Richard Wagners „Beowulf“-Fragment

  • Eines der bekanntesten der nicht realisierten Kompositionsvorhaben Richard Wagners ist die „Beowulf“-Oper, mit der sich der Komponist in den Jahren 1850-1852 und danach (nachweisbar) nochmals im Jahr 1857 befaßte.
    Bereits aus dem Jahr 1849 (datiert mit 7. August) stammt ein Brief Wagners an Franz Liszt, in dem er ihn fragt, ob er ihm eine größere Summe Geldes leihen kann („Ich fürchte, Landtman (ein Geldverleiher, Anm.) verliert die Geduld und fordert, was ich nicht habe, in Zahlung nehmen will er nichts, und so muß ich Sie, meinen lieben Freund und Gönner, der mir immer gut war, voller Scham abermals bitten“); im Zusammenhang damit spricht er erstmals von „Beowulf“: „So verspreche ich mir und Ihnen, bester Freund, einen großen Erfolg von der neuen Oper, und will sie zügig angehen, zumal mir der erste Act völlig vor Augen steht und ich seine Musik nur noch aufzuschreiben brauche; danach werde ich alles begleichen, nicht allein bei Ihnen, sondern auch bei dem guten August Röckel.“
    Es scheint indessen, daß Wagner das Planungsstadium wesentlich übertrieben hat. Aus dem Jahr 1850 existiert ein stichwortartiger Handlungsverlauf:
    „Beowulf bei Rotigern. Beowulf liebt Kudrun, die Grendel versprochen ist. Verrat Rotigerns an Grendel, Rotigern gibt Beowulf Kudrun zur Frau. Grendel verwandelt sich mithilfe von Malwitis, die seine Mutter und eine Zauberin ist, in ein Ungeheuer und sucht Rotigerns Hof heim. Rotigern will Kudrun Grendel opfern. Kudrun überreicht Beowulf ein Schwert, das immer tödtlich treffe. Beowulf kämpft gegen Grendel und tötet ihn. Das Volk will Beowulf zum König erheben. Daraufhin wirft Rotigern ihm vor, mit Zauberei gewonnen zu haben. Beowulf wirft das Schwert der Kudrun von sich und stellt sich dem Zweikampf mit Rotigern. Doch Rotigern kommt nicht allein: er und seine Mannen töten Beowulf. Malwitis kündet Kudrun die Zusammenhänge. Bei der Ratssitzung bittet Kudrun um Gehör. Sie nähert sich bittend Rotigern und tötet ihn. Kudrun bereitet Beowulf ein Feuerbegräbnis auf einem Boot und geht selbst an Bord des Bootes. Malwitis ruft die alten Götter an, sie mögen wieder die Macht übernehmen.“
    Wagner hat diesen Entwurf auf die Rückseite eines Briefentwurfes an Jessie Laussot geschrieben und ihn mehrfach durchgestrichen. Ob und inwiefern er für ihn relevant blieb, ist daher nicht festzustellen.
    Tatsache ist, daß Wagner auf einem Bogen Notenpapier, an dessen rechten oberen Rand er „Beowulf“ schrieb und bei dem Thema der Malwitis „7. October 1850“ vermerkte, mehrere Motive skizzierte, von denen er einige in andere Werke übernimmt. So ordnet er das Malwitis-Thema geringfügig umrhythmisiert später Kundry zu, das Thema von Kudruns Schwert verwandelt sich notenidentisch in das Tarnhelm-Thema, und das Grendel zugeordnete Motiv begegnet uns wieder als Auftrittsmusik von Fasolt und Fafner im „Rheingold“.
    Wirklich ausgeführt hat Wagner allerdings nur einen Monolog Beowulfs, der mit den Worten anhebt: „Vermag ichs, so werde ich fügen, was Ratlosigkeit zerissen hat.“ Darauf folgt eine Meditation über den Gegensatz von Zerstören und Aufbauen. Datiert ist dieser Monolog auf 2. Februar 1857. An welcher Stelle der Handlung dieser Monolog hätte stehen sollen, konnte bisher nicht geklärt werden. Hans Nulpius vermutet in seinem wegweisenden Werk „Die Fragmente Richard Wagners“ (München, Verlag des Wagnerverbands, 1955), der Monolog wäre vor dem Kampf mit Rotigern zu stehen gekommen.
    Die Musik des Monologs zeigt eine deklamatorisch geführte Singstimme (Tenor), die auf die „Parsifal“-Monologe vorausweist, während die Begleitung aus zumeist alterierten Sept- und Nonenakkorden besteht – die, sehr untypisch für Wagner, nicht motivisch verknüpft scheinen. Es ist daher fraglich, ob dies als Endstadium zu betrachten ist, oder als reine Harmoniefolge, die in einem weiteren Arbeitsschritt motivisch aufgelöst worden wäre. Im Baß ertönt ein Thema, in dem auf eine Vorschlagsfigur eine Kette von Synkopen folgt, nicht unähnlich der Szene Hagen-Alberich zu Beginn des zweiten Aktes der „Götterdämmerung“. Dieses Thema findet sich nicht auf der Motivtafel, es kann daher keiner Person und keinem Inhalt zugeordnet werden.
    Der Monolog, 247 Takte lang, ist ausgeführt als Singstimme mit Klavierbegleitung ohne Instrumentationsangaben, lediglich an einer Stelle merkt Wagner „Posunen“ (sic) an. Die insgesamt sechs Notenblätter wurden am 20. April 1934 Adolf Hitler als Geburtstagsgeschenk überreicht, und sind, wie u.a. auch die Partiturreinschriften von „Feen“, „Liebesverbot“, „Rheingold“ und „Walküre“ seit 1945 verschwunden. Erhalten hat sich somit nur die Abschrift des Fragments, und zwar in der Handschrift von Wagners Assistent Engelbert Humperdinck, was freilich zeigt, daß entweder Wagner diesem Stück genug Bedeutung beimaß, um es kopieren zu lassen, oder daß Humperdinck selbst dieses Fragment für so interessant hielt, daß er es abschrieb.
    Offenbar wollte Hitler jedoch das „Beowulf“-Fragment aufführen lassen. Nulpius weist Gespräche bzw. Schriftverkehr mit Hans Pfitzner, Richard Strauss, Werner Egk und Rudolf Wagner-Regeny über eine mögliche Fertigstellung dieser „Beowulf“-Szene nach. Tatsächlich scheint dann bei einer Sonderveranstaltung im Juni 1936 in Bayreuth dieses „Beowulf“-Fragment aufgeführt worden zu sein, und zwar unter der Leitung von Paul Graener. Da dieser vor allem als Komponist hervorgetreten ist, kann man Nulpius zufolge davon ausgehen, daß es sich um eine Graener-Fassung handelte. Allerdings scheint auch diese verlorengegangen zu sein.
    Jedenfalls wäre es hoch an der Zeit, dieses für die stilistische Entwicklung Richard Wagners so bedeutsame Fragment in zuverlässiger Bearbeitung aufzuführen und durch Tonträger für die Allgemeinheit zugänglich zu machen.

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  • Bereits aus dem Jahr 1849 (datiert mit 7. August) stammt ein Brief Wagners an Franz Liszt, in dem er ihn fragt, ob er ihm eine größere Summe Geldes leihen kann („Ich fürchte, Landtman (ein Geldverleiher, Anm.) verliert die Geduld und fordert, was ich nicht habe, in Zahlung nehmen will er nichts, und so muß ich Sie, meinen lieben Freund und Gönner, der mir immer gut war, voller Scham abermals bitten“); im Zusammenhang damit spricht er erstmals von „Beowulf“: „So verspreche ich mir und Ihnen, bester Freund, einen großen Erfolg von der neuen Oper, und will sie zügig angehen, zumal mir der erste Act völlig vor Augen steht und ich seine Musik nur noch aufzuschreiben brauche; danach werde ich alles begleichen, nicht allein bei Ihnen, sondern auch bei dem guten August Röckel.“


    In dem Brief vom 7. August 1849 an Liszt wie er mir vorliegt*, ist nicht die Rede von einer "Beowulf"-Oper. Mich machte die Einstellung des Beitrages am 1. April stutzig. ?( Der alte Stoff dürfte um die Mitte des 19. Jahrhunderts in seperater Form nicht das gewesen sein, was Wagner künstlerisch interessierte und umtrieb. Inhaltliche Schnittmengen gibt es allerdings mit der Wälsungengeschichte, wie sie in die "Walküre" Eingang fand. Wagner weilte 1849 im Exil. 1850 reiste er nach Paris, wo er nicht glücklich wurde, sah der UA seines "Lohengrin" in Weimar entgegen und machte sich an die Komposition des "Siegfried". Mich dünkt, Edwin hat auf sehr geschickte Weise historische Fakten und Personen wie beispielsweise diese Jessie Laussot oder Graener usw. mit Fiktionen durchmischt und verknüpft. Dadurch erscheint sein Text so authentisch, was er offenkundig nicht ist. ;) Ich habe von dieser Geschichte noch nie gehört, was aber auch nichts heißen muss, denn ich bin kein Wagner-Forscher. Auf die Fortsetzung bin ich sehr gespannt und bitte schon jetzt um Vergebung, wenn ich Unterstellungen verbreitet haben sollte.


    * Richard Wagner, Sämtliche Briefe, Band III, 1849-1852, Deutscher Verlag für Musik Leipzig, Seite 107


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • „Ich fürchte, Landtman (ein Geldverleiher, Anm.) verliert die Geduld und fordert, was ich nicht habe, in Zahlung nehmen will er nichts, und so muß ich Sie, meinen lieben Freund und Gönner, der mir immer gut war, voller Scham abermals bitten“


    Noch eine kleine Anmerkung: Liszt und Wagner waren 1849 längst Duzfreunde. Die Verwendung des "Sie" in dem zitterte Brief Wagners an Liszt verweist also auch ins Reich der Legende.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Die besten Aprilscherze sind solche, die nicht auf den ersten Blick als solche zu entlarven sind :D

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.