Die Idee zu diesem Thread stammt einerseits aus dem Anhören einer Knappertsbusch-Aufnahme von Brahms Dritter, andererseits Alfreds Thread hier. Und einer Beobachtung, die ich in Bezug auf einen meiner Lieblingsfilme gemacht habe (dazu mehr ein anderes Mal).
Aber first things first: Worum geht es? Um die Frage, ob klangliche und aufführungstechnische Perfektion der Musik gut tun oder nicht. Sollten Musiker so perfekt mit einem Stück und untereinander vertraut sein (unterstützt von entsprechender Tontechnik), dass man sie "gar nicht mehr hört", sondern es wirkt, als hätte sich die Partitur direkt in Klang verwandelt? Oder ist es nicht viel aufregender, ein einzigartiges Entstehen von Musik zu verfolgen, inklusive aller Risiken wie Nebengeräuschen, Verspielern usw.
Knappertsbusch Salzburger Aufnahme von Brahms Dritter ist eine umgemein "dreckige" Aufnahme. Der Triumph im Beginn des ersten Satzes röhrt sich unaufhaltsam und wild herauf, mit apolinischem Klassizismus hat das rein gar nichts zu tun. Hier wird geschwitzt und gefiebert, ob die Saiten noch bis zum nächsten Takt halten ist unklar. Ich denke, für viele von Furtwänglers Aufnahmen gilt ähnliches - so wie für die berühmte Kriegsaufnahme von Schuberts C-Dur-Sinfonie.
Auf der anderen Seite der Skala stehen die im Studio tausendmal überspielten und geschnittenen Aufnahmen. Paradigma ist sicher Karajans DDD-Aufnahme der "Alpensinfonie" (die man keineswegs schlecht finden muss).
Im Bereich der Klaviermusik gibt es ähnliche Polaritäten: Guldas "Recital Montpellier 1993" (inklusive Hundebellen, Düsenflugzeug und gebrocheneren französischen Ansagen des Pianisten vs. Krystian Zimmermann "perfekter" Aufnahme von Schuberts Impromptus - beides hervorragende Aufnahmen, aber sehr verschiedene Welten.
Beides hat sicher seine Berechtigung. Zugleich gibt es bei beiden Polen sicher Extreme. Trevor Pinnocks Einspielung von Bachs Cembalokonzerten ist für mich ein Paradigma langweiliger Perfektion; und für übertriebenes Chaos bei der Einspielung gibt es sicher auch Beispiele.
Mir geht es allerdings mittlerweile so, dass ich mich bei den "etwas riskierenden", lebendigeren Aufnahmen dem Geheimnis von Musik näher fühle als bei geglätteten.
Herzliche Grüße
Christian