Don Carlo, Zürich, 27.11.2016

  • Nachdem die Besetzung auf dem Papier äusserst vielversprechend war und die Inszenierung bekanntermassen kein Regietheater, hatte ich beschlossen mir eine meiner Lieblingsopern, den Don Carlo am Opernhaus Zürich live anzusehen. Das Ergebnis war, wie immer in Zürich in letzter Zeit, äusserst zwiespältig. Die Inszenierung von Sven-Erich Bechtolf hatte im März 2012 Premiere. Damals war unter dem Dirigenten Zubin Mehta die fünfaktige Fassung der Oper von 1886 gespielt worden. Nun aber hatte die neue Intendanz unter Andreas Homoki den ersten Akt amputiert und auf die Mailänder in der Fassung von 1884 zurückgegriffen. Warum auch immer… Vermutlich wollte man Gagen für Musiker und Choristen sparen. Ich musste für mich feststellen, dass die Oper in dieser verstümmelten Form für mich kaum Sinn ergibt. Das Werk wirkt wie ein Torso dessen Kopf fehlt. Weder das Libretto, noch das komplizierte musikalische Motivgeflechte haben in dieser Form eine Logik. Als Beispiel sei nur das Duett zwischen Carlos und Elisabeth im vierten ( eigentlich fünften ) Akt genannt: die beiden nehmen traurig voneinander Abschied und besingen etwas, das dem Publikum völlig fremd wird, wenn man es nicht auf der Bühne miterlebt hat: die verliebte Begegnung in Fontainebleau, die Motive und Gefühle der beiden bleiben völlig unerklärt und im dunklen, wirkliche Anteilnahme kommt durch das Fehlen des ersten Aktes so gut wie nicht auf. Auch das Liebes Thema welches zu Carlos und Elisabeth gehört, geht völlig ins Leere. Schade! Man kann nur hoffen dass sich die Intendanz eines Besseren besinnt und bei zukünftigen Wiederaufnahmen dem ersten Akt den Platz einräumt, den er verdient. Zur Besprechung der Inszenierung verweise ich auf meinen Bericht von der Premiere im März 2012: Don Carlo-Premiere, Opernhaus Zürich, 4. März 2012 . Bei der Wiederaufnahme möchte ich lediglich Feststellen , dass diese Inszenierung nun völlig müde und uninspiriert wirkt. Bisweilen hatte man den Eindruck in einer Schulaufführung zu sitzen: eine Wand hier, ein Stuhl da, ein Bäumchen dort, zusammen mit einem bisweilen völlig beliebigen Gesten an der Rampe, wären allenfalls als halbszenische Aufführung akzeptabel. Schön sind lediglich die historischen Kostüme von Marianne Glittenberg. Aber um das noch einmal klarzustellen: ein solches Arrangement ist mir tausendfach lieber als die aufwändigste pseudointellektuelle Regiethetheater-Aufführung. Dass der Abend nicht so recht zünden wollte liegt auch an dem schlechten Dirigat des Generalmusikdirektors Fabio Luisi. Dieser dirigierte laut und uninspiriert. Im Autodafé gab es derartig grosse Unstimmigkeiten zwischen Orchester und Chor, dass in der Pause im Publikum ratlose Gesichter zu sehen waren. Wie mir ein Chorsänger nach der Aufführung erklärte, war ein Teil des Chores Luisis Dirigat gefolgt, ein anderer dem Dirigenten der Bühnenmusik. So etwas dürfte an einem grösseren Opernhaus eigentlich nicht passieren. Aber auch andere Szenen wie der Volksaufstand wurden von Luisi völlig um ihre Wirkung gebracht: das Crescendo welches normalerweise das Publikum aus den Sitzen reisst, hörte sich hier völlig beliebig an... Licht und Schatten gab es gestern bei den Sängern: Vor Beginn der Aufführung gab eine unsympathisch wirkende, blonde Schreckschraube (wohl die Leiterin des Züricher Besetzungsbüros) bekannt, dass Anja Harteros krankheitshalber habe absagen müssen, mit Tamara Wilson jedoch eine vielversprechende Nachwuchsängerin eingesprungen sei. Wilson wirkte wie aus einer Zeit, in der Leibesfülle noch als das Markenzeichen grosser Opernsängerinnen galt: mit warmem reinen Sopran und strahlenden Bögen und bedrückenden Piani gab die sympathische Sängerin eine wunderbare Elisabetta. Auch Marina Prudenskaya war mit kleinem aber sauber geführten Mezzo eine ausgezeichnete Eboli, deren Don Fatale zurecht grossen Jubel erntete. In der Titelrolle dagegen war Ramon Vargas jedoch völlig jenseits seines Zenits. Er klang matt, glanzlos und abgesungen, die Höhe schien dem routinierten Sänger völlig abhanden gekommen. Peter Mattei dagegen ein ordentlicher Rodrigo. Zwar ist er weit von einem Bastianini entfernt, aber die Stimme ist elegant und sauber geführt, lediglich an der Intonation könnte er etwas arbeiten. Seltsam, dass man die zweite Strophe des Duetts Carlo-Rodrigo gestrichen hatte. Blass und müde wirkte gestern René Pape als Filippo. Das war wohl ein schlechter Abend, zumal ich ihn in München in dieser Rolle bereits in wesentlich besserer Verfassung erlebt habe. Rafal Siwek als Grossinquisitor und Ildo Song als Mönch/ Karl V. machten da ihre Sache deutlich überzeugender. Einmal mehr hat das Opernhaus Zürich mit dieser Aufführung bewiesen, dass es unter seiner derzeitigen Leitung nicht mehr zu den weltweit führenden Opernhäusern gehört. Das ist wirklich schade, da gerade diese Inszenierung dazu geeignet wäre, auch einmal gute Sänger ohne RT-Ablenkung nach Zürich zu holen. Das erste Mal, dass mich ein Don Carlo gelangweilt hat.

  • Zitat

    Zitat von Figarooo: Damals war unter dem Dirigenten Zubin Mehta die fünfaktige Fassung der Oper von 1886 gespielt worden. Nun aber hatte die neue Intendanz unter Andreas Homoki den ersten Akt amputiert und auf die Mailänder in der Fassung von 1884 zurückgegriffen.

    Lieber Figarooo,


    zunächst einmal herzlichen Dank für den ausführlichen Bericht. Du hast natürlich recht, auch ich finde, dass ohne den Fontainebleau-Akt etwas fehlt, auch wenn ich hier schon gelesen habe, dass manche ihn für überflüssig halten. Nun ist die Mailänder Fassung ja von Verdi autorisiert und wird auch häufiger als die Pariser Fassung gespielt. Die Inszenierungen des Don Carlos, die ich auf der Bühne gesehen habe, waren Inszenierungen der Mailänder Fassung und auf DVD besitze ich mehrere Inszenierungen, von den auch nur eine den Fontainebleau-Akt enthält.
    Selbs die meisten Opernführer enthalten nur diese und erwähnen oft noch nicht einmal die 5aktige Fassung, was ich für einen Mangel halte.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • An der Rheinoper gab es vor einigen Jahren die 5aktige französische Fassung. Der Hauptgrund warum diese nicht so häufig aufgeführt wird, ist angeblich, daß die meisten Tenöre die Arie im Fontainebleau Akt nicht in ihrem Repertoire haben.

  • An der Rheinoper gab es vor einigen Jahren die 5aktige französische Fassung. Der Hauptgrund warum diese nicht so häufig aufgeführt wird, ist angeblich, daß die meisten Tenöre die Arie im Fontainebleau Akt nicht in ihrem Repertoire haben.


    Beide aufgebotenen Sänger, Wilson und Vargas (sowie auch die Harteros) können den Fontaineblau-Akt und haben diesen bereits häufig gesungen....

  • An der Rheinoper gab es vor einigen Jahren die 5aktige französische Fassung. Der Hauptgrund warum diese nicht so häufig aufgeführt wird, ist angeblich, daß die meisten Tenöre die Arie im Fontainebleau Akt nicht in ihrem Repertoire haben.


    Die Arie ist ja nun das einzige, was Verdi aus dem gestrichenen Akt in die vieraktige Fassung rübergerettet hat (wenn auch leicht verändert). Nein, entweder ist es das lange Duett zwischen Carlos und Elisabeth oder wahrscheinlicher die Angst vor der Überlänge - ein Frevel ist es in jedem Fall, den ersten Akt nicht zu spielen, der ist inhaltlich und musikalisch zu wichtig - und überdies auch sehr eindrucksvoll, wenn man ihn nicht zu sehr verstümmelt und amputiert.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • An der Rheinoper hat der Don Carlo um 18, 30 Uhr angefangen und hat gegen 23.00 Uhr geendet.


    Ja, das sind viereinhalb Stunden. Ungekürzt mit zwei Pausen kommt man auch locker auf fünf Stunden - für Verdi eine ungewöhnliche Länge.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"