Georg Philipp Telemann (1681-1764):
DIE WUNDERBARE BESTÄNDIGKEIT DER LIEBE
oder ORPHEUS
Oper in drei Akten - Libretto vom Komponisten nach einer Vorlage von Michel Du Boullay
Uraufführung am 9. März 1726 in Hamburg
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Orasia, verwitwete Königin von Thrakien (Sopran)
Orpheus, Sänger (Bariton)
Euridice, seine Frau (Sopran)
Eurimedes, Orpheus' Freund (Tenor)
Ismene, Hofdame von Orasia (Sopran)
Pluto, Herrscher der Unterwelt (Bass)
Cephisa, Priesterin (Sopran)
Ascalax, Plutos Diener (Alt)
Zwei Nymphen (Sopran und Alt)
Chöre der glückseligen und der verdammten Geister, des Gefolges von Orasia, der Gespielinnen Euridices, des Gefolges von Pluto
Die Handlung geht in mythologischer Zeit vor sich.
INHALTSANGABE
ERSTER AKT
Das Bühnenbild zeigt einen weitläufigen Garten des Königspalastes in Thrakiens Hauptstadt.
Die thrakische Königinwitwe Orasia hat sich in Orpheus verliebt, der sie allerdings nicht beachtet und nur Augen für seine geliebte Euridice hat. Der Liebeskummer nagt an Orasia:
Lieben und nicht geliebt zu sein, übersteigt alle Schmerzen.
Selbst der Tod geht zarten Herzen nicht so sauer ein.
Den Seelenschmerz muss Orasia mit jemandem teilen und so gesteht sie ihrer Hofdame Ismene ihre Verliebtheit. Die versteht der Königin Erfolglosigkeit nicht: Sind Krone und Thron nicht Magnete, die jeden Mann anziehen? Orasia wirft Ismene völlige Ahnungslosigkeit vor und verkündet in einer (italienischen) Arie, dass sie Euridice töten lassen will. Sie ruft die Furien herbei und fordert, dass sie ein Blumenfeld, das Orpheus' Gattin oft aufsucht, mit giftigen Nattern verseuchen sollen. Wenn sie zum Blumenpflücken kommt, werden ihr die Schlangen das tödliche Gift einspritzen und sie in Plutos Reich schicken.
Als Orpheus mit seinem Freund Eurimedes näher kommt, verstecken sich Orasia und Ismene, die beiden jungen Männer aber belauschend. So bekommen sie mit, dass Orpheus das Hofleben leid ist und nur das Leben in der Natur als wahre Lebensfreude empfindet:
Angenehmer Aufenthalt süßer Stille schönster Freuden,
lass uns hier unser Herz in Wollust weiden.
Alles finden wir in dir, was uns Ruh und Lust gewähret.
Allen finden wir in dir, was die Lieb' entflammt und nähret.
Das gefällt Orasia gar nicht; sie tritt hervor und fordert Orpheus auf, an ihren Hof zurückzukehren, um seinen Pflichten nachzukommen. Doch der Sänger lehnt ab; er macht auch der Königin seine Vorbehalte gegen das Hofleben klar, preist dafür die Einsamkeit in der Natur in höchsten Tönen, die allein ihm Vergnügen bereitet. Orasia wird sarkastisch und erinnert ihn an seine frisch angetraute Euridice und fragt, ob die ihn nicht doch weit mehr „ergetzen“ könne, als Einsamkeit in der Natur? Ohne seine Antwort abzuwarten geht sie mit Ismene ab.
Eurimedes kann seinen Freund auch nicht verstehen. Warum geht er nicht an den Hof? Dort gibt es doch Zerstreuung und Vergnügen! Und das Vergnügen wird sicherlich „eher größer, als gemindert“ sein! Es ist aber nicht in Orpheus' Sinn; er weiß, dass bei Hofe nur „verschlagene Leute“ zu finden sind, die nur auf den eigenen Vorteil achten - und das ist nun mal nicht seine Welt!
Nun kommt Euridice, wie Orasia es wissend angekündigt hat, um Blumen zu pflücken. Als sie den Gatten sieht, gibt sie ihrer Freude lebhaften Ausdruck und in einem Duett versichern sich die beiden ihrer unwandelbaren Liebe. Inzwischen sind von allen Seiten die Nymphen auf die Szene getreten, von Eurimedes erstaunt-freudig wahrgenommen. Während Orpheus, wie er sagt, nur kurz die Szene verlässt, äußern die Nymphen chorisch (in französischer Sprache) ihre Freude über die natürlichen Lustbarkeiten, die sie mit vollen Zügen genießen wollen. Genau in diesem Moment geschieht das Unglück: Euridice trifft der giftige Schlangenbiss. Entsetzt rufen alle die Götter um Hilfe an, doch Euridice stirbt in den Armen zweier Nymphen - der zurückkommende Orpheus traut seinen Augen nicht und fällt in Ohnmacht.
Während Euridice weggetragen wird, lässt Eurimedes (in einer italienischen Arie) erkennen, dass er sich in Cephisa (andere Version: Ismene) verliebt hat, Doch die Nymphe, so direkt angesprochen, lässt ihn mit ironischen Bemerkungen abblitzen und die besagen, dass sie nur ihre Freiheit liebt. An ihm, an Männern überhaupt, hat sie kein Interesse. Die Nymphen springen ihrer Schwester, wieder in französischer Sprache, bei:
N'aimons que la libertè: Rien n’a tant de charmes.
Lasset uns einzig die Freiheit lieben! Nichts hat so viel Vergnügen.
Die Liebe führet gar zu viele Verdrießlichkeiten mit sich.
Ihre angenehmste Glückseligkeit ist niemals ohne Unruhe.
Inzwischen ist Orpheus wieder zu sich gekommen und wünscht sich, wenn der Himmel ihm seine geliebte Euridice nicht wiedergeben will, auch den Tod. Nur Orasia jubelt und glaubt, am Ziel ihrer Wünsche zu sein. Jetzt wird sich Orpheus ihr zuwenden und sie wünscht sich (auf französisch), ihn lebenslang zu lieben. Das ist Ismene zu viel der Anhimmelei und sie sagt es frei heraus: Die Herrin solle sich nicht um den Knecht scheren! Aber Orasia belehrt sie, dass die Liebe zwar Ungemach mit sich bringen kann, aber auch Vergnügen schafft - ohne sie ist das Leben nicht lebenswert.
In einem Accompagnato, das seine ganze Verzweiflung ausdrückt, klagt Orpheus den Himmel an, doch Eurimedes fällt ihm mit einer Idee ins Wort, die Orpheus nachdenklich macht: Er schlägt vor, seine Kunst einzusetzen, um Euridice dem Hades wieder zu entreißen:
Du kennest ja den Nachdruck deiner Lieder, und wie du oft dadurch manch rohes Herz bemannt.
Es kann dein lieblicher Gesang
und deiner Saiten holder Klang vielleicht den Pluto selbst ergötzen.
Orpheus findet dieses Argument bestechend und er entschließt sich, Eurimedes' Rat zu befolgen - er begibt sich zum Acheron.
ZWEITER AKT
Der Schauplatz zeigt ein weitläufiges Gefilde; Pluto sitzt auf einem Thron, um über ankommende Geister zu richten.
Nach einem einleitenden „Entrée“ beginnt der zweite Akt mit Plutos Sinnieren über die Nachricht, dass ein „verwegener Gast aus jener Oberwelt“ sich erkühnt hat, in sein Reich einzudringen. Sollte, so sein erster Gedanke, Jupiter mal wieder seine Hand im Spiel haben? Hat der Blitzesschleuderer etwa einen Menschen eingeschleust, um sich seines Zepters zu bemächtigen? Nein, er wird sich nicht überrumpeln lassen und ruft sein Gefolge, um gegen den Fremdling vorzugehen.
Plötzlich wird aus der Ferne, jedoch langsam näher kommend, eine „süße Musik“ hörbar, die Pluto, wie er zugeben muss, im „Ohr kitzelt“. Da tritt sein Diener Ascalax auf die Szene und meldet, dass tatsächlich ein Mensch der Urheber der ergreifenden Musik sei. Und der bat, vor Pluto gebracht zu werden, um in aller Demut eine Bitte vorzutragen. Ascalax ergänzt, dass selbst der strenge Charon ihn über den Acheron gefahren und der doch immer so wütende Kerberos sich wie ein Lämmchen betragen habe. Bevor Pluto eine Antwort geben kann, tritt Orpheus, vor und besingt (in italienischer Sprache) seine seelischen Qualen:
Trà speranza, e trà timore di gioir, ò di languire và nutrendo il dubbio core il contento e il martire.
Zwischen Hoffnung und Furcht, mich zu erfreuen, oder zu betrüben,
nähret sich mein unruhiges Herz mit Vergnügen und Bekümmernis. [...]
Ich ergötze mich, und quäle mich über das, was ich hoffe, und was ich befürchte,
nämlich entweder höchst vergnügt, oder auch höchst betrübt zu werden. [...]
Dann kommt er auf sein Anliegen zu sprechen, das keinesfalls etwas mit „Raub-Begier“, sondern mit der Liebe zu tun hat: Ihm wurde die Gattin viel zu früh entrissen, weshalb er bittet, Euridice zu seinem eigenen Trost wieder frei zu geben, zumal er sich ja doch mit der Gattin dereinst „in deiner Herrschaft“ wieder einfinden muss.
Und das Wunder geschieht: Pluto wird Euridice, die momentan in „Proserpinens Händen“ steht, frei geben - und er lässt sogar Milde für die verdammten Seelen walten:
Wohlan denn! Weil sich heut, bei diesem Zauberklang mein ganzes Reich erfreut:
So will ich auch, dass der Verdammten Schar von ihrer Marter ruhig sei.
Drum geht, und macht sie gleich von ihren Banden frei!
Und die Gemarterten sind Orpheus dankbar, loben und preisen ihn geradezu überschwänglich. Doch muss Orpheus feststellen, dass keine Rose ohne Dornen ist: Ascalax nennt als Bedingung, unter der Euridice freikommt, dass er sich auf dem Weg zur Oberwelt nicht nach ihr umdrehen darf! Hält er sich nicht daran, ist sie endgültig verloren! Glücklich fallen sich Orpheus und Euridice in die Arme und Ascalax verrät ihm vor dem Abgang noch, dass Orasias Eifersucht der Grund für Euridices Tod war. Enttäuscht, weil er sich so ein Benehmen von der Königin nicht hat vorstellen können, gelobt er, sich an der Intrigantin zu rächen. Das aber will Euridice nicht; sie ist Orasia sogar dankbar, weil ihr durch deren Niedertracht klar wurde, wie sehr Orpheus sie liebt.
Orpheus und Eurydice machen sich auf den Rückweg in die Oberwelt. Doch Orpheus scheitert an der gestellten Bedingung: Kurz vor dem Tor des Hades blickt er sich nach ihr um und verliert sie ein zweites Mal, nach Ascalax' Prophezeiung jetzt für immer! Plutos Gehilfen fassen und reißen sie zurück. Entsetzt über seinen Fehler steht der Sänger wie angewurzelt und die Furien tanzen mit großer Schadenfreude um ihn herum, damit den zweiten Akt beendend.
DRITTER AKT
Das Bühnenbild zeigt den Berg Rhodope und seine Umgebung.
Orasia hat natürlich erfahren, dass Orpheus seine Gattin aus dem Hades zurückholen will und kann sich nicht vorstellen, dass er diesen Gang erfolgreich beendet. Aber wer weiß? Sie begibt sich an den Eingang zur Unterwelt und wartet so aufgeregt wie sehnsuchtsvoll auf den Geliebten. Sollte er Euridice tatsächlich frei bekommen, wird ihnen, das hat sie sich geschworen, keine lange Zukunft beschieden sein: Sie wird erneut einen Anschlag auf Euridice unternehmen!
Ismene ist anderer Meinung: Durch eine solche Tat wird sie Orpheus für immer verlieren, meint sie. Doch Orasia bleibt bei ihrer Haltung. Diese Meinungsverschiedenheiten sind, wie sich soeben zeigt, vollkommen überflüssig, denn zur Überraschung beider Frauen kommt Orpheus ohne Euridice aus der Unterwelt zurück - völlig niedergeschlagen. Schroff weist er Orasia, die sich heuchlerisch nach seinem Befinden erkundigt, ab und beschuldigt sie, für Euridices Tod Verantwortung zu tragen. Das leugnet die Königin nicht, will aber ihre Tat unbedingt als Liebesbeweis zu ihm gewertet wissen. Sowohl bitter als auch standfest sagt Orpheus der Königin auf den Kopf zu, dass sie keinen Erfolg haben werde, denn seine Liebe gehöre auf immer und ewig Euridice - und fügt hinzu, dass er sich an ihr, Orasia, sich rächen werde!
Diese Töne, noch dazu von einem Untertanen, sind ungewohnt für Orasias Ohren und das, was sie für Liebe hielt, schlägt plötzlich - nach ihren eigenen Worten - in (italienisch gesungenen) Hass um:
Vieni, o sdegno, e fuggi, Amor!
Komm Rache! Entweiche vor mir, o Liebe!
Und du, mein Herz, sollst keine Neigung mehr zu diesem Verräter hegen.
Habe ich dich geliebet, so sollst du mich nun zur Feindin haben.
Sie geht mit Ismene ab und Eurimedes kommt auf der Suche nach Orpheus auf die Szene und bietet sich dem Freund, weil doch geteiltes Leid halbes Leid ist, als Helfer an. Aber Orpheus weist auch ihn ab, will allein sein und sich der Klage über den Verlust Euridices hingeben.
Orasia aber fühlt sich jetzt tatsächlich von allen Liebesfesseln befreit. Rache an Orpheus zu nehmen ist ihr ganzes Trachten: Sie hetzt, zusammen mit Ismene, Bacchantinnen, die wegen des Bacchus-Festes voll des Weines sind, auf den Sänger und töten im Rausch Orpheus. Im gleichen Augenblick aber wird Orasia bewusst, dass sie einen großen Fehler begangen hat: Sie gesteht sich ein, Orpheus jetzt mit Euridike wieder vereint zu haben. Ist aber ihre neuerliche Aussage, dass „die Lieb' aufs neu zurück“ sei, eine wahrhaftige Beschreibung ihres aktuellen Seelenzustandes? Das darf bezweifelt werden, wenn man die (französische) Reue-Arie der Aussage im darauf folgenden Accompagnato-Rezitativ gegenüberstellt: Einerseits bereut Orasia ihre Tat und will durch Suizid dem Geliebten ins Schattenreich folgen, andererseits lebt ihre Absicht, auch dort zwischen Orpheus und Euridice einen Keil zu treiben, wieder auf und schürt echte Zweifel an ihrer Einsichtsfähigkeit und Reue.
Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt: Mit einem Suizid ist Orasias Gefolge überhaupt nicht einverstanden, es kann ihn irgendwie - der Librettotext verschweigt Einzelheiten - verhindern. Wenn man das als Zuneigung zur Königin werten will, könnte es ein Zeichen für einen echten Neuanfang sein. Der recht kurze Schlusschor ist - musikalisch - trotz einiger Moll-Töne ein fröhlicher Kehraus:
Ach lebe, Königin, ach lebe! Wir sterben alle gern für dich.
Dass dein Geschick sich zu den Sternen hebe: So leben wir geruhiglich.
Fröhlichkeit kommt aber nur bei Orasias Gefolge auf, ihr selber verweigert der Autor der Oper eine Äußerung über ihre Zukunft. Und Orpheus und Euridice? Sie sind in Plutos Reich - für uns nicht mehr erreichbar.
INFORMATIONEN ZUM WERK
Telemanns Orpheus-Oper ist insofern ungewöhnlich, weil sie kein Happy End für die Protagonisten bietet und - vielleicht als ein auffälliges äußeres Merkmal - auf einem dreisprachigen Text (deutsch, italienisch und französisch) beruht. Lange Zeit galt die Musik als verschollen. Die Wende kam im Jahre 1978, als man der dreihundertsten Wiederkehr der Gründung der Hamburger Oper gedachte und Prof. Martin Ruhnke die Teilnehmer eines Symposions mit der Vorlage und Untersuchung der Partitur von „Orpheus“ (die sich in der Musiksammlung der Grafen von Schönborn in Wiesentheid/Unterfranken befand) überraschte.
Zwar hat das Manuskript kein Titel und dadurch auch keine Autorenangabe, doch Ruhnke benannte in der Zuschreibung an Telemann als Komponisten Johann Mattheson als Kronzeugen, weil der in einer handschriftlichen Ergänzung zu einer Übersicht über das Repertoire der Gänsemarktoper (die im "Musicalischen Patrioten" erschienen war), Telemann als Autor in Erwägung gezogen hatte. Dabei bezog sich Mattheson allerdings auf eine Zweitfassung des Stückes unter dem Titel
Die // Rachbegierige Liebe, // Oder // Orasia, // verwittwete Königin in Tracien,// In einem Singe= Spiele // auf dem // Hamburgischen // Schau=Platze // Im Jahr 1736 // vorgestellet. // Gedruckt bey seel. Georg Spieringks Wittwe.
doch handelt es sich wohl um ein und dasselbe Werk, zumal die Musik des A-Teils einer Arie der Orasia in Telemanns Passionsoratorium „Die gekreuzigte Liebe“ vorkommt.
Heute gilt es als wahrscheinlich, dass Telemann den Text der Oper „Orphée“ von Michel du Boullay (Paris 1690) ins Deutsche übertrug, und zwar in der auf deutschen Bühnen üblichen Abfolge von Rezitativen, Arien und Chören. An entsprechenden Stellen fügte er sinngemäße italienische und französische Arien- und Chortexte ein, die aber einer neuerlichen Bearbeitung unterzogen wurden, wenn sie thematisch nicht passten. Für diese Handlungsweise konnte mit Telemanns Frankfurter „Pastorelle en Musique“ (TWV deest) ein Vorläufer nachgewiesen werden.
Telemanns Oper ist damals konzertant aufgeführt worden, wie der Librettodruck (aufbewahrt in der Staatsbibliothek Berlin - Stiftung Preußischer Kulturbesitz) beweist:
Die wunderbare // Beständigkeit der Liebe, // oder // ORPHEUS; // in einem // musicalischen //
Dramate // im Hamburgischen Opern=Hause, ver= // mittelst eines Concerts, // am 9 Mertz 1726, // durch Veranstaltung Madame Kayserinn, // aufgeführet.
Konzertante Opernaufführungen waren, wie Peter Huth, der diesen „Orfeo“ rekonstruiert hat, in einem ausführlichen Kommentar für die Magdeburger Oper schrieb, keine Seltenheit. Dass aber dieses Stück in einem Opernhaus, das doch für szenische Aktionen gebaut wurde, konzertant zur Aufführung kam, muss an besonderen Bedingungen gelegen haben. Die sind nach Huths Meinung in der finanziellen Schieflage der Hamburger „Opera of the Nobility“ zu suchen. Tatsächlich schloss die Oper am 15. März 1726, sechs Tage nach der Orpheus-Premiere ihre Pforten - zwei Jahre vor Ablauf des Pachtvertrags.
So ausführlich Peter Huth in der o.e. Kommentarbeilage die Entstehungsgeschichte von Telemanns Oper darlegt, so wenig erklärt er, warum eine Rekonstruktion notwendig war. Festzustellen ist, dass in die Handlung Instrumentalkompositionen aus Telemanns Orchesterwerken eingefügt wurden, so beispielsweise als Ouvertüre Musik aus TWV 55F14 oder im zweiten Akt, der durch eine Pause geteilt ist, nach eben dieser Pause eine Ouverture aus TWV 55D12 und als Aktschluss für einen Tanz der Furien Musik aus TWV 55D22.
Die mir vorliegende dhm/Sony-Aufnahme (s.u. bei den diskographischen Hinweisen) beruft sich auf die Huth-Fassung, bringt jedoch andere Orchesterwerke Telemanns in die Handlung ein. Michi Gaigg, die das Ensemble dirigiert, wählte für die Ouvertüre Musik aus TWV 55d1, für den Tanz der Furien TWV 55D7 und als Vorspiel zum zweiten Akt abermals aus TWV 55d1. Außerdem ist sie, was vergleichend an den Libretti festzustellen ist, gekürzt. Auch hierzu finden sich im Booklet keine Hinweise.
© Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2016
unter Hinzuziehung des Librettos, das in einer Beilage zu einer nichtkommerziellen DVD (einem Mitschnitt der Premiere anlässlich der 20. Magdeburger Telemann-Festtage am 13. März 2010 im Opernhaus Magdeburg) veröffentlicht wurde.