Großartige Karmeliterinnen (Poulenc) in der Hamburgischen Staatsoper, 02.05.2017

  • Es wurde großartig gesungen. Die fünf Hauptpartien waren mit drei Ensemblemitgliedern und zwei Gästen besetzt. Hayoung Lee war eine darstellerisch und im vokalen Gefühlsausbruch großartige Blanche, die endlich mal wieder in einer Hauptpartie eingesetzte Katja Pieweck (Mutter Marie) glänzte mit ihrem silbrigen, problemlos die Sopranhöhe erreichenden Mezzo, Dovlet Nurgeldiyev imponierte schönstimmig als Le Chevalier. Bei den Gästen handelte es sich um Doris Soffel, die als erste Priorin (Madame de Croissy) einen bewegenden Sterbemonolog sang und um Emma Bell, die mit großem leuchtenden Sopran der zweiten Priorin (Madame Lidoine) ihre Stimme lieh. Der eher helle und nicht sehr durchschlagende Sopran von Christina Gansch passte gut zur Rolle der noch verspielt naiven Schwester Constance. Den Marquis de la Force, dem Poulenc nur im ersten Bild bedachte, sang tadelsfrei Marc Barrard. Auch die zahlreichen anderen, in kurzen Nebenrollen Mitwirkenden minderten nicht das hohe gesangliche Niveau der Aufführung. Da Kent Nagano erkrankt war, hatte Stefan Blunier die Leitung der Hamburger Philharmoniker übernommen.


    Bei dieser „Dialoge der Karmeliterinnen“ genannten Oper von Francis Poulenc (nach einem Schauspiel von Georges Bernanos) handelt es sich um ein wahres Geschehen. Während der französischen Revolution weigerten sich zahreiche Nonnen des Karmeliterinnenklosters in Compiègne (nahe Paris) ihr Gelübde abzulegen und wählten 1794 den Weg unter die Guillotine. 1906 wurden sie dafür von Papst Pius X. selig gesprochen. Die Oper beginnt im Hause des Marquis de La Force, dessen von den Vorgängen auf der Straße völlig verängstigte Tochter Blanche Ruhe im Kloster finden will. Gegen den Rat des Vaters und des Bruders (Le Chevalier) unterzieht sie sich den Riten des Klosterlebens, geprüft von der sterbenskranken Priorin Madame de Croissy und begleitet von der jungen Novizin Constance. Sterbend gesteht die Priorin ihre Angst vor dem Tod und sieht traumwandlerisch das Ende des Klosters kommen. Sie vertraut die ihr ergebene Blanche der Mutter Marie an. Madame Lidoine wird zur neuen Priorin gewählt. Die Revolution fordert ihren Tribut (der Vater wird hingerichtet), der Bruder versucht Blanche aus dem Kloster zu retten. Blanche will aber lieber in den Tod gehen, als ihr Gott gegebenes Versprechen zu brechen. Der Priester des Klosters berichtet den Schwestern von der Auflösung des Klosters, Mutter Marie schwört ihre Mitschwestern auf den Märtyrertod ein. Nach anfänglichem Widerstand schließt sich Constance der Gruppe an. Letztlich überzeugt der Priester Mutter Marie, dass der Opfertod nicht ihre Bestimmung sei. Mutter Marie flieht verkleidet aus dem Kloster und nimmt Blanche mit. Die Karmeliterinnen werden verhaftet und am nächsten Tag guillotiniert, als letztes stößt Blanche, die Mutter Marie doch nicht folgte, zu den Märyrerinnen und lässt sich hinrichten.


    Das ist schon sehr tiefenschwer, was hier inhaltlich geboten und gesanglich zum Ausdruck gebracht wird. Angst vor dem Leben, Angst vor dem Sterben, Angst vor dem Tod, darum kreist dieses Stück. Da bleibt einem beim Zuschauen und Zuhören manchmal nicht mehr viel Luft zum Atmen. Es wird französisch gesungen, das Lesen der Übertexte ist für das Verständnis notwendig, das lenkt schon vom Gesang und auch vom Orchesterklang ab. Das Bühnenbild (Raimund Bauer) ist einfach, aber sehr überzeugend. Die Wände bestehen aus dunklen blau-schwarz changierenden Lamellen, die hochgezogen werden können, der Bühnenboden ist ebenfalls lamellenartig gegliedert, von denen jede zweite abgesenkt werden kann (so können Sitzbänke imitiert werden, die senkrechten Lamellen dienen als Tore etc.). Fast unerträglich ist der Schluss der von Nikolaus Lehnhoff verantworteten Inszenierung: Vorn senkt sich über die gesamte Bühnenbreite ein schmale Streifen frei lassender Vorhang. Die Karmeliterinnen treten einzeln vor jede der Öffnungen, bis ein Fallbeil (eine schwarze, unten beschwerte Stoffbahn) niedersaust und die Öffnung verschließt. Vor die letzte Öffnung tritt Blanche, danach ist alles schwarz.


    Das Haus war schwach besucht, ca. 70% der Plätze blieben frei, das tat dem Beifall keinen Abbruch. Warum eine bühnentechnisch, inszenatorisch, gesanglich und musikalisch so starke Aufführung so wenig Zuschauer anzieht, sollte man sich aber schon fragen. Der Direktion ist jedenfalls kein Vorwurf zu machen. Besser geht es wohl nicht. Natürlich ist die Oper inhaltlich herausfordernd, die Thematik des gemeinsamen Märtyrertodes vielleicht nicht mehr von dieser Welt, und wer mag sich schon gern mit den Thema Angst vor dem Tod auseinandersetzen; aber, von Belang ist sicherlich auch die blamable Situation der lokalen Presseberichterstattung. Es gibt ja in Hamburg leider nur noch eine Tageszeitung (das Hamburger Abendblatt), welche sich etwas ausführlicher mit kulturellen Themen befasst. Der dortige Leiter des Kulturressorts fühlt sich aber offenbar weitgehend nur noch für das Konzertwesen (und jetzt insbesondere für die Elbphilharmonie) zuständig (und hinreichend kompetent), während eine kontinuierliche Opernberichterstattung schon lange nicht mehr erfolgt. Allein schon von der Besetzung her herausragende Aufführungen wie diese „Dialoge der Karmeliterinnen“ oder jüngst der exzellente „Macbeth“ finden so keinen Niederschlag in der Presse mehr. Hier müsste das Hamburger Abendblatt als einzige Lokalzeitung mit kulturellem Anspruch und auch entsprechender Leserschaft sich selbst eigentlich stärker in der Pflicht sehen.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Das Haus war schwach besucht, ca. 70% der Plätze blieben frei,


    Das wirft schon Fragen auf. Schließlich sind die "Karmeliterinnen" doch so etwas wie ein Klassiker - und Hamburg gibt sich gern gebildet und kulturell beschlagen. Ich weiß nicht, wie sich die Subventionen in Hamburg pro Sitzplatz in der Staatsoper verteilen. Ich ahne aber, dass bei so einer Auslastung jeder Zuschauer mit mindesten eintausend Euro für diese Vorstellung bezuschusst werden musste. Macht das Sinn? Es ist nach meiner Beobachtung zu kurz gegriffen, diese Situation der Presse anzulasten. Die trägt schließlich nicht an allem eine Schuld. In der Regel beschäftigen sich Zeitungen auch nur mit dem, was ihre Käufer und Abonnenten erwarten. Sonst gehen sie pleite. Und das erwähnte "Hamburger Abendblatt" hat in jüngster Vergangenheit einiges geschäftlich durchmachen müssen, was gewiss nicht zur Qualitätssteigerung beigetragen haben dürfte. Vielleicht ist aber mit dem 2. Mai der Zeitpunkt für diese Aufführung außerordentlich unglücklich gewählt. Das ist kein Tag für dieses grandiose Stück, das sich jeden Neigungen zum gewöhnlichen Repertoire widersetzt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich hatte die Vorstellung am 21.April besucht und wollte eigentlich ebenfalls darüber berichten, was ich zeitlich jedoch nicht geschafft haben. Deshalb großer Dank an Ralf, der neben seiner Würdigung der wirklich ausgezeichneten Sangesleistungen (*) ein Thema aufgreift, was auch mich nach der Aufführung umgetrieben hat:
    Unsere Vorstellung war vielleicht zu zwei Dritteln (eher weniger) besucht, was mir sowohl aufgrund der Besetzung, als auch angesichts der eindrücklichen und bewegenden Lehnhoff-Inszenierung (inzwischen ca. 30 Aufführungen seit der Premiere am 26.Januar 2003) vollkommen unverständlich ist. Wie Ralf bereits schrieb, kann man den Herren Delnon (Intendanz) und Nagano (GMD) hier kaum einen Vorwurf machen - im Gegenteil gebührt ihnen sogar größtes Lob für die Wiederaufnahme des sicher sperrigen, aber für die Oper des 20ten Jahrhunderts umso wichtigeren Werks des Franzosen Poulenc. Hinzu kommt bei einer solchen Programmierung, dass die Hamburger Staatsoper mit Kent Nagano einen ausgewiesenen Experten für das französische Repertoire hat, wie z.B. auch seine Dirigate von Les Troyens, Pelléas et Mélisande und der Turangalîla-Symphonie zeigen. Man sollte nun meinen, diese Dinge könnten einem verständigen Opern-Publikum bekannt sein und entsprechend gewürdigt werden. Doch leider, wenn nicht Mozart, Verdi, Puccini oder Wagner draufsteht, ist es wohl zu schwierig/alt/modern/etc. und man braucht nicht hinzugehen.
    Wenn ich dann - auch hier im Forum - immer wieder lese, man könne ja aufgrund der "Inszenierungprobelmatik" eigentlich auch nicht mehr in die Oper gehen - was bei der hier in Rede stehenden Regie wohl kaum das Problem sein dürfte; man müsste sich halt nur mal trauen! - man aber gleichzeitig vollmundig den Untergang der Oper beklagt, passt da doch einiges nicht recht zusammen?! Das Resultat, nämlich halbleere Häuser kann ich kaum dem Feuilleton anlasten. Vielmehr steht hier m.E. jeder "wahre Opernfreund" selbst in der Verantwortung, etwas für den Erhalt der geliebten Kunstform zu unternehmen!


    (*) Hier ist natürlich nochmals Doris Soffel zu nennen, deren immer noch sehr kraftvolle Stimme zwar metallisch und fast ein wenig Roh klang, die jedoch mit unglaublicher Bühnenpräsenz brilllierte. Die Damen Lee als Blanche und Gansch als Constance habe ich eher andersherum gehört, als Ralf in der von ihm besuchten Vorstellung. Die Philharmoniker reagieren nach nunmehr zwei Spielzeiten extrem differenziert auf ihren GMD, so dass sowohl die Opernaufführungen, als auch die Symphoniekonzert eine wahre Freude sind.


    Für Interessierte sei noch angemerkt, dass zu dieser Produktion glücklicherweise ein Mitschnitt auch auf DVD/BlueRay verfügbar ist:


    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich habe gehört, dass Hamburg inzwischen generell ein Auslastungsproblem hätte. Auch die Decker-"Salome", die ich 2003 noch in ausverkauftem Haus erlebt habe, sei jetzt in dieser Spielzeit vor halbvollem Haus gespielt worden. In einer so großen Stadt ohne mehrere konkurrierende Opernhäuser wie in Berlin ist das in der Tat alarmierend!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Das Auslastungsproblem scheint ein generelles Problem zu sein.


    Ich hatte berichtet (allerdings kaum ohne eine Reaktion) über schwachen Besuch am 30.4.2017 bei der Lucia in Chemnitz. Da waren dieses Jahr zu Ostern selbst alle 3 Wagneropern (Meistersinger, Tannhäuser, Parsifal) nicht gut besucht, im Gegensatz zu den Vorjahren.


    Und in meinem Stammhaus Gera ist man froh, in den wenigen Vorstellungen das Haus wenigstens halb voll zu bekommen. Der 2. Rang ist fast immer frei, selbst Premieren sind schlecht besucht.


    Ich will jetzt kein Öl ins Feuer gießen, deshalb äußere ich meine Vermutungen darüber nicht, was die Leute aus dem Theater getrieben hat. Aber irgendetwas muß doch in den letzten 15 - 20 Jahren dazu geführt haben! Wie Chrissy berichtet, gibt es das Problem in Liberec nicht!


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.


  • Das Auslastungsproblem scheint ein generelles Problem zu sein. Wie Chrissy berichtet, gibt es das Problem in Liberec nicht!
    Herzlichst La Roche

    Lieber La Roche
    Da hast Du recht. Das Liberecer Opernhaus ist, wenn auch nicht immer voll ausverkauft, so doch aber immer gut bis sehr gut besucht.
    Zumindest kann ich das aus eigenem Erleben bestätigen, von den vielen Vorstellungen, bei denen ich /wir dabei waren.
    So gibt es z. B. seit langem für die kommende Premiere von "Rigoletto" am 19. Mai im Parkett nur noch verteilt 12 freie Plätze und im 1. Rang nur noch zwei.
    Sonst gibt es nur noch Karten im 2. Rang und oben in der "Lumpenloge". Und ich bin überzeugt, auch von denen wird nicht viel übrig bleiben.
    Ja, und woran liegt das mit der Auslastung wohl??? Ganz einfach:
    Neben einem ausgewogenen, vielseitigen interessanten Spielplan, haben sie dort ein in allem hochqualitatives Ensemble und gute, zufriedenstellende Inszenierungen.


    Herzlichst
    CHRISSY


    PS.: Und Ralf Reck danke ich für seinen ausführlichen, interessanten Bericht.

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Ja, und woran liegt das mit der Auslastung wohl??? Ganz einfach: Neben einem ausgewogenen, vielseitigen interessanten Spielplan, haben sie dort ein in allem hochqualitatives Ensemble und gute, zufriedenstellende Inszenierungen.

    Gut! Ich halte den Spielplan der Hamburger Staatsoper für ausgesprochen ausgewogen: Der Bogen reicht hier vom "üblichen" Repertoire (inkl. Ballett) [gut bis sehr gut besucht] über das 20te Jahrhundert [mäßig besucht] bis hin zu regelmäßigen Auftragswerken bzw. Uraufführungen [man muß froh sein, wenn eine Produktion in der nächsten Spielzeit nochmal auf den Plan kommt] (siehe auch hier). Die Ensemble-Leistungen würde ich inzwischen wieder - und hier gibt mir Ralf Beck vielleicht recht - als ausgesprochen solide bis mindestens gut beurteilen. Die hier in Rede stehende Lehnhoff-Inszenierung der Karmeliterinnen hat mit Regietheater, wie es hier gerne als "Aufreger" benutzt wird, nichts zu tun und gleiches gilt - entgegen anderer postfaktischer "Wahrheiten" - für die meisten Produktionen hier am Haus; man müßte halt mal hingehen! Also, "woran liegt das mit der Auslastung wohl???"

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Gut! Ich halte den Spielplan der Hamburger Staatsoper für ausgesprochen ausgewogen: - für die meisten Produktionen hier am Haus; man müßte halt mal hingehen!
    Also, "woran liegt das mit der Auslastung wohl???"

    Ja, woran liegt das wohl?! Ich weiß es bei Euch nicht, kann natürlich für Hamburg auch nicht sprechen, kenne bisher von Besuchen Euer Haus nur von außen.
    Auf jeden Fall stimme ich Dir aber zu, neben dem anderen, was Du erwähnt hast, ist das zumindest tatsächlich ein ausgewogener, interessanter Spielplan,
    eigentlich ein Zuschauermagnet - Zitat:
    Andererseits bleibt auch genug Zeit für das "klassische" Repertoire, so kann man sich z.B. mit Cavalleria / Pagliacci, Butterfly, Tosca und Bohème dem Verismo widmen,
    mit Aida, Otello, Simon Boccanegra und Rigoletto einige der wichtigsten Verdi-Opern genießen oder seiner Wagner-Liebe fröhnen (Parsifal, Holländer, Rheingold und Walküre).
    In einem anderen Thread habe ich vorhin von Nabucco berichtet.
    Diese Oper läuft in Liberec nun schon 15 (!!!) Jahre und so oft wie ich sie dort schon gesehen habe, war sie immer gut besucht.
    Und ich meine, wenn etwas 15 Jahre erfolgreich läuft, und mit erfolgreich meine ich hier, daß die Zuschauerzahlen nach wie vor zufriedenstellend sind.
    Denn wenn das nicht so wäre, hätte man sie längst vom Spielplan genommen. Aber es ist für mich eine einfache Feststellung:
    die schöne, ansprechende Musik von Verdi, gepaart mit einer stimmigen, werkgetreuen Inszenierung und einem qualitativ hochkarätigen, spielfreudigen Ensemble -
    das sind die "normalen Zutaten". Übrigens, generell unter den Zuschauern sind nicht nur das "ältere Semester", sondern auch viele jüngere.


    Gruß
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Ja, woran liegt das wohl?!


    Tatsächlich weiß ich es ja auch nicht! Ich finde es nur so entsetzlich schade, dass ich (setzen wir mal eine jeweils "freundliche" Inszenierung - nicht zu sehr Regietheater, aber auch nicht zu "staubig" - voraus) mit Verdi und Puccini ein einigermaßen volles Haus kriege, während ich schon bei Britten oder, wie in diesem Falle Poulenc, ganz zu schweigen von Berg oder Reimann viel zu viele leere Plätze sehe. Da fehlt dann anscheinend die Offenheit, Neugier und - so sehe ich es inzwischen - die wahre Freude an der Oper. Und natürlich sehe ich da Leute, wie sie sich hier im Forum bewegen, in einer gewissen Verantwortung, auch solche Produktionen zu unterstützen und dafür ggf. auch mal über "schwächere" Inszenierungen hinwegzusehen - was wie gesagt bei den Karmeliterinnen nicht einmal ein wirkliches Problem wäre, da die Inszenierung alles andere ist, aber sicher nicht schwach.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Wollen wir uns doch mal nichts vormachen: Die Karmeliterinnen sind keine Zugnummer für die Masse! Im Publikumdieser Oper wird man maximal Anrechtsbesucher finden und Spezialisten, die gerade diese Oper sehen wollen. Und dazu gehört nicht einmal jeder Opernfreund! Ich hab sie gesehen, einmal, das reicht.


    Aber Chrissy erwähnt den ausgewogenen Spielplan. Den Chemnitzer Spielplan habe ich vorgestellt, leider hat sich niemand dazu geäußert. Der ist ausgewogen, und trotzdem kämpft das Haus mit der Auslastung, auch wenn beschönigte Statistiken etwas anderes sagen mögen. Der Geldgeber Staat und Stadt will ja beruhigt werden, da ist jedes Mittel recht.


    In Gera sind der Schwerpunkt 2017/18 2 hebräische Kammeropern, Die weiße Rose von Zimmermann, dazu die verkaufte Braut und als Übernahme aus Altenburg Don Pasquale. Dazu kommt noch Maseba (bisher kannte ich die Oper als Mazeppa), die gerade am Wochenende in Gera Premiere hatte in einer nicht konventionellen Regie. Am Sonntag in der 1. Anrechtsvorstellung war das Theater vor der Pause zu 2/3 gefüllt, nach der Pause nur noch zu 1/3, die Oper hat mit einem Zeitbezug zum Ukraine-Konflikt nicht den Nerv des vorwiegend im Rentenalter befindlichen Publikums getroffen.


    Ich nenne jetzt meine Meinung zum Publikumsschwund: Das vergraulte Publikum ist weg, Versuche, es wiederzugewinnen sind gescheitert, und neues Publikumkonnte auch nicht gewonnen werden. Es ist nunmal so, daß Operninteressenten erzogen werden müssen, mit Jugendkonzerten, Musikunterricht in Schulen, mit niveauvollen Fernsehübertragungen (auch von Opern) usw. Dazu gehört keinesfalls die jetzt auf ARD Alpha wiederholte fürchterliche Frau ohne Schatten, so etwas schreckt die Masse ab. Und wenn man die Masse wieder im Theater haben will, muß man auch den Geschmack der Massen bedienen, in der Stückauswahl und in der Inszenierung. Ich vermisse Theater und Oper sehr, aber ich will begeistert werden und unterhalten und mich für mein Geld nicht ärgern müssen.


    Herzlicht La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Wäre mein Wohnort nicht Münster, sondern Hamburg, wäre für mich der Poulenc natürlich ein "Muss"! Dass das Publikum heute oft überraschend wenig offen für Ungewohntes ist, trifft leider nicht nur auf die Oper, sondern auch auf das Konzertpublikum zu. Ich habe es nicht nur einmal erlebt. Da wird vor der Pause bekannter Brahms gespielt und nach der Pause eine unbekannte Petersson-Symphonie. Nach der Pause ist die Hälfte des Publikums einfach nicht mehr erschienen - obwohl es sich um ein Gastkonzert des fabelhaften Royal Stockholm Philharmonic Orchestra handelte. Und hier in Münster gibt es Regietheater und den Witz: "Der Intendant ist unzufrieden, wenn das Haus mal nicht zu 95% ausverkauft ist!" Bevor man spekuliert und mal wieder eine - überflüssige - Auflage der Regietheater-Debatte mit den nur allzu bekannten Argumenten vom Zaun bricht, sollte man vielleicht doch die Besonderheiten von Hamburg analysieren. Die Oper hat in Hamburg einfach mächtig Konkurrenz, gerade was das Massenpublikum angeht. Dazu können aber die Hamburger Ralf und Michael sicher mehr sagen :) :


    http://www.hamburg-tourism.de/…Iz9rO3009MCFUMTGwodNSEH1Q


    Schöne Grüße
    Holger

  • Interessant wäre in diesem Zusammenhang, wie sich das Publikum zusammensetzt: Sind es überwiegend Einheimische, oder gibt es einen signifikanten Anteil an Kulturtouristen? Meine Vermutung ist, dass in Hamburg weitaus weniger Touristen in die Oper gehen als es in Berlin und München der Fall ist. Hamburg vermarktet sich primär als Musical-Stadt und zieht da auch viele Touristen an. In Zukunft wird sicher auch die Elbphilharmonie eine herausgehobene Rolle im Stadtmarketing spielen. Dass die Oper da besonders beworben wird, ist mir noch nicht aufgefallen (was aber nichts heißen muss).


    Ich habe ja sowohl in Hamburg als auch in Berlin und München einige Jahre gelebt und war in Hamburg erheblich seltener in der Oper als in Berlin und München. Das hatte vor allem mit dem Programm zu tun, dass ich in als relativ uninteressant empfunden habe. Die "Karmelitinnen" hätte ich mir allerdings angeschaut, wenn das Stück in der Zeit gelaufen wäre, weil es eine meiner Lieblingsopern ist und die Hamburger Produktion sehr gut ist (ich habe sie auf Blu-ray).

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Meinem Eindruck nach besteht heute immer weniger die Neigung, sich mit Unbekanntem auseinanderzusetzen, insbesonderes wenn es geistig mühevoll ist. Gesucht wird das Event, man will jenes Sehen und Hören, was bekannt und berühmt ist. Der Unterhaltungswert ist heute meiner Erfahrung nach erheblich relevanter als der Bildungswille, wenn es einen solchen überhaupt noch in gewissem Umfang gibt. Vier Vorstellungen Karmeliterinnen in einem ca. 1.700 Plätze fassenden Haus, also insgesamt mehr als 6.000 Plätze innerhalb von etwa 2 Wochen, sind dann nicht mehr zu füllen. Das ist aber nicht nur in Hamburg so, ich habe mir die aktuelle Auslastung von Billy Budd in der Deutschen Oper in Berlin angesehen, dort ist es ähnlich. Für das Ballett Giselle, einem sehr bekannten Werk, konnten dafür in Hamburg vor kurzem an einem Tag in der Nachmittags- und der Abendvorstellung gut 3.300 Karten verkauft werden (bei schwierigeren Balletten scheint die Auslastung aber auch zu sinken). Nur an der Bayerischen Staatsoper sieht es anders aus, trotz dort sehr viel höherer Preise als in Hamburg oder in Berlin. Was ist der Grund, dort arbeitet man mit Stars, pflegt damit den Eventcharakter und füllt das Haus mit Operntouristen. Für die nicht so prominent besetzten Stücke fällt dann auch etwas ab, damit man wenigstens im Nationaltheater gewesen ist. In Hamburg ist das derzeit mit den Konzerten in der Elbphilharmonie so, alles ist ausverkauft, jeder will hin und bucht selbst Vorstellungen, in die die Betreffenden sonst nie und nimmer gegangen wären. Die Hamburger Operdirektion geht mittlerweile auch schon den Weg, Opernkontingente an Elbphilharmoniekonzerte anzukoppeln und vor allem ab der nächsten Saison auch wieder bekannte Starsängerinnen/-sänger zu engagieren (Opolais, Gheorghiu, Harteros, J. Kaufmann). Wenn diese das Haus und die betreffenden Populäropern wie Tosca füllen, rechtfertigt sich vielleicht auch eine schlecht besuchte Serie der Karmeliterinnen, denn letztlich sind die hohen Subventionen ja für die Kunst und nicht das Unterhaltungsevent gedacht. Das schließt natürlich nicht aus, das auch Kunst unterhalten kann.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv