Lulu (Alban Berg), Hamburgische Staatsoper, 15.02.2017

  • Das Bühnenbild war gut anzuschauen (Anna Viebrock), die Inszenierung ohne beeinträchtigende Mätzchen (Christoph Marthaler), die musikalische (Leitung Kent Nagano) und die gesangliche Leistung ohne Fehl und Tadel. Barbara Hannigan (Lulu) war technisch versiert und ohne Probleme bei den hohen Noten, sie überzeugte schauspielerisch und zudem noch artistisch. Es war schon eine Art Monsterleistung, da sie nahezu über die gesamte Spieldauer (von 19 bis 23 Uhr einschl. 2 Pausen) auf der Bühne agierte. Sie erhielt am Ende langen Beifall und zahlreiche Bravi. Und doch, mir war das ganze zu analytisch, zu wenig emotional und zu wenig empathisch, was da auf der Bühne und gleichfalls gesanglich ablief. Warum hier jemand jemanden liebt, blieb unklar, zumindest vermochten es die Stimmen für mich nicht auszudrücken. Es war die fünfte Lulu-Aufführung, die ich bisher gesehen habe, zuletzt 2003 mit Marlis Petersen unter Ingo Metzmacher. Ich hatte die Oper in guter Erinnerung, habe mich aber gestern während des langen Abends ziemlich gelangweilt. Das mag an der für heutige Verhältnisse altmodischen, übertriebenen Geschichte liegen (mehrere Männer und eine Frau fallen reihenweise einer frühreifen, dem Mädchenalter noch nicht entwachsenen Frau (Barbara Hannigan war äußerlich als geschätzt 13- bis 14jährige in Szene gesetzt worden) zum Opfer, aber auch an der eher dem Theater entnommenen analytischen Herangehensweise an das Stück. Das gilt auch für die zahlreichen, gesanglich nicht zu beanstanden Partien von Anne Sofie von Otter (Geschwitz), Jochen Schmeckenbecher (Schön), Matthias Klink (Alwa) oder den Tierbändiger (Zachary Altman), Schigolch (Sergei Leiferkus), den Maler (Peter Lodahl) und die anderen, zum Teil nur mimisch Mitwirkenden. Die Emotion wollte einfach nicht überspringen. Mit einer Ausnahme. Das Stück endete mit dem Violinkonzert von Alban Berg. Diese Musik und das Spiel der Solistin Veronika Eberle hatte mehr emotionale Tiefe als das gesamte vorausgegangene Lulu-Drama. Die betont unterkühlte Darbietung der Oper hat wohl manchen Zuschauer dazu veranlasst, das anfangs voll besetzte Haus während der ersten und vor allem der zweiten Pause zu verlassen. Das mag aber auch an dem späten Ende der Wagnerausmaße erreichenden Aufführung gelegen haben. Es hatte sich im Übrigen viel junges Publikum im Haus an der Dammtorstraße eingefunden gehabt.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • . Die betont unterkühlte Darbietung der Oper hat wohl manchen Zuschauer dazu veranlasst, das anfangs voll besetzte Haus während der ersten und vor allem der zweiten Pause zu verlassen.

    Lieber Ralf,


    von Pierre Boulez gibt es die schöne Bemerkung: "Ich habe erst sehr spät entdeckt, wieviel Spätromantik auch noch in Anton Webern steckt." Auf Alban Berg trifft das noch in viel stärkerem Maße zu. Da gibt es eine gewisse rhetorische Komponente, wenn man die unterschlägt, dann versteht man die Musik kaum noch. Wer das begriffen hat war z.B. Colin Davis. Durch ihn habe ich die Orchesterstücke erst richtig verstanden.


    Schöne Grüße
    Holger