HAYDN, Joseph: L'INCONTRO IMPROVVISO

  • Joseph Haydn (1732-1809):


    L'INCONTRO IMPROVVISO
    (Die unverhoffte Begegnung)
    Dramma giocoso in drei Akten
    Libretto von Karl Friberth nach Glucks/Dancourts „La rencontre imprévue“ von 1764


    Uraufführung am 29. August 1775 im Schlosstheater von Esterháza anlässlich des Besuchs von Erzherzog Ferdinand von Österreich und seiner Gemahlin Maria Beatrice d'Este



    ZUM INHALT


    Da die Handlung und die sie tragenden Personen von Haydns Dramma giocoso mit Glucks Oper „La rencontre imprévue“ von 1764 identisch sind - sein Librettist Karl Friberth (gelegentlich auch Karl Friedberth geschrieben) hat den originalen französischen Text ins italienische übertragen - seien alle Interessenten auf die dortige Inhaltsangabe verwiesen:
    GLUCK, Christoph Willibald: LA RENCONTRE IMPRÉVUE



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2016

    .


    MUSIKWANDERER

    2 Mal editiert, zuletzt von musikwanderer ()


  • Haydns Oper wurde seinerzeit von Antal Dorati für das Label Philips eingespielt. Der Tamino-Werbepartner Amazon bietet diese Aufnahme an.Die Solisten sind u.a. Claes H. Ahnsjö (Ali), Linda Zoghby (Rezia), Margaret Marshall (Balkis), Della Jones (Dardane), Domenico Trimarchi (Osmin); es spielt das Kammerorchester Lausanne.













    Werbepartner jpc hat "L'incontro improvviso" nicht als Einzelausgabe, wohl aber in der nebenstehenden Box als Gesamtpaket aller Esterháza-Opern von Joseph Haydn anzubieten.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Die Oper ist im Hoboken-Verzeichnis als Nummer 6 gelistet, sie entstand also nach L’infedeltà delusa und vor Il mondo della luna. Das Libretto wurde von Karl Friberth (Tenor am Opernhaus von Esterháza, sang den „Ali“ bei der Uraufführung) nach der Oper La rencontre imprévue (Text von Louis Hurtaut Dancourt, vertont 1764 von Gluck) erstellt. Die Uraufführung fand am 29. August 1775 auf Esterháza statt.


    Es handelt sich um eine „Entführungsoper“, ähnlich wie Mozarts Entführung aus dem Serail. Interessanterweise spielt bei Haydn aber kein einziger Europäer mit:


    Ali (Tenor): Prinz von Balsóra (das heutige Basra im Irak), Geliebter von Rezia
    Rezia (Sopran): Prinzessin von Persien, gefangen im Harem des Sultans von Ägypten, Favoritin des Sultans
    Balkis (Sopran): Vertraute von Rezia
    Dardane (Mezzosopran): Vertraute von Rezia
    Osmin (Tenor): Sklave von Ali
    Calandro (Bariton): Kalender bzw. Derwisch (Art Bettelmönch)
    Sultan (Bass): Sultan von Ägypten
    Offizier (Tenor): Offizier des Sultans


    Kann man dieses Phänomen schon als „aufklärerisch“ deuten? Auf alle Fälle zeugt es von Respekt gegenüber dem „feindlichen“ Kulturkreis, schließlich hätte sich ohne Weiteres angeboten, dass es einen Europäer in den Orient verschlagen hat. Bei Haydn sind aber auch die „Helden“ der Oper aus dem Osten, d.h. aus dem heutigen Iran (Rezia) bzw. Irak (Ali).


    Wir befinden uns in Kairo, dorthin hat es Rezia verschlagen, in das Harem des Sultans von Ägypten. Sie wird vom Sultan begehrt, liebt aber immer noch Ali, der auf der Suche nach ihr ist und sich mittlerweile auch in Kairo aufhält, Rezia aber noch nicht aufgespürt hat.


    Hinsichtlich der Tonarten ist hier keine klare Zuordnung zu den einzelnen Personen zu erkennen. Man könnte vielleicht sagen, dass Rezia zu A-Dur (Liebe) und Ali zu C-Dur (Strahlkraft) neigt, aber im weiteren Verlauf der Oper wird davon immer wieder abgewichen. Bemerkenswert ist auch, dass es keine einzige Moll-Arie gibt.


    Aktuell (August 2018) gibt es auf YouTube die Gesamtaufnahmeunter Antal Dorati:



    I. AKT


    Die Ouvertüre (D-Dur) besteht aus vier Teilen: Langsame Einleitung – Hauptsatz mit deutlich „türkischem“ Einschlag – pastoraler Mittelteil – kurze Reprise.



    Nr. 1 Introduzione (D-Dur) Che bevanda, che liquore! La dolcezza ed il sapore fanno rallegrar il cor.
    („Welch ein Getränk, welch eine Flüssigkeit! Die Süße und der Geschmack erfreuen das Herz.“)
    Das singt eine Gruppe von Kalendern (Bettelmönche), und bei dem Getränk, von dem die Rede ist, handelt es sich um Wein. Wie man weiter erfährt, sind sie auch dem Tabak nicht abgeneigt. Sie geben vor, Bettler zu sein, fühlen sich aber nicht arm, da es ihnen materiell an nichts mangelt.


    Ihr Chef (hat in der Oper keinen Namen und wird daher nur „der Kalender“ genannt) führt in einem kurzen Rezitativ weiter aus, dass er es als seine Aufgabe sehe, Armut und Elend zu predigen, während er selbst sicheren Wohlstand genieße. Das ist selbstverständlich eine Anspielung auf die Doppelmoral der damaligen Gesellschaft, 14 Jahre vor der französischen Revolution. Übrigens fehlt diese Passage in der von Gluck 11 Jahre vorher vertonten Version. In der Provinz (Esterháza) konnte man sich eben mehr erlauben als in der Hauptstadt (Wien).


    Osmin kommt hinzu und führt sich mit einem kleinen Lied ein:


    Nr. 2: Canzonetta Osmin (B-Dur) L’amore è un gran briccone che il cor piagando va.
    („Die Liebe ist ein großer Spitzbube, der das Herz mit Wunden versieht.“)
    Damit spielt er auf Ali an, seinen Herrn. Er selbst betrachtet sich nämlich als immun gegenüber den „Pfeilen Amors“.


    Weiterhin berichtet er, dass er zusammen mit seinem Herrn in Kairo angekommen ist und dass dieser aber leider keinen Cent mehr in der Tasche hat. Ali ist auf der Suche nach seiner Geliebten Rezia, von der er nach einem Seeräuberüberfall getrennt wurde.


    Nr. 3: Arie Calandro (G-Dur) Castagno, castagna, pista fa nache, rimagno, rimagna, musti li mache.


    Mit dieser Arie, dessen Kauderwelsch man nicht übersetzen kann, macht sich der Kalender bei Osmin bekannt. Der Kalender meint, dies sei ein altes Lied aus dem Koran, dessen Text er selbst nicht verstehe. Nachdem die beiden feststellen, dass bei dem jeweils anderen nichts zu holen ist, schlägt der Kalender Osmin vor, ebenfalls Bettler zu werden:


    Nr. 4: Arie Calandro (F-Dur) Noi pariamo santarelli, e truffiamo quest’e quelli, dimostrando povertà.
    („Wir sehen aus wie Heilige, betrügen aber diese und jene, indem wir Armut vortäuschen.“)
    Dadurch hätte man mehr als genug zu essen. Osmin willigt ein.


    Szenenwechsel: Rezia und ihre beiden Vertrauten Balkis und Dardane. Rezia erfährt, dass ihr Geliebter Ali in der Stadt angekommen ist, und kann es kaum glauben:


    Nr. 5a: Accompagnato Rezia (C-Dur? A-Dur?) Lo trovasti? Il vedesti? Posso fidarmi?
    („Hast du ihn gefunden? Hast du ihn gesehen? Kann ich mich darauf verlassen?“)


    Nr. 5b: Arie Rezia (A-Dur) Quanto affetto mi sorprende! Or contento, or vita rende.
    („Wie mich die Liebe überrascht! Bald macht sie zufrieden, bald gibt sie das Leben zurück.“)
    Rezia zeigt ihre freudige Überraschung und ihre Hoffnung für die Zukunft. Als Liebes-Arie muss das Stück natürlich in A-Dur stehen.


    Rezia schwört ihre beiden Vertrauten auf die geplante Flucht ein. Alle drei freuen sich zusammen:


    Nr. 6: Terzett Rezia-Balkis-Dardane (Es-Dur) Mi sembra un sogno, che diletta la speranza che m’alletta, che mi trae fuor di me.
    (“Es scheint mir ein Traum, der die Hoffnung erfreut, die mich verlockt, der mich entschweben lässt.”)


    Szenenwechsel: Großer Platz in Kairo. Der männliche Held des Stückes hat seinen Auftritt:


    Nr. 7a: Accompagnato Ali (C-Dur) Indarno m’affanno di veder Osmin: abbandonato, afflitto, senza contanti, e senza amico, cosa son diventato?
    („Vergeblich mühe ich mich ab, Osmin zu sehen: verlassen, betrübt, ohne Geld und ohne Freund, was ist aus mir geworden?“)
    Er beklagt nicht nur seine traurige Situation, sondern erklärt auch, wie es dazu gekommen ist: Sein eigener Bruder habe ihn bedroht (es ging um die Thronfolge), Rezias Vater (König von Persien) habe ihm Zuflucht gewährt, dort habe er sich sofort in Rezia verliebt. Diese sei aber schon einem anderen versprochen gewesen, daher seien sie zusammen geflüchtet. Auf der Flucht seien sie von Piraten geraubt und getrennt worden.


    Nr. 7b: Arie Ali (C-Dur) Deh! se in ciel pietade avete, giusti Numi, riprendete questa vita e l’alma mia, che più viver già non sa.
    („Ach, wenn im Himmel ihr Mitleid habt, gerechte Götter, nehmt dieses Leben und meine Seele, die schon nicht mehr leben kann.“)
    Ali ruft die Götter an, sie mögen ihm seine geliebte Rezia zurückbringen, oder er würde vor Gram sterben.


    Osmin und der Kalender kommen dazu, Ali beobachtet sie aus dem Hintergrund. Osmin hat sich den Bettelmönchen angeschlossen, nun wird ihm das bereits bekannte Lied beigebracht:


    Nr. 8: Duett Calandro-Osmin (G-Dur) Castagno, castagna. – Stafragno, stafragna.


    Ali spricht Osmin an (er hatte ihn ja aus den Augen verloren), der Kalender kommt hinzu. Er habe Ali erkannt, weil er ebenfalls aus Balsóra komme. Er sei der Sohn eines Geldhändlers und habe aus privaten Gründen ebenfalls flüchten müssen. Angesichts Alis Finanznot rät ihm der Kalender, ebenfalls Bettelmönch zu werden, was Ali allerdings entrüstet ablehnt. Die Kalender seien eine Bande von Verrückten. Osmin versucht ihn vom Gegenteil zu überzeugen:


    Nr. 9: Arie Osmin (G-Dur) Che siano i Calandri filosofi pazzi, che vivano stupidi, come paiazzi, lo nego, signore, che adesso dirò.
    („Dass die Kalender verrückte Philosophen sind, dass sie dumm leben wie Clowns, bestreite ich, mein Herr, was ich jetzt mitteile.“)


    In dieser Arie thematisiert Haydn zum ersten Mal das Thema „Hunger“. Ein paar Jahre später wird Pasquale in „Orlando paladino“ von ähnlichen Problemen berichten. In unseren Ohren klingt die Aufzählung der Nahrungsmittel (cervotti, pasticci, beccaci, farina, de’ risi, salami, spinaci) und Getränke (essenze, liquori e de’ vini ... rosoli divini) einfach lustig. Damals wurde den Zuhörern aber der krasse Unterschied zwischen dem Reichtum der Oberschicht und der Armut der einfachen Leute verdeutlicht.


    Balkis (Vertraute von Rezia) kommt hinzu. Sie möchte Ali dazu bewegen, sich mit einer schönen Frau (gemeint ist Rezia) zu treffen, der angeblich sogar der Sultan zu Füßen liegt. Ali lehnt ab, sein Herz schlage für eine andere. Balkis kritisiert das:


    Nr. 10: Arie Balkis (B-Dur) Siam femmine buonine, di core tenerine, ma amor da voi vogliamo, se a voi portiamo amor.
    („Wir sind gute Frauen, mit zärtlichem Herz, aber wir wollen Liebe von euch, wenn wir euch Liebe bringen.“)


    Im anschließenden Rezitativ wirft sie ihm sogar vor, ritroso (widerspenstig) zu sein. Mit diesem Vokabular werden in den Opern normalerweise nur Frauen bedacht... Um Rezia einen Gefallen zu tun, willigt Ali ein, zum Haus seiner unbekannten Verehrerin mitzukommen.


    Nr. 11: Finale I (C-Dur)


    (a) Sangue d’un ginocchio storto! ‘Sto salame me lo porto, ché doman ci servirà.
    (Osmin: „Beim Blut eines verrenkten Knies: Diese Salami nehme ich mit, morgen wird sie uns nützlich sein.“)
    Wir sind nun im Palast des Sultans, und Osmin denkt nur ans Essen und Trinken, man kennt das ja. Die Musik beginnt wie üblich bei Haydn mit einem gemächlich schreitenden Rhythmus. Balkis bittet Ali, sich hinzusetzen, dieser tut das nur zögerlich:


    (b) Son galante e son civile e del sesso femminile so stimar la civiltà.
    (Ali: „Ich bin höflich und kultiviert und weiß die Kultiviertheit des weiblichen Geschlechts zu schätzen.“)
    Die Musik wird bewegter. Osmin widmet sich weiterhin dem Essen, während Balkis bemüht ist, den spröden Ali mit einem Glas Kirschlikör etwas gesprächiger zu machen. Die Szene wird mehrfach durch ein fröhlichen Chor unterbrochen:
    Viva il cor d’ogn’alma fida, dove un bel piacer s’annida: viva, viva la giocondità. („Es lebe das Herz jeder treuen Seele, wo eine schöne Freude wohnt: es lebe, es lebe die Heiterkeit.“)
    Ali macht nur gezwungenermaßen mit, und als Osmin anfängt, mit den Damen zu flirten, wird dieser schroff zurechtgewiesen. Balkis kommentiert das in Moll: Passin quelle nubi nere. („Diese dunklen Wolken mögen vorüberziehen“).
    Am Ende setzt sich der Schlusschor durch:


    (c) Via cantiam in lieto coro, è la pace un bel ristoro, è una gioia in verità.
    („Auf, singen wir mit fröhlichem Herzen, der Friede ist eine schöne Labsal, eine Freude ist es in der Tat.“)


    Der Akt endet im strahlenden C-Dur, aber bei Ali ist die Freude noch nicht angekommen...



    II. AKT


    Ali und Osmin unterhalten sich über die vergangene Einladung bei den Frauen im Sultanspalast, wobei Osmin seinem Herrn vorwirft, sich nicht hinreichend bedankt zu haben. Da ist wohl einiges dran, aber Ali ist immer noch schlecht gelaunt und reagiert unwirsch. Er flüchtet sich in die Lektüre eines Buches:


    Nr. 12: Canzonetta Ali-Osmin (F-Dur) Quivi in un seren gentile la stagion si spiega ognor.
    („Dort, unter heiterem Himmel, regieren für immer die schönen Jahreszeiten.“)
    Ali entwirft eine Idealwelt, in der sich alle lieben (auch die Tiere), während Osmin zwischendurch immer wieder an die Realität erinnert, in der es hauptsächlich darum geht, das Essen für den nächsten Tag zu finden. Am Ende beklagen beide das harte Leben: Ali entbehrt die Liebe, Osmin hat ständig einen knurrenden Magen. In diesem Duett lassen sich wiederum aufklärerische Tendenzen ausmachen: Die Reichen haben ihre Luxusprobleme, die Armen sind froh, wenn sie nicht mit leerem Magen ins Bett müssen.


    Dardane kommt hinzu und macht Ali sogleich einen Liebesantrag. Ali macht ihr zwar schöne Komplimente, lehnt aber aufgrund seines Kummers ab.


    Nr. 13: Arie Dardane (A-Dur) Ho promesso oprar destrezza, per calmare la tristezza e l’afflitto vostro cor.
    („Ich habe versprochen, List anzuwenden, um die Traurigkeit und euer betrübtes Herz zu besänftigen.“)
    In einer klassischen Arie in Sonatenhauptsatzform räumt Dardane ein, dass sie Ali nur habe aufmuntern wollen, sie selbst ihm aber unwürdig und er vielmehr für ihre Herrin bestimmt sei.


    Dardane tritt ab, Rezia und Balkis kommen hinzu – und Ali erkennt sofort seine Geliebte. Beide sind überglücklich, aber Rezia, darauf angesprochen, gibt durchaus zu, dass sie Ali mit Dardanes fingiertem Liebesantrag auf die Probe gestellt hat. Weiterhin erzählen Balkis und Rezia von dem überstandenen Abenteuer mit den Piraten, die sie entführt hatten. Auf ihre Beschimpfungen hätte der Anführer der Piraten wie folgt erwidert:


    Nr. 14: Canzonetta Rezia (B-Dur) “Non piangete, putte care, ché nissuna morirà.”
    („Weint nicht, liebe Mädchen, da keine von euch sterben wird.“)
    Sie sollten einfach Pfeife rauchen, das würde sie aufmuntern. Das Liedchen ist so hübsch, dass man vergisst, sich zu fragen, welche dramatische Funktion es an dieser Stelle erfüllt.


    Rezia und Balkis fahren fort in ihrer Erzählung: Zwei Jahre lang seien sie mit den Piraten unterwegs gewesen, dann seien sie an den Sultan von Ägypten verkauft worden. Woraus folgt: Einfach zusammen abhauen, das würde der Sultan nicht zulassen. Daher muss Rezia ihrem Ali erst mal gut zureden:


    Nr. 15: Arie Rezia (C-Dur) Or vicina a te, mio cuore, già mi par più dolce amore, già esser parmi in libertà.
    („Nun nahe bei dir, mein Schatz, scheint mir die Liebe noch süßer, fühle ich mich schon in Freiheit.“)
    Schon die Tonart deutet darauf hin, dass es sich hier nicht um ein Adagio-Liebeslied handelt. Vielmehr wird im Tempo „Allegro spirituoso“ und mit vielen Koloraturen Zuversicht und Selbstsicherheit ausgestrahlt. Formal sind wir wieder bei der Sonatenhauptsatzform, entsprechend landet man zwischendurch in der Dominanttonart G-Dur. Bei der Reprise sind wir wieder in C-Dur. Nach vielen Koloraturen endet die Arie dann auch in dieser „strahlenden“ Tonart.


    Anschließend verschwindet Rezia erst mal. Balkis gratuliert Ali zu seinem unverhofften Glück. Dieser verleiht seiner Stimmung auf „männliche“ Art Ausdruck:


    Nr. 16: Arie Ali (D-Dur) Il guerrier con armi avvolto va a difender la fortezza.
    („Der Krieger, umgürtet mit Waffen, geht hin, die Festung zu verteidigen.“)
    Den gleichen Gedanken wiederholt er mit weiteren Bildern: Der Held kämpft für die Schönheit, der Steuermann rettet das Schiff samt Ladung, und so würde jeder [Mann] etwas finden, um sich zu beweisen. Auf diese platte Art kann das nur ironisch gemeint sein, zumal Ali kurz zuvor noch die Trübsal in Person war. Musikalisch wirkt die Arie (wiederum in Sonatenhauptsatzform) auf alle Fälle heroisch, wie es sich gehört.


    Ali geht ab, Balkis bleibt allein zurück. Sie denkt schon einen Schritt weiter: Es gilt nun, die gemeinsame Flucht zu planen.


    Nr. 17: Arie Balkis (Es-Dur) Ad acquistar già volo la dolce libertà; e mi diletto solo poter fuggir di qua.
    („Ich eile, um die süße Freiheit zu erlangen; und ich erfreue mich nur daran, von hier fliehen zu können.“)
    Das Tempo (Allegretto) ist langsamer, als der Text (volo = ich fliege) suggeriert, insofern strahlt die Arie (ebenfalls in Sonatenhauptsatzform) eine gewisse Selbstsicherheit aus. Ob das gut geht...


    Szenenwechsel: Osmin erklärt dem Calandro das Vorgefallene und auch die Pläne zur Flucht. Zur Feier des Tages wird eine Flasche Wein geöffnet:


    Nr. 18: Canzonetta Calandro (F-Dur) Il Profeta Maometto non avea cervello netto, quando c’interdisse il vin.
    („Der Prophet Mohammed war nicht klar bei Verstand, als er uns den Wein verbot.“)
    Ich träume ja von einer Aufführung dieser Oper in Alis Heimatstadt Basra, aber ob das mit diesem Text gut geht? Zumal Osmin (auch er Moslem, wie sämtliche Figuren der Oper) im anschließenden Rezitativ bemerkt, dass im Koran nicht alle Wahrheiten verzeichnet seien, das eben gehörte Lied müsse da auch noch rein. Wir sehen: Einmal mehr werden hier die etablierten Autoritäten in Frage gestellt. Die Aufklärung macht auch vor der islamischen Welt nicht halt.


    Es wird weiter gebechert, dabei kommt Osmin auf die geplante Flucht zu sprechen:


    Nr. 19: Arie Osmin (C-Dur) Senti, al buio pian pianino, qual fugace capriolino noi sapremcene scappar.
    („Hör zu, bei Dunkelheit werden wir ganz leise fliehen, wie ein flüchtender Rehbock.“)
    Die Arie beginnt mit einem schreitenden Rhythmus, wie man es von einem Haydn-Finale kennt. In diesem Fall drückt der Rhythmus aber eher das heimliche Sich-davon-stehlen aus. Beim Laufen über das Land (per terra correremo) und dem Rudern über das Meer (per mare vogheremo) wird es lautmalerisch, und schließlich nimmt die Musik – inzwischen in G-Dur – einen selbstsicher-optimistischen Ausdruck an (La patria poi vedremo, ed anche acquisteremo la dolce libertà – „Wir werden die Heimat wiedersehen und auch die süße Freiheit gewinnen“).


    Szenenwechsel: Rezia und Ali sind mit den Vorbereitungen zur Flucht beschäftigt. Verliebt, wie sind, schweifen sie vom Thema ab und singen ein Liebesduett:


    Nr. 20: Duett Ali-Rezia (E-Dur) Son quest’occhi un stral d’Amore, stelle più del sol lucenti.
    („Diese Augen sind wie ein Pfeil von Amor, Sterne, strahlender noch als die Sonne.“)


    Noch ist alles in bester Ordnung, und so kann das Finale als Fest beginnen:


    Nr. 21: Finale II (G-Dur)


    (a) È in ordine la festa, la banda ancor è lesta il ballo a cominciar.
    (Balkis: „Das Fest ist bereitet, die Kapelle ist ebenfalls bereit, mit dem Tanz zu beginnen.“)
    Wie man sieht, soll hier erst mal kräftig gefeiert werden, bevor es an die Flucht geht. Die Musik beginnt entsprechend mit einem tanzartigen Rhythmus. Das kann natürlich nicht gut gehen:


    (b) Deh! Fuggite in quest’istante, il Sultano minacciante al serraglio ritornò.
    (Balkis, Dardane: „Um Himmels Willen! Flüchtet augenblicklich, der Sultan ist mit wilden Drohungen zum Serail zurückgekehrt.“)
    Die Musik beschleunigt und wird dramatisch. Allgemeine Panik, während der sich der Calandro heimlich davonstiehlt.


    (c) Ora a cena andar potete. Come, come? Voi piangete?
    (Osmin: „Nun könnt ihr Essen gehen. Wie, wie? Ihr weint?“)
    Osmin war zu einer Besorgung geschickt worden und kehrt nichtsahnend zurück. Er wird schnell aufgeklärt. Nun soll also endlich geflüchtet werden, aber wohin? Osmin kennt die geheime Treppe, die zum Raum der Calandri führt, diesen Fluchtweg schlägt er vor.


    (d) Su, fuggiamo tutti assieme, e godiam di quella speme, che ci possa consolar.
    (Tutti: „Los, fliehen wir alle zusammen, und erfreuen wir uns jener Hoffnung, die uns trösten kann.“)
    Das Ende des Aktes markiert wie üblich ein schneller Chor des Ensembles, hier in G-Dur, wie am Beginn des Finales.



    III. AKT


    Rezia und Ali sind nun also zusammen mit Balkis in die Räume des Calandro geflüchtet und hoffen auf dessen Hilfe. Dieser schlägt vor, dass sie mit einer Karawane unerkannt verschwinden könnten. Ali macht sich sogleich auf, um mit dem Karawanenführer zu reden. Osmin kommt von einem Kundschaftsgang zurück und erzählt, in der Stadt sei ein ziemlicher Aufruhr, und der Sultan habe eine Belohnung auf das Ergreifen der Flüchtenden ausgesetzt. Der Calandro wird neugierig. Unter einem Vorwand geht er ab. Rezia vertreibt sich die Zeit mit der Betrachtung einer Landkarte:


    Nr. 22: Canzonetta Rezia (B-Dur) S’egli è vero, che dagli astri la fortuna ed i disastri si presuma presagir
    („Wenn es wahr ist, dass man Glück und Unglück aus den Sternen vorhersagen kann, bitte ich meinen guten Stern, er möge gütig und schön, klar und hell auf mein Sehnen herableuchten.“)
    Es handelt sich um eine ausdrucksvolle Adagio-Arie, mit schönem Dialog zwischen Rezia und der Oboe.


    Ali kommt zurück und berichtet von seiner erfolgreichen Verhandlung mit dem Karawanenführer: In einer Stunde soll’s losgehen. Dardane kommt aufgeregt hinzu: Alles ist aus, das Gebäude ist umstellt. Osmin hat eine Idee: Er hat Kostüme gefunden. Ali soll sich als französischer Maler verkleiden, die Frauen als Bettelmönche und er selbst als Kameltreiber. Da kommt auch schon ein Offizier des Sultans herein. Ali gibt sein Bestes:


    Nr. 23: Arie Ali (G-Dur) Ecco un splendido banchetto
    („Dies ist ein prachtvolles Bankett.“)
    Text und Musik dieser Arie sind ziemlich abgedreht. Ali als Maler erklärt ein Bild mit einem Bankett und will darauf sogar die Herkunft des Weines und die Art der Hintergrundmusik erkennen. Bei der Erwähnung eines Baches hört man das auch aus anderen Haydn-Werken bekannte Schlängeln des Wassers. Endgültig übermütig wird es, wenn eine Schlacht mit Gewehrschüssen, Säbelrasseln und Kanonengedonner beschrieben wird.


    Allein, es hilft nichts:


    Nr. 24: Accompagnato Offizier (C-Dur) Straniero! Voi già siete tutto scoperti.
    („Fremder! Ihr seid komplett entlarvt.“)
    Der Offizier erkennt die Verkleidung, Ali, Rezia und Osmin haben mit dem Leben abgeschlossen, zumal der Offizier aus einem Brief des Sultans vorliest: „Die Flüchtlinge und ihre Komplizen haben den Tod verdient werden alle sterben.“ Doch der Text geht weiter:


    „Um eure Standhaftigkeit zu prüfen, täuschte ich Strenge vor, aber ich vergebe euch: ich weiß, dass Rezia königliche Prinzessin von Persien ist; ich weiß auch, dass Ali Prinz von Balsóra ist.“


    Außerdem soll der Calandro für seinen Verrat gehäutet und gepfählt werden. Balkis, Dardane und Osmin sind entsetzt. Ali und Rezia bitten für ihn um Gnade. Der Calandro zeigt sich zerknirscht. Aber jetzt wird erst mal die Feier vorbereitet:


    Nr. 25: Marsch (G-Dur)


    Und am Ende wird alles gut:


    Nr. 26: Accompagnato Rezia, Ali, Sultan (C-Dur) Levatevi, al mio petto ambi venite, cari figliuoli miei
    („Steht auf, kommt an meine Brust, meine lieben Kinder.“)


    Nr. 27: Finale (C-Dur) Or gli affanni son svaniti, i perigli son fuggiti, sol contento regna qui.
    („Nun ist aller Kummer verflogen, die Gefahren sind vorbei, hier herrscht nur Zufriedenheit.“)


    Die Sache mit dem Calandro ist aber noch offen. Er wird herbeigeführt. Rezia und Ali bitten noch mal um Gnade, und schließlich wird sie gewährt. Allerdings wird der Calandro aus der Stadt verbannt. Er gelobt jedenfalls, sich zu bessern.


    Schlusschor:
    Cessi l’ombra omai di pianto,.......Es ende nunmehr der Schatten der Tränen,
    cangisi in giulivo canto,...............er ändere sich in freudigen Gesang,
    in piaceri ed in amor....................in Vergnügen und in Liebe.
    Sian fra noi le tenerezze,.............Unter uns sei Zärtlichkeit,
    e ritorni con dolcezze...................und es kehre zurück mit Lieblichkeit
    il sorriso ad ogni cor....................das Lächeln in jedes Herz.

  • Ergänzung zu:
    Nr. 15: Arie Rezia (C-Dur) Or vicina a te, mio cuore, già mi par più dolce amore, già esser parmi in libertà.


    Hier handelt es sich um den Typ „neapolitanische Bravourarie“, bei Haydn immer in C-Dur und immer spektakulär. Weitere Beispiele:


    Ragion nell’alma siede (Il mondo della luna, Arie der Flaminia)
    Ad un guardo (Orlando paladino, Arie der Alcina)


    Hier könnt ihr vergleichen:


    Or vicina a te
    https://youtu.be/CTAm7-H7bJQ?t=5334


    Ragion nell’alma siede
    www.youtube.com/watch?v=l9aL4ioCs5Y
    www.youtube.com/watch?v=ahjkYOgRFfA


    Ad un (s)guardo
    www.youtube.com/watch?v=al0CzbLuQ6o
    www.youtube.com/watch?v=X8sT9aW8MiA



    Thomas

  • musikwanderer

    Hat den Titel des Themas von „HAYDN, Franz Joseph: L'INCONTRO IMPROVVISO“ zu „HAYDN, Joseph: L'INCONTRO IMPROVVISO“ geändert.