Verkrampfter Aktionismus - "Figaros Hochzeit" von den Salzburger Festspielen 2006 auf 3sat

  • Warum 3sat für seinen Thementag über Salzburg und Umgebung ausgerechnet diesen "Figaro" ausgewählt hat, bleibt mir unerklärlich.
    Gesungen wurde gut, aber die Inszenierung war eine einzige Folge von unsinnigen Hampeleien, unnatürlichen Gesten und stumpfsinnigen Ideen (z.B. Bartolo im Rollstuhl, der seine Loseblättersammlung aus dem Aktenordner verstreuen musste, damit "Action" erzeugt wurde). Dazu dieser unnötig hinzuerfundene Jüngling mit Flügelchen, der immer wieder mit verrückten Gebärden die Personen umtanzen musste. Sollte es Amor sein? Na ja, Susanna schien - im Gegensatz zu ihrem gesungenen Text - den Avancen, ja sogar den Küssen des Grafen gar nicht so abgeneigt zu sein.
    Da lobe ich mir Inszenierungen, in denen die Figuren nicht dauernd wie im Kasperletheater mit Händen und Füßen sinnlos gestikulieren müssen, sondern auch mal stillstehen dürfen. Einzig still stehen durfte der Chor, der nun wirklich lebendiger hätte sein dürfen, als mit Notenblättern stramm zu stehen, und im zweiten Akt manchmal die Gräfin, die dafür aber mehrmals den Mantel fallen lassen musste, damit mit Gewalt wieder "Action" erzeugt wurde.
    Eine Inszenierung, die auch die Freude an der Musik zuschanden machte. Ich habe daher nach dem zweiten Akt den Bildschirm abgeschaltet, weil der Schwachsinn immer unerträglicher wurde. Armer, vergewaltigter Mozart!


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Gerhard!


    Die nochmalige Ausstrahlung des Salzburger Figaro von 2009 ist sicher dem Ableben von Harnoncourt zu verdanken, dem man noch eine Reverenz erweisen wollte. Was die Regie von Claus Guth betrifft, so kann ich dir nur zustimmen. Sein horror vacui hat mich auch genervt, besonders der seltsame (nicht nur überflüssige, sondern sehr störende!) Engel.


    Ich habe mich einfach an die Damen Netrebko und Schäfer gehalten - und an den souveränen Figaro von d´Archangelo, während mir der Graf von Skovhus etwas zu exaltiert gespielt hat.


    Hoffen wir, dass die "Kultursender" auch wieder mal eine rundum (auch optisch) gelungene Oper ausstrahlen - auch ohne Reverenz an den verblichenen Botschafter der Klangrede.


    Jedes Ding hat seine Zeit! In diesem Sinne


    beste Grüße von Sixtus

  • Mir erging es ähnlich wie dir, lieber Gerhard. Abschalten ist da die beste Option. Allerdings muss ich auch zugeben, dass ich damals beim ersten Sehen einer Sängerin bitter Unrecht getan habe, nämlich Anna Netrebko als Susanna. Ich habe damals behauptet, sie sei die schlechteste Susanna gewesen, die ich je gesehen oder gehört habe; das möchte ich hier ausdrücklich korrigieren. Sie hat doch sehr gut gesungen, auch wenn es nicht meine beste Interpretation war.
    Es ist übrigens ein öfter wiederkehrendes Problem, wenn die Regie Personen in die Handlung einfügt, die da nicht vorgesehen sind. Meist geht es schief, weil diese Person dem Zuschauer immer Rätsel aufgibt und ihn auch ablenkt von der Handlung. Es gibt aber vier Beispiele, in der die zusätzliche Person als gelungen bezeichnen muss.
    1. meine eigene Theatergruppe mit dem Sommernachtstraum 2000 in Oberhausen. Da war ein kleiner Junge, der unbedingt mitspielen wollte. Also haben wir ihn ohne Text als Hund der Handwerker mitlaufen lassen, was allen gut gefiel.
    2. Lehrer sollen im Schultheater nicht unbedingt mitspielen, vor allem keine Liebhaber. Daher habe ich mir für unser Stück "New Yorker Kurzgeschichten" eine Rolle ausgedacht, in der ich auf der Bühne bin, Zigarre rauchen kann und Rotwein trinken. Dazu kein Text: ein Barkeeper. Kam auch gut an.
    3. Vor Jahren wurde in Gelsenkirchen "Gloriana" von Britten gespielt. Die Regisseurin hatte die Königinrolle verdoppelt: einmal modern im Merkelschen Hosenanzug, dann das alte berühmte Bild von Elizabeth I. Das war überzeugend.
    4. Britten-Zyklus in Düsseldorf, Billy Budd, eine reine Männeroper. Der Regisseur fügte die Rolle einer Nurse hinzu, die nicht sang und nicht sprach und dadurch in beeindruckender Weise die Männerwelt spiegelte. In der letzten Szene war es die gleiche Nurse, die den alten Cptn. Vere pflegte.
    Das sind Erkenntnisgewinne. Aber der "Amor" im Figaro: das sind Mätzchen.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Soweit ich sehe, ist das bereits der Dritte Thread über diese Inszenierung. Ob man da derselben nicht zuviel der Ehre antut ?
    Ich bitte die Moderation, dennoch die Threads nicht zusammenzulegen . Da kommt stets Flickwerk dabei raus.
    Was ich zu dieser Inszenierung zu sagen hatte, habe ich bereits im ersten Thread über diese Inszenierung geschrieben. Ich verlinke direkt zum betreffenden Beitrag....


    Live aus Salzburg: "Le nozze di Figaro" - Hype Hype hurra!


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Kann man die Themen nicht einfach über Cross-Verlinkungen "integrieren", 2 Themen schließen (die mit den wenigstens Beiträgen, der Gerechtigkeit halt halber), um dann die Diskussion gebündelt nur noch an einer Stelle zu führen?


    Wer hat schon Lust, mehrere inhaltsgleiche Threads zu beobachten und zu "füttern"?


    Nur so, von Ex-Mod zu Admin... :D

  • Und bei dieser Gelegenheit vielleicht noch den Aufführungsort in der Überschrift orthografisch berichtigen...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Stimmt. Korrekt müsste es "Saalsburger" heißen. :D


    EDIT: Und "durchwischen" wäre auch gut, insbesondere meinen Blödsinn... :angel:

  • Und bei dieser Gelegenheit vielleicht noch den Aufführungsort in der Überschrift orthografisch berichtigen...


    Und im Zuge dessen auch gleich die Jahreszahl zu korrigieren. Die besprochene Figaro-Aufführung fand nämlich im Mozart-Jahr 2006 statt.


    Gregor

  • Um zum Thema zurückzukehren: ich habe die Inszenierung von Claus Guth auch nicht als den ganz großen Wurf empfunden, aber so schlecht, wie sie hier gemacht wird, ist sie bei weitem nicht. Die Einfügung eines Eros als stumme Figur, welcher die amorösen Verwicklungen der Protagonisten begleitet und antreibt, fand ich auch überflüssig und eher störend als instruktiv. Aber der Inszenierung des Figaro als ein Gesellschafts- und Ehedrama a la Strindberg oder Bergmann konnte ich durchaus etwas abgewinnen. Und von "verkrampftem Aktionismus" habe ich nichts bemerkt, aber da sind die Geschmäcker halt verschieden. Wirklicher Blödsinn ist allerdings die Behauptung, da sei Mozart "vergewaltigt" worden. :no:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Unbedingt korrigiert werden muss auch das Aufführungsjahr: 2006! - und nicht 2009. --


    Für mich war nicht nur die Inszenierung von Claus Guth eine Zumutung, auch die unerträglichen Tempovorstellungen bzw. die Tempoverrückungen, die Harnoncourt den Wiener Philharmonikern abtrotzte, hatte ich damals stark kritisiert -- und nicht nur ich!


    3Sat hätte lieber eine Oper aus dem Monteverdi-Zyklus unter Harnoncourts musikalischer Leitung in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Jean-Pierre Ponnelle zeigen sollen.



    :hello: LT

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  • Diese Aufführung war wirklich unnötig, zumal es diese auch schon seit langem auf Youtube zu sehen gibt. Ich kann mich erinnern, das es damals das Ereignis des Jahres war. Mozart wurde nun wirklich nicht vergewaltigt , da gibt es schlimmere Inszenierungen ) .

  • Diese Aufführung war wirklich unnötig, zumal es diese auch schon seit langem auf Youtube zu sehen gibt.


    Ich habe sie auf BluRay - schon alleine wegen Christine Schäfer ein Muss. :hello: Und trotz oder vielleicht gerade wegen Harnoncourts Dirigat gefällt sie mir auch musikalisch sehr gut.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ja, in der Überschrift ist mir tatsächlich ein Tippfehler, den ich beim Nachlesen übersehen habe, passiert, und leider konnte ich das zeitlich gesehen nicht mehr korrigieren. Dass dann von Stimmenliebhaber etwas kommen musste, habe ich erwartet, ihm kann ja so etwas nicht passieren. Sei's drum. Im Text war ja klar erkennbar, dass ich sehr wohl wusste, wie Salzburg richtig geschrieben wird. Auch die Korrektur des Jahres mag richtig sein. Ich habe diese Aufführung damals nicht gesehen und die Jahreszahl meiner Rundfunkzeitschrift entnommen, möglicherweise ein Druckfehler.
    Da ich dem Forum erst 2011 beigetreten bin, war mir auch nicht bewusst, dass darüber schon mehrfach gesprochen wurde, denn dann hätte ich meine Meinung dazu dort angehängt. Aber wer hat schon die Zeit, hier alle angeschnittenen Themen aufzustöbern.
    Lieber Rodolfo, es mag sein, das es noch verrücktere Aufführungen gibt (der Verrücktheiten scheint ja inzwischen keine Grenze mehr gesetzt), aber ich sehe eine Inszenierung mit solchen unnatürlichen Verrenkungen weiterhin als eine Vergewaltigung der schönen Oper von Mozart an.
    Lieber Sixtus, noch viel exaltierter fand ich das Gehabe des Basilio.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich habe mir den "Figaro" auch nochmals angesehen. Es interessierte mich, wie er nach zehn (!) Jahren auf mich wirken würde. Bei der Erststendung aus Salzburg war ich nicht überzeugt. Nun aber fand ich es schon interessant und bemerkenswert, mit welcher Konsequenz der Regisseur seine zentrale optische wie szenische Idee durchgehalten hat. Damit will ich nicht sagen, ob mir das nun wie verrückt gefällt - oder ehr nicht. Das muss auch gar nicht sein. Wenn geht das schon etwas an. Respekt habe ich aber immer vor Konzepten, die in sich stimmig sind. Die Netrebko hatte daran ihren Anteil - wie natürlich Harnoncourt auch. Sie vertraute dem Regisseur, was auch zu spüren war und streubte sich nicht. Auch daraus erwuchs ihre hinreißende Leistung in einem Ensemble, das diesen Namen wirklich verdient. Ein Aufführung, die nach meiner festen Überzeugung so schnell nicht dem Vergessen anheim fallen wird. Ich war froh über den Sendetermin, weil ich nicht - wie Bertarido - die DVD mein Eigen nenne.


    Der "Figaro" war ja - wenn ich das richtig sehe - eingebettet in einen Österreich-Sonntag-Abend auf 3Sat aus gegebenem Anlass. Das gefiel mir gut.


    Auf jeden Fall aber würde ich Liebestraum zustimmen, der sich eine Wiederholung zumindest eines Teils des Monteverdi-Zyklus aus Zürich gewünscht hätte. Das kommt sicher noch. Denn in dieser Produktion sehe ich ein Monument von einzigartiger Größe!


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Für mich ist diese Inszenierung wieder ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Wirkung einer Inszenierung in Fernsehaufzeichnung von der Live-Wirkung ist.
    2006, im Mozart-Jahr und auf dem Höhepunkt des Netrebko-Hypes, an einem Juli-Abend übertrug die ARD zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr - heute bereits undenkbar!
    Ich saß damals vor dem Fernseher und war zunächst einmal sehr angetan: das Schloss war ein Schloss, der Graf war ein Graf usw. - man wurde ja schon so bescheiden, aber ich war eigentlich recht zufrieden.
    Ein Jahr später habe ich diese Inszenierung dann im Haus für Mozart live erlebt, jetzt unter Harding statt Harnoncourt und mit Damrau statt Netrebko als Susanna, Cherubino war wohl auch jemand anderes. Und was soll ich sagen: live im Raum hat mich diese Inszenierung weit weniger überzeugt, um nicht zu sagen viel mehr gestört als bei den schönen Großaufnahmen im Fernsehen...
    Nein, überzeugt hat mich dieser Regisseur noch nie, nicht bei seinem vom Gärtnerplatztheater übernommenen "Wildschütz" in Nürnberg, nicht bei seinem Bayreuther "Holländer", nicht bei seinem von Salzburg nach Berlin transferierten "Giovanni" (da bin ich in der Pause geflüchtet), nicht bei "The turn of the screw" an der Staatsoper Berlin, da war der Salzburger "Figaro" noch das erträglichste, wenn auch wie gesagt live nicht so sehr wie in Fernsehregie. Ich möchte nichts mehr von ihm sehen, habe deshalb auch die DOB-"Salome" in der Herrenschneiderei ganz bewusst nicht besucht.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"