Hänsel und Gretel (Humperdinck), Hamburgische Staatsoper, 18.12.2016

  • Es war eine Aufführung wie aus dem Bilderbuch (Bühnenbild: Jan Schlubach, Kostüme: Barbara Bilabel und Susanne Raschig). Hänsel (Dorottya Lang mit schöner kräftiger Stimme) und Gretel (Vida Mineviciute, an Stelle von Christina Gansch) tollten im strohgedeckten Besenbinderhaus, welches die rechte Bühnenhälfte einnahm, links befand sich ein Garten mit Brunnen, im Hintergrund ein Landschaftsprospekt. Peter und Gertrud waren mit Jochen Kupfer und Katja Pieweck hervorragend besetzt. Das zweite Bild wies einen durch Hinter- und Vordergrundprospekte geliederten finsteren Wald auf, in dem die eingeschlafenen Kinder (Sandmännchen: Maria Chabounia) von zwölf (im dunklen Hintergrund auf einer Treppe postierten) geflügelten Engeln bewacht wurden. Das dritte Bild zeigte zunächst dieselbe Szenerie (Taumännchen: Norea Son), später ergänzt durch ein von rechts auftauchendes, von Innnen beleuchtetes Zuckerbäckerhaus im neogotischen Stil, links durch einen Stall sowie weiter hinten um einen großen Backofen ergänzt. Im Hintergrund lehnten zahlreiche große Lebkuchen mit Kindergestalt. Besonders beeindruckt waren die in dieser Sonntagnachmittagsvorstellung zahlreich anwesenden Kinder von der besenschwingenden und durch die Lüfte reitenden Knusperhexe (Renate Spingler). Nachdem die Knusperhexe in den Ofen geschoben wurde und dieser ob der schweren Last zusammenbrach, verwandelten sich die Lebkuchenkinder schließlich in die Hamburger Alsterspatzen, gekleidet in der Mode verschiedener Jahrhunderte und stimmten, zusammen mit den herbeieilenden Eltern Peter und Gertrud den herzergreifenden Schlussgesang an.


    Es war die 248. Vorstellung dieser schönen, vor jetzt 44 Jahren in Szene gesetzten Aufführung (Inszenierung: Peter Beauvais). Sie hat mittlerweile viele Moden überstanden (in den 1970er Jahren galt sie einigen als kitschig) und wird hoffentlich noch weitere 44 Jahre den vielen Kindern und Erwachsenen Freude bereiten. Die Aufführung wirkte noch so frisch wie am ersten Tag, sie war auch musikalisch sehr hörenswert (die Leitung des Philharmonischen Staatsorchesters hatte Nathan Brock inne).

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Lieber Ralf,


    es ist für mich sehr tröstlich, von Aufführungen zu hören, wie du jetzt wieder eine beschreibst. Und wenn ich dann mein Erlebnis mit dem poetischen Füchslein in Straßburg dazunehme, das mir zeigt, dass es auch heute noch Neuproduktionen ähnlicher Art gibt, dann sehe ich, dass wir noch nicht verzagen müssen: Die Oper, wie wir sie verstehen, mit Musik und Gesang im Zentrum, ist doch nicht totzukriegen, und es besteht sogar Hoffnung, dass ihre mutwillige Zerstörung auf Dauer keine Chance hat. Darauf nehme ich jetzt einen Grappa zu mir - ein Getränk aus dem Lande, dem wir die Oper zu verdanken haben. Prost!


    Und herzliche Grüße von Sixtus

  • Lieber Ralf,


    vielen Dank für deine Schilderung, die auch für mich tröstlich ist. Hier zeigt sich, dass sich Gutes auch 44 Jahre halten kann, ohne dass es sich abnutzt. Die miserablen Inszenierungen, wie wir sie heute leider überwiegend haben, verschwinden hingegen schon nach wenigen (manchmal nur einer) Aufführungen. Das zeigt, wie viel sie taugen. Nur einige wenige Inszenierungen von den letzten, heute noch guten Regisseuren, überleben eine Saison. Es wird Zeit, dass solche echten Aufführungen der Werke häufiger wiederbelebt werden.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ganz herzlichen Dank für die detaillierte Beschreibung. Ich muss endlich nach Hamburg und diese schöne Inszenierung sehen bevor sie auch noch verschrottet wird. Sind in den Programmheft noch Fotos?

  • An Sixtus, Gerhard und Knusperhexe: Ein Programmheft habe ich nicht gekauft, weiß deshalb nicht, ob entsprechende Bilder vorhanden sind. Unter folgendem Link (der wohl erst in die Internetsuchzeile einkopiert werden muss: http://www.staatsoper-hamburg.…/stueck.php?AuffNr=141670) gibt es aber einige Bilder, vor allem vom Hexenhaus, nicht jedoch von den schönen Bühnenprospekten. Ich glaube nicht, dass diese schöne Inszenierung bald verschrottet wird, dafür ist sie seit jetzt mehr als 4 Jahrzehnten zu erfolgreich. Das ist mittlerweile in Hamburg eher selten (mit Ausnahme der neuen Zauberflöte, die offensichtlich ganz gut angenommen wird). Ein schönes realistisches Bühnenbild hat auch noch der hiesige Eugen Onegin. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Neumeierballette hinweisen, die ja fast ein Drittel des Hamburger Programms ausfüllen. Die auch Jahrzehnte alte Romeo und Julia Ausstattung hat nichts von ihrer Schönheit eingebüßt, selbst die vielleicht 2 Jahre alte Inszenierung von „Napoli“ (Bournonville, Riggins) imponierte mit einem realistischen Bühnenbild, wie es früher auch in der Oper üblich war. Neumeier gestaltet ja die Bühnenbilder und die Kostüme häufig selbst oder gewinnt einen fähigen Bühnenbildner wie Jürgen Rose. Egal, ob die Ausstattung klassisch prächtig (Nussknacker) oder modern reduziert ist (Giselle), immer dient sie der Verdeutlichung dessen, was auf der Bühne geschieht, und zwar so, dass auch der Durchschnittszuschauer seine Freude daran hat. Eine Rummelplatzvioletta oder verlaust im zerbombten Keller hausende Walküren wären Neumeier wohl nicht untergekommen, und wenn doch, dann auf eine Art und Weise, die vom Publikum im Großen und Ganzen akzeptiert worden wäre. Ich wünsche allen ein Frohes Weihnachtsfest und ein Glückliches Neues Jahr, mit den besten Grüßen, Ralf Reck

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Lieber Ralf,


    vielen Dank für die Hinweise. Auch ich schätze Neumeier als Choreographen sehr. Kennst du von ihm auch das Ballett "Die Kameliendame" mit Melodien von Chopin? Ich habe es auf DVD, allerding nicht von der Hamburgischen Staatsoper, sondern vom Ballett de l'Opera national de Paris getanzt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

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  • Lieber Gerhard, ich habe Neumeiers Ballett „Kameliendame recht häufig, fast so oft wie Verdis „Traviata“ gesehen, in mehrfachen Besetzungen und nicht nur in Hamburg. Von der Hamburger Aufführung gibt es eine Verfilmung auf DVD aus dem Jahre 1987, noch mit Marcia Haydee. Die scheint aber nur noch in den USA im Handel zu sein.
    Der Unterschied zwischen beiden Rezeptionen (Verdi, Neumeier) des Romans von Dumas ist, dass Ballettaufführungen mit unterschiedlichen Tänzerinnen/Tänzern andere persönliche Aspekte in die Aufführung einbringen, so dass es im Ballett kein Problem ist, sich dasselbe Stück dreimal in 2 Tagen anzuschauen (eine Nachmittags- und zwei Abendvorstellungen in verschiedenen Besetzungen). In die Traviata würde ich wohl eher nicht dreimal hintereinander gehen, weil die Leistungsanforderung im sängerischen Bereich konkreter und eigentlich nicht variabel sind. D.h. von drei Opernbesetzungen wird es wohl meist eine Beste geben, was man im Ballett weniger oft sagen kann. Auf YouTube gibt es diverse Mitschnitte des dritten, des sog. schwarzen Pas de deux, von denen meiner Ansicht nach derjenige des Ehepaars Silvia Azzoni und Alexandre Riabko vom Hamburg Ballett der umwerfendste ist. Es ist aber eigentlich nie so, dass ein Protagonistenpaar unter Niveau bleibt, was in der Oper ja durchaus vorkommt. Wahrscheinlich reagieren die Stimmbänder deutlich sensibler auf Stimmungsschwankungen und Befindlichkeitsstörungen als die übrige Muskulatur. Herzlichst, Ralf

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Lieber Ralf,


    vielen Dank für die Beschreibung der "Kameliendame", für mich ein Anlass, mir die Ausschnitte auf youtube anzusehen und wieder einmal zu meiner DVD aus der Opera National de Paris zu greifen. Gerade um die Weihnachtszeit sehen wir uns gerne auch balette an. U.a. habe ich da das spezielle Ballett "A Christmas Carol" nach Charles Dickens, getanzt vom Northern Ballet Theatre zur Musik von Carl Davis. Natürlich gehört "Der Nussknacker" für mich auch immer in die Weihnachtszeit.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Abgesehen von dem Kappes, den Frau Spengler erzählt - Knusperhaus als McDonald's ..., Schuster bleib bei deinen Leisten bzw. Hexe bleib bei deinen Lebkuchen!!!! Bitte nicht noch eine verkappte Regisseuse a la Fassbaender - eine nette Reportage:
    http://www.ndr.de/fernsehen/se…orstellung,hamj52598.html


    Überlege mir ernsthaft, noch schnell nach Hamburg zu düsen und eine der drei Folgevorstellungen zu besuchen. Schon krass, dass man für schöne Inszenierungen mittlerweile Kilometergeld zahlen muss. Noch vor 20 Jahren setzte ich mich einfach in die Bahn und war im Null Komma Nichts im siebten Himmel. Dann brach die Pest aus und damit war es vorbei mit der Zeit unschuldigen Schwelgens. Sch... Regietheater!!!!