Rigoletto (Verdi), Hamburgische Staatsoper, 27.10.2016

  • Es war eine gelungene, insgesamt gute Aufführung, aber auch nicht mehr, trotz viel versprechender Sängerliste mit Franco Vassallo als Rigoletto, Hayoung Lee als Gilda und Ivan Magri als Herzog. Magri hatt noch vor zwei Jahren zu Simone Youngs Zeiten hier einen herausragenden Rodolfo (Luisa Miller) gesungen. Heute fand ich ihn vom Gesang her weniger charismatisch und in der (lang gehaltenen) Höhe glanzlos und etwas verengt. Vassallo verfügt über einen schallstarken, durchaus schön klingenden Bariton, ihm fehlte es aber an melodramatischer Gestaltungskraft, um mit dem ihm auferlegten Leid den Weg zum Herzen des Zuhörers zu finden. Sein „Cortigiani“ war gut gesungen, wunderbar geeignet wie für ein Konzert. Im nachfolgenden Racheduett mit Gilda baute sich nicht die notwendige Spannung auf, die das Publikum aus den Sitzen reißen kann (wie es noch der nicht mehr ganz junge Leo Nucci vor drei Jahren in Verona über die große Arenadistanz schaffte). Die mit einer klangschönen, weichen Stimme gesegnete Hayoung Lee hatte offenbar nicht ihren besten Tag, ihre Höhen klangen mitunter recht spitz; vielleicht lag das auch an der nicht vorhandenen „Chemie“ zwischen ihr und ihrem Bühnenvater. Andrea Mastroni war als Sparafucile tadelsfrei, als seine Schwester Maddalena überzeugte mit dunklem Mezzo Nadezhda Karyazina. Dirigiert wurde von Gregor Bühl, der freundliche Beifall des vollbesetzten Hauses steigerte sich angemessen beim Erscheinen von Hayoung Lee und Franco Vassallo.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Lieber Ralf,
    du hast es gut, weil du ein Opernhaus vor der Nase hast, bei dem man aus so hohem Niveau (nein, nicht meckern, abe) differenziert kritisieren kann. In Saarbrücken ist man da leichter zufriedenzustellen.
    Vielleicht schaffe ich es noch in diesem Leben, auch mal wieder nach Hamburg zu pilgern - oder nach Wien oder München. Aber der Rundfunk tut ja sein Bestes für mich - und bringt mir morgen schon wieder eine Norma aus London frei Haus. Auch nicht schlecht!


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Lieber Sixtus, es ist auch in Hamburg (nicht mehr) alles Gold, was möglicherweise glänzt. Die jetzige Direktion hat es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, bisher noch nicht so bekannte Sänger zu engagieren und auf sog. Stars zu verzichten. Wie wir alle wissen, sind auch die Auftritte von „Stars“ nicht immer glänzend und manchmal enttäuschend (zumindest angesichts der hohen Erwartungen, die in sie gesetzt werden). Dennoch sind die „Opernstars“ nicht ohne Grund Stars und recht teuer, sie singen sehr gut und faszinieren das Publikum. Und sie sind der Maßstab, nach dem andere Sänger beurteilt werden können, in dem Sinne, nur wer die Spitze kennt, kann den Abstand zur aktuellen Abendleistung bemessen. In den 1970er und 1980er Jahren sangen solche maßstabsetzenden Sängerinnen und Sänger wie Nilsson, Pavarotti und Domingo regelmäßig an der Hamburgischen Staatsoper. Ich habe nur mal das Jahresheft der Saison 1983/84 herausgegriffen: Baltsa, Caballe, Janowitz, Marton, Price, Rysanek, Varady, Bonisolli, Cappuccilli, Carreras, Hofmann, Kollo, Milnes, Nucci, Schreier, Shicoff u.a. Sängerisch gab damals (noch) Hamburg und nicht München oder Berlin den Ton an.


    Unter Metzmacher und Simone Young wurde zumindest noch ab und an eine entsprechende Sängerin/Sänger engagiert (in Youngs letzter Spielzeit u.a. Mattila, Alagna, Botha und Vogt). Auch unter der jetzigen Intendanz von Delnon gibt es gute Sängerinnen und Sänger, vor allem im (nur zum Teil von Young) übernommenen Ensemble (Kwon, Pieweck, Gansch, Nurgeldiyev u.a.). Unter den Gastsängern sang aber Torsten Kerl an Stelle von Klaus Florian Vogt (Tote Stadt). In den von Nagano dirigierten Vorstellungen in der ersten Novemberhälfte 2016 singen Allison Oakes und Roberto Sacca die Hauptpartien in Salome und Lohengrin. Das Haus ist (deshalb?) noch halbleer, wie man im Internet verfolgen kann, trotz des versierten Dirigenten. Meiner Erfahrung nach geht das Durchschnittspublikum (welches die Kosten für das Haus erwirtschaftet) gern in bekannte Opern wie Zauberflöte, Carmen oder La Traviata, der schönen Musik wegen, oder auch in andere Opern, um berühmte Sängerinnen und Sänger zu hören. Letztere ziehen zudem auch das auswärtige Publikum an.


    Das gilt auch für mich, ich fahre doch nicht nach München, um einer bestimmten Inszenierung wegen, sondern weil ich Jonas Kaufmann als Cavaradossi oder Manrico hören will. In München sind die Vorstellungen (bei allerdings noch deutlich höheren Preisen als in Hamburg) zumeist ausverkauft, auch bei weniger prominent besetzten Aufführungen. Das war früher in Hamburg auch so. Hoffen wir, dass unter Delnon das Haus nicht an die Wand gefahren wird (mit bereits erhöhten Preisen bei für das Durchschnittspublikum, davon nehme ich mich nicht aus, zumeist unbekannten Sängerinnen und Sängern).
    Mit herzlichen Grüßen, Ralf Reck

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Vielen Dank, lieber Ralf, für die ausführlichen Informationen.


    Da merke ich, dass ich in punkto Opernbetrieb mal wieder auf den neuesten Stand kommen muss - aber vor allem, dass der Gesang in der Oper immer weniger die zentrale Bedeutung hat, die ihm zusteht. Wenn man schon in Hamburg in Sachen Operngesang nur noch mit Wasser kocht...


    ...müsste Sixtus dringend ein deutliches Machtwort aus dem Gemerk sprechen. Aber leider ist er längst ohnmächtig. Warten wir also, mit Godot, auf bessere Zeiten!


    Herzliche Grüße von - du weißt schon!

  • Ich habe nur mal das Jahresheft der Saison 1983/84 herausgegriffen: Baltsa, Caballe, Janowitz, Marton, Price, Rysanek, Varady, Bonisolli, Cappuccilli, Carreras, Hofmann, Kollo, Milnes, Nucci, Schreier, Shicoff u.a. Sängerisch gab damals (noch) Hamburg und nicht München oder Berlin den Ton an.

    Ich vermute mal ganz stark, diese Sänger haben damals mindestens ebensoviel in Berlin und München gesungen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich habe nur mal das Jahresheft der Saison 1983/84 herausgegriffen: Baltsa, Caballe, Janowitz, Marton, Price, Rysanek, Varady, Bonisolli, Cappuccilli, Carreras, Hofmann, Kollo, Milnes, Nucci, Schreier, Shicoff u.a. Sängerisch gab damals (noch) Hamburg und nicht München oder Berlin den Ton an.


    Wie gut, dass ich damals in Hamburg lebte und als Student Zeit und Geld genug hatte, einmal die Woche in die Oper zu gehen. Einzig an Frau Janowitz kann ich mich nicht erinnern.

  • Mag sein, doch das ist hier nicht das Thema.

    Wenn Ralf Reck hier geschrieben hat, dass damals der "Ton" noch in Hamburg und nicht in Berlin und München "angegeben" wurde und dies mit Sängernamen begründet, die dort ebenfalls regelmäßig gesungen haben, dann war das hier wohl offensichtlich schon ein Thema, zu dem ich erlaubt habe mich zu äußern.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber, der Einwand mag ja berechtigt sein, lässt sich aber schwer objektivieren. Das war auch nicht der Sinn meiner Anmerkung. Wichtiger finde ich, ob ein Haus den Eigenanspruch hat, zu den besten zu gehören. Diesen Anspruch hatte die Hamburgische Staatsoper einmal. Rolf Liebermann hatte sich seinerzeit, so hieß es damals, einen Vertrag ausbedungen, nach dem sein Etat nicht hinter denen in Berlin oder in München zurücksteht bzw. ggf. angeglichen werden muss. Liebermann zählte sein Haus zu den sechs besten der Welt (neben Wien, Paris, Mailand, London, New York). Das heißt nicht, dass in München oder Berlin nicht ggf. ebenso gut gesungen wurde. Liebermanns Anspruch richtete sich sicher nicht gegen die genannten anderen Deutschen Häuser, vielmehr an die Politik, die das Geld bewilligte. Liebermann holte den noch jungen Domingo nach Hamburg, der dann über lange Jahre regelmäßig bei ihm und seinen Nachfolgern auftrat. Noch unter Everding waren Aufführung höchsten Anspruchs möglich (Elektra unter Böhm mit Nilsson, Varnay und Rysanek). Auch Pavarotti sang in jener Zeit regelmäßig in Hamburg, selbst Joan Sutherland wurde engagiert. Eigentlich fehlte nur Maria Callas, die Liebermann zu teuer war (damals 40.000 Mark). Noch später, so bis zur Leitung unter Dohnanyi, war es möglich, immer wieder die Leistungen jüngerer Sänger mit den internationalen Leistungsträgern des Operngeschehens zu vergleichen.


    Seit Metzmacher bröckelte das, jetzt unter Delnon ist solch ein Vergleich kaum noch möglich. Angesichts der in Hamburg mittlerweile geforderten Preise wird sich das Haus deshalb nicht mehr hinreichend oft füllen lassen. Dabei wäre das Publikum, so vermute ich, durchaus bereit, erhöhte Preise zu zahlen, wenn es Netrebko oder Kaufmann hören könnte, wenigstens gelegentlich.


    Deshalb zehrt man in Hamburg bezüglich des Stimmenvergleichs von Erinnerungen. Und diese können durchaus trügen, sei es im positiven wie auch im negativen Sinne. Die elektronische Einspielung ist für mich kein Vergleichsmaßstab. Dort wird (nicht selten) eine (technisch angepasste) Leistung vorgespiegelt, die auf der Opernbühne kaum einzuhalten ist oder eingehalten wird (Beispiel Cecilia Bartoli, deren Aufnahmen mich einst begeisterten und die ich, nach einem Auftritt der Sängerin in der Hamburger Laeiszhalle, nie wieder angehört habe. Andere große Stimmen, wie die von Birgit Nilsson, konnten von der Platte zudem nie eingefangen werden). Wenn sich die Platte/das Band als Maßstab für Gesang etabliert, werden wir bald weitgehend gut aussehende Sängerinnen und Sänger mit kleinen Stimmen haben, die elektronisch in den Zuschauerraum hinein verstärkt werden (müssen). Die heute oft vom Theater kommenden Regisseure wirken verstärkend, in dem auf sängerische Bedürfnisse weniger Rücksicht genommen (oder von vornherein das Optische dem Akustischen vorgezogen) wird. Die Technik steht bereit, und soll vereinzelt wohl auch schon zwecks Unterstützung kleinerer Stimmen eingesetzt worden sein (wie ich gehört habe).


    Fazit: ich glaube schon, dass man auch an kleineren Häusern immer wieder hervorragende Sängerinnen und Sänger erleben kann, auch an der Hamburgischen Staatsoper. Woher weiß man aber, ob sie wirklich so gut wie erlebt waren, wenn man nicht immer wieder versucht, die Leistungen der internationalen Spitzensänger (auf der Opernbühne) als zeitnahen Maßstab heranzuziehen?

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Lieber Stimmenliebhaber, der Einwand mag ja berechtigt sein, lässt sich aber schwer objektivieren. Das war auch nicht der Sinn meiner Anmerkung. Wichtiger finde ich, ob ein Haus den Eigenanspruch hat, zu den besten zu gehören.


    Lieber Ralf Reck, das ist ja auch ok und unstrittig, dass Hamburg damals zu den besten Häusern gehörte, die die besten Sänger engagierte und dass inzwischen viel von diesem einstigen Glanz verblasst ist.


    Nur diese Bemerkung


    Sängerisch gab damals (noch) Hamburg und nicht München oder Berlin den Ton an.

    war überspitzt, und darauf wollte ich hinweisen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose