Berthold Goldschmidt (1903-1996)

  • Überraschenderweise scheint es bisher keine Thread für diesen Komponisten zu geben. Das will ich hiermit nachholen.


    Berthold Goldschmidt wurde am 18. Jan. 1903 als Sohn des Kaufmanns Adolf Goldschmidt und seiner Frau Henriette Goldschmidt in Hamburg geboren. Er wuchs in seiner Geburtsstadt auf und besuchte im Stadtteil St. Georg die Schule. Nach einem an der Hamburger Universität begonnenen Kunstgeschichtsstudium erhielt er seine musikalische Ausbildung an der Berliner Musikhochschule. Er begann 1922 als Meisterschüler von Franz Schreker, lernte Dirigieren bei Rudolf Krasselt und Julius Prüwer und belegte Musikwissenschaft bei Curt Sachs und Georg Schünemann. Das kulturelle Leben der Hauptstadt brachte wichtige Kontakte mit sich. So wirkte Goldschmidt bei den Proben und der Uraufführung von Alban Bergs „Wozzeck“ unter Erich Kleiber mit – er spielte die Celesta –, und so bahnte sich in dieser Zeit die wichtige Beziehung zu dem bekannten Theatermann Carl Ebert an, mit dem Goldschmidt mehrere Jahre zusammenarbeiten sollte. 1927 ging er mit Carl Ebert nach Darmstadt und folgte ihm als nunmehr unentbehrlicher musikalischer Berater 1931 wieder nach Berlin an die Städtische Oper. Inzwischen war Berthold Goldschmidt auch als Komponist erfolgreich. 1925 hatte er den Mendelssohn-Staatspreis für Komposition für seine Orchesterpassacaglia erhalten und 1932 erlebte seine Oper „Der gewaltige Hahnrei“ die erfolgreiche Uraufführung in Mannheim.


    Goldschmidt war gerade dreißig Jahre alt, als die Nazis an die Macht kamen. Er gehörte zu jenen, die gleich aus dreifachem Grund von den Nazis verfolgt wurden: Er stammte aus einer jüdischen Familie, war politisch „unzuverlässig“ und vertrat die Neue Musik. Entfernung aus allen Ämtern und Aufführungsverbot für seine Werke waren die routinemäßige Folge. Goldschmidt nutzte bereits früher angelegte Kontakte nach England, um im Herbst nach London 1935 zu emigrieren. Das Exil wandelte sich erst nach und nach in eine zweite Heimat. Anfänglich musste Goldschmidt – stets am Rande der Legalität – sich und seine Frau mit Privatunterricht durchbringen. Gegen Ende des Krieges konnte er bei der BBC arbeiten, wo er in der Abteilung für deutschsprachige Gegenpropaganda zeitweilig Leitungsfunktionen ausübte. Nach dem Krieg erinnerte man sich des Dirigenten Goldschmidt, dessen Mahler-Interpretationen allgemeine Wertschätzung genossen (darunter auch 1964 die von Mahlers Zehnter Symphonie, deren Rekonstruktion Deryck Cooke unter Hinzuziehung von Berthold Goldschmidt unternommen hatte).


    Am meisten hatte der Komponist Goldschmidt unter dem durch die politischen Verhältnisse verursachten Bruch in der Künstlerbiographie zu leiden. Die Lebens- und Zeitumstände waren nicht dazu angetan, dass der noch junge Komponist schnell zu einer eigenen Sprache finden konnte. Dafür wären Aufführungen, Zuspruch und qualifizierter Widerspruch in einer freien kommunikativen Situation erforderlich gewesen. Nach 1945 blieb Goldschmidt die Fortsetzung seiner Karriere als Komponist versagt. Die von den Darmstädter Ferienkursen dominierte Avantgarde verdrängte alle frei tonale bzw. frei atonale, an die Tradtion anknüpfende Musik, wie Goldschmidt sie schrieb. Sein Schaffen versiegte bis Anfang der 1980er Jahre. Mit der Aufführung der „Ciaconna Sinfonica“ durch Simon Rattle bei den Berliner Festwochen 1987 wurde Goldschmidt mit einem Schlage wieder bekannt. Kompositionsaufträge, Erst- und Uraufführungen und CD-Einspielungen folgten und initiierten bei dem bereits 85-jährigen Komponisten ein bemerkenswertes kammermusikalisches Spätwerk.


    Aus Anlass seines 90. Geburtstags erschien das von ihm selbst autorisierte Buch „Berthold Goldschmidt. Komponist und Dirigent. Ein Musiker-Leben zwischen Hamburg, Berlin und London“, Hamburg 1994 und 2003 (PetersenP/Arbeitsgruppe Exilmusik 1994, PetersenP/Arbeitsgruppe Exilmusik 2003). Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, darunter die Dissertation von Barbara Busch über „Berthold Goldschmidts Opern im Kontext von Musik- und Zeitgeschichte“ (BuschB 2000), liegen vor. Der Wiederkehr des 100. Geburtstag wurde durch Sonderveranstaltungen in England und Deutschland gedacht.


    Berthold Goldschmidt starb am 17. Okt. 1996 in London.


    Aus:
    Peter Petersen: Berthold Goldschmidt, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2006 (https://www.lexm.uni-hamburg.d…/lexm_lexmperson_00000929).


  • Berthold Goldschmidt hat im Laufe seines langen Lebens insgesamt vier Streichquartette komponiert, zwischen dem 1. und 4. liegen insgesamt 67 Jahre, möglicherweise ein Rekord in der Musikgeschichte. Das 1. Quartett von 1925 ist demnach das Werk eines jungen Mannes, 22 war er gerade und es gilt als das Abschlußwerk seiner Lehrzeit bei Franz Schreker. Nach der UA durch das Deman Quartett (Mitglieder der Berliner Staatskapelle) hat Schönberg ihm prsönlich für den großen Erfolg gratuliert, wohl auch mit dem Hintergedanken ihn als Schüler gewinnen zu können. Goldschmidt "verpasste" aber diese Gelegenheit, einmal weil er schüchtern war und dann wohl auch, weil er der 12-Ton-Methode kritisch gegenüber stand. Viele Jahre später im amerikanischen Exil soll Schönberg zu seinem Schüler Leon Kirchner anläßlich eines Programms mit Goldschmidts Namen sinngemäß gesagt haben, " noch so einer, der mich betrogen hat".
    Das 1. Streichquartett hat die üblichen vier Sätze und dauert knapp 23 min. Es ist ein wirklich frisches und originelles Werk, das IMO ziemlich eigenständig klingt. Man fühlt sich weder an Schönberg, Bartok, Debussy oder Hindemith erinnert, eher klingt es wie eine frühe Vorwegnahme des Streichquartettspiels, wie es Schostakowitsch entwickeln wird. Wobei das Quartett den tragisch-melancholischen Tonfall von DSCH noch nicht aufweist.
    Alle vier Quartette von Goldschmidt sind auf hohem Niveau durch das seinerzeit noch junge Mandelring Quartett eingespielt worden, leider auf einem obskuren Label, die drei CDs enthalten zum einen noch andere Musik von Goldschmidt und sind zudem schwer bis gar nicht zu bekommen. Das ist sehr schade, da könnte doch cpo mal einspringen.


  • Im September 1994 brachte die Komische Oper Berlin Bertold Goldschmidts Oper "Der gewaltige Hahnrei" zur Premiere. Es war das Debüt-Stück des neu engagierten Generalmusikdirektors Yakov Kreizberg, Regie führte Chefregisseur Harry Kupfer, die Hauptpartien sangen Yvonne Wiedstruck (Stella) und Günter Neumann (Bruno). Unter den weiteren Mitwirkenden war auch Anny Schlemm. Zur Premiere wurde der Komponist auf die Bühne geholt und gefeiert. Diese Premiere wurde damals bei 3Sat übertragen:


    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Das 2. Streichquartett von Goldschmidt entstand 10 Jahre nach dem ersten, zu diesem Zeitpunkt war der Komponist bereits nach England geflohen, wo er für den Rest seines Lebens auch seinen Lebensmittelpunkt haben sollte. Das ca. 25-minütige Werk ist wieder viersätzig, etwas spröder im Tonfall als das erste. Der 3. Satz Folia (Elegie) lässt erahnen, wie schwer dem Komponisten der Abschied von seinem Heimatland gefallen sein musste. Das abschliessende Presto-Finale kommt dann aber eher bissig-trotzig daher. Auch hier eine gewisse Ähnlichkeit zu den Quartetten von DSCH. Für 52 Jahre sollten dies der letzte Beitrag Goldschmidts zum Genre sein.



    Auf der website des Mandelring Quartetts findet sich bei den drei CDs folgender Hinweis: derzeit vergriffen, Neuauflage geplant. Prima.

  • Vielen Dank an Stimmenliebhaber für den youtube Link zu "Der gewaltige Hahnrei", die Opern von Goldschmidt kenne ich noch nicht. Beide sind auch auf CD verfügbar. Zu Beatrice Cenci gibt es nur kurze Ausschnitte. Wohl eine recht blutrünstige Angelegenheit.



  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Seine (oder einige seiner?) neoklassizistisch geprägten Solokonzerte kann man auf dieser CD kennenlernen:



    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!