Otello (Verdi), Hamburgische Staatsoper, 11.1.2017, eine Übernahme aus Basel

  • Es handelte sich um die zweite Aufführung einer Übernahme vom Theater Basel, speziell um eine Inszenierung von Calixto Bieito. Meine Erwartungen waren daher nicht sehr hoch. Von den von mir im Laufe der Jahre in der Hamburgischen Staatsoper gesehenen knapp ein Dutzend Aufführungen dieser Verdioper war es wohl die musikalisch am wenigsten gelungene. Auf der Habenseite standen der Tenor Markus Nykänen als Cassio sowie Nadezhda Karyazina als Emilia, auf der anderen die Sänger der drei Hauptpartien. Alle waren stimmstark, aber nicht stimmschön. Am ehesten gefiel noch Claudio Sgura als Jago, der aber weder stimmlich noch darstellerisch die Dämonie dieser Rolle zum Ausdruck bringen konnte. In seiner ersten Arie wirkte er auf mich wie ein rezitierender Konfirmand. Marco Bertis (Otello) eher weiß-farbloser Tenor öffnete sich nur unter Druck, aber noch nicht beim „Esultate“. Wenn das nicht heldisch genug schallt, wie bei ihm, sind die Erwartungen schon etwas gedämpft. Der mehr lyrischen Part des Otello, vor allem im Liebesduett am Ende des ersten Aktes, klang bei ihm eher fahl und liebelos. Im Grunde reduzierte sich seine Rolle stimmlich (und darstellerisch) auf die eines Despoten, dem innere Gefühle, wie die Liebe zu Desdemona, abgehen.


    Nun ist es heute wohl nicht einfach, einen gleichzeitig lyrisch singenden und zum Heldischen geeigneteten Tenor (wie Placido Domingo, der hier seinen ersten Otello sang) für die schwierige Rolle des Otello zu gewinnen. Wenn der Jago oder wenigstens die Desdemona das ausgeglichen hätten. Svetlana Aksenovas (Desdemona) Sopran geriet häufig grell und in der Höhe eng. Der Stimme fehlte heute (sie singt sonst an den großen Operhäusern bedeutende Rollen) der warme Klang und das für Verdi typische Aufblühen der Stimme, etwa am Schluss des Abengebets; schade. Der mangelnden stimmlichen Beseelung entsprach auch das aus meiner Sicht nur routiniert, aber ebenfalls emotionslos spielende Orchester unter der Leitung von Paolo Carignani.


    Das Bühenbild (Susanne Gschwender) beieindruckte zunächst. Die schwarz ausgeschlagene, bis in die Seiten- und die Hinterbühne erweiterte Spielfläche dominierte ein mächtiger, auf Schienen fahrbarer Drehkran, neben und auf dem sich dann allerdings auch die gesamte Handlung vollzog. Zu Beginn fanden sich zum Publikum hin aufgebaute Stacheldrahtverhaue, dahinter stand der Chor mit gefesselten Händen. Nach Ankunft Otellos wurde der Stacheldraht entfernt und eine Schaumwein-Spritzorgie begann. Später wurde ein “Delinquent“ an einem Haken des Krans aufgehängt und zappelnd in die Höhe gezogen, zwischendurch vergewaltigte Otello seine Desdemona und gab sie später dem Volk zur Hatz frei. Das Abendgebet und die Ermordung Desdemonas fand auf einer der Kranebenen statt. Schließlich hängte sich Otello mit seinem Kopf am Ende des Kranauslegers, der nach vorn zum Publikum hin fuhr, in eine Stahlverstrebung und verschied. Alles wurde mit viel Schauspielerei dargeboten.


    Das wäre vielleicht noch zu ertragen gewesen, wenn überzeugend gesungen worden wäre. Während das (eigentlich) berührende Liebesduett am Ende des ersten Aktes keinen Applaus (der auch ungerechtfertigt gewesen wäre) erhielt, wurde die Aufführung am Ende von Teilen des Publikums bejubelt, auch die Sänger der drei Hauptpartien. So unterschiedlich können die Meinungen ausfallen.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Einmal mehr ergänzend meine Eindrücke aus der inzwischen 8ten Vorstellung (Premiere am 08.01.2017) am vergangenen Samstag:


    Interessanterweise hatten wir es an diesem Abend insbesondere in den Leading Roles abgesehen von Frau Karyazina mit einem komplett anderen Cast zu tun; es sangen u.a.


    Desdemona - Aleksandra Kurzak
    Otello - Carlo Ventre (M.Berti war m.W. damals sein Einspringer in der A- und B-Premiere)
    Emilia - Nadezhda Karyazina
    Jago - Franco Vasallo
    Cassio - Oleksiy Palchykov


    Soweit es mein laienhaftes Ohr zu beurteilen vermag, wurde insgesamt technisch einwandfrei gesungen - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Während Ventres Esultate! noch etwas schwach über die Bühne kam (zumindest gegenüber meinen "Vergleichs-Otellis" Atlantov und Botha), gewann seine Stimme im Laufe des Abends an Durchschlagskraft. So gelang das große Liebesdduett zusammen mit Frau Kurzak im Prinzip sehr gut, allerdings harmonierten jeweiligen Stimmfarben m.E. nicht sehr gut miteinander, d.h. beider Stimmen konnten sich nicht mischen, sondern tönten jede für sich. Sehr schön gelang dafür Das Lied von der Weide im letzten Akt. Ebenfalls volltönend, wenngleich nicht unbedingt boshaft Franco Vasallo Jago, der sich auch noch im Ensemble-Satz des 3ten Aktes gut heraushören ließ. Das Philharmonische Staatsorchester unter Paolo Carignani machte seine Sache gut, wobei auch hier der berühmte Funke trotzdem nicht wirklich übersprang.
    Möglicherweise wäre der Gesamteindruck in der alten Everding-Inszenierung (Premiere 1975; u.a. Levine, Ricciarelli, Domingo, Milnes) ein anderer gewesen, denn für diese Übernahme einer Arbeit Calixto Bietos aus Basel hätte man das "Gute Stück" tatsächlich nicht wegschmeißen müssen: Der schwarze Bühnenraum wird hier dominiert durch einen orange-gelben (Neid?) Hafenkran und offenbar verlegt die Regie die Handlung zur Gänze in eine Gegend am Hafen. Die Protagonisten sind nun die bessere Gesellschaft (was auch immer die am Hafen zu tun hat), während der Chor die geknechteten Hafenarbeiter mimen darf - allein, des sprichwörtlichen "Geknechteten Volkes" hätte in Nabucco oder Aida, aber nicht im Otello, wo der Chor ganz offensichtlich eine andere Funktion hat. Das weder Desdemona blond, noch Otello schwarz ist, mag an sich verschmerzbar sein - nicht jedoch, wenn die Regie die Ausgegrenzheit des Mohren nicht auf andere Art und Weise plausibel macht: Otello ist hier genau so ein Typ, wie die anderen. - Irgendwann macht sich so eine gewisse Langeweile breit, die sich auch durch das vermehrte Bespielen des Kranes in den Akten drei und vier nicht durchbrechen läßt. Hinzu kommt, dass der große Bühnenraum akustisch schwer auszufüllen ist und es die Sänger somit häufig an die Rampe zwingt, wo sie naturgemäß etwas statisch nach vorne singen. Auch führen verschiedene, im Bühnenboden eingelassene Schienen (auf welchen beispielsweise der Kran vor- und zurückbewegt werden kann) dazu, dass alle aufpassen müssen nicht zu stolpern. Infolgedessen wirken die Bewegungen allgemein recht ungelenk.


    Insgesamt war der Abend aufgrund der sängerischen bzw. musikalischen Leistungen nicht gänzlich vertan, aber angesichts anderer, wesentlich stärkerer Verdi-Inszenierung am Haus (z.B. Don Carlos, Konwitschny; Rigoletto & Luisa Miller, Homoki; Simon Boccanegra, Guth) fällt Bietos Otello-Deutung doch stark ab.


    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber MSchenk, danke für den interessanten Bericht. Die Besetzung scheint besser gewesen zu sein, hinsichtlich der Inszenierung und dem Vergleich mit der alten Aufführung stimme ich Dir voll zu, auch, was die nach oben und seitlich offene Bühne betrifft, schön, wieder von Dir gehört zu haben, Ralf Reck

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Ich war in der Aufführung am gestrigen 3. Oktober. Otello war wieder Marco Berti. Ralf Reck hätte teilweise ein Dejavu-Erlebnis haben können, denn auch gestern war seine Leistung am Anfang durchwachsen. Die „Esultate“-Rufe gingen gänzlich an mir vorbei, die habe ich überhaupt nicht wahrgenommen. Auch das Liebesduett an Ende des 1. Aktes klang belegt und farblos. Er wurde mit Beginn des 2. Aktes deutlich besser. Er klang kraftvoll ohne zu stemmen, mir gefiel es dann doch sehr gut, wie wohl den anderen Zuschauern auch, denn er wurde sehr bejubelt. Jago war mit Marco Vratogna gut besetzt. Guanqun Yu als Desdemona ließ mich die meiste Zeit kalt, obwohl sie technisch sauber gesungen hat. Aber ihr flirrendes Vibrato ist einfach nicht so mein Geschmack.

    Genervt hat mich eher die Inszenierung: Die ganze Zeit das gleiche Bühnenbild. Dann diese Schienen auf dem Boden, die dazu führten, dass die Sänger vorsichtig darüber steigen mussten ( MSchenk hat es schon erwähnt ), und vor allem diese Nach-vorne-Singerei ! Eigentlich wurde so gut wie garnicht geschauspielert, die standen nur rum. Da hat man ja bei konzertanten Operaufführungen teilweise mehr Bewegung.

    Ich vermute mal, dass das eine Anweisung des Regisseurs war, oder ?

    Mich hat es auf alle Fälle ziemlich abgelenkt.


    Viele Grüße

    Boismortier