American Symphony IV - Walter Piston (1894-1976)

  • Walter Hamor Piston Jr. wurde am 20. Januar 1894 in Rockland, Maine geboren; er starb am 12. November 1976 in Belmont, Massachusetts.


    Walter Piston hatte italienische Vorfahren, sein Großvater hiess noch Antonio Pistone. Nach einem Studium der Ingenieurswissenschaften in Boston wechselte Piston an die Kunsthochschule und studierte Malerei, Architektur und amerikanische Geschichte. Er erlernte auch das Klavier- und Geigespielen und schlug sich in den 1910er Jahren als Pianist und Geiger in Tanzkapellen durchs Leben. 1920 wurde er an der Harvard University zugelassen, und studierte dort Musik und Musikwissenschaft.


    Nach seinem summa cum laude-Abschluss in Harvard konnte er mit einem Stipendium für 2 Jahre (1924-26) nach Paris gehen. Dort studierte Piston Komposition und Kontrapunkt bei Nadia Boulanger, Komposition bei Paul Dukas und Geige bei George Enescu.


    Nach der Rückkehr aus Europa lehrte er von 1926 bis zu seiner Emeritierung 1960 in Harvard. Unter seinen Studenten waren Samuel Adler, Leroy Anderson, Arthur Berger, Leonard Bernstein, Elliott Carter, Irving Fine, John Harbison, Frederic Rzewski und Harold Shapero.



    Piston schrieb u.a. insgesamt 8 Symphonien:


    1938 1. Sinfonie
    1943 2. Sinfonie
    1948 3. Sinfonie
    1950 4. Sinfonie
    1954 5. Sinfonie
    1955 6. Sinfonie
    1960 7. Sinfonie
    1965 8. Sinfonie


    Obwohl Piston die Zwölftontechnik von Schönberg studiert hatte und einiges davon auch in seine Kompositionen einfliessen ließ, ist seine Musik weitgehend tonal und steht dem Neoklassizismus nahe. Seine bekannteste Partitur ist die Ballettmusik "The incredible flutist".

  • Walter Pistons 1. Symphonie entstand 1938, da war der Komponist immerhin schon 44 Jahre alt. Die UA fand durch das Boston SO unter Leitung des Komponisten statt.


    Das dreisätzige Werk dauert ca 27 min, das Adagio ist fast so lang wie die beiden Ecksätze zusammen:


    1 Andantino quasi adagio—allegro (4/4)
    2 Adagio (6/8)
    3 Allegro con fuoco (2/2)


    Der Tonfall ist ernst und eher pessimistisch, auch hier eine Vorausahnung auf die Katastrophe, auf die die Welt zusteuert? Der erste Satz beginnt über eine Basslinie mit einem schönen Bläsersolo. In der Mitte wird es recht bewegt und es erinnert ein wenig an Hindemith inklusive des nicht immer vermiedenen "note spinnings". Gegen Ende kehrt die Anfangsstimmung zurück.
    Das Adagio ist eine großangelegte, recht komplexe Elegie, die sich schön steigert. Der letzte Satz ist der kürzeste und recht bewegt, auch hier höre ich Hindemith-Nahes. Ein Werk von dem eigentlich eine Neuaufnahme anstehen würde, möglicherweise hat das Naxos auf der Liste.
    Es gibt m.W. nur diese eine Aufnahme von 1963, die klanglich aber vorzüglich ist. Auch das Provinzorchester aus Louisville kann über weite Strecken überzeugen, wenn auch sicher noch Luft nach oben ist, was Klangkultur angeht.

  • Die 2. Symphonie von Walter Piston entstand 1943 und wurde seine erfolgreichste. Sowohl das Boston SO und das NYPO führten sie 1944 auf und sie brachte dem Komponisten den Preis der Musikkritiker ein. Wiederum dreisätzig gehört das 25 minütige Werk zu den gelungensten Beiträgen der amerikanischen Symphonik. Speziell das Adagio ist bezüglich Melancholie und Sehnsucht kaum zu toppen. Der Ton der Ecksätze ist auch deutlich optimistischer als der des Erstlings. Bedauernswerterweise hat Leonard Bernstein diese Symphonie nicht eingespielt, ich halte sie für viel besser als z.B. die 2. von Randall Thompson. Dafür gibt es aber eine Top-Aufnahmen des blutjungen Michael Tilson Thomas aus Boston, die vermutlich die erste einer amerikanischen Symphonie ist, die das Gelblabel überhaupt aufgenommen hat. Auch die Aufnahme aus Seatle ist sehr gelungen.


  • Wenn man im Internet ein wenig recherchiert, findet man einige Musikliebhaber, die die 3. Symphonie von Walter Piston für die beste unter seinen 8 Werken halten. Deshalb ist es ein wenig verwunderlich, dass es bisher keine hochkarätige Aufnahme davon gibt. Die Symphonie wurde 1946/47 komponiert. Es war ein Auftragswerk für Serge Koussevitsky und wurde der Erinnerung an seine Frau gewidmet. Die Premiere fand am 9. Januar 1948 durch das Boston SO statt. Für dies Werke erhielt Piston 1947 den Pulitzer Preis.


    Das Werk hat vier Sätze, in der etwas ungewöhnlichen langsam-schnell-langsam-schnell Abfolge. Der Andantino-Kopfsatz und das
    Adagio enthalten schöne tragische Momente, die Allegro-Sätze sind recht spritzig mit Anleihen beim Jazz und erinnern durchaus an Bühnenmusik von Leonard Bernstein. Interessante Frage: wer hat hier von wem gelernt? LB war ja ein Schüler von WP.

    Die mir vorliegend Aufnahme von 1954 (!) wird vom Eastman-Rochester Orchester gespielt und von Howard Hanson dirigiert. Kenner werden wissen, was zu erwarten ist, nützlich als Information, aber deutlich Luft nach oben. Das gilt wohl auch für eine später entstandene Stereo-Aufnahme auf Albany mit einem noch unbekannteren Orchester. Vielleicht könnte sich das BSO unter Andris Nelsons der Sache mal annehmen. Ja ich weiß, sehr unwahrscheinlich, aber man darf ja mal träumen. :rolleyes:
    Immerhin ist die Platte, die ich habe, ein Mercury Living Presence Original und klingt nach 61 Jahren - abgesehen von wenigen Pops - noch ziemlich gut.


    Ich habe das Stück gerade wieder einmal gehört und finde nach wie vor, es ist der Hammer. Das ist eine der besten amerikanischen Symphonien überhaupt. Die beiden langsamen Sätze steigern sich zu fast brucknerartigen Bläserchorälen empor, dass es eine wahre Freude ist. Hier ist dringend Aufnahmebedarf, am ehesten mache ich mir derzeit Hoffnung, dass vielleicht Chandos die Chance ergreift. Bei Copland sind sie ja schon erfolgreich unterwegs. Die amerikanische Plattenindustrie scheint ja kaum noch existent, wenn es um Klassik geht. Rapper aus dem Ghetto mit nicht jugendfreien Texten bringen wohl mehr Geld ein.

  • Lieber Lutgra,


    die amerikanische Sinfonik interessiert mich seit eh und je durch die ersten Bernstein-Platten daaaaamals auf CBS.
    8| Walter Piston kenne ich noch gar nicht :huh:


    :thumbsup: Hier gehe ich mit !
    Habe soeben, aufgrund Deine hohe Fürsprache für die Zweite u.a. die beiden Naxos-CDs mit den Sinfonien Nr. 2 und 6, sowie Nr.4 mit weiteren Werken bestellt.
    Die Dritte finde ich leider nicht als vernünftige (soll heissen preislich megaatraktiv) Bestelloption.


    Die beiden VC gibts für 11Cent ... sind die brauchbar ... :D oder langatmige Quischorgien ?

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Die beiden VC gibts für 11Cent ... sind die brauchbar ... oder langatmige Quischorgien ?


    Die habe ich wohl, aber ich erinnere nicht mehr wie die waren. Werde zeitnah mal reinhören.

  • Heute höre ich zum ersten mal Werke von Walter Piston auf abgebildeter CD.
    Ich stelle fest, dass es sich um ausgezeichnete amerikanische Sinfonik mit Gehalt handelt, die nicht mal eben so belanglos hingeworfen wird.


    Schon die viersätzige Sinfonie Nr.4 (1951) und die ausgezeichnet gelungenen 3 Stimmungsbilder des Werkes Three New England Sketches (1959) (Seaside, Summer Evening, Mountains) zeugen deutlich von einer Quaität und einem Niveau, das ich nicht erwartet hätte. Das Einzige, was man Piston vorwerfen könnte, dass er sich für das 20.Jhd nicht ganz so zeitgemäss modern anhört, wie die Kompositionsdaten es vermuten lassen würden.
    Aber das macht nichts und macht mir die amerikanische Sinfonik des 20.Jhd insgesamt eher weit symphatischer, als wenn ich mir aus gleicher Zeit so einige ungeniessbare Typen der "Wiener Schule" anhören müsste :P .



    NAXOS, 1991, DDD


    Von Gerhard Schwarz war ich vor vielen Jahren bei den Howard Hanson-Sinfonien mit seinem Orchester aus Seattle recht enttäuscht, weil alle anderen Hanson-Aufnahmen ausnahmslos vorzuziehen waren. Habe dann auch seither keine "Schwarz-CD´s" mehr gekauft.
    Hier scheint er mir einen angemessenen Ton zu finden. Ja, und der Mann zeigt hier auch Temprament.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Die 2. Symphonie von Walter Piston entstand 1943 und wurde seine erfolgreichste. Sowohl das Boston SO und das NYPO führten sie 1944 auf und sie brachte dem Komponisten den Preis der Musikkritiker ein. Wiederum dreisätzig gehört das 25 minütige Werk zu den gelungensten Beiträgen der amerikanischen Symphonik. Speziell das Adagio ist bezüglich Melancholie und Sehnsucht kaum zu toppen. Der Ton der Ecksätze ist auch deutlich optimistischer als der des Erstlings.


    :thumbup: Meine positiven Einfrücke zu Walter Piston setzen sich mit dieser CD, die in den letzten 2 Monaten (seitdem ich sie habe) mehrmals wiederholt mit Hochgenuss aufgelegt habe.
    Seine meistgespielte Sinfonie Nr.2 (1943) hat Gehalt und Klasse. Die Tonsprache ist modern und für jeden voll geniessbar. Das Werk ist mit seinen drei Sätzen kurzweilig und trifft voll den Hörspass !


    Nicht weniger interessant ist auch seine viersätzige Sinfonie Nr.6 (1955), die zum 75th-Geburtstag des Boston SO komponiert wurde und unter Charles Münch zur Aufführung kam. Gewidmet ist sie aber dem damaligen Musikdirektor des BSO Serge Kussevitzky.
    Das ist amerikanische Sinfonik vom Feinsten mit gelegentlichen Jazzelementen am Rande.



    NAXOS, 1988/89, DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Meine erfolgreiche amerikanische Neuentdeckung Walter Piston in diesem Jahr (siehe beide Vorbeiträge) führte dazu, mir auch die Naxos-CD mit den VC zuzulegen:
    :thumbsup: Mit Erfolg !


    Das sind keine klassischen "Quitschbomben mit Schmalzfaktor", sondern zupackende sinfonische Meisterwerke des 20.Jhd die sich hören lassen können und an den sinfonisch modernen Eigenschaften der Sinfonien anknüpfen. Somit brillanter Hörspass inclusive !


    Hochvirtuos wird James Bushwell kongenial von Theodore Kuchar und dem National Orchestra der Ukraine unterstützt.
    Die VC sind klassisch mit drei Sätzen, die Kopfsätze in Sonatensatzform, die Finali in Rondoform aufgebaut. Das Ganze bei aller Modernität in tonalem Rahmen und wirklich brillant.
    Das VC Nr.2 ist trotz des Kompositionsdatums 1960 nicht hypermodern (da gibt es gerde aus dieser Zeit einiges, was man sich nicht anhören möchte :baeh01: ), sondern ebenfalls ein echter (sauberer) Piston ! Es ist ein Auftragswerk der FORD-Stiftung.


    Die CD wird durch die Fantasie für Violine und Orchester (1970) ergänzt, die Piston für Salvatore Arcado geschrieben hatte, der es 1973 auch zur UA brachte. Die fünf Teile werden von langsamen tiefgehenden wunderbaren Abschnitten eingerahmt. Die Fantasia ist ein äusserst tief empfundenes gehaltvolles Werk aus Pistons letzten Lebensjahren, die der Hektik der Zeit die Ruhe gönnt.



    NAXOS, 1998, DDD




    Walter Pistons (1894 - 1976) Lebensweg in Kurzform:
    Piston brachte sich zunächstselber das Violin-und Klavierspiel bei. Studierte dann mit 26Jahren nach dem 1.WK an der Harvard Uni, dass er 1924 mit der höchsten Auszeichnung summa cum laude abschloss. Weil Walter Piston im Jahre 1924 in Paris wegen seines zu hohen Alters nicht vom Pariser Conservatorium aufgenommen wurde, studierte er dort bei Paul Dukas und Nadja Boulanger Komposition.
    Im Jahre 1926 kehrte er zur Harvard-Uni in Boston zurück, wo er dann selber bis 1960 unterrichtete !
    Er war bei seinen Sudenten ein äusserst beliebter Lehrer. Besonderheit: Er notierte seine Kompositionen mit einer gestochen scharfen Handschrift und revidierte seine Werke nur selten bis nie.
    Pistons Hauptwerke sind die 8 Sinfonien (die leider gar nicht alle eingespielt sind) , das Ballett The incredible Flutist, 2 Violinkonzerte und eine Reihe Kammermusik.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Weiter geht es bei mir auch mit den Sinfonien von Walter Piston, die nur in wenigen Aufnahmen und nicht komplett vorliegen.
    Nachdem mich die Naxos-Aufnahmen der Sinfonien Nr.2, 4 und 6 und die Beigaben schwer beeindruckt haben, ist nun eine CD dazugekommen, die jetzt in preislich anständige Regionen gekommen ist und deshalb auch gerne bestellt werden kann:
    Die Sinfonien Nr. 5 , 7 und 8 liegen hier in einer wunderbaren und der einzigen Aufnahme mit dem unbekannten Louisville Orchestra unter Robert Whitney und Jorge Mester vor.
    Die Aufnahmen von ALBANY-Records sind eine Rarität, die einmal mehr zeigt, dass auch wenig bekannte Werke (in diesem Falle) voll lohnenswert sind.
    Die drei Sinfonien haben die Dreisätzigkeit und das der schnelle Satz der Schlusssatz ist, gemein.


    :!: Sympathisch macht die dreisätzigen Sinfonien ein angemessen moderner orchestraler und sehr farbiger Sound und die nicht zu moderne Schreibweise, die die ungeniessbaren Avantgardisten dieser Zeit (50er bis 60er) eines Besseren belehrt. Das macht wenigsten Laune, Appetit auf mehr und keine Gedanken an rauslaufen ... :D



    ALBANY; 1974-75, AAD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Nachdem mich die Naxos-Aufnahmen der Sinfonien Nr.2, 4 und 6 und die Beigaben schwer beeindruckt haben, ist nun eine CD dazugekommen, die jetzt in preislich anständige Regionen gekommen ist und deshalb auch gerne bestellt werden kann


    Die habe ich noch gar nicht. :huh: Gleich bestellt. :)