Hat jemand Cavallis "Veremonda" in Schwetzingen besucht?

  • Ich hätte sehr gerne die deutsche Erstaufführung von Cavallis Oper "Veremonda, l'amazzone di Aragona" bei den diesjährigen Schwetzinger Festspielen besucht, konnte es aber nicht einrichten. Hat jemand eine der Vorstellungen besucht und könnte sich dazu äußern? Die Produktion entstand in Kooperation mit dem Staatstheater Mainz und wird dort im Juni und Juli noch dreimal gezeigt. Bevor ich den Aufwand einer Fahrt nach Mainz auf mich nehme, würde ich aber gerne wissen, ob es sich wirklich lohnt. Die Besprechungen in der Presse, die ich gefunden habe, ergaben für mich noch kein klares Bild.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Bertarido,
    als hier Geborener fühle ich mich verpflichtet Dir zu antworten, aber mit einem eigenen Erlebnisbericht kann ich nicht dienen, weil ich trotz geografischer Nähe solche Dinge aus allergrößter Distanz zu beobachten pflege.
    Wenn es da in meinem ansonsten geliebten Rokokotheater einen kalten Bühnenraum gibt, der an eine Lagerhalle oder einen Bunker erinnert, dann muss ich da nicht unbedingt in der ersten Reihe sitzen.
    Wellblech war auch nicht das bevorzugte Baumaterial der Barockarchitekten ... also was soll ich da? Den Kontrast bewundern?
    Wie Du siehst, bin ich hoffnungslos altmodisch und geistig unbeweglich, weise aber aus Tamino-Verbundenheit auf einen Bericht der BADISCHEN ZEITUNG hin, der Dich interessieren könnte:


    Die Bühne ist verschlossen. Ein großes Stahltor riegelt sie ab. Es bildet einen starken Kontrapunkt zum verspielten, weiß-goldenen Interieur des Rokokotheaters im Schwetzinger Schloss. Die Spielfläche für Francesco Cavallis rund dreistündige Oper "Veremonda" aus dem Jahr 1652 muss erst von den allegorischen Figuren Sole/Sonne (Alin Deleanu) und Il Crepuscolo/Dämmerung (Johannes Mayer) erschaffen werden, die die Wand mit vereinten Kräften nach hinten schieben. Für die deutsche Erstaufführung der Oper zur Eröffnung der Schwetzinger SWR Festspiele setzt Regisseurin Amélie Niermeyer auf ganz konkrete, mal verspielte, mal verstörende Bilder. Die Figuren des Prologs, die während der Oper immer wieder auftauchen, tragen lange schwarze Haare, Gummistiefel, Minirock und Bart. Als mehrfach geklonte Conchita Wurst machen sie gute Miene zum mitunter bösen Spiel, verführen mit Blicken und Gesten und wenden auch mal selbst Gewalt an.
    Ein historischer Hintergrund


    Als eine der ganz wenigen frühbarocken Opern fußt "Veremonda" nicht auf einer mythologischen Geschichte, sondern hat einen ganz konkreten historischen Hintergrund. Die Reconquista genannte Rückeroberung der muslimischen Gebiete auf der iberischen Halbinsel durch spanische Christen ist der Rahmen, in dem die Liebesgeschichte zwischen dem christlichen Feldherrn Delio und der maurischen Königin Zelemina, die dem noch muslimischen Calpe/Gibraltar im Jahr 1244 vorsteht, angesiedelt ist. Am Ende ist die Stadt durch die amazonenflankierte spanische Königin Veremonda von den Christen eingenommen. Und Zelemina muss sich taufen lassen, um dem Tod zu entgehen.


    Der Monteverdi-Schüler Cavalli hat dafür eine bewegliche, kleinteilige Musik geschrieben, die das Originalklangensemble Concerto Köln farblich differenziert. Die Continuogruppe wird aus zwei Gamben, zwei Theorben, Harfe, Cembalo und Orgel immer neu gemischt, so dass die vielen, langen Rezitative eine echte Dialogstruktur bekommen. Flöten, Zinken und ein Fagott schmücken die nur rudimentär überlieferte Partitur. Andrés Locatelli, der kurzfristig für den gesundheitlich angeschlagenen Dirigenten Gabriel Garrido einspringen musste, ist ein umsichtiger musikalischer Leiter. Er setzt auf Nuancierung, anstatt die Kontraste herauszukitzeln. Und lässt der Musik Cavallis ihre Feinheit. Szenisch geht es da gröber und greller zu. Der kalte Bühnenraum von Stefanie Seitz erinnert mit Wellblech und Belüftungsschlitzen an eine Lagerhalle oder einen Bunker. Die in sexy Schuluniformen gesteckten Amazonen werden von Veremonda mit Kalaschnikows bewaffnet (Kostüme: Kirsten Dephoff). Das Wasser, das die Bühne teilt, wird auch zu einem Schauplatz von größter Gewalt, wenn Delio seinen Diener Zeriffo fast ertränkt, weil dieser die verbotene Romanze verraten hat. Hier ist Niermeyers szenischer Zugriff zu plakativ, zumal die Musik diese Zuspitzung durch die frühere Freiburger Intendantin nicht verträgt.


    Lawrence Zazzo macht mit seinem vollen, enorm tragfähigen Altus Delio zu einer vielschichtigen Persönlichkeit. Alexandra Samouilidou (Zelemina) berührt mit ihrem glasklaren Sopran, gerät aber wie Johannes Mayer (Il Crepuscolo/Zeriffo) gelegentlich intonatorisch aus der Spur. Das Königspaar ist mit der präsenten, etwas nasal klingenden Netta Or als Veremonda und dem bewährten Countertenor Matthias Rexroth in der Rolle des vergeistigen Königs Alfonso gut besetzt. Die Kaugummi kauende Vespina (kristallin: Polina Pasztircsák), der Narr Don Buscone (schön durchgeknallt: Ralf Simon) und bassmächtige General Roldano von Stefan Sevenich sind weitere Lichtblicke im großen Solistenensemble. Nach der Pause gewinnt die Musik vor allem in den von Ritornellen gestützten Arien noch an Intensität. Und auch der Regie gelingen starke Bilder. Wenn Zelemina und Delio ihre Liebe besingen, dann kündet der Aschenregen schon von der kommenden Katastrophe. Die im Orchestergraben befeuerte Schlachtenmusik ist in rotes Licht getaucht. Zelemina und ihre Zofe Zaide Nutrice (Frances Pappas) werden blutverschmiert auf die Bühne gezerrt. Bedrohlich schiebt sich die Rückwand nach vorne, ehe am Ende alle dicht aneinander gedrängt direkt vor dem Orchestergraben stehen und die Christen zur letzten Schlacht aufrufen. Die Angst vor dem Fremden wird zur Besessenheit. Hass mündet in Gewalt.

  • Lieber hart,


    vielen Dank für diesen Bericht aus der Badischen Zeitung. Ich bin ja bekanntlich für moderne Inszenierungen sehr aufgeschlossen, habe bei dieser aber den Verdacht, dass sie mir nicht gefallen würde, daher auch mein Zögern, dafür Zeit und Geld zu opfern. Gerade bei dem von mir so geliebten Cavalli würde mich eine missratene Inszenierung doch sehr ärgern.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber hart,


    vielen Dank für diesen Bericht aus der Badischen Zeitung. Ich bin ja bekanntlich für moderne Inszenierungen sehr aufgeschlossen, habe bei dieser aber den Verdacht, dass sie mir nicht gefallen würde, daher auch mein Zögern, dafür Zeit und Geld zu opfern. Gerade bei dem von mir so geliebten Cavalli würde mich eine missratene Inszenierung doch sehr ärgern.


    Ich kann mir vorstellen, dass wir noch auf einen neuen Cavalli warten, bis einer aus der Riege Jacobs - Garrido - Kujken oder einer anderen italienischen Alte-Musik-Band diese Oper aufnimmt. Lieber Bertarido: manchmal sind wir ja ein wenig auseinander, aber grundsätzlich denke ich, dass ein Cavalli-liebender Opernfreund kein ganz schlechter Mensch sein kann. 8-) Leider sind wir hier offensichtlich nur zu zweit, obwohl ich denke, dass Zeus Alfred Cavalli auch schätzt.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Ich kann mir vorstellen, dass wir noch auf einen neuen Cavalli warten, bis einer aus der Riege Jacobs - Garrido - Kujken oder einer anderen italienischen Alte-Musik-Band diese Oper aufnimmt.


    Das wäre schön, caro dottore! Mir hat allerdings auch der "Calisto" an der Bayerischen Staatsoper vor einigen Jahren gut gefallen (Dirigent Ivar Bolton, Regie David Alden). Ansonsten kenne ich die Opern leider auch nur von DVD.


    Leider sind wir hier offensichtlich nur zu zweit, obwohl ich denke, dass Zeus Alfred Cavalli auch schätzt.


    Ja, schade. Wenn ich mir einige ältere Threads durchlese, scheinen mir dem Forum generell einige Freunde der Barock-Musik abhanden gekommen zu sein; wohl eine Folge des großen Erdbebens vor meiner Zeit, von dem die älternen Taminos nur hinter vorgehaltener Hand sprechen, um den blitzeschleudernden Zeus nicht zu erzürnen. :D

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.