Ich habe heute durch einen Zufall "Reclams Komponistenlexikon" erworben. Es wird in der "Neuen Burg" in Wien, einer Zweigstelle des kunsthistorischen Museums, wo sich unter anderm auch die Sammlung alter Musikinstrumente befindet, die nach massiven Prostesten aus den In- und Ausland nun glücklicherweise doch erhalten bleibt (darüber kann gegebenenfalls in einem anderen Thread diskutiert werden) zum Abverkaufspreis von 9.99 Euro angeboten, der Alte Preis soll an die 50 Euro gewesen sein.
Nein es handelt sich nicht um eine winziges Reklam-Büchlein, sondern um ein ordentlich gebundenes Buch mit Kartonumschlag im Format von 24,6 x 16,2 x 4,8 cm und 672 Seiten, ich hoffe allerdings, daß es sich um eine Sonaderausgabe handelt und daß jene die 50 Euro dafür hinlegen mussten einen Leineneinband bekommen haben. Luxuriöse Ausstattung war allerdings nie ein Stärke des Reclam Verlags. Angesichts des Preises - Bei Amazon noch eine Spur billiger, was aber durch die Versandkosten ausgeglichen wird - darf man aber nicht meckern.
Allerdings bin ich traurig, dass solche Werke nicht zu profitbringenden Preisen verkauft werden können - weil dann nämlich eines Tages niemand so etwas verlegen wird.
Zum Buch selbst. Ich war ein wenig in Zeitdruck (und außerdem war's bei dem Preis ohnedies egal) und prüfte das Produkt in aller Eile auf eher unbekannte Komponisten. Einige Stichproben fielen positiv auf. Da im Waschzettelzext (so bezeichnte man den kurzen Info.Text im Buchumschlag) von 700 Komponisten und Komponistinnen die Rede war, fand ich, daß hier nicht allzuviel schief gehen könne. Das hat sich letztlich auch bestätigt. Dennoch - trotzdem zahlreiche weniger bekannte Namen enthalten sind, so fehlen doch eine ganze Menge: Anton und Paul Vranicky (auch mit W), Hans Gal, Joseph Marx, Ture Rangström, Kurt Atterberg, William Alwyn, Donald Tovey, Mieczyslaw Weinberg (auch nicht unter Vainberg) - das ist nur eine kleine Auswahl. Bei einer Neuauflage würde ich gerne mitarbeiten, an die 100 wichtigen Namen könnte ich noch beisteueren. Noch besser wäre, das Werk auf 2 Bände zu splitten und etwa 300-400 Namen ergänzend hinzuzufügen. DENNOCH - Es finden sich in der Tat viele relativ unbekannte Komponisten in diesem Lexikon. Man muß entschuldigend noch hinzufügen, daß dieses Buch 2009 auf den Mark kam, soll heissen Redaktionsschluss war vermutlich 2008. Man muss sich vor Augen halten, wie viele uns Insidern heute geläufigen Komponisten damals noch nicht mit einer - oder grade male einer - Aufnahme in den einschlägigen Plattenkatalogen aufschienen - von Livekonzerten möchte ich gar nicht sprechen.
Bei Amazon (Lesermeinungen) wurde beanstandet, daß eine feministische Tendenz in diesem Werk nicht zu übersehen sei, er schienen verhältnismäßig viele Komponistinnen auf, darunter auch recht unbedeutende. Dieser Kritik schließe ich mich nicht an, ebensowenig der kritischen Bemerkung, die Lebensläufe würden oft wie Klatschgeschichten erzählt. Da dürfte man Wikipedia gar nicht erst lesen und ausserdem bringt das etwas Farbe ins überlieferte Leben des entsprechenden Komponisten, auch Österreichs berühmtestes Lexikon, der "wurzbach" welcher sich mit wichtigen Personen des Kaiserreich Österreichs befasste (bis Ende des 19. Jahrhunderts, 60 Bände Lexikonformat) zeigte diese Tendenz - und niemand nahm daran Anstoß.
Fazit: ein an sich sehr gutes Produkt mit Erweiterungsbedarf. Solch eine Erweiterung sollte indes SIGNIFIKANT sein, damit der Besitzer der Erstauflage mit Freuden die Neuauflage kauft. Lediglich 30 - 50 Komponisten angefügt - das wäre zu wenig.
Interessant die Stellungnahmen einiger Amazon- Kunden: sie dürfen einander kennen und branchennah(?) arbeiten.
Die Spitzen und Angriffe zeigen, welch moderater Ton doch insgesamt bei Tamino herrscht, bzw. daß Kultur offenbar immer eine gewisses Konfliktpotential in sich birgt. Bei dieser Gelegenheit mochte ich einem weiteren Vorwurf begegnen: "Insgesamt ist das Lexikon, dessen 672 Seiten zwischen ein in tiefem feministischem Rosa prangendes Vorsatzpapier gepackt sind.....". Das ist wohl ein wenig publikumswirksam formuliert worden, das Vorsatzpapier ist ein mattes ziegelrot.....
https://www.amazon.de/Reclams-…anie-Unseld/dp/3150107326
mit freundlichen Grüßen aus Wien
Alfred