Streichquartett-Ensembles Vol. 10: Die historisch Informierten

  • Das Spielen in historisch-informierter Praxis ist in weiten Bereichen der Vorklassik und auch teilweise der Klassik heute Standard. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es inzwischen auch eine ganze Reihe von Streichquartetten gab und gibt, die Musik vor allem der klassischen Epoche in historisch informierter Weise, also z.B. auf Darmsaiten spielt. Zwar hat es bisher keines dieser Ensembles geschafft, international dauerhaft als Spitzenensemble zu reüssieren, aber vor allem die Entdeckungsfreude dieser Ensembles hat zahlreiche Werke zu Tage gefördert, die sonst vielleicht in den Archiven verblieben wären. Deshalb möchte ich diesen Ensembles einen eigenen thread widmen. Da ich mich selbst in dieser Szene gar nicht so gut auskenne, wäre ich über Beiträge von anderer Seite hier sehr dankbar.

  • Das in Berlin ansässige Camesina Quartett wurde 2007 gegründet und besteht seit dieser Zeit aus


    Johannes Gebauer, Violine I
    Katja Grüttner, Violine II
    Irina Alexandrowna, Viola
    Martin Burkhardt, Violoncello.


    Ich bin mir nicht ganz im Klaren, ob es ein permanentes Ensemble ist oder ob sich die Musiker eher projektweise regelmäßig treffen. Für letzteres spricht die geringe Anzahl an Konzertterminen, die auf der website verzeichnet sind, der letzte Eintrag von September 2016.


    Bisher hat das Ensemble drei CDs für die Musikmanufaktur Berlin eingespielt, darunter (fast) ausschließlich Ersteinspielungen, sie wurden teilweise im Forum schon erwähnt. Die Vanhal CD höre ich gerade wieder und mein positiver Eindruck von früher bestätigt sich, die beiden anderen CDs stehen auf der Bestellliste. Der Klang des Quartetts ist warm und erdig, nicht brilliant, aber passt IMO gut zur Musik von Vanhal.



  • Die ersten historisierenden Streichquartettinterpretationen stammen schon aus den 1960er und 70er Jahren, sind allerdings weitgehend nicht auf CD erschienen. Und zwar war das ein aus Musikern des Concentus Musicus Wien gebildetes Quartett. Auf CD ist soweit ich sehe nur ein Quartett von Richter auf einer Anthologie, die außerdem Kammermusik in anderen Besetzungen enthält, zu finden.



    Eine erstaunlich große Zahl von Streichquartettaufnahmen (und anderer Kammermusik) hat das Streichquartett des Collegium Aureum in den 1970er Jahren aufgenommen. Es wurden u.a. Haydns op.76 komplett, einige weitere Quartette Haydns und Mozarts, Schuberts a-moll, d-moll, Quartettsatz und zwei oder drei frühe Werke, sogar Beethovens op.132 eingespielt, dazu Mozarts KV 563, Flötenquartette, Klarinetten- und Hornquintett, Oboenquartett usw. Nur etwas Mozart ist auf CD zu finden (allerdings anscheinend kein Streichquartett). Das waren lange Zeit, im Falle Schuberts und Beethovens bis vor wenigen Jahren oder gar bis heute, die einzigen historisierenden Aufnahmen dieser Werke, wobei man einräumen muss, dass das Collegium Aureum nicht ganz so "HIP" klingt wie viele spätere Ensembles.




    Ebenfalls schon in den 1970ern haben niederländische Musiker um Jaap Schröder, die Kuijken-Brüder, Bylsma u.a. als Quartetto Esterhazy diverse klassische Stücke, u.a. zwei aus Haydns op.20 und ein Boccherini-Opus aufgenommen. Etwas später (80er oder 90er) das sog. Kuijken Quartett Quartette und Quintett von Mozart und Haydn bei Denon.



    V.a. in den 1990er Jahren haben dann besonders zwei Ensembles HIP-Quartettspiel etabliert:
    Das Quatuor Mosaiques: Drei Musiker aus dem Concentus Musicus Wien und der Cellist Christophe Coin haben Beethoven op.18, ein gut Teil der Haydn-Quartette (opp. 20,33,51,64,76,77), dazu Werke von Mozart, Mendelssohn, Schubert, Boccherini, Jadin, Albrechtsberger, Wölfl eingespielt.



    Und das ungarische Festetics-Quartett mit Haydns Quartetten ab op.9 (darunter opp.9, 33, 42, 64 und 77 anscheinend sogar zweimal!), allen Mozartquartetten, sowie Werken Schuberts und einiger Komponisten, von denen ich teilweise zum ersten Mal die Namen lese: Bengraf, Spech, Grill, Druschetzky, Mosonyi.
    Etliches davon ist noch zu finden, anderes längst vergriffen und höchstens noch gebraucht erhältlich.


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Heute morgen habe ich habe ich mir das zweite der op. 2 Quartette von Johannes Spech angehört. Über diesen Komponisten und seine Quartette habe ich bisher nur folgende Informationen finden können.


    There has, as of late, been a spate of string quartet releases of unknown or long-forgotten composers from the 18th century. Many of these releases, such as a recent one of the quartets of Florian Gassmann, only serve to confirm why these works have been deservedly forgotten. So it was with some skepticism that I approached Hungaroton #31945, a release of Three String Quartets, Op.2 (g minor, E Flat Major & C Major) by one Johannes Spech (1767-1836). The Hungarians claim him now and style him Janos. However, he was more or less your typical Austrian, born in Poszony then Hungarian, now Slovak (Bratislava). He studied composition in Vienna with Haydn and then spent most of his time in Buda and Pest, then German enclaves in Austrian Hungary. There he sought out patrons from the Hungarian nobility as had Haydn. The Op.2 quartets are dedicated to M le Comte François de Koháry. (Ferenc [Franz] Graf von Koháry) They were published in 1803. What a surprise to find, despite the low opus number, very finished and mature works which the equal of Haydn’s Opp.71 and 74 quartets, if not those of Op.76. All three works are in 4 movements, and follow an Allegro, Andante, Menuetto, Allegro molto pattern. His use of all of the voices in the presentation of thematic material is exceptional for the time and superior to that of Haydn. The melodies are fresh and tuneful, never threadbare. The performance on period instruments is quite successful. These works are, in my opinion, a real find. I hope they will soon be republished. Enjoyable listening, recommended. (Quelle: Chamber Music Journal)


    Tatsächlich klingt das Quartett sehr nach Haydn und ist dementsprechend nicht unattraktiv. Würden die Festetics speziell in den Mittelsätzen noch etwas flinker agieren, wäre das Ergebnis vermutlich noch ansprechender.

  • Das Festetics Quartett wurde 1985 gegründet. Durch die Wahl ihres Namens wollten die Musiker auf die herausragende Bedeutung des ungarischen Festetics Adelsgeschlechts während der Zeit der Aufklärung hinweisen. Ob das Quartett derzeit noch aktiv ist, habe ich nicht herausfinden können, da ich keine website gefunden habe. Das Quartett ist/war auf allen wichtigen europäischen Konzertbühnen und renommierten Festivals unterwegs. Das Quartett hat eine umfangreiche Diskographie eingespielt, wobei die Einspielung von Haydns Streichquartett ab op.9 internationale Anerkennung errungen hat. Die Box ist derzeit nicht mehr lieferbar.


    Das Quartett setzt sich zusammen aus:


    Istvan Kertesz, 1. Violine
    Erika Petoefi, 2. Violine
    Péter Ligeti, Kriszta Véghelyi, Viola
    Rezső Pertorini, Cello


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  • Das London Haydn Quartett ist derzeit vielleicht das "sichtbarste" historisch informiert spielende Streichquartett. Soweit ich es übersehe, scheint es sich nicht um ein Vollzeit- sondern ein Projektquartett zu handeln, das sich vor allem in den Wintermonaten zu Aufnahmen und Konzerten trifft. Einzige Konstante über die Jahre ist die Primaria Catherine Manson.
    Es ist derzeit damit beschäftigt, pro Jahr eine Doppel-CD mit den Haydn Quartetten herauszubringen. Naturgemäß haben diese ein geteiltes Echo gefunden, speziell da andere jüngere Vollzeitquartette wie Casals, Doric, Meta4, Minetti und Goldmund auch vielbeachtete Aufnahmen auf den Markt gebracht haben, die zwar auf modernen Instrumenten, aber auch unter Berücksichtigung historischer Praxen spielen. Im März erscheinen die op. 54 und op. 55 Quartette.



    Das LHQ besteht aktuell aus:


    Catherine Manson, Violine
    Michael Gurevich, Violine
    John Crockatt, Viola
    Jonathan Manson, Cello