Jette Steckels Hamburger Zauberflöte (27.09.2016): Viele Tiefen, einige Höhen

  • Wenn man die grandiose Nijinsky-Aufführung des Neumeierschen Ballets vor drei Tagen im Hinterkopf hat, stellt sich durchaus die Frage, warum so ein hohes Leistungsniveau (choreographisch, tänzerisch und musikalisch) in der Oper eigentlich nie mehr erreicht wird. Der Beifall heute nach der 3. Aufführung der Steckelschen Zauberflöte war durchaus langanhaltend und nicht ohne Jubel, es wirkte fast etwas trotzig ob der schlechten Kritiken, vor allem in der Lokalzeitung. Dabei hatte der für die Szenerie verantwortliche Florian Lösche ein durchaus schönes und romantisches, durch Video- und Lichtregie harmonisch ergänztes Bühnenbild konstruiert (abgesehen vom Schlussbild mit den in das Publikum gerichteten Scheinwerfern, zumindest auf unseren Plätzen in der ersten Loge). Den Zuschauern hat es, glaube ich, gefallen.


    Ob man durch die Einfälle der vom Theater her kommenden Regisseurin allerdings schlauer geworden oder tiefer in das Mozart’sche Oeuvre einsteigen konnte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Steckel traut sich nicht an das Schikaneder/Mozart-Werk heran, sie eliminiert den Librettotext völlig und lässt Arien ohne Zwischenhandlung absingen, häufig aus dem Off bzw. dem Orchestergraben. Steckel verfolgt eine Grundidee, alles wegzulassen, was sie nicht in ihr Konzept einbinden kann. Am liebsten hätte sie wohl die Königin der Nacht und Sarastro ganz gestrichen und sich nur auf das Trio Tamino, Papageno und Pamina konzentriert.


    Es beginnt mit einem in der ersten Reihe mit rotem Pullover und ergrauter Perücke sitzenden, während der Ouvertüre zusammenbrechenden Tamino, der, von Sanitätern auf die Bühne geschleppt, sich offenbar seines Lebens erinnert. Tamino und Papageno sind Freunde von Jugend an und begeben sich, etwa 17 Jahre alt, auf Abenteuerreise, da Tamino sich in das Abbild eines Mädchens verliebt hat. Im ersten Teil des zweiten Aufzugs sind sie etwa 30 Jahre älter, erkenntlich an den erblichenen Haaren, schließlich nähern sie sich dem Greisenalter und gehen (Tamino und Pamina) in die Unendlichkeit ein, während Papageno seine Jugend wieder gewinnt und mit Papagena viele Kinder zeugen will. Was die Königin der Nacht oder Sarastro für eine Rolle spielen, erschließt sich nicht, sie sind weder böse noch gut, sie singen nur zwischendurch Arien, als ob es sich um ein Konzertpotpourri handeln würde. Auf Monostatos kurze Arie „Alles fühlt der Liebe Freuden“ folgt unvermittelt „Der Hölle Rache“ aus dem Orchestergraben, danach nahezu übergangslos Sarastros „In diesen heiligen Hallen“, ebenfalls aus dem Orchestergraben.


    Zu den Positiva der Regie: Die Idee mit der Jugendfreundschaft von Tamino und Papageno ist stimmig. Die Alterung während des Stücks eventuell noch für Tamino (der ja auch bei Schikaneder sehr lange Zeit braucht, um zu Pamina zu finden), aber nicht für Papageno. Der hätte sicher keine 60 Jahre gewartet, um seine Papagena zu erringen. Steckel selbst war sich wohl der Stringenz ihrer Idee unschlüssig, denn warum gibt sie Papageno am Ende seine Jugend zurück? In ihr Konzept passt das nicht. Tamino dagegen findet nach Jahrzehnten seine ehemals angebetete Pamina wieder, das hat hohe Emotionalität und Christina Gansch gelingen in dieser kurzen Szene berührende und beglückende Töne. Ansonsten wird sie, musikalisch gesehen, völlig allein gelassen, was ihrer ganzen sängerischen Interpretation etwas Angestrengtes gibt. Nichts bindet ihre Lieder und Arien, oft entstehen (wegen des gestrichenen Textes) gar peinliche Pausen. Ihre g-Moll Arie „Ach ich fühl es“ verpufft im Ungefähren, nicht wegen mangelnder Stimmqualität, sondern wegen des, ich will es mal so nennen, „fehlenden Getragenseins“ durch die Zwischentexte (und auch ab und zu etwas mehr singendem Personal auf der Bühne; das Steckel’sche Konzept wäre geradezu passend für die Hamburger Kammeroper).


    Der mit einer wunderbaren Stimme gesegnete Tenor Dovlet Nurgeldiyev bewältigt dieses Manko der übergreifenden musikalischen Ausarbeitung deutlich professioneller und trägt stimmlich nahezu den gesamten ersten Aufzug. In der Presse wurde der Sopranistin Christina Poulitsi (Königin der Nacht) zum Teil mangelndes Charisma vorgeworfen. Wie sollte sie das aber auch entwickeln, wenn sie (nahezu) nur zwei Konzertarien aus dem Orchestergraben zu absolvieren hat. Und das macht sie mit blitzsauberen und kräftig klingenden Koloraturen (akustisch hat sie, recht hoch im Orchestergaben positioniert, also quasi im Bereich des vorderen Zuschauerraums, allerdings auch einen Standortvorteil gegenüber einer hinteren Bühnenplazierung, wie man es manchmal erlebt). Auch die Papagena von Maria Chabounia ist eine sichere Bank im musikalischen Geschehen.


    Dem feuilletonistischen Lob des Baritons Jonathan McGovern vermag ich mich nicht anzuschließen. Seine Stimme ist zwar kräftig, geht aber etwas in die flache Breite mit zum Teil sehr individuell gedehnter Silbenbetonung (Auftrittsarie, nach der niemand klatschte und eine peinliche Stille nachblieb). Der Stimme fehlt es an Eleganz und Flexibilität; außerdem ist sein Spiel, auch sein Kokettieren mit dem Publikum, doch sehr überzogen. Andrea Mastroni (Sarastro) erfüllte meiner Meinung nach auch nicht den sängerischen Anspruch an diese Rolle, ich will mich nicht auf Kurt Moll als Maßstab beziehen, sondern zum Beispiel auf Harald Stamm (die beide über Jahre in Hamburg den Sarastro sangen). Die drei Damen (Julia[[b]/b] Maria Dan, Nadezhda Karyazina und Marta Swiderska) empfand ich als unharmonisch im Zusammenklang, das Orchester (Leitung Jean-Christophe Spinosi) wirkte auf mich nicht wie sonst eher weich und warm, sondern hart und eher blechern. Das mag allerdings auch an dem, was die Orchesterakustik betrifft, ungünstigen Platz links vorn in der Loge gelegen haben.


    Joachim Mischke bemängelte in seiner Kritik im Hamburger Abendblatt, dass das Ensemble in seiner Summe weniger als die Summe seiner Teile geboten habe. Das stimmt, ist aber nicht den überwiegend sehr guten sängerischen Leistungen anzulasten, sondern der Leitung des Hauses. Wenn man sich eine Theaterregisseurin ins Haus holt, die den ganzen Schikander streicht und wichtige Rollen ins Abseits drängt (was ja im Theater durchaus üblich ist, auch Goethe ist dort nicht immer Goethe oder Shakespeare nicht immer Shakespeare), darf man sich nicht wundern, wenn die musikalische Seite der Aufführung zusammnenhangslos und unemotional bleibt. Wie sollen die Sänger unter diesen schwierigen Bedingungen überhaupt Emotionen entwickeln. Deshalb überträgt sich so wenig auf den Zuschauer und Zuhörer. Wer die sängerische Seite der Aufführung als dem Hause nicht angemessen oder als „Stadttheaterniveau“ bezeichnet, wie zu lesen war, hat nicht verstanden, was dafür die Ursache ist, jedenfalls nicht die Sängerinnen und Sänger. Die lesenswerteste Kritik zu dieser Aufführung, so fand ich es, stand in der FAZ. Endlich wurde auch mal qualifiziert über die sängerischen Leistungen geurteilt. Wer schrieb da? Jürgen Kesting (!). Alles in Allem, es war kein verlorener Abend, manche Ideen der Regisseurin bleiben haften, vor allem das schöne Bühnenbild mit den Lichterwänden aus zahllosen LED’s, vor allem aber die durch kein noch so unstimmiges Konzept zu unterminierende Mozart‘sche Musik.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Ich wollte schon lange darauf hinweisen: Es gibt noch die Möglichkeit, sich die Inszenierung auf arte concert anzuschauen; hier der Link.


    Zur Aufführung selber: Ich habe sowohl Teile der zeitversetzten Premierenübertragung auf eine Großbildleinwand am Hamburger Jungfernsteig, als auch die B-Premiere gesehen und teile im Grunde Ralf Becks Meinung. Gesanglich und musikalisch gut bis ausgezeichnet, wobei anzumerken ist, dass der Großteil der Philharmoniker zu diesem Zeitpunkt mit der legendären Tristan und Isolde-Inszenierung von Ruth Berghaus auf Gastspielreise in Bogotá gewesen ist.


    Zur Inszenierung wäre vielleicht noch anzumerken, dass sie meinen Kindern (sieben und elf Jahre alt) recht gut gefallen hat; allerdings haben sie auch bemerkt, dass man die Geschichte, welche sie dank entsprechender Vorbereitung gut kannten, ohne die Zwischentexte nur schwer würde verstehen können. Was mich letztlich am meisten wunderte, dass Jette Steckel, die ja originär vom Sprechtheater kommt, so leichtfertig (leichtsinnig?) auf die Zwischentexte verzichtet hat!?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.