Fritz Brun: Sinfonien - Sinfonische Dichtungen - Konzerte

  • Sinfonie Nr 1 in h-moll


    Nur wenige Musikfreunde werden den schweizer Komponisten, Dirigenten und Pianisten Fritz Brun (1878-1959) kennen, der konsequenterweise sowohl in den meisten Musiklexika, als auch in den mir zur Verfügung stehenden Konzertführern totgeschwiegen wird, was mehr als schade ist. Vermutlich werden mir hier jene, die dann letztlich doch seine Sinfonien gehört haben, beipflichten. Seine Sinfonien sind von enormen Dimensionen, wuchtig, skurill und leicht zugleich. - und auf jedenfall sollte man sie kennen.
    Volkmar Andreae und Hermann Scherchen setzen sich für Bruns Sinfonien ein und dirigierten einen Großteil ihrer Uraufführungen.

    Beginnen wir mit der 1. Sinfonie in h –moll


    Sie ist absolut tonal.
    Die Uraufführung fand am 1. April 1902 in Arnheim statt und das Werk wurde vom Publikum begeistert aufgenommen und von der Kritik als „Werk, das entschieden große Beachtung verdient“ bezeichnet.
    Das war aber offensichtlich nicht genug, denn eigentlich ist es von den Spielplänen verschwunden. Dank daher an das Label guild, welches uns eine Gesamtaufnahme aller Sinfonien Bruns mit dem Moskauer Sinfonie Orchester unter dem schweizer Dirigenten Adriano„spendierte“, welcher auch das informative, engagierte Beiheft verfasst hat.


    Hier einige kurze Hörerlebnisse der ersten Sinfonie aus meiner Feder:


    Der erste Satz beginnt dramatisch.bedrohlich, fast „schreiend“. Mehr expressiv als klangschön. Nach einiger Zeit beruhigt sich dies, und sanftere, aber dennoch kraftvolle Töne werden angeschlagen, die Stimmung wird nachdenklich, melancholisch und eine Spur düster. Aber immer ist eine gewisse unterschwellige Unruhe spürbar, die auch durch einige sehr ruhige Passagen und Fanfaren nicht unterdrückt werden kann – im Gegenteil in der Mitte des Satze bricht so erwas wie ein Inferno oder ein Sturm aus.
    Der zweite Satz ist sehr melodisch und in sich ruhend, bläserbetont. nie aber süsslich, wogegend der dritte Satz mit einem Paukenwirbel beginnt und feurig optimistisch einsetzt. Dem folgt eine bläserbetonte lyrische Passage. Die wieder von einem Paukenschag unterbrochen wird, dem feurige Fanfaren folgen, das Orchester vor sich hertreibend. Eine beinahe kammermusikalische Stelle, die dann ins düster-bedrohliche abgleitet, beinahe wie ein ins grässliche verzerrter Condukt der allmählich zur Ruhe kommt, umrahmt von langsamen, feierlichen Bläserstellen. Düster verhalten mit leisen Paukenschlägen endet dieser Trauermarsch. Der vierte Satz beginnt eher leise, er galoppiert quasi vor sich hin , wieder sind es die Bläser die einen Stimmungswechsel ankündigen, Das Orchester kann sich nicht zwischen einer eingängigen Melodie oder einem dramatischen Fortschritt entscheiden, nach einiger Zeit scheint die dramatische Stimmung zu überwiegen, die indes erlahmt und weiteren drohend-düsteren Passagen Platz macht, die übrigens IMO sehr eindrucksvoll realisiert sind, aber urplötzlich wieder bewegten Stellen weichen, die vorerst optimistisch erscheinen, in letzter Konsequenz aber wie ein schönes aber vernichtendes Feuer wüten und dann nach scheinbarer Beruhigung noch einmal auflodern und dann verglühen….


    Ich bin in meiner Beschreibung sehr subjektiv verblieben und hoffe dennoch das Besondere dieser Sinfonie und ihres Komponisten getroffen zu haben.


    Eine wesentlich fundiertere und wohl abweichende Beschreibung findet sich im Beiheft der hier gezeigten Aufnahme, die der erste Teil einer Gesamtaufnahme aller Sinfonien von Fritz Brun ist. Angeblich wurde sie erst 2016 vollendet, vermutlich fehlt also noch eine Folge in meiner Sammlung.


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ganze 9 Jahre ließ Fritz Brun sich Zeit bevor er die 2. Sinfonie veröffentlichte. das Werk wurde 1911 unter Volkmar Andreae in Zürich uraufgeführt. Der Verfasser des Booklettextes - es ist niemand anderer als der Dirigent der hier gezeigten Edition, Adriano - behauptet indes, Andreae habe lediglich die Proben dirigiert, die Uraufführung indes dem Komponisten überlassen, zumindest war das so geplant.
    Sie 2. ist Bruns beliebteste Sinfonie. Adriano bezeichnet sie als lyrisches Zwischenspiel unter Bruns Sinfonien, denn die Entwicklung seiner Tonsprache wäre hier noch nicht abgeschlossen, Solche Aussagen lassen bei mir immer die Alarmglocken läuten, insbesondere dann, wenn darauf hingewiesen wird, dass es der Krieg (in diesem Falle der erste Weltkrieg) gewesen sei, der die zukünftigen Sinfonien bestimmt habe....
    Zurück zur Zweiten: Fast noch eindrucksvoller als die erste, von andauernden Stimmungswechseln bestimmt, mal stampfend kriegerisch, dann wieder schmeichelnd bis zum Vergehen, In gewisser Weise eine Patchwork Technik, wie bei manchen englischen Komponisten, nur dass das bei Brun alles viel natürlicher, organischer und selbstverständlicher klingt, Die Bläser prägen über weite Teile die Sinfonie, seien sie betörend eingängig oder schneidend bis zum geht nicht mehr. Eine angedeutete Nähe zu Brahms konnte ich nicht nachvollziehen - generell fehlt mir im Fall von Brun (bzw dem was ich bisher von ihm kenne) jegliche Klangreferenz.
    Ich empfehle als Hörbeispiel Track 4 (4. Satz - Non troppo vivace)

    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Inzwischen trudeln bei mir auch die ersten physischen Tonträger mit der Musik von Fritz Brun ein, so gestern die Symphonie Nr. 9. Diese Symphonie wurde am 28.7.1950 vollendet und im Dezember des gleichen Jahres vom Freund Volkmar Andreae und dem Tonhalle Orchester aus der Taufe gehoben. Stilistisch kann ich zwischen der 50 Jahre zuvor entstandenen ersten Symphonie (die inzwischen bestimmt fünf Mal gehört habe) und der neunten keine wesentlichen Unterschiede ausmachen. Brun bekennt sich eindeutig zur tonalen Musik und es finden sich kaum Andeutungen von Modernismen. Was mich persönlich nicht weiter stört. Die 9. ist fünfsätzig und spielt knapp unter 45 min. Den Sätzen sind Titel beigegeben: Vorspiel - Serenade - Liebesruf - Im Kreis der Freunde - Glaube und Zweifel - Lob Gottes und der Natur. Die Titel legen schon nahe, dass es hier nicht besonderes dramatisch zugeht und tatsächlich würde ich es als Pastoralsymphonie einstufen, ein langes Orchesteridyll. Die fehlende Dramatik hat schon einen Kritiker der UA gestört, mich stört das gar nicht. Die Musik erinnert entfernt an Mahler in seinen ruhigen Mittelsätzen oder an Delius. Mir gefällt die Musik ausgesprochen gut, sie hat schöne melodische Eigenheiten, ist wunderbar orchestriert und man kann in einem Wohlklang baden, der aber nie zum Selbstzweck wird oder aufgesetzt wirkt. Eine intensivere Beschäftigung mit dieser Musik lohnt bestimmt.
    Tamino Adriano scheint dieses Stück sehr am Herzen zu liegen und an den Leistungen seines Moskauer Orchesters ist auch nichts auszusetzen. Ich zumindest werde bei Brun jetzt die ganze Wegstrecke gehen.

  • Danke sehr, lutgra ^^
    Freut mich, dass Dir diese Neunte gefällt. Muss ehrlich sein, ich habe mit dem letzten Satz etwas Mühe. So wunderbar er auch anfängt, bekommt man manchmal den Eindruck, dass Brun nicht immer sehr genau weiss, wohin er will - oder er möchte von einem Weg in einen anderen abbiegen, dies aber nicht so ganz entschlossen... Die ersten vier Sätze sind hochinteressant, originell und oft ironisch.
    Die auf der CD noch vorkommende symphonische Dichtung "Aus dem Buch Hiob" habe ich sehr lieb. Ist ein Frühwerk, doch bereits sehr eingewillig gestaltet und verarbeitet - und sehr schön orchestriert. In meiner Brun-Videobiographie kommen 2-3 Minuten daraus vor, von jenen wundervollen Illustrationen von William Blake (zu diesem Thema) montagehaft bebildert. Wer weiss, vielleicht hat sie Brun damals in einem Buch entdeckt und sich davon inspirieren lassen...

  • Mit der zweiten Symphonie von Fritz Brun habe ich meine Probleme, warum gerade diese seine erfolgreichste gewesen ist, verstehe ich nicht. Sie wirkt auf mich etwas unstrukturierter und amorpher als die anderen beiden (1 + 9), die ich kenne. Der Brahms-Epigonen-Vorwurf ist natürlich albern. Es gibt eine Passage im ersten Satz, die tatsächlich nach Brahms klingt, aber ansonsten ist die Musik so brahmsisch wie die von Schostakowitsch mahlerisch. Tatsächlich erinnert mich die Musik von Brun in ihrer Klangphantasie eher an die von Mahler als an die von Brahms, der nun nicht gerade durch Klangphantasie aufgefallen ist. Aber in der Musik von Brun gibt es keine wirklichen Mahlerismen, Brun ist schon sein eigener Mann.
    Mehr überzeugt als die 2. Symphonie hat mich der beigegebene Symphonische Prolog, immerhin auch gut 20 min lang. Ähnlich positiv habe ich auch die Tondichtung "Aus dem Buch Hiob", die die 9. Symphonie begleitet, aufgenommen. Wer mehr über all diese Stücke erfahren möchte, sei auf Adriano's website verwiesen, wo alle ausführlich charakterisiert werden.

  • Für den Erfolg der Zweiten gibt es einen klaren Grund: sie hat einfachere und kantablere Melodien, also kommt sie beim Publikum besser an als die späteren Symphonien. Da macht Brun keine Kompromisse mehr! Wie ich in meinem Einführungstext schreibe, hat man fast den Eindruck, dass Brun in diesem Werk (das eine Hommage an Othmar Schoeck ist) für einmal im Gesangs-orientierten Stil Schoecks ein Bad nehmen - und diesen Stil ebenfalls geniessen wollte wie das Publikum.

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  • Fritz Bruns Cellokonzert entstand 1947, die UA fand am 12. Oktober 1948 in Bern statt, Solist war Richard Sturzenegger, der Dirigent niemand Geringeres als Carl Schuricht. Das knapp halbstündige Werk hat die üblichen drei Sätze: Allegro moderato - Andante sostenuto con sentimento - Allegro animato.
    Das eher lyrisch geprägte Werk, bei dem auch dem Orchester eine tragende Rolle zukommt, erinnert vom Stimmungsgehalt ein wenig an Brahms' Doppelkonzert. Ein Werk, das sich nicht aufdrängt, aber viele Schönheiten enthält, die man in ihrer ganzen Fülle vermutlich erst bei mehrmaligem Hören erfasst.
    Das Spiel von Claudius Herrmann ist untadelig und inspiriert und das slowakische Symphonieorchester spielt unter der Leitung von Adriano sehr klangschön und ist auch bestens aufgenommen. Freunde der Spätromantik können hier nichts falsch machen. Fritz Brun gilt weiterhin mein Interesse, viele ungehörte Symphonien warten da noch.

  • Lieber lutgra,


    mir geht es mit den noch nicht gehörten Werken aus meiner bisherigen Sammlung Fritz Bruns nicht viel anders, und ich habe auf Grund deines Beitrages in das Cellokonzert hineingehört und war davon sehr angetan. ich habe es auf meine erste Einkaufsliste des neuen Jahres gesetzt, und wenn der Tag mal 2 Stunden mehr hat, werde ich auch mit dem Nachhören weiter kommen.


    Dir, lieber lutgra, auf diesem Wege auch die besten Neujahrsgrüße, und wenn du dies liest, lieber Adriano, auch dir die besten Grüße zum neuen Jahr, und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass du vielleicht nochmal als Dirigent in Köln auftauchst, oder Münster wäre auch nicht schlecht, bis dahin sind es nur gut 30 Kilometer.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Dir, lieber lutgra, auf diesem Wege auch die besten Neujahrsgrüße


    Die guten Wünsche zum Neuen Jahr gehen, lieber Willi, herzlichst an Dich zurück. Und auch ich würde mich freuen, hier von Adriano mal wieder ein Lebenszeichen zu hören.
    :hello:

  • Hat er soeben getan, der Adriano, lutgra, aber dort wo es um ihn, und nicht um Fritz Brun geht :-)
    Also Danke für Deine neues Postings - und auch einen schönen Gruss und alles Gute für 2017 an Willi.
    Lasst uns hoffen, dass unsere Welt nicht allzuschnell nur noch von Idioten regiert wird!

  • Hallo Ihr Lieben 8-)
    Falls jemand von Euch mich treffen möchte, bin ich nächste Woche für 3 Tage in Wien (dann 3 Tage in Bratislava). Dies aber nur, falls Elena Mosuc nicht wieder krank wird, denn in Bratislava nehme ich eine CD mit ihr auf, die letzten August krankheitshalber verschoben werden musste :-)
    Einen schönen Tag und Gruss aus Zürich!

  • Die Wiederveröffentlichung meiner Fritz-Brun-CDs (in Box-Format) auf Brilliant Classics ist (leider) erst für 1. April 2019 geplant.

  • Oh je, das sind ja noch 9 Monate. Ich habe fast wöchentlich auf der Brilliant website geschaut, ob sie schon angekündigt ist. Na, Haupsache, sie erscheint überhaupt.
    Liebe Grüße und Glückwünsche nachträglich zum Geburtstag
    Lutgra

  • Also, wenn der Preis im bei BC üblichen Bereich liegt, kann ich mir gut vorstellen, dass die Box sich gut verkauft. Bei der bisherigen Ausgabe hätte man immerhin gut € 200 in die GA investieren müssen, was für viele potentielle Interessenten sicher viel zu teuer war.

  • Der Werbepartner kündigt die Box für den 19.4. an, preis knapp über € 40. eine der nächsten Anschaffungen

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  • Der Werbepartner kündigt die Box für den 19.4. an, preis knapp über € 40. eine der nächsten Anschaffungen

    So ist es, aber wesentlich preiswerter bis 31.5.



    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Soeben ist diese detaillierte, hochprofessionelle Rezension erschienen:


    http://www.the-new-listener.de…gmassiv-mit-zehn-gipfeln/

    Lieber Adriano,


    das ist wirklich hervorragend! Schuck scheint Musikwissenschaftler zu sein!(?) Was ich aber erschreckend fand beim Lesen, was mir gar nicht klar war, dass von den meisten Brun-Symphonien gar keine Partituren veröffentlicht sind! Das ist kaum zu glauben!


    Nach dieser Rezension werde ich mir als nächstes die 8. anhören jedenfalls. :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

  • In der Tat, Holger; nur die Partituren der Symphonien 2, 3 und 4 wurden gedruckt. Und es gibt natürlich auch keine Taschen- oder Studienpartituren. Nach der 3. Symphonie bereits bekam der Hug-Verlag vermutlich Angst, Brun würde immer moderner werden...

    Aber auch alle restlichen Werke wurden nicht gedruckt. Z. B. der Klavierauszug von "Verheissung" wäre heute für den Chor unlesbar, denn der Text steht in Kurrentschrift geschrieben. Auch aus diesem Grunde musste ich einen neuen Auszug herstellen. Und die Auszüge der konzertanten Werke waren in ziemlich schlechter Notenhandschrift, mich wundert es immer noch, wie die Solisten daraus spielen konnten - ausser sie hatten alles auswendig gelernt oder private Abschriften verfasst. Es wird berichtet, dass Joseph Hirt, der Interpret des Klavierkonzerts, angeblich Noten vor sich hatte während seiner Aufführungen.

    Von den Kammermusikwerken wurden die 1. Violinsonate und das 2. Streichquartett gedruckt. Von "Grenzen der Menschheit" gibt es einen Druck der ersten Version für A-cappella-Chor.

    Übrigens erscheint im Sommer oder Herbst eine CD des Labels Prospero, mit Bruns 1. Streichquartett und seiner 1. Violinsonate. Mit Musikern des Berner Manuel-Quartetts und dem Pianisten Alex Ruef.

    Es ist auch noch die Rede einer CD mit Bruns drei Sonaten (2 für Violine, eine für Cello) auf Brilliant Classics, mit den italienischen Solisten, die z. B. auch auf dem Label Avi-Music tätig sind.

    Und meine Partitur-Edition von Bruns jugendlichem Klavierquintett-Satzes wartet immer noch auf eine Aufführung...

  • Lieber Adriano,


    diese kammermusikalischen Sachen von Brun würden mich auch sehr interessieren! :) Ich melde mich noch bei Dir ausführlicher! :hello:


    Bis dahin liebe Grüße

    Holger


  • Ich zitiere eine Passage aus der Rezension von Norbert Florian Schluck:


    "Adriano hat seine zehn CDs umfassende Gesamteinspielung innerhalb von 13 Jahren mit zwei Orchestern durchgeführt. Abgesehen von der Achten, ist in allen Symphonien das Moscow Symphony Orchestra zu hören, ebenso in den einsätzigen Orchesterwerken. In den drei zuletzt entstandenen Produktionen – der Achten Symphonie und den drei Schoeck-Liedern, den Werken für Klavier und Orchester, sowie dem Cellokonzert und den Vokalwerken – spielt das Bratislava Symphony Orchestra. Die erste CD, die Einspielung der Dritten Symphonie, war ursprünglich bei Sterling erschienen, die übrigen CDs bei Guild. Die Wiederveröffentlichung durch Brilliant vereint somit zum ersten Mal den ganzen Zyklus unter einem gemeinsamen Dach. Will man die Leistung der Ausführenden richtig einschätzen, so sollte man bedenken, dass es sich um eine Pioniertat handelt. Adriano hat mit den Orchestern Werke einstudiert, die nicht nur durch ihre weitgehend polyphone Beschaffenheit und mitunter komplizierte Rhythmik höchste Anforderungen an die Musiker stellen, sondern die auch über keine besondere, teilweise auch gar keine Aufführungstradition außerhalb der Schweiz verfügten. Die Orchester in Moskau und Bratislava betraten mit Bruns Musik völliges Neuland. Adriano hat es vermocht, sie mit den Gegebenheiten dieser Werke vertraut zu machen und zu handwerklich sehr soliden, musikalisch überzeugenden Darbietungen anzuspornen. Bruns Rhythmen sind bei Adriano in sicheren Händen, auch wahrt er stets die Übersicht über das Zusammenspiel der Orchestergruppen. Mit dem Cellisten Claudius Herrmann und dem Pianisten Tomáš Nemec stehen ihm in den Instrumentalkonzerten fähige Solisten zur Verfügung, denen sich die Mezzosopranistin Bernadett Fodor in den Liedern würdig anschließt. Der Bratislava Symphony Choir erledigt seine Aufgabe in den Chorstücken gut, wenn auch nicht ohne Probleme bezüglich der Textverständlichkeit. Nur im Falle einer einzigen Aufnahme, nämlich des Klavierkonzerts, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, die Musiker hätten sich (in den Ecksätzen, weniger im Mittelsatz) mit der bloßen technischen Bewältigung des (offenbar sehr schweren) Stückes zufrieden gegeben. Dass ich mir noch stringentere, die Feinheiten der Brunschen Musik noch genauer herausarbeitende Darbietungen als die hier aufgezeichneten vorstellen kann, besonders wenn Orchester und Dirigent Erfahrungen mit den Werken im Konzert gemacht hätten, sei nicht verschwiegen; Adriano hat allerdings für zukünftige Konkurrenzeinspielungen die Messlatte hoch gelegt. Im Großen und Ganzen kann man den Dirigenten und seine Mitstreiter nur beglückwünschen, ein solches Projekt über einen so langen Zeitraum weitergeführt und erfolgreich zum Abschluss gebracht zu haben. Das Ergebnis ist ein Meilenstein in der Rezeptionsgeschichte eines bedeutenden Symphonikers."


    Ich kann verstehen, dass sich so mancher der beteiligten Musiker etwas verärgert auf diese Rezension reagieren kann.


    Einige Bemerkungen dazu: Wenn Kritiker nicht "lobhudeln" und ihre Unabhängigkeit bewahren wollen und trotzdem wie im Falle von Schluck so eine - man muss es sagen - gewissenhaft ausführliche Rezension schreiben, dann ist das eigentlich nur positiv. Das weckt Aufmerksamkeit. Und dass er Adrianos Unternehmen sehr positiv bewertet, ist auch klar: "Meilenstein in der Rezeptionsgeschichte".


    Die Schwierigkeit besteht für den Kritiker darin, dass er hier über eine Aufnahme schreibt, wo es keine Vergleichseinspielungen gibt. Wo es die Möglichkeit des Vergleichens gibt hat es der Rezensent nämlich leicht und kann die Leistung einordnen. Man kann dieser Kritik sicher nicht den Vorwurf machen, unsachlich zu sein. Auch hier bemüht sich Schluck um ein differenziertes Urteil, das auch sehr wohlwollend ausfällt.


    Nur bei seinem Wohlwollen liegt das gewisse Problem. Der Ton dieser Kritik ist im Grunde apologetisch. Nach dem Motto: Ja, wir haben hier nicht die Wiener oder Berliner Philharmoniker, also keins der weltbesten Orchester (bzw. die dafür gehalten werden) und keinen Star-Dirigenten. Aber dennoch ist das ja alles sehr schön. Das "trotz" und "obwohl" wird verteidigt mit Argumenten - also dass das nicht Erst-Beste und Bestmögliche auch sehr gut sein kann. Das Lob wirkt somit ein bisschen so, wie wenn der Sportreporter bei der Fußball-Weltmeisterschaft der unterlegenen Mannschaft den tröstenden Respekt zollt: "Das Spiel ist zwar verloren, aber die Mannschaft hat bis zur letzten Minute gekämpft!" Hier heißt es dann, dass von den Beteiligten eine "solide" Leistung abgeliefert wird. Und obwohl nicht explizit gesagt wird "das sind Ensembles ja auch nur aus der "zweiten Reihe"" wird dann hinzugefügt, um die unausgesprochene aber gemeinte Zweitrangigkeit ihres Niveaus gleichsam zu entschuldigen: Sie mussten sich dieses Repertoire ja völlig neu erarbeiten und das haben sie sehr "solide" hinbekommen. Das Problem dabei ist, dass so versteckt ein Vergleich dann eben doch gemacht wird, obwohl er nicht offen ausgesprochen wird. Nur, was wird dabei nicht gesagt oder überlegt: Die Wiener oder Berliner Philharmoniker hätten sich dieses Repertoire auch neu erarbeiten müssen. Und woher wissen wir, dass sie da mehr als ihre Routine ins Spiel gebracht hätten? Auch wenn es dem Kritiker vielleicht nicht bewusst war, wird hier nach einer "Hackordnung" gewertet. Das Ranking wird nicht in Frage gestellt. Ein Orchester nur "aus der zweiten Reihe" bekommt auch eine Kritik und Wertung, die dem Rang des Orchesters scheinbar entspricht: Das höchst mögliche Lob ist Klassen bezogen: Sie machen das professionell und solide - und der Dirigent macht auch keine Fehler. Mehr darf man bei einem Klangkörper "nicht aus der ersten Reihe" eben nicht erwarten. Ich will dabei nicht unterstellen, dass das dem Kritiker bewusst war. Im Gegenteil. Das ist wahrscheinlich ein unbewusster Mechanismus, so etwas wie eine Berufskrankheit von Kritikern, solche Kategorisierungen vorzunehmen.


    So eine Kritik würde ich persönlich nicht schreiben. Denn sie bezieht sich nicht wirklich auf das, was tatsächlich gehört wird, sondern arbeitet mit einem fiktiven Vergleich, der realiter gar nicht möglich ist. Der Hörer weiß nicht, wie sich dieselbe Musik mit den Wiener Philharmonikern und einem Stardirigenten anhören würde. (Nur als Randbemerkung: Der Sohn (oder Enkel) von Boris Blacher als Mitglied der Berliner Philharmoniker verweigerte einst einem Claudio Abbado die Mitarbeit, weil er sein Blacher-Partiturstudium (zu wenig Zeit) für völlig unzulänglich erachtete.) Zudem ist es eine Binsenweisheit, dass mit jeder Probe und jedem Konzert neue Dinge erarbeitet werden gerade in Details. Das gilt für jedes Orchester und für jeden Dirigenten. Warum erwähnt man es nur ausgerechnet hier? Auch das ist wieder eine apologetische Figur: Denkbar ist dem Kritiker, dass das Resultat hätte besser sein können, aber das eben nicht Bestmögliche wird dann entschuldigt damit, dass bei so einer Erstaufnahme die Aufführungspraxis fehlt. All das entspricht aber nicht dem unmittelbaren Höreindruck. Ich vergleiche nicht beim Hören, wenn ich keine Vergleichsmöglichkeit habe und/oder mir nichts Negatives auffällt. Ich höre tatsächlich sehr engagiert spielende Musiker, die mit Leidenschaft bei der Sache sind. Und ich kann mich ganz auf die Musik konzentrieren, ohne dass ich überlegen muss: Was machen Orchester/Dirigent hier und da? Ich vergesse einfach die Ausführenden und höre Brun. Genau dann aber haben die Musiker ihre Sache wirklich sehr gut gemacht, nämlich die Musik so präsentiert, dass sie für sich selbst spricht. Wenn ein Kritiker mit der Partitur in der Hand "analytisch" ins Detail gehen will, dann ist das ein Zeichen von Ernsthaftigkeit und Seriosität. Die Schwierigkeit beim Schreiben einer Rezension ist aber, dass der Rezensent als Kenner diese seine Erkenntnisse, die aus dem Partiturstudium resultieren, dem Hörer so präsentieren können sollte, dass dieser das wiederum nachvollziehen kann auch ohne die Partitur zur Hand zu haben - was schließlich bei ihm, der eben nicht Kenner, sondern nur Liebhaber der Musik ist, die Regel darstellt. Entsprechen solche Erkenntnisse mit ihren Kenner-Bewertung nämlich nicht dem, was der Hörer tatsächlich hört, dann werden sie als gelehrsame, etwas altkluge Anmerkungen wahrgenommen, die dann den Verdacht erregen, dass da die (Über-)Klugheit des Rezensenten etwas in das Gehörte hinein projiziert. Ein Kritiker darf solche Bemerkungen freilich machen, nur sollte er dann auch mitteilen, woran er das festmacht, dass der Leser die Beurteilung wenigstens im Ansatz nachvollziehen kann.


    Das jedoch ist mir jedenfalls bei Schlucks Kritik der Aufnahme des Brun-Klavierkonzert nicht gelungen. Wegen dieser Kritik habe ich mir das schöne Klavierkonzert auch noch einmal angehört. Nachvollziehen kann ich persönlich die geäußerte Kritik auch beim wiederholten Hören nicht. Ich finde, dass das eine sehr gelungene Aufnahme ist. :)


    Schöne Grüße

    Holger



  • Hier noch zwei andere Rezensionen der Aufnahme des Klavierkonzerts, die sehr positiv ausfallen:


    MusicWeb (2014):


    If you've never heard any music by Fritz Brun, I urge you to do so, and there is surely no better vehicle than this superbly-presented CD of works for piano and orchestra. Every aspect is first class - the playing, both from the Bratislava Symphony Orchestra and fellow-Slovakian soloist Tomáš Nemec, to the outstanding and faithfully-captured recording. Add in Adriano's immense contribution, not only as conductor, but also in providing the most extensive sleeve-notes - and which have further been carefully anglicised by Ian Lace - and you have a CD that should not only introduce Brun's distinctive style, but in a total package than surely cannot fail to delight.


    Philip R Buttall


    Fanfare (2015)


    Pianist Tomáš Nemec and Adriano, with his Bratislava Symphony Orchestra forces, do a superb job in rescuing these worthy works from the oblivion into which they’ve fallen. Nemec brings technical panache and a singing tone to the beautiful lines in the piano part, and Adriano gives him firm support throughout with precision of ensemble and security in phrasing. If you’re a fan of Hyperion’s ongoing series of romantic piano concertos, this disc will nicely complement that series, and the works herein are better than probably 50% of the works in the Hyperion set. Highly recommended, then, to devotees of the Romantic piano tradition.


    David DeBoor Canfield


    Schöne Grüße

    Holger

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