Liebe Opernfreunde!
Zitatvon William B.A.
Du sprachst an verschiedenen Stellen von der Umsetzung des Notentextes, und da musste ich in mich gehen. Bei Beethovens Klaviersonaten bin ich immer so pingelig, und hier hatte ich nicht einmal einen Klavierauszug. Aber ich habe vorhin flugs einen bestellt, zusammen mit drei Klavierauszügen für cen Cherubini-Messen-Thread.
Man hört in der Tat besser, was hinter den Noten steht, wenn man sie vor sich hat.
Die Bemerkung von William fand ich ausgesprochen interessant.
Sind Opernfreunde tatsächlich irgendwie großzügiger - oder sagen wir nachsichtiger - bei der Beurteilung von Sängern, die einen freien Umgang mit dem vom Komponisten aufgeschriebenen Notentext pflegen?
Das kennen wir doch zur Genüge:
schlechte Intonation, gar falsche Töne, unterschlagene kurze Notenwerte, damit die langen Noten dann umso voller und runder präsentiert werden können, rhythmische Ungenauigkeit, fehlerhafte Ausführung von Koloraturen, Missachtung von Phrasierungsvorschriften und Vortragsbezeichnungen und so weiter.
Häufig wird von Sängern der Notentext doch recht großzügig dem angepasst, was die stimmlichen Mittel und die technischen Fähigkeiten nun mal gerade hergeben! Wir erleben das bei Anfängern genau so wie bei den Arrivierten - und häufig auch auf ihren Studioeinspielungen.
Der Thread "Abscheulicher, wo eilst du hin?"- Arie der Leonore aus dem "Fidelio" und ihre Interpretinnen", aus dem das Zitat von William stammt, hat geradezu erschreckend viele Beispiele dafür vorgestellt.
Gehört das zur Freiheit der Sänger?
Von einem sehr berühmten Tristan wird berichtet, dass er gegen Ende seiner Karriere im dritten Akt tatsächlich nicht mehr als 60% der vorgeschriebenen Noten come scritto gesungen habe (an Hand der Aufzeichnung ganz genau ausgezählt!) und trotzdem vom Publikum mit Ovationen überschüttet wurde. Würden wir das bei einem Geiger oder Pianisten hinnehmen? Würden wir das einem Streichquarttet durchgehen lassen?
Warum tolerieren wir das? Genügt uns bei der Beurteilung von Sängern oft ein tolles Timbre und eine packende Darstellung, die uns dann über eine mangelhafte Ausführung des Notentextes einfach hinweg-hören lässt?
Mich würde mal interessieren, warum - um an Williams Zitat anzuknüpfen - Opernfreunde bei Sängern nicht "immer so pingelig" sind wie etwa bei Pianisten.
Caruso41