Sergei Prokofjew: Symphonie Nr. 7 cis-Moll Op. 131


  • Briefmarke zum 100. Geburtstag von Prokofjew (UdSSR, 1991)


    Prokofjews siebente und letzte Symphonie entstand in der Spätphase des Stalinismus: Komponiert wurde sie 1951, uraufgeführt schließlich noch zu Stalins Lebzeiten am 11. Oktober 1952 in Moskau durch Samuil Samossud.


    Interessanterweise steht dieses Spätwerk hinsichtlich seiner neoklassizistischen Ästhetik am ehesten in Verbindung mit der bereits 1916/17 komponierten 1. Symphonie, der "Klassischen". Gleichwohl lehnt sich das Werk in seinem märchenhaft-orientalischen Charakter eher an das Œuvre von Rimsky-Korsakow denn an die Wiener Klassiker an.


    Der Vorwurf, sich dem sozialistischen Realismus untergeordnet zu haben, musste sich Op. 131 seit jeher gefallen lassen (das Werk gewann auch 1957 postum den Leninpreis). Gleichwohl wurde die Siebte von Schostakowitsch besonders geschätzt.


    Die Gliederung des Werkes entspricht der klassischen Viersätzigkeit:


    I. Moderato
    II. Allegretto
    III. Andante espressivo
    IV. Vivace


    Es existieren zwei Fassungen des Finales: Um den mit 100.000 Rubel dotierten Stalinpreis zu erhalten, rang sich Prokofjew zu einer energischen und optimistischen Coda durch. Kurz vor seinem Tod äußerte Prokofjew indes, dass das ursprünglich geplante ruhige Finale vorzuziehen sei. Gleichwohl setzte sich die effektvollere Version durch.


    Die erste Aufnahme überhaupt machte Uraufführungsdirigent Samuil Samussod im Jahre 1953 (unter Verwendung der leise ausklingenden Finalcoda). Die erste Aufnahme mit dem opimistischen Schluss spielte Eugene Ormandy mit dem Philadelphia Orchestra im selben Jahr ein. Die erste Stereoaufnahme des Werkes entstand am 4. und 7. Februar 1955 in der Londoner Kingsway Hall mit dem Philharmonia Orchestra unter Nikolai Malko (erste Stereoeinspielung von EMI überhaupt).


    Insgesamt existieren relativ wenige Einspielungen der 7. Symphonie, die nicht im Rahmen von Gesamtaufnahmen entstanden sind. Gleichwohl zählt sie zu den beliebteren der sieben Symphonien von Prokofjew.



    Persönliche Anmerkung: Es ist schon merkwürdig, dass es abgesehen von der alten Roschdestwensky-Aufnahme aus dem Zyklus (Mitte 60er Jahre) keine einzige sowjetische Aufnahme der Siebten in Stereo zu geben scheint. Habe ich eine übersehen? Mrawinsky und Kondraschin mieden das Werk, von Swetlanow soll es zumindest eine Aufnahme mit den Schweden geben (aber die erschien nie auf CD).


    Kitajenko spielte offenbar leider die 6. und 7. mit den Moskauer Philharmonikern nicht mehr ein. Weiß jemand, weswegen? Der "Beinahe-Zyklus" Nr. 1-5 wurde von Wolfgang (teleton) hier ja schon mehrfach besonders hervorgehoben. Sein neuer Zyklus mit West-Orchester interessiert mich eigentlich weniger; der junge Kitajenko war wohl der deutlich interessantere Dirigent.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Was mir heute beim Anhören dieses Werkes auffiel: Es erinnert stellenweise extrem an die Klänge von Rimsky-Korsakows Oper "Der goldene Hahn". Im Speziellen der Prolog und der Epilog des Astrologen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die Siebte Sinfonie […] ist Prokofjews letzte Sinfonie und gleichzeitig sein letztes Werk. Sie hat — ganz der klassischen Norm entsprechend — vier Sätze. Der erste Satz ist ein klar gegliederter Sonatensatz mit drei Themen, die jeweils eine eigene Ausdruckswelt in sich tragen: die Geigen singen das weit gespannte erste Thema (in Moll), „espressivo“, mit glühender Sehnsucht, die jedoch sogleich von einer massiven Gegenstimme der tiefen Streicher konterkariert wird. Das zweite Thema (ebenso pathetisch wie das erste, doch diesmal in Dur) gehört den Blechbläsern, das dritte erinnert an Tschaikowskys „Zuckerfee“; es kommt gleichsam auf Zehenspitzen daher, ist grundiert mit zart-hingetupften Akkorden und mit dem Silberklang des Glockenspiels. Diese drei Themen durchstreifen verschiedene Klanglandschaften, in denen Prokofjew die ganze Farbpalette des Orchesters nutzt.
    Der zweite Satz ist ein elegischer Walzer. Immer wieder wird er in seinem eleganten Schwung durchbrochen: von eingeschobenen Zweier-Rythmen, geradezu aggressiv von heftigen Paukenschlägen oder von lärmenden Klanggrimassen der Posaunen. Zwischendurch rappelt sich der Walzer wieder auf, und die einzelnen Instrumente treten mit Soli hervor wie Personen: die Geigen und Klarinetten, die Oboe und das Englischhorn. Den Sieg tragen jedoch die subversiven Stimmen davon: mit geradezu grellem Zirkuslärm, Klingeling und Tschingderassabum klingt der Satz aus.
    Schmerzvolle Seufzerfiguren prägen den dritten Satz. Die melancholischen melodischen Gedanken (in ihrer Schlichtheit stehen sie an der Grenze zur Banalität) sind dabei in kleinste musikalische Bausteine aufgefächert und changieren kaleidoskopartig zwischen verschiedenen Klangfarben. Ein unaufgelöster Dissonanzvorhalt beendet den Satz mit einem leisen Fragezeichen. Das Finale galoppiert energisch drauflos, hier zeigt sich ganz ungezügelt Prokofjews Vorliebe fürs Motorische und für überraschende melodische Wendungen. Blitzartig wechselt der Gestus der Musik: Sehnsuchtsvolle Passagen verwandeln sich plötzlich mit einer beinahe grotesken Kraft in Triumphmärsche, große Klangtableaus mit saftig-dickem Orchestersatz (sie zehren von Prokofjews Erfahrung als Filmkomponist) verschlanken sich überraschend in zarte Holzbläser-Aquarelle und marionettenhaft zuckende rythmusbetonte Passagen.


    (Programmheft zum Konzert des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg vom 6. Dezember 2013 im Konzerthaus Freiburg)


    Der ukrainische Dirigent Kirill Karabits charakterisiert die 7. Symphonie von Prokofjew als „ein überaus tragisches Werk“. Es habe sich nur vordergründig an Kinder gerichtet; vielmehr habe es Prokofjew ermöglicht, eine simple Sprache zu verwenden, die „unbeeinträchtigt von politischem Druck und politischen Beurteilungen“ geblieben sei. Nach Karabits gedenkt Prokofjew hier seiner eigenen Jugendzeit, eine Art „Abschiedsgruß“. Auf das Auftauchen des Astrologenthemas aus dem „Goldenen Hahn“ am Ende des ersten Satzes und am Ende des Werkes geht er ebenfalls ein: „Für mich klingt diese Musik wie eine Erinnerung an Prokofieffs glückliche Jugendzeit, die im ersten Satz auftaucht und dann ganz am Ende zurückkommt.“


    (Zitiert nach dem Programmheft zu Prokofiev: Symphonies Nos. 3 & 7, Bournemouth Symphony Orchestra/Kirill Karabits, Onyx 4137)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich habe heute aus gegebenem Anlass die siebte und letzte Sinfonie von Prokofieff gehört, und sie erscheint mir wesentlich freundlicher als die zuletzt gehörte Sinfonie Nr 2. Kein Wunder, hatte das damalige Regime ihm doch Tonalität und Melodie als Pflichtübung auferlegt. Wahrscheinlich im Gegensatz zu anderen Mitglierdern finde ich das Ergebnis durchaus erfreulich. Besonders bemerkenswert fand ich die eigenwillige Instrumentation. Es wird immer wieder das parodistische Element erwähnt, und wie Prokofieff sich gegen die kulturpolitischen Fesseln des Regimes subversiv wehrte. Das dürfte aber zu Stalins Lebzeiten offensichtlich niemand bemerkt haben, sonst wäre er nicht 6facher Träger des Stalin Preises und einfacher Empfänger des Lenin-Preises geworden.
    Die Sinfonie Nr 7 klingt in ihrer usprünglichen Version - auf der hier gezeigten Aufnahme verwendet - sanft aus - wogegen eine spätere Version ein triumphierendes Ende erklingen lässt, welches dem Geschmack des Regimes besser entsprach. Diese Version wird heutzutage mehr oder weniger nichht mehr gespielt, man ist zur Urversion zurückgekehrt.

    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Eine erfrischende Deutung der 7. Sinfonie gibt James Gaffigan.



    Er schert sich nicht um den historíschen Ballast, den diese Sinfonien mit sich herumschleppen, sondern schaut einfach in die Partitur und bringt sie schlicht genial zum Klingen.


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Wer mehr Hintergründigkeit, gar Abgründe in der 7. Sinfonie sucht, wer der Heiterkeit nicht trauen mag und deshalb nicht mit Gaffigans Aufnahme glücklich würde, der ist bestens mit Andrew Litton bedient!



    Auch klanglich ist das eine TOP-Aufnahme!
    Und die Kombination mit 4. Sinfonie ist ja auch interessant.


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Die Sinfonie Nr 7 klingt in ihrer usprünglichen Version - auf der hier gezeigten Aufnahme verwendet - sanft aus - wogegen eine spätere Version ein triumphierendes Ende erklingen lässt, welches dem Geschmack des Regimes besser entsprach. Diese Version wird heutzutage mehr oder weniger nicht mehr gespielt, man ist zur Urversion zurückgekehrt.


    Das halte ich für ein Gerücht, dass man die Urversion heute bevorzugt ... ich jedenfalls nicht.


    *** Prokofieff komponierte das Werk im März 1952 und dem Abschluss der Orchestrierung im Juni 1952. UA dann 11.Oktober 1952 mit dem All-Union-SO unter Samuil Samosud.
    Während der Orchesterproben überzeugte man ihn jedoch, dass ein positiverer Schluss vorzuziehen sei, den Prokofieff dann auch lieferte ... und der auch in den meisten Aufnahmen sinnvollerweise als sein sinfonisches Endprodukt eingespielt wird!
    Nach meinen Informationen hat das nichts mit der Regiemkritik zu tun!
    :?: Warum sollte man diesen fröhlichen Vivace-Schlusatz dieser Sinfonie Nr.7, die er "für die Jugend" geschrieben hatte, nicht auch angemessen fröhlich und zackig beenden???
    Da die Rostropowisch-Aufnahme diesen nicht enthällt, sondern den mit den abgeklärten 20 Takten, die "auf eine düstere Zukunft zurückblicken lässt", wäre das für mich ein Grund diese gar nicht zu kaufen ...


    Sowohl die bei der Sinfonie Nr.7 ausgezeichnete feurige Walter Weller-Aufnahme (Decca), wie auch die Fetzig-Präzise mit Neeme Järvi (Chandos) verwenden den diesen Takten angehängten positiven lebensbejahenden Schluss ... Roshdestwensky in seiner alten 60er-Jahre-Referenz auch .... Klasse!



    Decca, 1974-78, ADD



    Chandos, 1985-86, DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Es wäre wirklich mal spannend, würde man auflisten, welche Aufnahmen diese zusätzlichen letzten Takte spielen lassen und welche nicht. Es handelt sich ja gerade um Musik von kaum einer halben Minute. Mein Eindruck bisher: In den meisten Aufnahmen wird es durchaus gespielt. Karabits löst es in seiner neuen Einspielung ganz elegant: Die freudige Coda ist ein separater Track, den man je nach Belieben anhängen kann oder eben nicht.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Prokofjew war nicht wirklich der Lieblingskomponist von Jewgeni Swetlanow. Trotzdem hat er einige "gemäßigtere" Werke ab und an glücklicherweise aufgeführt und haben sich davon sogar Tonaufnahmen erhalten. Neben Musik aus dem Ballett "Romeo und Julia" sind dies die Symphonien Nr. 1 und 7, die beiden wohl klassischsten von Prokofjew. Ich habe mich im letzten Jahr relativ viel mit Prokofjews Symphonien beschäftigt und muss mittlerweile bekennen, dass die Siebte mein Liebling ist. Ich würde sogar soweit gehen und sie für einen der größten Würfe im 20. Jahrhundert anzusehen. Aber dies nur am Rande.


    Jedenfalls wollte ich unbedingt auch mal Swetlanows Aufnahme dieses Werkes hören. Mir war schon bekannt, dass er es zumindest mit dem Schwedischen Radio-Symphonieorchester, dessen Chefdirigent er später auch wurde, einmal gespielt hat, und zwar am 31. August 1991, vermutlich in Stockholm. Nach einer Odyssee und dank der Hilfe eines unermüdlichen Sammlers bin ich vor ein paar Wochen dann doch noch zu dem Mitschnitt gekommen. Dem Schwedischen RSO war Swetlanow von allen westlichen Orchestern vermutlich am engsten verbunden, dirigierte dort von den frühen 1980er bis frühen 2000er Jahren regelmäßig. Es gäbe da noch etliche andere Schätze zu heben, die er sonst kaum dirigiert hat (ich nenne nur mal Haydn, Mozart und Beethoven).


    Die Spielzeiten fallen nicht aus dem Rahmen und sind denen von Gergiev z. B. recht ähnlich:


    I. Moderato (10:05)
    II. Allegretto (7:45)
    III. Andante espressivo (6:48)
    IV. Vivace (8:41)


    Eine beseelte Interpretation, die ich jetzt zu meinen Favoriten zähle. Swetlanow lässt die zusätzlichen letzten Takte übrigens spielen, wie die meisten Dirigenten, auch wenn Sergei Prokofjew offenbar lieber seine Urfassung gehört hätte. Das für das Aufnahmejahr recht hohe Bandrauschen (wohl bedingt durch das Mitschneiden aus dem Rundfunk) ist zwar etwas störend, aber kann locker in Kauf genommen werden angesichts dieser Darbietung. Ansonsten ist die Klangqualität auch sehr gut. Insgesamt eine willkommene Bereicherung meiner Swetlanow-Sammlung. Eine CD-Veröffentlichung wäre zu wünschen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões