Gestern abend hatte ich die Gelegenheit im Rahmen meines Opernabo hier in Stuttgart den "Fliegenden Holländer" in der Inszenierung durch Calixto Bieito zu sehen, zum zweiten Mal. Der erste Mal ist schon einige Jahre her und ich hatte eigentlich nicht vor gehabt, mir diese Inszenierung noch einmal anzuschauen. Allerdings reizte es mich dann doch nach den vielen Diskussionen hier, mein damaliges Urteil noch einmal zu überprüfen.
Zuerst mußte ich mal feststellen, dass ich mich außer an die berühmte Kühlschrankszene eigentlich an nichts mehr erinnern konnte.
Wenn die Ouvertüre beginnt, sieht man auf der Bühne eine halbdurchsichtige unterteilte Glasfront, wie man sie von modernen Bürogebäuden her kennt. Innen taucht irgendwann schemenhaft die Gestalt von Senta auf, etwas später die eines Mannes, vermutlich von Daland dem Vater, der nicht sehr nett mit der Tochter umgeht, sie sogar schlägt und mit einer brennenden Zigarette malträtiert. Sie schreibt daraufhin mit rotem Filzer unablässig „Rette mich! auf die Scheiben.
Diese erheben sich am Ende des Vorspiels und wir befinden uns in der nüchternen Eingangshalle vermutlich eines Bankgebäudes. Im diesem spielen alle Szenen. Die wohl schon recht betrunkenen Seeleute ziehen ein Gummischlauchboot in die Mitte des Raums und lassen sich um dieses herum nieder. Sie sind in dieser Inszenierung natürlich keine Seeleute, sondern Banker und Broker, die offensichtlich gerade bei einem Finanzcrash (Sturm) ihre Vermögen verloren haben und ihre jetzt wertlosen Wertpapiere durch die Gegend schmeißen. Unter ihnen Daland, der offensichtlich auch bankrott ist und dem Steuermann beauftragt, während der anstehenden Siesta aufzupassen. Drei Playboyhäschen fahren eine beleuchtete Hundehütte herein, in die sich der Seemann nach seinem Lied mit einer furchterregend anzuschauenden Zwergin zurückzieht.
Der Höllander tritt auf und singt seine düstere Arie. Alle werden langsam wieder wach oder nüchtern, der Steuermann kommt aus der Hütte und singt was davon, dass weiter geblasen werden soll. Bald realisiert Daland, dass der Holländer offensichtlich im Fianzcrash auf die Verluste der Anderen gewettet hat und dadurch reich geworden ist. Dazu interessiert ihn das Geld offensichtlich gar nicht, jedenfalls übergibt er für die Aussicht Senta kennenzulernen ein prall mit Geld gefüllten Koffer, und Daland und seine Mannschaft füllen sich die leeren Taschen.
Szenewechsel, aber gleicher Raum. Der Ruf des wiedererlangten Reichtums hat offensichtlich schon den Heimatort erreicht, viele neue Kühlschränke werden angeliefert, gefüllt mit ungesundem rotem Fleisch und jeweils einem toten Baby. Die Mädels ganz als Modepüppchen gekleidet mit großen Einkaufstaschen versehen, haben die Kinder möglicherweise abgetrieben, um ihre gute Figur nicht zu gefährden. Sie tanzen um die Kühlschränke herum und singen ihr Lied. Das Einzige was sich hier dreht, ist also das Konsumrad. Senta findet das ganze Getue ziemlich öde, singt ihr Lied und legt blonde Perücke und den Modefummel ab, um burschikos mit Gummistiefeln im Bauernlook herumzulaufen. Erik, nach der Hose zu urteilen, Liftboy oder ähnliches, macht Senta Vorhaltungen, dass sie seine Liebe nicht erwiedert, sie hält ihn hin.
Kommen Daland und der Holländer und die beiden Frischverliebten können sich aussprechen. So wie Senta den Vater behandelt, war er wohl der Peiniger am Anfang und im Holländer sieht sie wohl die Möglichkeit, hier endlich herauszukommen. Danach geht es mit der Party los und es kommen die vielleicht eindrucksvollsten Szenen der Inszenierung. An dem Punkt, wo die Matrosen des Geisterschiffes erwachen, gehen im Zuschauersaal alle Türen auf und grelles Licht fällt von allen Seiten in den Saal. Die Musik wird teils elektronisch verstärkt höllisch laut und auf der Bühne geht es zu wie bei Hieronimus Bosch. Alle fallen übereinander her oder zucken hysterisch zusammen, einer zieht sich nackt aus . Wenn es vorbei ist, sieht die Bühne aus wie eine Müllkippe in Kalkutta. Senta und Holländer sitzen im Boot und schweigen sich an. Erik tritt noch mal auf, mit einer Axt bedroht er Senta, versucht sie an ihr Versprechen zu erinnern, zwecklos. Der Holländer glaubt, Senta habe in bereits betrogen und die berühmte Schlußszene läuft ab. Allerdings statt irgendwo in den Tod zu springen oder unter Eriks Axt zu geraten, legt Senta ihren Kopf zum Schlusseinfach nur auf einen herumliegenden Computerbildschirm und am Ende des Raums wird das Schlauchboot die Wand hochgezogen, in ihm hängt jesusartig ein Mensch, allerdings nicht der Holländer. Die Giftzwergin, die schon mehrfach auftauchte, lacht noch einmal. Ende.
Musikalisch war das Ganze eine gemischte Sache. Die Ouvertüre ging m.E. ziemlich in die Hose, aber im Laufe des Abends spielten sich Musiker und Dirigent ein. Die Sänger waren teils die gleichen wie vor Jahren (zumindest Daland und Senta) und machten ihre Sache ordentlich bis ziemlich gut.
Ich muß sagen, dass ich mich am Anfang ziemlich gelangweilt habe, aber ab der Kühlschrankszene wurde ich dann doch partiell mitgenommen, was auch an der guten Interaktion der Sänger lag. Mit vielen szenischen Einfällen (Zwergin, Partyhäschen, Hundehütte) konnte ich nichts anfangen und insgesamt war es wieder ein recht zwiespältiges Erlebnis.
Musikalische Leitung: Georg Fritzsch, Regie: Calixto Bieito, Choreographische Mitarbeit: Lydia Steier, Bühne: Susanne Gschwender, Rebecca Ringst, Kostüme: Anna Eiermann, Licht: Reinhard Traub, Chor: Christoph Heil, Dramaturgie: Xavier Zuber
Donald: Attila Jun, Senta: Christiane Libor, Georg: Thomas Blondelle, Mary: Idunnu Münch, Der Steuermann: Torsten Hofmann, Der Holländer: James Rutherford, Dämon: Manni Laudenbach, Mit: Staatsopernchor Stuttgart, Zusatzchor der Oper Stuttgart (Geisterchor), Staatsorchester Stuttgart