Fantasio von Jacques Offenbach - Oper oder Operette?

  • Häufig wird, auch hier im Forum, die Meinung vertreten, Offenbach habe nur eine Oper, "Hoffmanns Erzählungen", bzw. zusammen mit den „Rheinnixen“ zwei Opern geschrieben; der Rest seiner umfangreichen Bühnenwerke wird hauptsächlich dem Genre Operetten zugeschrieben. Unabhängig davon, dass seine großen Operetten oft auch als komische Opern bezeichnet werden, gibt es einige heitere Bühnenwerke, die „man“ heutzutage eher der komischen Oper als der Operette zuordnet. Beispiele: Robinson Crusoe (1867), „Le Roi Carotte“ (1872) ...


    Die Zuordnung bei manchen seiner Werke ist schwierig. Auch die Bezeichnung „Opéra bouffe“ oder „Opéra comique“ scheint eher willkürlich zu sein und bringt uns hier nicht weiter. Manchen hier im Forum ist es „schnurzegal“, ob man nun ein Werk als Operette oder komische Oper bezeichnet und ich bin geneigt, dem beizupflichten, gebe aber zu bedenken, dass die Akteure seinerzeit sich selbst darüber viele Gedanken machten. So hat etwa Offenbach in einem Brief an den Herausgeber des „Figaro“ vehement seine satirischen Werke dahingehend verteidigt, dass er sie durchaus in der Tradition der komischen Oper sieht. Und Richard Genée soll geäußert haben, dass er es als seine Aufgabe betrachtet hat, die Operette mehr und mehr wieder zur komischen Oper hinzuführen.


    Auch Fantasio ist so ein Werk, bei welchem die Zuordnung nicht ganz einfach zu sein scheint. Die Tatsache, dass es an der Opera Comique uraufgeführt wurde, spricht schon mal eher für eine Oper. Das Badische Staatstheater Karlsruhe, welches das Stück 2014/2015 szenisch aufgeführt hatte, bezeichnet es als Komische Oper, ebenso die Komische Oper Berlin bei ihrer konzertanten Aufführung der Originalfassung von 1869 im Februar 2016. Dagegen reiht es Wikepedia in der Werksauflistung Offenbachs bei den Operetten ein, bezeichnet es jedoch bei der Einzelbeschreibung als komische Oper.



    Meine Beurteilung des Werkes erfolgt nicht auf der hier abgebildeten CD, sondern auf einen Mitschnitt der konzertanten Aufführung aus Berlin. Dass ich diese hier im Opernforum platziere hat einerseits den Grund, dass ich das Stück doch auch eher der Oper zuordne und andererseits verspreche ich mir hier eine größere Resonanz (?) als im Operettenforum. Eine Inhaltsbeschreibung möchte ich mir an dieser Stelle ersparen - diese kann, ebenso wie die höchst interessante Entstehungsgeschichte, hier bei Wikepedia nachgelesen werden.


    Mein Gesamteindruck von diesem Werk ist der, dass es wirklich schwierig ist, dieses in eine der Schubladen „Oper“ oder „Operette“ zu stecken. Für eine Operette ist es zu wenig melodiös, selbst für eine komische Oper zu wenig komisch - und für eine operea seria? Schon in der Ouvertüre klingt an, dass es sich um ein ernsteres, seriöseres Werk handeln soll. Und bei etlichen Titeln empfinde ich das Bemühen des Komponisten, nicht in einen zu strahlenden Melos „abzugleiten“. Allerdings kann Offenbach, vor allem in den Finales, die Nähe zu seinen großen und großartigen Operetten nicht verleugnen. Dies erinnert mich etwas an die zeitgenössischen Kritiken an Suppés Oper „Des Matrosen Heimkehr“ (die hier im Forum leider niemand kommentieren wollte) und denen zufolge „der Operettenstil über die gewählte Ausdrucksweise zeitweilig gesiegt hat“ oder „Suppé speziell im zweiten Akt fortschreitend in den Operettenton verfällt“.


    Offenbach Fans werden aber bestimmt auf ihre Kosten kommen, denn sie erkennen „ihren“ Offenbach beinahe in jeder Nummer wieder. Das genau ist aber auch ein wenig das Problem. Es finden sich viele Anklänge an den Orpheus, die Helena, die Großherzogin, den Blaubart oder die Banditen, allerdings ohne deren satirische Schärfe, leider auch oft ohne besondere Originalität. Man könnte auch sagen, das Ganze ist seriöser dafür aber auch beliebiger.


    Dennoch ist es ein, zumindest handwerklich, sehr gut gemachtes Werk, das auch den Sängerinnen und Sängern einiges abfordert und hervorragend instrumentiert ist. Es fehlt nicht viel bis zur Spitze, aber es fehlen eben die Spitzen. Dazu passt, dass auch von meinen beiden Offenbach Biographien die eine das Werk überhaupt nicht erwähnt während die andere es in nur 7 Zeilen abhandelt und dabei anmerkt, es sei möglicherweise zu fein, und wie auch die Kritik meine, zu langatmig geraten.


    Persönlich reihe ich diese Oper(ette) in etwa auf das Niveau der „File de Madame Angot“ von Lecoq ein. Eine zeitgenössische Wiener Kritik bezeichnete letztere als „Reaktion gegen die Karikaturen Operette“. Und möglicherweise hat Offenbach mit diesem Werk auch eine Abkehr von seinen bisherigen Karikaturen im Sinn gehabt.


    :) Uwe

  • Auch Fantasio ist so ein Werk, bei welchem die Zuordnung nicht ganz einfach zu sein scheint. Die Tatsache, dass es an der Opera Comique uraufgeführt wurde, spricht schon mal eher für eine Oper. Das Badische Staatstheater Karlsruhe, welches das Stück 2014/2015 szenisch aufgeführt hatte, bezeichnet es als Komische Oper, ebenso die Komische Oper Berlin bei ihrer konzertanten Aufführung der Originalfassung von 1869 im Februar 2016.


    Lieber Uwe Aisenpreis,


    mal abgesehen davon, dass die Begriffe Offenbach und Operette ohnehin nicht ganz kompatibel sind, ist "Fantasio" für mich ganz klar eine Opéra comique, und das bedeutet eben nicht automatisch Komische Oper, sondern zuerst einmal Oper mit Dialogen. "Fantasio" ist durchaus auch ernst und sicherlich eine der unkomischsten Bühnenwerke Offenbachs, was natürlich auch ein Problem ist. In der erlebten konzertanten Aufführung, die ich im Februar dieses Jahres an der Komischen Oper Berlin erlebt habe, habe ich mich im ersten Teil doch ziemlich gelangweilt, erst im dritten Akt war ich dann verblüfft über die großen musikalischen Schönheiten, die dann kurz vor Ende unerwartet noch kamen.



    Und möglicherweise hat Offenbach mit diesem Werk auch eine Abkehr von seinen bisherigen Karikaturen im Sinn gehabt.

    Ja, das kann einerseits sehr gut sein, spricht aber andererseits dem gängigen Offenbach-Bild derart entgegen, dass es in der Tat ein Problem ist, was dazu führt, dass die Rezeption dieses Werkes eher dürftig ist und wohl auch bleiben wird. Wer bei Offenbach Amüsement erwartet, wird hier enttäuscht, noch mehr als bei "Hoffmanns Erzählungen", wo es ja immerhin den Olympia-Akt und auch einiges revuehaftes in den anderen Akten gibt, bei aller Tiefendimension, die auch drin ist, und die "Fantasio" ebenso vermissen lässt wie das offenbachtypische Amüsement.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • ist "Fantasio" für mich ganz klar eine Opéra comique, und das bedeutet eben nicht automatisch Komische Oper, sondern zuerst einmal Oper mit Dialogen.


    Lieber Stimmenliebhaber,


    es ist richtig, dass in der Opéra Comique (dem Theater) zu Offenbachs Zeiten nur Werke mit Dialogen aufgeführt wurden, unabhängig davon, ob sie komisch, ernst oder tragisch waren. Daher hatte auch die dort uraufgeführte Carmen ursprünglich Dialoge statt Rezitative. In dem von mir erwähnten Brief Offenbachs hat er aber neben der Verteidigung seiner opéra bouffes auch die Tatsache beklagt, dass die Opéra Comique sich weit von ihrem Anspruch (und Namensgebung) entfernt habe, komische Opern aufzuführen.


    mal abgesehen davon, dass die Begriffe Offenbach und Operette ohnehin nicht ganz kompatibel sind...


    Dieses Argument kann man immer mal wieder lesen. Ich halte das für falsch. Die Wiener Operette ist als Antwort auf Offenbachs bouffes entstanden. Dass sie dann nicht ganz so scharfzüngig (und auch nicht so geistvoll) geworden ist, ist den regionalen Gegebenheiten geschuldet. Aber auch Offenbach musste ja nach 1871 Abschied von seinen "Karikaturen Operetten" nehmen und hat dann z. B. mit "Madame Favart", "Die Tochter des Tambour Major" und ähnlichen Werken ganz "normale" bzw. der komischen Oper nahestehende Operetten geschrieben, z. T. auch, dem damaligen geänderten Zeitgeschmack entsprechend, revuehafte Werke mit großer Ausstattung. Aber das wäre dann schon wieder ein Thema für's Operettenforum.


    :) Uwe

  • Diesen märchenhaften, ein wenig zwischen den Einordnungen changierende Fantasio kann hier in dieser musikalisch wundervollen und inszenatorisch traumhaft anmutenden auf youtube genossen werden; dem Vernehmen nach soll auch davon irgendwann mal eine DVD entstehen...


    Viel Spaß beim Hören!


  • Hallo,

    ich versuche es einmal in diesem Thread. Gibt es auch Aufnahmen von Offenbachs "Georgiennes" und vom "Goldschmied von Toledo"? Da werde ich nicht fündig. Den Fantasio kann man als DVD bereits über premiereoperaintl

    bekommen.

    Schöne Grüße

    wega

  • Hallo, 'wega'!


    „Der Goldschmied von Toledo“ ist keine Original-Operette von Jaques Offenbach, sondern ein Pasticcio mit Musik aus diversen Werken dieses Komponisten, uraufgeführt in Mannheim 1919 zum 100. Geburtstag Offenbachs. Die Handlung lehnt sich lose an E. Th. A. Hoffmanns Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“ an, die auch Paul Hindemith für seine Oper „Cardillac“ als Vorbild diente. Ich weiß nur von zwei Aufnahmen der Tenor-Serenade „Lieblichste aller Frauen“: a) mit Julius Patzak, einem Chor und der Berliner Staatskapelle unter Julius Prüwer von 1931 (veröffentlicht auf der 'Preiser'-CD 89174) und b) mit Herbert Ernst Groh, einem Chor und dem Odeon-Künstlerorchester unter Otto Dobrindt, erschienen auf einer Schelllackplatte in den 40er Jahren bei der Firma 'Odeon' und enthalten in der CD-Box „Festival der großen Tenöre“ von 'Profil/Hänssler'.


    „Les Géorgiennes“ ist eine Opéra-bouffe von Offenbach aus dem Jahre 1864, die mit so großem Erfolg im gleichen Jahr in Wien – als „Die schönen Weiber von Georgien“ - aufgeführt wurde, dass Eduard Strauss eine Quadrille (op. 168) auf Themen aus diesem Werk komponierte. Es gibt davon eine Aufnahme aus Bratislava von 1995 mit dem Razumovsky Symphony Orchestra unter Alfred Eschwé, veröffentlicht auf der CD „Eduard Strauss Edition, Vol. 11“ bei 'Marco Polo' (8.223571) (Die Quadrille hat eine Spieldauer von 5,30 Minuten.) Sonst ist mir keine weitere Aufnahme aus den „Georgierinnen“ bekannt.


    Da es sich hier aber in erster Linie um Offenbachs „Fantasio“ handelt - wahrscheinlich ist nicht bekannt, dass es schon 1957 eine deutsche Rundfunk-Aufnahme gegeben hat, u. z. diese mit folgender Besetzung:


    „Fantasio oder Der Narr des Königs“ (Komische Oper in drei Akten) Der König von Bayern – Sigmund Roth / Elisabeth, seine Tochter – Valerie Bak (Dinah Hinz) / Flamel, eine Kammerfrau – Gisela Litz / Der Prinz von Mantua – Carl Hoppe (Horst Beck) / Marinoni, sein Adjutant – Willy Hofmann (Manfred Steffen) / Fantasio, ein Student – Helmut Krebs (Hermann Lenschau) / Die Studenten Sparck, Facio und Hartmann – Horst Günter, Rupert Glawitsch und Karl Otto / Ein Leidtragender – Horst Sellenthin / Ein Pförtner – Hartwig Stuckmann (George Simon Schiller) / Ein Schließer – Ernst Max Lühr (Hermann Enderlein) / Ein Bürger – Karl Alberti / Der Chor des Norddeutschen Rundfunks / Chorltg.: Max Thurn / Das Hamburger Rundfunkorchester / Dirigent: Wilhelm Stephan / Dialogregie: Otto Kurth (Hamburg, Funkhaus, 15. 1. - 19. 1. 1957) (In Klammern die Namen der Dialogsprecher) Welche Bearbeitung dieser Rundfunk-Produktion zugrunde gelegen hat, kann ich nicht sagen; die Spieldauer betrug 92 Minuten.


    Am 21. 6. 2019 wird der „Fantasio“ als halbszenische Aufführung in der Produktion der niederländischen 'Opera Zuid' in der Kölner Philharmonie vorgestellt:


    „Fantasio“ (Opéra comique en trois actes) Der König von Bayern – Huub Claessens (Bass) / Prinzessin Elsbeth – Anna Emelyanova (Sopran) / Flamel, Page der Prinzessin – Francis van Broekhuizen (Mezzosopran) / Der Prinz von Mantua – Roger Smeets (Bariton)/ Marinoni, Adjutant des Prinzen – Thomas Morris (Tenor) / Fantasio, Student – Romie Estèves (Mezzosopran) / Die Studenten Sparck, Facio, Hartmann und Max – Ivan Thirion, Jeroen de Vaal, Rick Zwart und Jacques de Faber / De Philharmonie Zuidnederland / Dirigent: Enrico Delamboye (Das Konzert wird live auf 'philharmonie.tv' übertragen!) Aufgeführt wird das Werk, das ausdrücklich als 'Opéra comique' bezeichnet wird, in der Revision von Jean-Christophe Keck auf Basis des gedruckten Klavierauszugs von 1871 und der Partitur der deutschsprachigen Wiener Erstaufführung 1872.


    Viele Grüße!


    Carlo

    Einmal editiert, zuletzt von Carlo ()

  • Leider hat Carlo Recht, es gibt nur Verstreutes und keine Gesamteinspielung von "Les Georgiennes", aber zumindest findet man dies hier:



    Dies ist die Quadrille, die bereits genannt wurde.



    Dies ist leider nur eine (allerdings recht liebevoll gemachte) Synthesizer-Aufnahme...leider schlummern noch viele Schätze Offenbachs in den Archiven, die noch geborgen werden müssten. Aber hoffen wir das Beste, immerhin ist ja Offenbach-Jubiläumsjahr, und Barkouf (der Ende des Jahres in Köln gespielt wird) war ja schon mal ein ganz großer Wurf (ich habe es in Strasbourg gesehen).



    Und hier eine sehr schöne Radio-Aufzeichung des Fantasio aus Rennes aus dem Jahr 2000:



    Hier die fulminante Einspielung von Opera Rara aus dem Jahr 2013:



    Und hier die von Carlo erwähnte historische Einspielung von 1957 auf Deutsch:



  • Hallo,


    als Nachtrag zu der in den Beiträgen Nrn. 1 und 7 gezeigten CD-Aufnahme des „Fantasio“ ist es vielleicht interessant zu wissen, dass die Rolle der deutschen Prinzessin Elsbeth ursprünglich auch mit einer deutschen Sopranistin, nämlich Marlis Petersen, besetzt war. Die Amerikanerin Brenda Rae sprang für die Aufnahme im Dezember 2013 und das darauf folgende Konzert am 15. 12. 2013 in der Londoner Royal Festival Hall kurzfristig ein.


    Diese preisgekrönte Aufnahme (u. a. Vierteljahresliste 'Echo Klassik 2014') hätte die Reputation Marlis Petersens sicher gesteigert, denn ihre Karriere auf Tonträgern dümpelt vor sich hin, während ihre Bühnenauftritte internationale Erfolge waren und sind. (Wenn ich das richtig sehe, hat Marlis Petersen noch keinen eigenen Thread!)


    Nebenbei gesagt, ist Mark Elder, der Dirigent dieser „Fantasio“-Einspielung, hier als Dialogsprecher und auch kurz als Sänger zu hören.


    LG


    Carlo

  • Hier ein lesenswerter Bericht über die Urfassung von Offenbachs Fantasio!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)