei Preiser gibt es noch die Bolschoi-Aufnahme von 1952 unter Golowanov...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,


    bei all meiner Freude über diesen Dirigenten soll eine weitere vernichtende Kritik hier nicht unerwähnt bleiben. Es handelt sich um die 1999 aufgenommene CD mit dem Grieg-Klavierkonzert op. 16 und dem Klavierkonzert op. 21 von Chopin, am Klavier Jean-Yves Thibaudet. Ob es nun vorrangig am Orchester – den Rotterdamer Philharmonikern – oder Gergiev lag, ist eigentlich einerlei, jedenfalls lautet ein Auszug aus einer Rezension, nachdem der Pianist gelobt wurde: „Das Orchester unter der Leitung von Gergiev dagegen leistet sich, bei aller Expressivität, einige Peinlichkeiten.“


    Ich werde das nicht überprüfen. :D


    Gruß, Cosima

  • HI auch,


    Zitat

    Original von Theophilus
    Hi



    Schwierig! Bei Preiser gibt es noch die Bolschoi-Aufnahme von 1952 unter Golowanov...


    Danke für die Antwort! Das dürfte auch die Aufnahme sein, die auf diversen Billiglabels kursiert - ist sie ungekürzt? Sie scheint mir auf 2 CDs zu passen, was eher für eine gekürzte Aufführung spricht...


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Hi,


    ich glaube auch, dass die alte Aufnahme gekürzt ist (zu dem Zeitpunkt eher die Regel als die Ausnahme). Sie dürfte immerhin musikalisch empfehlenswert sein (sonst hätte man sich 1952 eher nicht an eine Einspielung gewagt).


    Zu beachten ist aber, dass es noch eine weitere Einspielung von Philips gibt (1959 in Zagreb unter Mladen Basic). Diese aber soll sich eher nur zum Kennenlernen des Werks eignen...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zugegebenermaßen kenne ich nun nicht all zu viele Aufnahmen von Gergiev (die ang. Repin, Tchaikovsky 6, DSch No.7)


    Ein Tiefpunkt seiner bisherigen mir bekannten Aufnahmen stellt die Aufnahme des zweiten Klavierkonzert von S.Rachmaninov und die Paganini Rhapsody dar.



    Das Lang Lang seine ganz eigene, mir unverstädnliche Sicht des Konzerts hat mag ja das eine sein, aber was das Orchestra of the Mariinsky Theatre geleitet von Gergiev abliefert ist auf dem gleichen Niveau.
    So etwas von unmotiviert und fehlgeleitet habe ich wirklich selten gehört.
    Man bergleiche bei der Gelegenheit doch mal bitte was Ozawa mit den BSO dort leistet!


    Das Trauerspiel lässt sich aber noch steigern. Man höre nur diese grausige verkrüppelte Version der Paganini Rhapsody. Das man sich traut so etwas auf CD zu brennen ist ja schon nahezu unglaublich.
    Ein Vergleich mit Rubinstein / Reiner sei da dringenst angeraten!

  • Hallo allerseits,


    wo viel Licht ist, da ist eben auch Schatten – das gilt wohl für alle Dirigenten (Carlos Kleiber ausgenommen ;) ), aber ich mag Gergiev einfach. Bestärkt wurde ich in meiner Meinung, nachdem ich diese DVD heute anschaute:



    Valery Gergiev - Live von den Salzburger Festspielen
    Prokofieff: Symphonie Nr. 1 "Klassische"
    Schnittke: Violakonzert (Bashmet)
    Strawinsky: Der Feuervogel
    Wien PO (TDK, 2000)


    Eine tolle „Klassische“ voller Leichtigkeit und Lebendigkeit, ein für mich gewöhnungsbedürftiges, aber interessantes Schnittke-Konzert und ein schöner „Feuervogel“ (der mir mit dem Kirov-Orchester aber deutlich besser gefällt).


    Obwohl ich sehr gerne sehe, wie Carlos Kleiber dirigierte, in seiner unnachahmlich charismatischen, introvertierten Art, gefallen mir das sprühende Temperament und die Extrovertiertheit Gergievs richtig gut. Interessant auch das auf der DVD enthaltene Interview, seine Aussagen über moderne klassische Musik („Wenn man der Musik zuhört und sie einen nicht umarmt, sie einen nicht anlächelt, kann man ein Problem bekommen. … Die besten Saiten unseres inneren Orchesters sollten schön klingen.“) Schön formulierte und treffende Sätze aus dem Munde eines interessanten Dirigenten, der – das nur als Randbemerkung aus weiblicher Sicht – eine wahnsinnig aufregend-männliche Stimme hat :).


    Übrigens ist die DVD derzeit als Sonderangebot für EUR 6,99 bei jpc erhältlich.


    Gruß, Cosima

  • Unverzichtbar für jeden Gergiev-Fan sollte folgende Aufnahme sein, die zudem bei JPC derzeit recht günstig für 9,99 € zu haben ist.



    Rachmaninoffs 2. Sinfonie ist sicherlich nicht jedermanns Sache. In einigen Rezensionen wird die Musik als "sentimental" bezeichnet, die schwelgerischen Melodienbögen werden bisweilen sogar als "kitschig" bezeichnet.


    Ich persönlich vermag mich dieser Einschätzung nicht zwingend anschließen. Sicherlich bietet Rachmaninoff -speziell im 3. Satz, dem Adagio- viel Gefühl, aber in gewissen Stimmungen höre ich die Sinfonie sehr gerne.


    Gergiev bedient sich der Schönheiten der Musik, ohne jedoch in die oben beschriebenen Klischees zu verfallen. Er gibt sich der Musik hin, aber er verfällt ihr nicht.


    Das Klangbild des sehr gut aufspielenden Orchesters ist warm, zwar nicht übermäßig durchsichtig, aber dennoch transparent genug.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von Norbert
    Gergiev bedient sich der Schönheiten der Musik, ohne jedoch in die oben beschriebenen Klischees zu verfallen. Er gibt sich der Musik hin, aber er verfällt ihr nicht.



    :yes: Sehr schön und treffend formuliert... (der Rest natürlich auch).


    Merci!


    Gruß, Cosima

  • Hallo allerseits,


    noch eine IMO gelungene Gergiev-Aufnahme:



    Live-Aufnahme aus dem Großen Saal in Wien, 2002.


    Im Grunde gilt auch hier, was für die Rachmaninov-Sinfonie gesagt wurde: Gergiev und die Wiener bringen die Vierte voller Energie und Pathos, ohne in Gefühlsduselei zu verfallen. Quasi ein Kontrastprogramm zu meiner weiteren Aufnahme dieses Werkes unter Mravinsky und seinen Leningradern, die eine schlankere, nüchternere Version einspielten. Mir jedenfalls gefallen beide Aufnahmen auf ihre spezielle Art.


    Gruß, Cosima

  • Langsam aber sicher höre ich mich durch die Gergiev-Aufnahmen:



    Auch hier ist dieser scheinbar selber sehr emotionale Dirigent wieder in seinem Element; die Sinfonie - als Abbild intensiver menschlicher Leidenschaften - interpretieren er und die Wiener Phil. mit üppiger und schwelgerischer Klangpracht, die mir gelegentlich jedoch zu sehr Selbstzweck zu sein scheint – soll heißen: Ich vermisse ein wenig die von Gergiev gewohnte Ausdrucksstärke. An manchen Stellen würde ich sie mir zudem etwas weniger ungestüm und drängend, dafür etwas zurückhaltender und subtiler wünschen. Aber insgesamt (auch wegen der hervorragenden Klangqualität) IMO eine durchaus empfehlenswerte Einspielung. Schade, dass er sie nicht mit dem Kirov-Orchester eingespielt hat – die Aufnahmen in dieser Konstellation gefielen mir bislang alle besser als jene mit den Wienern.


    Den „Nussknacker“ habe ich übrigens inzwischen auch gehört und kann mich den Empfehlungen meiner Vorredner nur anschließen.


    Gruß, Cosima


    P.S.: Irgendwo hatte ich gelesen, dass die SACD klangtechnisch nicht optimal sein soll. Ich besitze jedoch die normale CD, weswegen ich hierzu nichts sagen kann.

  • Zitat

    Original von Cosima
    Was haltet Ihr von diesem Dirigenten? Welche Aufnahmen könnt Ihr empfehlen?


    Angenommen, wir wären in der Schule und es würde gefragt, wer Savonlinna kennen würde, würden sich sicherlich alle Mitglieder dieses Forums melden, aber auf die Frage nach Mikkeli wohl kaum so viele. Dabei liegt Mikkeli nur 1 1/4 Autostunden von Savonlinna und beherbergt seit 1993 ein höchst interessantes Musik-Festival, das von Valery Gergiev und seinem Mariinsky-Theater bestritten wird. Da ich in Mikkeli lebe, komme ich also alljährlich für eine knappe Woche in den Genuß von Gergiev-Auftritten, abgesehen davon, daß Mikkeli nur etwas mehr als 300 km von St. Petersburg entfernt liegt.


    Da das für Finnland typische Konzert- und Kongreßhaus Mikaeli eine sehr gute Akustik besitzt, sind auch einige von Gergievs Aufnahmen für Philips bzw. DG hier entstanden (Prokofiew-Klavierkonzerte sowie Skriabins Prometheus mit Thoradze, Arien-Recital Gorchakova, Repin mit Tschaikowsky und Miaskovsky sowie Lang Lang mit Rachmaninow), und wenn ich an die Aufnahmesitzungen denke, bei denen ich dabei sein konnte, kommen mir Zweifel, ob man Aufnahmen zum Maßstab seiner Kritik machen sollte.


    Prokofiew, Skriabin und Gorchakova waren Studio-Aufnahmen, während Repin und Lang Lang live mitgeschnitten wurden. Doch was heißt live? Natürlich gab es, teilweise nachts nach den Konzerten, noch Korrektursitzungen, doch was ich am meisten kritisieren würde, daß die Abmischung der Aufnahmen einen völlig anderen Eindruck als im Konzert wiedergeben. Dazu Lang Lang als Beispiel. Gergiev wollte natürlich den brillanten Klang seines Orchesters in den Vordergrund bringen, und so drosselte er das Orchester weniger, als er das sonst in dem knapp 700 Zuhörer fassenden Saal getan hätte. Konsequenz im Konzert : Lang Lang ging im Orchesterklang unter und wirkte mehr wie ein Stummfilm-Darsteller, der einen Pianisten mimte. Von diesem Mißverhältnis ist - bei allen unterschiedlichen Ansichten über die Interpretation - bei der CD nichts zu hören.


    Auch Toradzes Prokofiew-Klavierkonzerte geben nicht den geradezu elektrisierenden Eindruck wieder, den dieser phänomenale Pianist bei seinen Konzerten hinterläßt. Nachdem er 1995 das 2. Klavierkonzert von Prokofiew hinreißend gespielt hatte, wurde danach unter seinen Klavierhocker ein Teppich gelegt. Bei ihm sind die Klavierkonzerte nicht nur für 2 Hände, sondern auch für 2 Füße, und als er in St. Petersburg vor 2 Jahren das 3. Klavierkonzert spielte, staunte das Publikum, als Toradze im 3. Satz unter den Flügek kroch und an den Pedalen hantierte. Sie waren durch sein "Spiel" gebrochen!!!


    Um auf Gergiev zurückzukommen. Ich habe eine große Sammlung an Gergiev-Aufnahmen, aber nur selten höre ich seine offiziell erhältlichen, die nur in den seltensten Fällen Gergiev so zeigen, wie ich ihn aus seinen Konzerten kenne : dynamisch, mitreißend, elektrisierend, aber nie derselbe. Mann könnte sagen, das einzig Beständige an ihm ist (in seiner Interpretation) die Unbeständigkeit. Das klingt negativ, ist für ihn aber etwas Positives. Er ist ein Augenblicksmusiker, der in Proben weniger festlegt, was in den Konzerten abgerufen werden soll (daher klingen seine CDs für mich weniger spontan), als vielmehr aus dem Moment heraus seine Intuitionen entwickelt. Das funktioniert natürlich am besten mit seinem eigenen Orchester, erstaunlicherweise auch ganz besonders mit den Wiener Philharmonikern.


    Deshalb aus meiner Sicht die am meisten empfehlenswerte offizielle CD, Tschaikowskys Fünfte mit den Wiener Philharmonikern von einem Konzert bei den Salzburger Festspielen : faszinierend, wie die Wiener auf Gergievs Ideen eingehen.


    Die überflüssigste Einspielung ist aus meiner Sicht das Verdi-Requiem, nicht weil es -zig bessere gibt und die Aufnahmesitzungen ausgerechnet dann stattfanden, als während eines London-Gastspiels des Mariinsky-Theaters abends Prokofiews Mammutoper Krieg und Frieden gegeben wurde, sondern vor allem, weil Gergiev sich einen Andrea Bocelli innerhalb eines internationalen, vokal anonym bleibenden Solistenquartetts aufschwatzen ließ. Ich vermute, daß Gergiev damit seine Dankbarkeit "abdienen" mußte, daß Philips die ganzen russischen Opern herausbrachte, die keine Verkaufsschlager sind. So wusch eine Hand die andere.


    Schöne Grüße aus Finnland


    Sune

  • Hallo Sune,


    ich kenne leider weder Savonlinna noch Mikkeli, aber ich habe Deinen interessanten Bericht über Gergiev sehr genossen. Ein wenig Neid kam zudem bei mir auf, weil Du all diese Live-Eindrücke genießen konntest ;). Du bezeichnest ihn als „dynamisch, mitreißend, elektrisierend“ – das war genau mein Eindruck, als ich ihn zum ersten Mal (im TV) dirigieren sah.


    Die von Dir angesprochene Tschaikowsky-Aufnahme befindet derzeit noch auf dem Versandweg zu mir – ich freue mich schon darauf.


    Viele Grüße nach Finnland,
    Cosima

  • Hallo Sune


    Zitat

    (Gergiev) ist ein Augenblicksmusiker, der in Proben weniger festlegt, was in den Konzerten abgerufen werden soll (daher klingen seine CDs für mich weniger spontan), als vielmehr aus dem Moment heraus seine Intuitionen entwickelt. Das funktioniert natürlich am besten mit seinem eigenen Orchester, erstaunlicherweise auch ganz besonders mit den Wiener Philharmonikern.


    Das finde ich gar nicht so überraschend. Da die Philharmoniker praktisch jeden Tag einen anderen Dirigenten am Pult haben, sind sie reaktionsfreudig wie kaum ein anderes Spitzenorchester - vorausgesetzt sie wollen! ;)
    Es scheint jedoch so zu sein, dass sie mit Gergiev recht gut auskommen, so wie sie auch mit einem früheren legendären Augenblicksmusiker sehr gut auskamen - Hans Knappertsbusch!

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus
    Hi,


    ich glaube auch, dass die alte Aufnahme gekürzt ist (zu dem Zeitpunkt eher die Regel als die Ausnahme). Sie dürfte immerhin musikalisch empfehlenswert sein (sonst hätte man sich 1952 eher nicht an eine Einspielung gewagt).


    Zu beachten ist aber, dass es noch eine weitere Einspielung von Philips gibt (1959 in Zagreb unter Mladen Basic). Diese aber soll sich eher nur zum Kennenlernen des Werks eignen...


    Hallo,


    die "Sadko"-Aufnahme von 1952 ist schon allein wegen Georgi Nelepp als Sadko und wegen der Cameo-Auftritte von Mark Reizen, Ivan Kozlowsky und Pavel Lisitian ein "Must" für den Stimmenliebhaber. Ein Fest!


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

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  • Hallo auch,


    eine der wenigen Aufnahmen, die ich von Gergiev besitze, ist die der Johannes Passion von Sofia Gubaidulina. Aber auch hier treffen alle vorgennanten Attribute Gergievs zu.



    Mein einziges Live-Erlebnis mit Gergiev war die Uraufführung des 2. Teils: Johannes Ostern in der Hamburger St. Michaeliskirche (2002). Ein sehr denkwürdiger Abend. Allerdings konnte ich von meinem Platz aus nur die Komponistin Sofia Gubaidulina sehen. Die charismatische Ausstrahlung Gergievs blieb nur durch Gestaltung des Klanges fühlbar. Aus unerfindlichen Gründen hat der Mitschnitt noch nicht den Weg zur Ladentheke gefunden. :motz: (es gibt lediglich einen Rundfunkmitschnitt).


    In der Hoffnung, auch ein wenig Neid erweckt zu haben :D
    Gruß
    Uwe

  • Zitat

    Original von Theophilus
    Da die Philharmoniker praktisch jeden Tag einen anderen Dirigenten am Pult haben, sind sie reaktionsfreudig wie kaum ein anderes Spitzenorchester - vorausgesetzt sie wollen! ;)
    Es scheint jedoch so zu sein, dass sie mit Gergiev recht gut auskommen, so wie sie auch mit einem früheren legendären Augenblicksmusiker sehr gut auskamen - Hans Knappertsbusch!


    Hallo,


    es gibt gar nicht so wenige Musikfreunde (sogar welche, die Musik als Beruf ausüben), die Gergievs musikalische Autorität in Frage stellen. Und gerade die Wiener Philharmoniker gelten in dieser Hinsicht als nicht gerade einfach. Wenn ein solches Weltklasseorchester also mit einem derart unorthodoxen Dirigenten, wie es Gergiev in vielerlei Beziehung ist, nicht nur gut auskommt, scheint mir an dessen Qualitäten doch etwas zu sein.


    Im Gegensatz zu Knappertsbusch, dessen Probenunwilligkeit geradezu legendär ist, ist Gergiev ein fanatischer Probierer. Hier in Mikkeli war und ist gut zu beoachten, daß es kein Konzert gibt, dem nicht eine Probe vorausgeht. "Doch in dem Wie, da liegt der ganze Unterschied". Wer will, mag Gergievs Probenseriosität anzweifeln; dazu gäbe es Beispiele in Hülle und Fülle. So eine Probe von Mahlers Dritter, bei der er den letzten Satz in doppeltem Tempo spielen ließ, weil die Zeit sonst nicht ausgereicht hätte (Begründung : Die Musiker sollten die Noten wenigstens noch einnmal gespielt haben!). Oder "Proben" von Saint-Saens' "Samson et Dalila", bei der das Stück für alle (inklusive Gergiev) neu war und bei der er trotz nicht zu überhörenden Chaos im Zusammenspiel zwischen Solisten und Orchester kein einziges Mal unterbrach. Oder Sinfonien, bei der die Zeit für eine Probe nicht ausreichte, weil er anderes länger probte. All dies entspricht nicht einer (im landläufigen Sinn) Seriosität, doch für mich ist wichtig, was herauskommt - und da geben sich Kna und Gergiev die Hand!


    Ich hatte das Glück, Kna einige (wenige) Male als Dirigent von Sinfoniekonzerten zu erleben, sogar eines, bei dem er einige Tage geprobt hatte (Christa Ludwig sang konzertant Isolde und Brünnhilde!), doch Kna war kein Dirigent fürs Publikum, ganz im Gegensatz zu Gergiev, der - obwohl er nicht für das Publikum dirigiert - eine Körpersprache hat, die sich auf Musiker und Zuschauer überträgt. Von daher würde ich jedem an Gergiev Interessiertem raten, sich DVDs von seinen Konzerten zu besorgen. Hier gibt es Gergiev pur!


    Trotz alledem, und Gergiev wird sich bei den Wienern nicht "verstellen", würde mich schon einnmal interessieren, was die Besonderheit der Beziehung zwischen diesem Eliteorchester und einem als exzentrisch verschrienen Dirigenten ausmacht. Denn so wenig, wie Gergiev die Wiener nötig hat, haben sie ihn nötig!


    Viele Grüße aus Finnland


    Sune

  • Zitat

    Trotz alledem, und Gergiev wird sich bei den Wienern nicht "verstellen", würde mich schon einnmal interessieren, was die Besonderheit der Beziehung zwischen diesem Eliteorchester und einem als exzentrisch verschrienen Dirigenten ausmacht. Denn so wenig, wie Gergiev die Wiener nötig hat, haben sie ihn nötig!


    Naja, du vergisst vielleicht den Aspekt des Geldes, gut möglich, dass davon beide sehr finanziell profitieren, findest du nicht? Gergiev wird hier in Wien mehr verdienen als in St. Petersburg, und die Wiener werden durch Gergiev, der Publikumsmagnet ist (man braucht ja nur auf die begehrten DVDs Gergievs achten) auch finanziell davon profitieren.


    Aber auch sonst ist Gergiev meiner Meinung nach ein hervorragender Dirigent und den Wienern Philharmonikern würdig. Sooo viele hervorragende Dirigenten gibt es jetzt außer Gergiev nun auch wieder nicht und es gibt auch noch andere Toporchester.



    Hallo, ich habe seit geraumer Zeit auch diese CD.
    Jedenfalls kann ich mich deiner positiven Einschätzung nur vollends anschließen. Innerhalb kürzester Zeit katapultierte sich diese Sinfonie auf einer de Spitzenplätze meiner Topauswahl, der Klang ist phänomenal und wunderbar warm (wie schon geschrieben), wärmer als auf jeder anderen Einspielung die ich besitze.
    Zu emotional oder gar kitschig empfinde ich die Musik zur keiner Zeit. Bei dieser warmen Musik mit diesen weitausschweifenden Melodiebögen, empfinde ich eher sowas wie Geborgenheit, Wärme und Tiefe, es ist einfach sehr entspannend diese Musik zu hören. Diese Musik entführt mich in eine ferne Welt und lässt mich kurzzeitig alle Probleme des Alltages vergessen - einfach wunderbar.


    Nur weiß ich nicht, wie sehr Gergiev und das Kirov-Orchester dafür verantwortlich ist, das ist nämlich die erste Einspielung der 2. Sinfonie Rachmaninoffs, die ich habe. ?(
    Hat jemand vielleicht Gergievs Einspielung UND noch eine weitere, die er hier vergleichen kann? :)

  • Zitat

    Original von ThomasW
    Hat jemand vielleicht Gergievs Einspielung UND noch eine weitere, die er hier vergleichen kann? :)


    Hallo,


    es gibt einen eigenen Thread für die Sinfonie, dort solltest Du fündig werden.


    Ansonsten - gerade gefunden:


    Valery Gergiev erhält schwedischen Polar-Musikpreis 2006


    Der schwedische Polar-Musikpreis 2006 geht an den russischen Dirigenten Valery Gergiev und die britische Pop-Gruppe Led Zeppelin . Beide Preisträger erhalten die jeweils mit einer Million Kronen (etwa 110.000,- Euro) dotierte Auszeichnung am 22. Mai 2007 aus den Händen von König Carl XVI. Gustav von Schweden. Der Polar-Musikpreis geht auf eine Stiftung des früheren Managers der Popgruppe ABBA, Stig Andersson zurück, der ihn 1989 gründete, um eine Art "Nobel-Preis für Musik" zu schaffen. Die Auszeichnung geht jeweils an einen Popmusiker und an einen Musiker oder Komponisten aus dem Klassikbereich. Preisträger waren bisher u.a. Bob Dylan, Bruce Springsteen aber auch Pierre Boulez, Isaac Stern, György Ligeti und Dietrich Fischer-Dieskau.


    (Quelle: Klassik-heute)


    Nun ja, in Robert Plant war ich auch mal vernarrt…


    Gruß, Cosima


    Nachtrag: Ich habe die Begründung der Jury vergessen: Für "sein außergewöhnliches Engagement für die klassische Musik und für die Pflege und Erneuerung des Verhältnisses von Tradition und Kunstmusik, das ihn als international gefeierten Dirigenten, aber auch als Leiter des Mariinsky Theaters in St. Petersburg geleitet habe."

  • Endlich habe ich sie gehört – Tschaikowskys 5.! :jubel:


    Ich will mich kurz fassen, weil die Aufnahme ja schon mehrfach genannt wurde: Ganz wunderbar, wie Gergiev und die Wiener dieses Werk - das der Komponist selber als „zu bunt, zu massig, unaufrichtig, zu lang, überhaupt wenig ansprechend“ bezeichnete - interpretieren. Ich liebe diese farbigen Klangmassen (man möchte drin baden) und die sehnsuchtsvollen, zärtlichen und düsteren Momente dieser fantastischen Sinfonie sehr. Und genauso liebe ich, wie dieses grandiose Orchester unter Gergiev voller emotionaler Wucht und dann wieder ganz zurückgenommen und düster (wie im anfänglichen Klarinettenmotiv), im 3. Satz dann im schwebend-graziösen Walzertakt aufspielt. Ja, die Aufnahme ist klasse!


    Gruß, Cosima

  • Zitat

    Original von Cosima
    Endlich habe ich sie gehört – Tschaikowskys 5.! :jubel:


    Ich will mich kurz fassen, weil die Aufnahme ja schon mehrfach genannt wurde: Ganz wunderbar, wie Gergiev und die Wiener dieses Werk - das der Komponist selber als „zu bunt, zu massig, unaufrichtig, zu lang, überhaupt wenig ansprechend“ bezeichnete - interpretieren. Ich liebe diese farbigen Klangmassen (man möchte drin baden) und die sehnsuchtsvollen, zärtlichen und düsteren Momente dieser fantastischen Sinfonie sehr. Und genauso liebe ich, wie dieses grandiose Orchester unter Gergiev voller emotionaler Wucht und dann wieder ganz zurückgenommen und düster (wie im anfänglichen Klarinettenmotiv), im 3. Satz dann im schwebend-graziösen Walzertakt aufspielt. Ja, die Aufnahme ist klasse!


    Gruß, Cosima


    Hört hört! Wunderbar geschrieben. So macht das Lesen im Forum spaß und wieder ist mein Wunschzettel um eine CD bereichert worden. Wo soll das finanziell noch hinführen.


    Vor allem das mit dem "darin baden" gefällt mir sehr gut. Oh ja, ich weiß sehr gut was du meinst. :jubel:

  • Hallo,


    dann wollen wir (will ich :rolleyes: ) mal weitermachen mit dem Herrn Gergiev. Hier noch eine Aufnahme mit den Wienern, die ich für sehr gelungen halte.



    Bilder einer Ausstellung (Orch. Fass.)
    + Eine Nacht auf dem kahlen Berge (arr.
    Rimsky-Korssakoff); Chowanschtschina-Vorspiel;
    Gopak aus Sorochintsy Fair (arr. Lyadov)
    Wien PO, Gergiev


    Wie von diesem energiegeladenen und sensiblen Dirigenten in seinen besten Aufnahmen gewohnt: Ausdrucksstark, intensiv und mit dem rechten Gespür für die Details dieses schönen Werkes (bezieht sich auf die "Bilder...") – gefällt mir genauso gut wie der „Feuervogel“.


    Gruß, Cosima


    P.S.: Schade auch, dass Sune wohl leider seinen Gergiev-Opern-Thread nicht mehr weiterführt.


    P.P.S: Übrigens kann man Gergiev auf seiner HP (valerygergiev.com) in kleinen Videoclips sehen und hören – er erzählt dort einiges aus seinem Leben und über seinen Werdegang.

  • Hallo,


    Zu der obengenannten Aufnahme mit Repin und Gergiev mit Tschaikovsky und Miaskovsky:


    Die Miaskovsky-Aufnahme ist grandios. Großes Klangvolumen und sehr differenziert und logisch. Was mich besonders fasziniert ist der "Klang", wenn ihr versteht, was ich meine, schwierig zu beschreiben, ich hoffe ihr versteht, was ich meine...:D. Der Klang des Orchester mit dem des Solisten. Jedes Orchester hat seinen eigenen Klang, und der hier ist einfach grandios!


    Grüße,
    Daniel

  • Sehr bedenklich ist allerdings Gergievs Ernennung in London. Ob ihm dafür wohl genug Zeit bleibt ... auch wenn er sich das Rasieren spart...


    Leider habe ich nicht das Vergüngen, viele CDs von Gergiev mein Eigen zu nennen, weil das Repertoire mich entweder nur am Rande interessiert (Tchaikowksy) oder ich bereits genügend Aufnahmen davon mein eigen genannt habe, als er sich dem Werk gewidmet hat. Ausnahme ist z.B. die komplette Romeo und Julia Musik:



    Eine gute Aufnahme, aber im Vergleich z.B. zu Previn doch reichlich hemdsärmelig und routiniert.


    Habe auch die Kirov-Aufnahme von "Krieg und Frieden", werde mich aber aufgrund des Werks hier um keine Vergleicheinspielung bemühen. :D


    Gruß, Thomas

  • Zitat

    Original von Uwe
    eine der wenigen Aufnahmen, die ich von Gergiev besitze, ist die der Johannes Passion von Sofia Gubaidulina. Aber auch hier treffen alle vorgennanten Attribute Gergievs zu.


    Hallo Uwe, hallo allerseits,


    ich habe heute erst ganz bewusst die Gubaidulina-CD gehört. Ich empfinde die Musik als streng, schroff und karg, aber vielleicht gerade deswegen als sehr interessant und intensiv. Merkwürdigerweise fühle ich mich sehr zur russischen Sprache (und Kultur im Allgemeinen) hingezogen, obwohl ich kein Wort sprechen kann oder verstehe.


    Zitat

    In der Hoffnung, auch ein wenig Neid erweckt zu haben :D


    Mein Neid-Vorrat war durch Sune’s Schilderungen seinerzeit aufgebraucht gewesen :D. Jetzt schaut das wieder anders aus: Natürlich bin ich neidisch! ;)


    LG, Cosima

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