Das Hammerklavier als moderner Konzertflügel. Daniel Barenboims Maene-Flügel


  • Programm:


    D. Scarlatti: Klaviersonaten K. 9, 59, 380
    Beethoven: 32 Variationen über ein Originalthema WoO 80
    Chopin: Ballade Nr. 1
    Wagner / Liszt: Feierlicher Marsch zum heiligen Gral aus Parsifal
    Liszt: Funérailles, Mephisto-Walzer Nr. 1


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    Chris Maene


    Hammerklavier oder moderner Konzertflügel? Die Auffassungen auch von Klavier-„Experten“ gehen hier weit und meist ziemlich unversöhnlich auseinander. Da gibt es einmal die Originalklang-Verfechter, welche die Ansicht vertreten, dass vor 1860 komponierte Musik unbedingt auf einem solchen historischen Instrument gespielt werden müsse, die Wiedergabe auf einem Steinway von heute deshalb eine Art Transkription darstelle. Selbst Pianisten wie Andras Schiff, die eigentlich nicht zu den Hammerklavier-Spezialisten gehören, neigen neuerdings zu dieser Auffassung. Dem stehen die „Modernisten“ gegenüber, welche das Hammerklavier für einen nur nicht ausgereiften, modernen Konzertflügel und seinen historischen Klang deshalb für unattraktiv halten. So bekannte etwa Alfred Brendel, dass für ihn das Hammerklavier schlicht „uninteressant“ sei.

    Daniel Barenboims von Chris Maene neu konstruierter Flügel zeigt, dass die „Wahrheit“ in dieser Streitfrage doch in wesentlicher Hinsicht neu zu verhandeln ist. Anstoß für diese seit langem wohl interessanteste Neuerung im Klavierbau war ein Besuch des Pianisten im italienischen Siena, wo er Franz Liszts von Roberto Valli gebauten Bechstein-Hammerflügel von 1860 anspielen konnte. Barenboim war so fasziniert von den klanglichen Registern des historischen Bechstein, dass er auf die Idee kam, dass es doch möglich sein müsse, die bautechnischen Besonderheiten des alten Instruments mit den Entwicklungen des modernen Klavierbaus zu verbinden und damit eine bislang noch nie versuchte Symbiose zu erreichen: so etwas wie Hammerklavier-Klang auf dem modernen Konzertflügel. Dabei sollten alle Errungenschaften des Klavierbaus von heute genutzt und auf diese Weise die „Schwächen“ der alten Instrumente überwunden werden. Wohl Dank Barenboims Reputation war Steinway bereit, sich auf dieses Experiment einzulassen und schlug den belgischen Klavierbauer Chris Maene vor, der bislang auf den Nachbau von historischen Instrumenten spezialisiert war. Maene hatte für Steinway zum 150. Firmenjubiläum 2003 Heinrich Steinways Hammerflügel rekonstruiert, einen modernen Konzertflügel aber bislang noch nie gebaut. Die Vorgabe war, dass die Mechanik eines modernen Steinway-Flügel verwendet wird, so dass sich das Instrument was die Spielbarkeit angeht von einem heute üblichen Konzertflügel nicht unterscheidet.


    Die bauliche Entwicklung des Maene-Flügels hat der Düsseldorfer Pianist Ratko Delorko in einem instruktiven Artikel detailliert dargestellt („Neuigkeiten aus alter Zeit. Der Maene-Barenboim-Flügel“, in: Piano News, 1/2016). Delorko als passionierter Hobby-Koch macht einen humorigen und zugleich einleuchtenden Vergleich: Der moderne Steinway-Flügel gleicht einem Eintopfgericht, was sehr schmackhaft ist, wo auch die einzelnen Gemüse klar erkennbar bleiben, dabei jedoch immer auch etwas vom Geschmack des anderen annehmen. Dagegen ist es beim Hammerklavier so, als ob die Gemüse alle einzeln gekocht und hinterher getrennt auf dem Teller serviert werden.


    Der bautechnische Grund dafür liegt in einem Steinway-Patent von 1859, der überkreuzenden Besaitung, die sich heute allgemein als Standard im Flügelbau etabliert hat. Was so erreicht wird ist ein homogener Mischklang. Unterstützt wird dies durch quer zur Besaitung verlaufende Holzfasern des Resonanzbodens, kräftige Rippen, die ebenfalls quer zur Faserung des Holzes verlaufen und einen Steg, der möglichst wenig Kontakt mit dem Resonanzboden hat, so dass sich der Schall möglichst gleichmäßig in alle Richtungen ausdehnen kann. Genau das ist fundamental anders bei einem Hammerflügel. Dieser weist vor allem eine nicht überkreuzende, sondern parallele Besaitung auf, die mit dem Resonanzboden und seiner Längsausdehnung der Holzmaserung parallel geht. Die Ausbreitung des Schalls ist damit auf die Längsrichtung gleichsam fokussiert, wogegen die Querausbreitung nahezu unterbunden wird. Die Folge davon ist, dass wie bei einer Orgel vergleichbar klangliche „Register“ entstehen, also statt Homogenität getrennte Klangräume für Sopran, Alt, Tenor, Bariton und Bass.


    Barenboim bestand vor allem auf dieser für den Hammerflügel typischen parallelen Besaitung – dies jedoch ist lediglich die Seite des historischen Nachbaus. Die einzigartige „Symbiose“ des Maene-Flügels entsteht erst dadurch, dass er nicht zuletzt eine wesentliche Neuerung des modernen Klavierbaus übernimmt, welche die doch empfindliche Schwäche des alten Hammerflügels zu kompensieren vermag. Hammerklavierklang krankt an seiner Unausgewogenheit, demjenigen Aspekt klavierbautechnischer Unvollkommenheit, der sich – Originalklang hin oder her – einfach nicht wegdisputieren lässt. Demonstrieren lässt sich das etwa an der lyrischen Episode aus dem berühmten Trauermarsch in Chopins Klaviersonate op. 35. Dort soll die Melodiestimme „sostenuto“, also tragend-getragen über der Begleitung gleichsam schweben – und das auch noch im zarten leisen Piano. Was der Notentext hier fordert, ist homophone Hierarchie von Melodiestimme und Bass-Begleitung. Genau das aber ist auf dem historischen Hammerflügel schlicht nicht realisierbar. Der Melodieton im Piano „trägt“ nicht, so dass der Interpret die Melodie im kräftigen Mezzoforte spielen und letztlich die Stimmenhierarchie der Logik des Notentextes sich widersetzend umkehren muss: Auf dem Hammerklavier wird die Bassbegleitung zum tragenden Fundament der Melodie, der Klang baut sich also von unten nach oben statt von oben nach unten auf.


    Dass der Maene-Flügel den Registerklang des Hammerflügels mit der Ausgewogenheit des modernen Flügels symbiotisch zu vereinen vermag, liegt u.a. darin, dass er eine andere wegweisende klavierbautechnische Errungenschaft von Steinway nutzt: die 1872 patentierte Duplex-Skala. Ihr Sinn ist es, die vorderen und hinteren Saitenteile, die sonst nicht frei ausschwingen können, zum Mitschwingen anzuregen. Dieser Duplex-Skala verdankt der Steinway nicht zuletzt seinen so typischen, atmosphärischen und obertonreichen Klang im Diskant. Nur hat diese Duplex-Skala auch ihre Tücken, wie ich es kürzlich bei einem Konzert im Düsseldorfer Palais Wittgenstein miterleben – um nicht zu sagen (mit dem wahrlich bedauernswerten Pianisten!) miterleiden – konnte. Der komplette Diskant des dort leider unzulänglich gewarteten Steinway C bekam eine gläserne, klirrende Härte, die wie Glas in die Ohren schnitt. Der Maene-Flügel greift nicht zuletzt deshalb auf die Luxus-Variante der Duplex-Skala zurück, wie sie in den exquisiten Instrumenten von Fazioli verbaut ist, wo die Duplex-Skala im Unterschied zu Steinway nicht fixiert, sondern variabel für alle Einzeltöne stimmbar ist.


    Hält nun der Maene-Flügel klanglich das, was er verspricht? Barenboim beginnt sein Programm mit drei Scarlatti-Sonaten, welche die außergewöhnlichen Fähigkeiten dieses Instruments gleich eindrucksvoll unter Beweis stellen. Ungemein farbig und vor allem glasklar und sauber fächert das Instrument das Klangbild auf, reich an Klangfarben und auch sehr fein abgestuft bis ins zarteste Pianissimo. Der Vergleich mit Registern ist hier in der Tat angebracht. Dies betrifft nicht zuletzt die dynamische Abstufung, die eindringlich plastisch und terrassenförmig das Forte dem Mezzoforte gegenüber heraushebt. In keiner Weise klingt dieses Instrument irgendwie unausgewogen „basslastig“ und stumpf im Diskant wie ein historischer Hammerflügel. Der Soustain-Effekt ist geradezu exzellent – der Ton im Diskant „steht“ und klingt weit ausschwingend aus.


    Gerade bei Scarlatti ist der Vergleich mit Vladimir Horowitz´ unvergleichlichen Aufnahmen aufschlussreich, denn dadurch werden die so unterschiedlichen klanglichen Eigenarten der modernen überkreuzenden Besaitung und der geraden des Maene-Flügels deutlich.



    Bei Horowitz bekommt Scarlattis Musik atmosphärischen Duft und Zauber, eine flimmernde und vibrierende Atmosphäre vergleichbar einem impressionistischen Gemälde von Claude Monet. Barenboims Maene-Flügel dagegen erzeugt eher die Farbdramaturgie eines realistischen Courbet-Gemäldes. Statt des Atmosphärischen ergibt sich so ein sehr viel mehr erdiger und irdischer Klang kontrastreich gegeneinander abgesetzter Farben. Seine großen Stärken – ja man muss sagen seine Überlegenheit – zeigt der Maene-Flügel aber nicht zuletzt bei Wagner und Liszt, wo der Bassbereich zum musikalischen Ereignis wird. Hier erlebt man geradezu dramatisch den Verlust, der sich mit dem heute etablierten Steinway-Klang ergeben hat. Der Bass des Maene-Flügels hat nicht nur Tiefe, es öffnet sich ein ganzer Bass-Raum als eigene Welt, vergleichbar den tiefen Registern einer Orgel. So farblich reichhaltig und perspektivenreich in den tiefen und tiefsten Lagen, so mächtig und expressiv klingt das, dass der überschlanke Steinway-Bass im Vergleich wie eine Reduktion wirkt. Nun versteht man, warum es kein Zufall war, dass Pianisten vergangener Tage wie Alfred Cortot oder Wilhelm Kempff sich auf dem modernen Steinway nicht anders zu helfen wussten als immer mal wieder zu Bass-Oktvierungen zu greifen, um den tiefen Tönen des Pianos jene Dämonie zurückzugeben, die sie auf dem Hammerflügeln einst hatten. Was den Maene-Flügel angeht muss man seine Balance bewundern: Bassmächtigkeit wird hier anders als beim historischen Hammerflügel niemals zur unproportionalen Übermächtigkeit. Damit wird vor allem eines nicht nur deutlich, sondern überdeutlich: Die Entwicklungen und bautechnischen „Fortschritte“ des modernen Flügels sind nicht nur als Gewinn zu verbuchen, sie haben eben auch eine nicht unerhebliche Verlustseite.


    Sicher klingt dieser Flügel ganz anders als die uns heute geläufigen Instrumente – anders nicht nur als ein Steinway, anders auch als ein Bechstein, ein Yamaha, ein Fazioli oder ein Bösendorfer. Ich persönlich muss mich an den Klang des Maene-Flügels nicht gewöhnen, er überzeugt mich und nimmt mich gefangen schon mit den ersten Tönen der Scarlatti-Sonate zu Beginn. Es gibt allerdings manche Momente, wo ich dann doch geneigt bin, den Steinway-Klang zu vermissen. Da hätte man doch im oberen Mittentonbereich etwas von jener Aura des Mischklangs, mit welcher ein Instrument mit überkreuzender Besaitung den Hörer verzaubern kann, wenn etwa in der Einstimmigkeit der Ton doch sehr trocken und nüchtern nur als das klingt, was er ist: ein isolierter Ton. Aber mit den Flügeln ist es wohl so wie sonst auch im Leben: Man kann nicht alle guten Dinge zugleich haben wollen, sondern muss sich letztlich von Fall zu Fall entscheiden. Die klangliche Alternative, die sich mit dem Maene-Flügel aufgetan hat, sie lässt sich jedenfalls nicht mit „richtig“ oder „falsch“ bewerten, sondern bleibt letztlich die Entscheidung für die eine oder andere Ästhetik. Ob man eher den homogenen Mischklang der überkreuzenden Besaitung bevorzugt oder die Distinktheit vielfältiger Klangregister dieses Hammerflügels im modernen Gewand – der Musiker hat nun die Wahl, sich ein Instrument zu wählen passend zu den ästhetischen Eigenschaften der jeweiligen Musik. Seit langem jedenfalls ist das eine klavierbautechnische Errungenschaft, welche eine echte Alternative aufzeigt.


    Zu Barenboims Vortrag wäre zu sagen, dass in jedem Moment zu spüren ist, dass da jemand seine große Erfahrung als Pianist und Dirigent wie überhaupt die ganze musikalische Überzeugungskraft seiner charismatischen Persönlichkeit einzubringen vermag. Man vernimmt eine stets klug durchdachte Dramaturgie in interpretatorischer und klanglicher Hinsicht. Barenboim gebietet über sein Instrument mit der Souveränität des erfahrenen Leiters eines großen Orchesters. Geradezu liebevoll, wie er umsichtig bis ins letzte Detail die Möglichkeiten seines Instrumentes auslotet. Die Tempi sind dabei eher gemächlich und an so mancher Stelle verrät sich allerdings auch, dass Barenboim ein Perfektionist in klaviertechnischer Hinsicht nie war. Darüber zu mäkeln verbietet sich allerdings von selbst angesichts dieser so wunderbar gelungenen Aufnahme. Dass Barenboim in technischer Hinsicht sehr wohl etwas kann, zeigt die heikle Sprungstelle aus dem Mephisto-Walzer, die er geschwinder nimmt selbst als der große alte Horowitz. Barenboim macht aus jeder der von ihm ausgewählten Musiken beglückend erfahrbare Poesie. Ein beängstigend-bedrohliches Oktavengewitter bekommt man von ihm in Funérailles freilich nicht geboten. Man fragt sich aber letztlich: Braucht man das überhaupt auf diesem Instrument? Der klangmächtige Maene-Flügel hat pianistische Kraftakte im Grunde nicht nötig, er lässt sich bedienen wie eine große Orgel von ihrem Organisten, der einfach alle Register zieht zu einer volltönenden Orgelsymphonie.


    :) :) :) :) :)


    Schöne Grüße zum 2. Advent
    Holger

  • Vielen Dank für diese schöne Besprechung, lieber Holger! Ein wirklich außergewöhnliche CD. Pianistisch finde ich sie sehr überzeugend, selten habe ich bspw. in den letzten Jahren den Schluss der ersten Chopin-Ballade so toll gehört. Barenboim versteht die Zusammenhänge und vermag sie auch pianistisch herzustellen, und wie wenige kann er groß angelegte Steigerungen aufbauen und auf den Punkt hin zuspitzen. Rein klanglich finde ich die Beethoven-Variationen schwächer, die Liszt-Stücke hingegen gewinnen immens. Noch besser beurteilen könnte man freilich den Flügel, wenn Barenboim die gleichen Stücke auch auf einem normalen Steinway aufgenommen hätte. Andras Schiff hat das ja mit den Diabelli-Variationen gemacht (allerdings finde ich hier weder die Aufnahme mit dem Hammerklavier noch die mit dem modernen Flügel überzeugend). Hinzu kommt auch, dass Barenboim am Flügel jetzt nicht der ganz große Klangmagier ist, ich finde seinen Ton immer etwas trocken und wenig leuchtend. Das Potenzial des Flügels ist also allein unter seinen Händen vermutlich noch nicht ganz ausgereizt. Barenboim spielt übrigens demnächst an vier Abenden in München die Schubert-Klaviersonaten. Leider im Gasteig mit seiner verschwommenen Akustik. Da die Konzerte auch sehr teuer sind (um den Gasteig zu ertragen, muss man weit vorne sitzen), bin ich noch unschlüssig. Aber letztlich werde ich mir wohl Schubert D.959 anhören - in seiner neuen DG-Aufnahme (auf einem normalen Steinway) spielt er hier die Durchführung im ersten Satz so sinnhaft wie kein anderer mir bekannter Pianist.


    Viele Grüße,
    Christian

  • Noch besser beurteilen könnte man freilich den Flügel, wenn Barenboim die gleichen Stücke auch auf einem normalen Steinway aufgenommen hätte.

    Lieber Christian,


    schön, dass Du Dich auch für diese Flügel-Problematik begeisterst! :) Wenn ich selbst Pianist wäre, würde mir so ein Projekt irgendwie keinen Spaß machen, weil das einfach zwei ganz verschiedene Welten wären. Das wäre so, wie wenn ich bei der Malerei dasselbe Bild in Öl und dann als Aquarell malen würde. Ich würde jedem Instrument seine Zeit geben und dann nach Jahren vielleicht mich an ein anderes setzen und das Stück neu entdecken.



    Hinzukommt auch, dass Barenboim am Flügel jetzt nicht der ganz große Klangmagier ist, ich finde seinen Ton immer etwas trocken und wenig leuchtend.

    Aber irgendwie ist das auch eine Wahlverwandtschaft. Denn der Maene-Flügel ist ja wegen fehlender überkreuzender Besaitung im Klang trocken. Es gibt einfach keinen Mischklang. Das kommt Barenboims Spielweise und Klangkonzept offenbar sehr entgegen. Das merkt man finde ich deutlich. Ein Klangmagier wäre z.B. Arcadi Volodos, aber ob dem dieses Instrument gefallen würde?



    Da die Konzerte auch sehr teuer sind (um den Gasteig zu ertragen, muss man weit vorne sitzen), bin ich noch unschlüssig. Aber letztlich werde ich mir wohl Schubert D.959 anhören - in seiner neuen DG-Aufnahme (auf einem normalen Steinway) spielt er hier die Durchführung im ersten Satz so sinnhaft wie kein anderer mir bekannter Pianist.

    Die Aufnahme kenne ich gar nicht! Und zum Glück ist die Gasteig-Akustik für mich weit weg. :D Aber die Gelegenheit würde ich glaube ich auch nicht verpassen wollen.


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Mein Neffe, der selbst Musik studiert hat, aber nicht bei Tamino angemeldet ist, hat mir dazu geschrieben. Mit seiner Erlaubnis möchte ich einige seiner Gedanken hier einbringen:


    Er meint, das sei »tatsächlich recht interessant« und es dürfte »ein tolles akustisches Erlebnis« sein, Stücke auf so einem Instrument hören zu können. Allerdings hält er es bei der Musik, die er hören möchte, »dann auch eher historisch«. Nachdem es damals einen solchen Flügel schlicht nicht gab, »wurde die Musik weder auf einem solchen gespielt noch für einen solchen geschrieben«. Und auch, wenn man weiß, dass ein Komponist die damals vorhandenen Instrumente teilweise für unzureichend befunden hat, so ist meinem Neffen dennoch der Gedanke, dass ein damaliger Komponist seine Musik vielleicht gern auf genau einem solchen (Maene-)Flügel gehört hätte, »viel zu spekulativ«. Dem kann ich mich nur anschließen, indem ich ergänze, dass der eine oder andere Komponist damals vielleicht doch lieber einen Steinway als einen Maene-Flügel gehabt hätte oder vielleicht einen Synthesizer, wenn er gewusst hätte, was das ist. Mein Neffe weist wohl zu Recht darauf hin, dass die Musik damals trotzdem »für eben diese ›unzureichenden‹ Instrumente geschrieben« worden ist, »und zwar in vollem Bewusstsein, dass es möglicherweise ›unvollkommener‹ klingt als auf einem (nicht vorhandenem) ›besseren‹ Instrument«. Hier höre ich nun gleich den Einwand, dass sich ein Komponist durchaus Klänge und Möglichkeiten vorstellen konnte, die erst mit einem neueren, ›besseren‹ Instrument umsetzbar sind. Aber wenn ein Komponist nicht völlig abstrakt komponiert hat (geht das überhaupt oder hätte er dann von Geburt an taub sein müssen?), dann hatte er unweigerlich auch die Instrumente seiner Zeit ›im Ohr‹. Er wäre zwar einerseits vielleicht glücklich über manche oder viele oder sogar die meisten Eigenschaften eines heutigen Instrumentes (oder er würde sich das ›ideale‹ Instrument auch ganz anders wünschen). Andererseits hat er eben nicht im luftleeren Raum geschrieben und mehr oder weniger große Teile einer Komposition nehmen wohl Rücksicht auf die Möglichkeiten des damaligen Instruments (und würden, auf einen heutigen Flügel hin komponiert, auch zur damaligen Zeit ganz anders ausgefallen sein).


    Mein Neffe versucht nun einen Vergleich mit folgender Problematik: Eine normale klassische, elektrische oder Western-Gitarre »kann aufgrund der Beschaffenheit und Anordnung der Bundstäbchen auf dem Hals niemals ganz korrekt in temperierter Stimmung« klingen, weil dafür die Bundstäbchen nicht gerade, sondern »gezackt und schräg« sein müssten. Und es gebe tatsächlich »Gitarren (besonders manche E-Gitarren), die entsprechende Bundstäbchen haben«. Ein Demo-Video auf YouTube hat meinem Neffen dann aber gezeigt, dass das im Ergebnis »alles andere als wünschenswert« war. Der Klang habe sofort »an Gitarrensimulationen aus Keyboards oder Software-Instrumenten erinnert«, war »zu künstlich«, einfach nicht mehr der charakteristische Gitarrenklang, weil sich ja auch das Obertonverhalten damit verändere. So würde mein Neffe jedenfalls keine Gitarrenmusik hören wollen. Nun habe man gerade in der Pop- und Rockmusik bzw. allgemein der »aktuellen« Musik dank der Originaleinspielungen der Künstler meist die Möglichkeit, die Stücke »im Originalklang«, also »historisch korrekt«, zu hören. »Kaum ein Künstler würde wohl sagen, ›Jetzt, wo es solche Gitarren gibt, spiele ich doch meine Hit-Alben der letzten 30 Jahre damit alle nochmal neu ein‹, und auch kaum ein Hörer würde das wohl hören wollen.«


    Das ließe sich »ewig fortsetzen«. So sind technischen Möglichkeiten in Studios heute auch »entschieden besser als vor beispielsweise 45 Jahren, und hätte man diese Möglichkeiten vor 45 Jahren gehabt, hätte man sie mit Sicherheit auch genutzt«. Aber dann klänge Led Zeppelin IV eben auch ganz anders und »hätte sicherlich nicht denselben Charme« – vielleicht »einen anderen Charme, aber nicht diesen«. Und wie wichtig das ist, ergibt sich ja schon daraus, dass man »die quasi zu perfekten technischen Möglichkeiten durch Simulationen alter ›unvollkommener‹ Bandmaschinen etc.« ausgleicht, »um den willkommenen unvollkommenen Klang auch heute noch möglich zu machen«. Auch bei Live-Auftritten »verwendet man immer noch technisch völlig veraltete Marshall-Röhrenverstärker für die Gitarren«.


    Hier führt mein Neffe nun ergänzend aus, dass Pop- und Rockalben »wie Museumsstücke behandelt [werden], ebenso Pop- und Rock-Instrumente«, wo »alles willkommen [ist], was möglichst ›vintage‹ und ›historisch korrekt‹ ist«. Gesetzt den Fall, es träfen hier nun zwei Cover-Interpreten aufeinander, von denen der eine mit »historischer korrekter« und der andere mit «moderner« Einstellung spiele. Wenn nun der »historisch korrekte« sagen würde, sein Kollege müsse »Led Zeppelin auf einer 59er Gibson Les Paul über einen Marshall Super Lead spielen, sonst klingt es nicht wie es soll«, und der »moderne« Kollege würde entgegnen, dass er lieber seine »neu entworfene Gitarre mit den gezackten Bundstäbchen« nehme und damit »direkt in die High-End-Verstärkersimulation auf dem Computer« spielen würde, dann »würde wohl nahezu jeder, der auch nur ein kleines bisschen was von Led Zeppelin hält, SOFORT und völlig ohne Diskussion […] dem ›historisch korrekten‹ Interpreten zustimmen, das wäre ja gar keine Frage.« Und mein Neffe schließt mit den Worten: »Aber in der Klassik … nun ja …«

  • Lieber Dieter,


    herzlichen Dank - auch an Deinen Neffen! Wirklich ein toller Beitrag, sehr engagiert, sehr anregend! Es wäre schön, wenn sich daran vielleicht doch eine rege Diskussion anknüpfen würde. :) :) :)


    Einige Gedanken habe ich mir auch gemacht.


    Aus dem historischen Rückblick stellen sich die Dinge doch letztlich anders dar. Wir heute vergleichen "den" modernen Konzertflügel mit "dem" Hammerklavier". Um 1830 oder 1860 sah es insofern anders aus, als es eine Fülle von klavierbaulichen Entwicklungen gab, wo niemand abschätzen konnte, welche sich nun in der Folge durchsetzt. Bezeichnend das Steinway-Patent der überkreuzenden Besaitung. In der Betrachtung des Maene-Flügels wird das zum entscheidenden Gesichtspunkt - entweder gerade oder überkreuzende Besaitung. Aber damals konnte schlicht kein Mensch voraussehen, dass dieses Patent im Laufe der Geschichte des Klavierbaus eine solche Bedeutung erlangen würde. Es hätte ja auch anders laufen können - dies eine mehr oder wneige skurrile Erfindung bleiben können. In dieser Zeit gab es eine unglaubliche Dynamik im Klavierbau - und die Richtung der Entwicklung war völlig offen. Das haben die Komponisten damals auch hautnah sozusagen miterlebt - sie waren Teil eines solchen Prozesses. Deswegen finde ich es problematisch, von "dem" Hammerklavierklang zu sprechen. Denn sicher gab es damals viel größere Unterschiede im Klang der einzelnen Instrumente als heute. Heutzutage haben wir den monotonen Steinway-Einheitsklang in den Konzertsälen, davon konnte damals keine Rede sein. Liszt z.B. spielte grundsätzlich einen Flügel aus dem Land, wo er gerade auftrat. Entsprechend war der Klang immer anders. Da ist dann die Frage eigentlich kaum zu beantworten: Für welches Instrument hat er nun komponiert, für einen Bechstein, für einen Erard, für einen Bösendorfer usw.? Letztlich ist jedes Instrument eine Art Synthese und Kompromiß. Der moderne Konzertflügel stellt ja nun das Produkt von Entwicklungen dar, die aus dem 19. Jhd. stammen. Dann kann man ja auch fragen: Warum hat sich denn diese technische Neuerung durchgesetzt und andere Konzepte verdrängt?


    Für mich ist ein Instrument erst einmal eines, was mir bestimmte Möglichkeiten bietet oder nicht. Mein ehemaliger Lehrer und Freund Franz-Josef sagte mir angesichts seiner Aufnahme auf einem Bösendorfer-Imperial in Bezug auf Mozart: "Mit dem Bösendorfer kann ich bei Mozart Dinge machen, die gehen auf dem Steinway einfach gar nicht." Das ist letztlich bei jedem Instrument so. Ich finde den Maene-Flügel faszinierend nicht weil ich glaube, dass dieser Klang irgendwie "historischer" ist, sondern weil hier eine Möglichkeit des Klavierbaus sozusagen wieder auferstanden ist und zum Leben erweckt wurde. Ein bestimmter wirklich faszinierender Klang war verschwunden durch eine bautechnische Entwicklung, der aber eine Möglichkeit ist, was der Klang eines Flügels auch sein kann. Bei jedem Instrument muss man umdenken - im 18. Jhd wurde Musik für Pianoforte auch noch auf dem Cembalo gespielt wie z.B. Mozart es noch tun konnte. Da die Komponisten damals die Erfahrung mit sehr unterschiedlichen Instrumenten hatten, kann man letztlich auch in der Partitur jeweils Elemente finden, was auf dem einen oder anderen Instrument besser gehen. Dass Musik von den Komponisten damals nur für ein Instrument geschrieben wurde, halte ich angesichts der damals gegebenen Vielfalt der Instrumente und der Dynamik des Instrumentenbaus für wenig plausibel. Ich finde es gerade interessant, Musikwiedergabe nicht als blosse Reproduktion, sondern als ein schöpferischer Akt anzusehen.


    Herzlich grüßend
    Holger

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  • Das, was Du über die Entwicklung im Klavierbau schreibst, über die Vielfalt der (Hammerklavier-)Instrumente und so weiter, ist mir bekannt. Und da »die Komponisten damals die Erfahrung mit sehr unterschiedlichen Instrumenten hatten, kann man letztlich auch in der Partitur jeweils Elemente finden, was auf dem einen oder anderen Instrument besser gehen«. JLang hat dies in Beitrag 44 der Hammerklavier-Diskussion im Februar (Das Hammerklavier - ein klanglicher Irrtum?) so beschrieben: »Ich kann nur sagen, dass ich die Schubert Sonaten gut zu kennen glaubte und dann Padura-Skoda auf historischen Instrumenten gekauft habe. Ich kann mich nicht entscheiden, was ich in der Breite besser finde, es kommen jeweils andere Passagen besonders zum Tragen.« Letztlich passt das ja auch dazu, wenn Du schreibst, die Auffassung, Musik sei »von den Komponisten damals nur für ein Instrument geschrieben« worden, sei »angesichts der damals gegebenen Vielfalt der Instrumente und der Dynamik des Instrumentenbaus […] wenig plausibel«. Und das hat mich letztlich auch dazu bewogen, Interpretationen älterer Musik auf einem modernen Flügel nicht mehr von vorneherein abzulehnen.


    Nur am Rande: Mein Neffe weist zu Recht darauf hin, dass er ja auch nicht behauptet hat, die Musik sei immer für ein bestimmtes Instrument geschrieben. Er meint aber, »dass die Musik wohl primär für Instrumente, die man damals auch spielen konnte, gedacht war, und nicht für noch nicht entwickelte Instrumente und Technologien«. Und er ergänzt: »Dass man den Maene-Flügel ›trotzdem‹ interessant finden und den Klang mögen darf, ist ja völlig klar – und auch dass es damit bestimmt leichter zu fallen scheint, bestimmte Anweisungen im Notentext genau zu befolgen, als auf dem Hammerflügel.«


    Wobei es mich – wie unwesentlich dieses Detail ist, mag ich nicht beurteilen – interessieren würde, wie es sich beim Maene-Flügel beispielsweise mit dem Anschlag und dem Tastenhub verhält: Ich weiß nicht mehr, welcher bekannte Pianist mal gesagt hat, dass man bestimmte Notenfolgen nur auf einem Hammerklavier richtig spielen könne, weil das leichtgängiger sei und um etwa ein Drittel weniger Tastenhub habe. Und eine weitere Frage: Wie sieht es da mit der Balance etwa innerhalb eines Klaviertrios aus, wo man mit dem Hammerklavier ein Forte wirklich so spielen kann, während man mit dem modernen Flügel die Streichinstrumente damit zudecken würde und sich deshalb gegen den Notentext zu sehr zurückhalten muss?


    Zurück zu den Überlegungen meines Neffen. Holger schreibt über Chopins Klaviersonate op. 35:

    Zitat

    Dort soll die Melodiestimme „sostenuto“, also tragend-getragen über der Begleitung gleichsam schweben – und das auch noch im zarten leisen Piano. Was der Notentext hier fordert, ist homophone Hierarchie von Melodiestimme und Bass-Begleitung. Genau das aber ist auf dem historischen Hammerflügel schlicht nicht realisierbar.


    Worauf mein Neffe antwortet: »Gut, das verleitet nun zwar zu der Annahme, dass Chopin die Sonate auf dem Maene-Flügel bestimmt super gefunden hätte, weil sich seine Intention scheinbar besser darauf umsetzen lässt – aber zu Chopins Zeit waren eben nur Instrumente verfügbar, die eben zu Chopins Zeit verfügbar waren, auch wenn diese schon unterschiedlichster Natur waren. Welche davon Chopin zur Verfügung standen, weiß ich selbst nicht, aber so etwas lässt sich ja herausfinden und ist in der Chopin-Forschung mit Sicherheit auch zumindest einigermaßen bekannt. Klingt jetzt blöd, aber der Maene-Flügel war auf jeden Fall nicht dabei. Also muss man annehmen, dass Chopins Anweisungen historisch korrekterweise (was nicht gleichzusetzen ist mit ›für das bestklingende Ergebnis‹) so umzusetzen sind, wie sie sich auf den Klavieren seiner Zeit eben überhaupt haben umsetzen lassen. Anders kannte es Chopin nämlich auch nicht. Und irgendetwas muss ihn ja trotzdem dazu bewegt haben, solche ›widersprüchlichen‹ Anweisungen in den Notentext zu schreiben.«


    Weiter: »Und allgemein sind Vorgaben zum Vortrag und zur Dynamik ja sowieso immer im Kontext des verwendeten Instruments (und seiner Einschränkungen) zu verstehen. Dass ein Fortissimo auf einer Ukulele nicht so laut ist wie auf einer Pauke, ist ja klar, die Relation ist ganz anders. Dass der Dynamikumfang auch von Instrumenten ähnlichen Typs ebenfalls sehr unterschiedlich sein kann, ist ebenso klar. Auch dass man als Interpret oder Hörer manchmal das Gefühl hat, bestimmte Stellen oder Angaben seien so eigentlich nicht zu bewerkstelligen, ist bekannt. Man denke nur an angeblich unspielbare oder unsingbare Stellen bei Wagner. Trotzdem ist das alles nicht (gut, bei Wagner ja irgendwie doch) als ›Zukunftsmusik‹ konzipiert, sondern zur Aufführung in einem für den Komponisten realistisch vorstellbaren Kontext (also auch auf entsprechenden Instrumenten) gedacht. Da sehe ich die Herausforderung eher darin, sich darüber Gedanken zu machen, wie man es trotz der Unzulänglichkeiten des historischen Instrumentes schafft, die Anweisungen im Kontext des Instrumentes geschickt und musikalisch umzusetzen. Zu sagen, naja, dann nehme ich halt ein anderes neueres Instrument, auf dem das leichter zu machen ist, ist mir (stark vereinfacht ausgedrückt) zu einfach. Darf man ja gerne machen, aber ich finde es gerade andersrum interessanter.«


    Und ich ergänze, dass gerade da, wo ein moderner Flügel vielleicht müheloser und sauberer klingt, meinen Ohren der Hammerflügel mit den »Unzulänglichkeiten« (aber schon allein diese Wertung ist problematisch) »richtiger« erscheint, der Musik angemessener. Das geht mir übrigens auch so bei Streichquartetten.

  • Wobei es mich – wie unwesentlich dieses Detail ist, mag ich nicht beurteilen – interessieren würde, wie es sich beim Maene-Flügel beispielsweise mit dem Anschlag und dem Tastenhub verhält: Ich weiß nicht mehr, welcher bekannte Pianist mal gesagt hat, dass man bestimmte Notenfolgen nur auf einem Hammerklavier richtig spielen könne, weil das leichtgängiger sei und um etwa ein Drittel weniger Tastenhub habe.


    Lieber Dieter,


    herzlichen Dank wiederum - ich werde später noch ausführlicher mich melden! :hello:


    Der Maene-Flügel hat einen Tastentiefgang, der um 5 Millimeter geringer ausfällt als bei einem modernen Steinway. Und die Tasten sind schmaler, die ganze Klaviatur ist 7 cm weniger breit, so das eine Oktave statt 19 cm nur 17,8 cm Griffweite hat. Berühmt sind die Oktavglissandi aus Beethovens Waldsteinsonate (op. 53), die sich mit einem Hammerflügel mit verringertem Tastentiefgang viel leichter spielen lassen. Aber die Meister von heute kriegen das auch hin auf dem modernen Instrument - wie Emil Gilels im Höllentempo sogar. Horowitz schüttelt deswegen auf seinem speziellen Steinway aus den 40ger Jahren (allerdings auch mit verringertem Tastentiefgang! :D ) die Oktaven einzeln aus dem Handgelenk, spielt also gar kein Glissando.


    Bis nachher mit lieben Grüßen
    Holger

  • Worauf mein Neffe antwortet: »Gut, das verleitet nun zwar zu der Annahme, dass Chopin die Sonate auf dem Maene-Flügel bestimmt super gefunden hätte, weil sich seine Intention scheinbar besser darauf umsetzen lässt – aber zu Chopins Zeit waren eben nur Instrumente verfügbar, die eben zu Chopins Zeit verfügbar waren, auch wenn diese schon unterschiedlichster Natur waren. Welche davon Chopin zur Verfügung standen, weiß ich selbst nicht, aber so etwas lässt sich ja herausfinden und ist in der Chopin-Forschung mit Sicherheit auch zumindest einigermaßen bekannt. Klingt jetzt blöd, aber der Maene-Flügel war auf jeden Fall nicht dabei. Also muss man annehmen, dass Chopins Anweisungen historisch korrekterweise (was nicht gleichzusetzen ist mit ›für das bestklingende Ergebnis‹) so umzusetzen sind, wie sie sich auf den Klavieren seiner Zeit eben überhaupt haben umsetzen lassen. Anders kannte es Chopin nämlich auch nicht. Und irgendetwas muss ihn ja trotzdem dazu bewegt haben, solche ›widersprüchlichen‹ Anweisungen in den Notentext zu schreiben.«


    Machen wir also weiter, lieber Dieter.


    Meine argumentative Entgegnung :P :


    Eine Aufnahme, auf die ich mich beziehe, ist ja auf Chopins Flügel gemacht. Chopin gab bekanntlich fast keine Konzerte, d.h. er war viel mehr auf sein Instrument fixiert als etwa Franz Liszt. Warum sollte ein Komponist nun überhaupt etwas im Notentext notieren, was auf seinem Instrument schlicht unrealisierbar ist? Das macht so einfach keinerlei Sinn. Wenn der Maßstab die Umsetzbarkeit auf dem Instrument gewesen sein sollte, das er faktisch zur Verfügung hatte, dann wäre es logisch gewesen, auch eine solche Notentextnotierung zu erstellen, welche auf dem Instrument tatsächlich umsetzbar ist. Wenn der Komponist das aber trotzdem nicht so notiert hat, dann war das offenbar die Aufforderung an die Instrumentenbauer: Schafft mir endlich ein besseres Instrument, auf dem das realisierbar ist. Eine Notentextnotierung kann ja auch als Herausforderung an den Interpreten und Instrumentenbauer gemeint sein, etwas Unmögliches möglich zu machen. Das spricht eindeutig dafür, dass sich die Notentextnotierung an einem imaginativen Ideal orientiert hat und nicht irgendeiner vorhandenen Realität. Natürlich hat auch diese Idealisierung immer eine Realitätsbasis, sie geschieht nicht im luftleeren Raum, aber mit dem Sinn, das real Mögliche auf ein potentiell Mögliches und noch zu Verwirklichendes hin zu überschreiten. Und wenn sich das dann auf einem modernen Flügel einlösen läßt, ist das dann ganz im Sinne des Komponisten - durch die Notentextnotierung evident belegbar. :)


    Weiteres später! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Nur am Rande: Mein Neffe weist zu Recht darauf hin, dass er ja auch nicht behauptet hat, die Musik sei immer für ein bestimmtes Instrument geschrieben. Er meint aber, »dass die Musik wohl primär für Instrumente, die man damals auch spielen konnte, gedacht war, und nicht für noch nicht entwickelte Instrumente und Technologien«.

    Da würde ich dazu sagen, lieber Dieter:


    Im 18. Jhd. gab es die Fixierung auf ein bestimmtes Tasteninstrument sicher nicht, darauf hat Johannes Roehl mal hingewiesen. Bezeichnend kann man eine Mozart-Klaviersonate auch auf einem Cembalo spielen (Gustav Leonhardt macht es z.B.), was Mozart selbst bisweilen auch tat. Im 19. Jhd. ist es anders. Die "Appassionata" oder eine der großen Schubert-Sonaten ist auf einem Cembalo ganz sicher nicht spielbar. Die Problematik sehe ich darin, dass wir nur im historischen Rückblick überhaupt von zwei verschiedenen Instrumenten (Hammerklavier und moderner Konzertflügel) sprechen können. Versetzen wir uns aber in den historischen Kontext, dann war die Entwicklung kontinuierlich und nicht diskontinuierlich. Natürlich hat kein Schubert oder Chopin gedacht, dass seine Musik auf einem völlig anderen Instrument besser gespielt werden kann, aber bei einem, bei dem manches gleich bleibt aber vieles doch anders - und besser - ist. Technologische Neuerungen gab es damals im Klavierbau wie man so schön sagt "alle Nase lang", damit haben die Komponisten sehr wohl gerechnet, davon darf man ausgehen. Wandel war die Normalität, nicht Fixierung auf eine bestimmte Konstruktion. Die verschiedenen Instrumentenbauer haben ja ständig darum gewetteifert, wer das modernste, beste Instrument hat, gerade auch bei den Komponisten.



    Trotzdem ist das alles nicht (gut, bei Wagner ja irgendwie doch) als ›Zukunftsmusik‹ konzipiert, sondern zur Aufführung in einem für den Komponisten realistisch vorstellbaren Kontext (also auch auf entsprechenden Instrumenten) gedacht.

    Das ist musikhistorisch glaube ich ziemlich problematisch. Ferruccio Busoni vertrat die Auffassung, dass das Werk eine "Idee" sei und das in der Partitur aufgeschriebene und auch die Orchestrierung/Instrumentierung historisch vergänglich, nur eine "Transkription" dieser Idee. Deshalb hat Mahler z.B. Schumanns Symphonien neu instrumentiert und dabei einige Richtigstellungen vorgenommen. Schumann z.B. musste manche Stimmen anders setzen als er wollte (auf Anraten von Mendelssohn), weil die damaligen Instrumente so nicht spielen konnten wie es seiner Idee entsprach. Das hat Mahler dann - die Entwicklungen im modernen Instrumentenbau im Hintergrund - korrigiert im Sinne von Schumanns ursprünglicher Intention.


    Man muss sich ja auch fragen, warum die Entwicklung im Instrumentenbau nicht auf dem Stand von 1850 stehen blieb. Etwas Neues setzt sich nur durch, wenn es Erfolg hat. Ich glaube, ein Musiker des 19. Jhd. würde die heutige Vorliebe für das Alte nur um des Alten willen kaum verstehen, er war geradezu süchtig auf jede Neuerung in diesem Bereich. Da hat doch ein Perspektivenwechsel in der Betrachtung stattgefunden - und wir neigen halt dazu, unsere sehr historisch begründete Ansicht in vergangene Epochen hineinzulegen. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Und eine weitere Frage: Wie sieht es da mit der Balance etwa innerhalb eines Klaviertrios aus, wo man mit dem Hammerklavier ein Forte wirklich so spielen kann, während man mit dem modernen Flügel die Streichinstrumente damit zudecken würde und sich deshalb gegen den Notentext zu sehr zurückhalten muss?


    Die Antwort ist aber relativ einfach. Man nimmt einfach keinen großen Steinway D, sondern den kleineren C oder kleinen B oder macht den Deckel zu, das ist auch noch eine Option. :D

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  • Da sehe ich die Herausforderung eher darin, sich darüber Gedanken zu machen, wie man es trotz der Unzulänglichkeiten des historischen Instrumentes schafft, die Anweisungen im Kontext des Instrumentes geschickt und musikalisch umzusetzen.


    Zweifellos ist das eine Herausforderung, keine Frage, lieber Dieter. Die eigentliche Frage ist aber: Aus welchem Interesse heraus tun wir das? Wenn es nur ein historisches Interesse ist, dann ist mir das doch zu wenig. Mal zu hören, wie Chopin und Beethoven auf ihren eigenen Instrumenten geklungen haben, ist sicher interessant. Aber was bringt uns das letztlich an neuen Aussagen? Wie, wenn der Klang des neuen Instrumentes einfach besser ist, sprich überlegen? Warum sollen wir den Mangel höher schätzen als die Erfüllung? Nur weil es historisch ist? Hier bringt der Maene-Flügel dann doch eine überzeugende Antwort, nämlich eine bestimmte Klang-Ästhetik, die eine neue Chance bekommt durch die Symbiose mit den Vorzügen des modernen Instrumentenbaus.


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Als Antwort auf Christians Frage:


    Diese phantastischen Mischklänge - so was geht auf dem Maene-Flügel nicht, das ist eine andere Welt. Wirklich unglaublich gespielt von Arcadi Volodos - wahrlich Klavierspiel als Magie mit Gänsehaut-Effekt. Ich hoffe, ich erlebe das von ihm noch im Konzert und er spielt das irgendwann ein:


    [media]


    Schöne Grüße
    Holger

  • Bei Volodos hört man natürlich auch, wo das Problem des Mischklangs eines solchen Instruments mit überkreuzender Besaitigung liegt. Im Forte und Fortissimo wirds typisch unsauber, es klirrt und es gibt eine "Dampfwolke". Da ist der Maene-Flügel natürlich absolut sauber! Die ideale Konstruktion, die alles kann, gibt es eben nicht! :) 8-)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hier im Film stellt spricht Barenboim und auch kurz Chris Maene:



    Am Ende von Barenboims kurzem Statement kann man schön die Längsbesaitung des Maene-Flügels sehen:



    Auch hier - man sieht sehr schön ebenfalls die Duplex-Skala. Barenboims Antworten sind auch Klasse! Auf die Frage, welchen Flügel Beethoven wohl bevorzugt hätte meint er: Beethoven soll doch kommen und selber auswählen... :D :


  • Janina Fialkowska erklärt hier sehr schön Chopins Pleyel von 1848 - und spielt ihn anschließend. Deutlich merkt man die doch ernorme Entwicklung zum Maene-Flügel hin: Das Instrument hat weder diese Durchsichtigkeit und Klarheit, zeigt die deutliche für den Hammerflügel typische Unausgewogenheit ("Basslastigkeit") und wenn der Ton im Diskant ins Forte geht, wird er gläsern und schrill:


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  • Mein Neffe meint zu Deinen inzwischen eingestellten Beiträgen, Holger, dass das alles sehr einleuchtend erklärt ist, und von daher sieht er keine Veranlassung, sich durch meine Vermittlung bei Tamino dazu weiter auszulassen. Die Video-Links wird er sich demnächst anhören.
    Wie soll ich nun kompetent antworten? Es gibt genügend Pianisten, die das Hammerklavier bevorzugen und das auch gut begründen und denen man nicht unterstellen kann, sie würden das vor allem deswegen tun, weil sie außerhalb dieser »Nische« weniger Aufmerksamkeit bekommen würden. Wer hat hier also mehr »Recht«?
    Mit einer immer wieder gehörten Aussage, der moderne Flügel sei eine Weiterentwicklung und Verbesserung des Hammerklaviers, habe ich aber meine Schwierigkeiten. Ich habe nämlich auch schon kompetente Stimmen gehört, die sagen, dass es sich da um völlig verschiedene Instrumente handelt, die man eigentlich nicht vergleichen könne. Das Hammerklavier (oder besser die verschiedenen Hammerklaviere) sei eben nicht unausgewogener oder »schlechter«, sondern einfach anders. Wenn man freilich mit klassischer Musik und einem heutigen Instrument sozialisiert worden ist, dann mag es allerdings tatsächlich schwer fallen, das so zu sehen bzw. zu hören. Da bin ich, der erst sehr spät zur klassischen Musik gekommen ist, in einer anderen Situation.

  • Mein Neffe meint zu Deinen inzwischen eingestellten Beiträgen, Holger, dass das alles sehr einleuchtend erklärt ist, und von daher sieht er keine Veranlassung, sich durch meine Vermittlung bei Tamino dazu weiter auszulassen. Die Video-Links wird er sich demnächst anhören.

    Lieber Dieter,


    dann bestelle schöne Grüße an Deinen Neffen und bedanke Dich nochmals für seine engagierten Beiträge! :)



    Wie soll ich nun kompetent antworten? Es gibt genügend Pianisten, die das Hammerklavier bevorzugen und das auch gut begründen und denen man nicht unterstellen kann, sie würden das vor allem deswegen tun, weil sie außerhalb dieser »Nische« weniger Aufmerksamkeit bekommen würden. Wer hat hier also mehr »Recht«?

    Das fände ich auch total ungerecht und sogar unfair. Es gibt die Organisten und die Cembalisten, das sind auch Spezialisten. Und diese alten Instrumente haben eine solche Vielfalt, dass man sich wohl darauf spezialisieren muss, wenn man nicht nur sporadisch sich mit diesen Instrumenten beschäftigen will - nicht anders als beim Cembalo. Man kann deshalb Andreas Staier und Anderen nur dankbar sein, dass sie für diese Instrumente eine breite Öffentlichkeit geschaffen und sie so aus der verschämten Exoten-Ecke herausgeholt haben. Zudem es ist auch logisch, wenn es eine Alte-Musik-Szene gibt mit eigenen Ensembles, speziellen Aufführungspraktiken etc., dass dann dazu auch solche Hammerklavier-Spezialisten gehören.



    Mit einer immer wieder gehörten Aussage, der moderne Flügel sei eine Weiterentwicklung und Verbesserung des Hammerklaviers, habe ich aber meine Schwierigkeiten. Ich habe nämlich auch schon kompetente Stimmen gehört, die sagen, dass es sich da um völlig verschiedene Instrumente handelt, die man eigentlich nicht vergleichen könne. Das Hammerklavier (oder besser die verschiedenen Hammerklaviere) sei
    eben nicht unausgewogener oder »schlechter«, sondern einfach anders.

    Ich glaube, hier liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Wenn man betont, dass es sich um zwei völlig verschiedene Instrumente handelt, dann behandelt man den Unterschied von Hammerflügel und modernem Konzertflügel wie den zwischen Cembalo und Klavier. Das führt dann aber leider auch dazu, dass es keine Wechselwirkungen gibt, was die Entwicklung des modernen Klavierbaus angeht. Wenn man dagegen von der Klang-Ästhetik her denkt, dann sind solche Wechselwirkungen möglich, wie der Maene-Flügel eindrucksvoll zeigt. Dann muss man aber auch zugestehen, dass es Verbesserungen im Instrumentenbau gegeben hat. Es ist keine Frage, dass der Hammerflügel "anders" klingt ästhetisch gesehen (klavierbautechnisch durch die gerade und nicht überkreuzende Besaitung erklärbar), aber die Unausgewogenheit im Vergleich mit modernen Instrumenten kann man letztlich nicht verleugnen. Ich persönlich finde es viel spannender und produktiver, wenn die Erfahrung mit Hammerklavier-Klang dazu führt, gewisse - einseitige - Entwicklungen im modernen Klavierbau zu überdenken und bestimmte Dinge wieder aufzugreifen.



    Wenn man freilich mit klassischer Musik und einem heutigen Instrument sozialisiert worden ist, dann mag es allerdings tatsächlich schwer fallen, das so zu sehen bzw. zu hören. Da bin ich, der erst sehr spät zur klassischen Musik gekommen ist, in einer anderen Situation.

    Das verstehe ich natürlich sehr gut. Aber letztlich hat Glockenton mit seinem Einwand auch Recht gehabt, dass man über die Frage: Welches Instrument? - nicht vergessen sollte, was die wirklich wegweisenden Interpretationen gewesen sind und sind. Der Interpret hat das Recht, sich ein Instrument nach seinem Geschmack zu wählen, aber letztlich muss er damit belegen können, damit etwas sagen zu können, was wirklich Gewicht hat. Nur den Bösendorfer-Mozart zu hören um des Bösendorfer willen, reicht letztlich nicht für mein Empfinden. Da muss dann schon ein Gulda z.B. kommen (mit den wunderbaren Mozart-Tapes), um uns mit dem Instrument für Mozart einzunehmen. In Bezug auf den Hammerflügel gilt glaube ich dasselbe. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger