"Tosca" in Stuttgart. (am 30. März 2016)

  • Mit annähernd 100 Aufführungen ist die "Tosca" Inszenierung von Willy Decker zum Dauerbrenner mit Kultstatus an der Stuttgarter Staatsoper geworden und garantiert stets ein volles Haus. Worauf ist diese Wirkung zurückzuführen? Bühne und Kostüme tragen wesentlich zum Erfolg der Inszenierung bei: Vollkommen schwarz sind Wände, Decken und Fußboden der fast leeren Bühne. In dieser Beschränkung zeigt sich der Meister - auch durch kluge Lichtregie. Im ersten Akt nur eine riesige Heiligenfigur als Mittelpunkt und das Bild der Madonna, an der Cavaradossi malt. (Dieses Bild ist allerdings furchtbar häßlich!) Im 2. Akt ein überlanger Schreibtisch, der den Raum teilt und an dem gegessen, getrunken, geschrieben und gemordet wird. Im dritten Akt ist die Engelsburg vollkommen leer und düster. Suggeriert bedrückende Kerkeratmosphäre. Nur am Bühnenhintergrund ist ein von der Sonne beschienenes überdimensionales Fenster zu sehen. Vorne befindet sich eine Treppe, aus der alle beteiligten Personen, Tosca, Pfarrer, Soldaten, das Erschießungskommando gewissermaßen aus der Tiefe aufsteigen. Wieder überzeugt die Lichtregie, die mit Licht und Schatten gekonnt spielt und im leeren Raum alle Personen gespenstisch abbildet und bedrohlich vergrößert. Aus dem erleuchteten Fenster, das zunächst als Strahl der Hoffnung wirkt, stürzt sich Tosca schließlich in die Tiefe und den Tod. Das Staatsorchester Stuttgart unter der temperamentvollen Leitung von Simon Hewett entfaltet die ganze Klangpracht der hinreissenden Puccini-Melodik souverän. Lediglich manche Tempi werden zu schnell gespielt. Das Prunkstück sind jedoch die Sänger-Darsteller, die durch vorbildliche, nie einschränkende Personenregie überzeugende Rollenporträts gestalten können. Das beginnt schon mit der köstlichen, humorvollen Charakterstudie, die Karl Friedrich Dürr als Messner hervorragend gelingt. Adina Aaron ist eine Tosca aus dem Bilderbuch. Jung, schlank, beweglich in Stimme und Spiel.
    Wandelbar als liebende und eifersüchtige Frau und fast rasende Rächerin. Zu ihr passt der ebenfalls jugendlich wirkende Dmytro Popov mit schlankem, noch sehr lyrisch wirkendem Tenor. Im ersten Akt singt er noch zu leichtgewichtig, steigert sich jedoch im Laufe des Abends, um dann mit seiner Bravourarie "E lucevan le stelle" die Sterne wirklich auf's Schönste blitzen zu lassen. Das Glanzstück des Abend ist jedoch Sebastian Holecek als Scarpia. Mit seiner voluminösen Stimme kann er die ganzen Facetten dieser schillernden Figur voll zur Geltung bringen. Darstellerisch gelingt es ihm ebenso überzeugend den Tyrannen, den Frömmler, den eiskalten Diplomaten, den schmierigen Schmeichler ohne aufgesetzte Bösewichtübertreibungen ungemein wirkungsvoll zu verkörpern. Eine überragende Leistung, die zu Recht vom Publikum stürmisch bejubelt wird. Die anderen Partien sind rollengerecht besetzt. Die Oper lebt und begeistert wie eh und je und alle Diskussionen über Interpretationsstile sind hinfällig, wenn solche Leistungen geboten werden, wie an diesem Abend in Stuttgart und das in einer Repertoire-Vorstellung. Bravissimo!


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Hans,


    vielen Dank für den schönen Bericht. Die Inszenierung ist mit den Möglichkeiten der modernen Technik gestaltet, vor allem einer guten Lichtregie,. Hieran sieht man, dass es keiner pompösen Bühnenbilder bedarf, um trotzdem die Inszenierung werkgerecht zu gestalten. Aber die Kostüme - wie du es auch betonst - sind ein wesentlicher Faktor, um die Illusion herzustellen, dass man sich in der richtigen Oper befindet. Gut, das Bild hätte vielleicht etwas schöner ausfallen dürfen, damit es besser zu "Recondita armonia" gepasst hätte, aber die empfindung von Schönheit ist ja relativ.
    Zu dem Bühnenbild kann ich nur Beispiele aus dem eigenen Erleben anfügen: Die schon häufiger von mir angeführte Inszenierung "Tristan und Isolde" von Chereau in der Mailänder Scala, mit einer über alle drei Akte grauen durchbrochenen Wand im Hintergrund, die im ersten Akt einen Vorbau mit ein paar Warenkisten enthielt, der durchaus die Illusion des Schiffs darstellte. Im zweiten Akt waren es einige zusätzliche Vorhänge, aber vor allem auch die Lichttechnik, die den Garten von König Marke darstellte, wobei hinter dem Durchbruch später die Burg auf Leinwand erschien, Im dritten Akt war die graue Wand durch eine Treppe (als Auslug nach dem erwarteten Schiff) und wenige kubische Versatzstücke ergänzt. All das einschließlich der zeitlosen Kostüme trug durchaus dazu bei, aber eine unveränderte Handlung trug dazu bei, dass man sich in dem echten Werk wähnte.
    Erst gestern habe ich mir auf DVD die Inszenierung von Meyerbeers "Il Crociato in Egitto" von 2007 aus dem Teatro la Fenice angesehen. Auch hier war das Bühnenbild wenig aufwendig. Der Palast Aladinos ist durch eine weiße Leinwand im Hintergrund mit arabischen Zeichen dargestellt. Die Szenen, in denen es um den kleinen Mirva geht, sind lediglich durch ein fünfteiliges Paravent als Hintergrund und ein Kinderbett ausgestattet. In den Szenen mit den Kreuzrittern wird allerdings ein Schiff mit der Kreuzritterfahne auf den Bühnenhintergrund gefahren. Die Kostüme entsprechen der Zeit (Kreuzritter, Araber). Auf diese Weise wirkt die Oper durchaus werkgerecht.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Es ist schon lange her,


    dass ich die Tosca in Stuttgart erlebt habe, in anderer Besetzung natürlich , aber auch ich fand die Inszenierung stimmig und gelungen.


    Kalli

  • Lieber Operus!
    dein Hinweis auf deinen Bericht von der Stuttgarter Tosca assozierte auch bei mir eine Erinnerung an diese Oper in Stuttgart in grauer Vorzeit. Das Stück diente damals als Vorlage für "Festliche Opernabende", weil es praktisch mit den Sängern der drei Hauptrollen steht und fällt.


    Die für mich markanteste Vorstellung war ein Doppelgastspiel Renata Tebaldi (damals die Tosca mit der schönsten Stimme, die allerdings mit dem bloßen Stimmbesitzer Eugene Tobin als Cavaradossi vorliebnehmen musste) - und vor allem George London, der neben Gobbi und Taddei wohl eindrucksvollste Scarpia dieser Ära, ein Sänger/Darsteller aus einem Guss, der auch den abgebrühtesten Zuhörer/Zuschauer das Fürchen (und das Schwelgen!) lehrte! Es freut mich zu hören, dass es für solche Künstler auch Nachfolger gibt wie Terfel, Volle - und eben Sebastian Holececk.


    Herzliche Grüße von Sixtus!

  • Lieber Sixtus, mein lieber Johannes,


    ja, das war ein großer Opernabend mit einem sängerisch und darstellerisch überragenden Sebastian Holecek als Scarpia. Besonders erfreulich, dass es uns gelungen ist, ihn 2017 für das Festkonzert der Gottlob-Frick-Gesellschaft zu gewinnen. Er wird ein für ihn maßgeschneidertes Programm mit vielen seiner großen Baritonarien mit dener er auf der ganzen Welt erfolgreich ist bei uns singen. Er ist derzeit so gefragt, dass er kaum noch zu haben ist. Nur weil Sebastian ein so lieber Mensch ist gelang es uns ihn, bei unseren Möglichkeiten zu verpflichten.
    Liebe Grüße
    Herzlichst
    Ingrid und Hans, alias Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Hans,


    das freut mich aber sehr, dass ihr Holecek (einen persönlichen Freund von Milletre) für das Treffen im Oktober gewinnen konntet. Ich freue mich bereits sehr darauf.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Hans,


    das freut mich aber sehr, dass ihr Holecek (einen persönlichen Freund von Milletre) für das Treffen im Oktober gewinnen konntet. Ich freue mich bereits sehr darauf.


    Lieber Gerhard,


    Sebastian kommt im Jahr 2017. In diesem Jahr haben wir gleich zwei der Wiener Opernlieblinge zu Gast, nämlich Vincent Schirrmacher, Tenor, und seine Lieblingspartnerin, Melba Ramos, Sopran. So lange sind die Vorlaufzeiten, wenn Du bestimmte Sänger haben möchtest, die in Deine geplante Konzeption passen. Schön, dass auch Erika und Du wenigsten beratend und unterstützend bei uns seid.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Danke, lieber Hans. Wir hoffen jedoch, dass wir auch im Jahr 2017 noch gesund und munter dabei sein können. Aber auch auf dieses Jahr freuen wir uns sehr, es war bisher immer ein Höhepunkt des Jahres


    Liebe Grüße auch an Ingrid
    Erika und Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)