Nach langer Zeit war ich mal wieder in der Oper meiner Heimatstadt. Meine hochbetagten Eltern leben dort noch und meine Mutter hatte sich gewünscht, wenn ich das nächste Mal zu Besuch komme, mal wieder auszugehen. Zum Ende der Spielzeit gab es am Samstag Rigoletto.
Hier nun (kurzgefasst) meine Eindrücke:
Musiziert und gesungen wird in Wuppertal gut.
Das Orchester spielte durchaus temperamentvoll, wenn auch meiner Meinung nach gelegentlich etwas zu behäbig.
Sangmin Jeon, der den Herzog singt, hat einen schönen, kräftigen Tenor mit guter Höhe. Allerdings ist meiner Meinung nach seine Stimme für den Herzog etwas zu unbeweglich, so dass der Sänger mehr auf “Durchschlagskraft“ als auf Eleganz setzen muss. Zudem ist ihm der letzte Ton bei „La Donna e mobile“ arg verrutscht, trotzdem erhielt (durchaus verdient) großen Applaus.
Marco-Buhrmester sang einen eleganten Rigoletto, der aber meiner Meinung nach Mühe hätte, sich in einem größeren Haus akustisch durchzusetzen, dazu ist die Stimme zu „klein“.
Wirklich herausragend war die Gilda von Ruslana Koval. Eine derartige Spitzenleistung in dieser Rolle habe ich bisher nur sehr selten gehört. Die Stimme wird leicht und elegant geführt, die Koloraturen sind brillant ohne jede Schärfe und werden mit einer Leichtigkeit gesungen, wie ich sie lange nicht mehr gehört habe. Neben der technischen Brillanz kommt eine große Palette an Ausdrucksmöglichkeiten und Färbung der Stimme hinzu. Außerdem ist die Sängerin sehr ansehnlich, was sicherlich heutzutage auch nicht schadet ;). Wirklich eine absolut herausragende Leistung. Ich denke dass die junge Dame eine große Zukunft vor sich hat, wenn sie keine Fehler macht und nicht im Getriebe des Opernbetriebs zerrieben wird. In Wuppertal wird sie jedenfalls sicherlich mehr nicht mehr lange bleiben.
Auch die übrigen Rollen waren zumindest solide besetzt, ich will es mir ersparen, an Kleinigkeiten herum zu meckern. Für ein kleineres Stadtheater musikalisch und sängerisch ist sicher eine ausgezeichnete Leistung.
Kommen wir nun zur Inszenierung:
Wenn man das Opernhaus betritt, bekommt man (was für mich als Leipziger Operngänger sehr überraschend war) kostenlos ein Programm in die Hand gedrückt, dass man allerdings auch benötigt. Auf einer Seite heißt es „Wer ist Wer in Mantua?“ und dann folgt eine Liste aus der ich hier auszugsweise zitiere:
Der Herzog von Mantua, Spitzenkandidat der Wahlsiegerpartei Mantua United;
Monterone, Ciprano, Malrullo, Borsa Vorstandsmitglieder der Partei
Sparafucile, ein Security Mitarbeiter
Rigoletto, ein Talkmaster und Meinungsmacher im staatlichen Fernsehen
Giovanna, Ärztin einer geschlossenen Psychiatrie.
Wir befinden uns zu Beginn des Stückes auf der Wahlparty der genannten Partei.
Der „Herzog“, also der Parteichef, ist sexbesessen und hat zudem (die Utensilien trägt er meist bei sich) eine Vorliebe für Sado-Maso spiele.
Rigolettos Tochter ist Insassin einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt. Dort besucht sie der Vater, von dort wird sie entführt.
Der Regisseur erklärt im Programmheft, dass es unmöglich sei, sich ernsthaft in die Originalgeschichte zu vertiefen, da der „Plot“ ihm Sorgen mache; er erfahre in unserer Zeit keine Glaubwürdigkeit mehr, da Handlung und Personen restlos im 19 Jahrhundert verhaftet seien und nicht mehr als lebendig empfunden werden. Es folgt dann eine weitere lange Erklärung, warum diese Art der Inszenierung gewählt wurde.
Übrigens fehlt in dieser Inszenierung auch eines der klassischen Versatzstücke das Regietheaters, nämlich die Aktentasche nicht, in dieser trägt der als Schülerkarikatur verkleidete „Herzog/Parteichef“ seine Sado-Maso Utensilien bei seinem Besuch in der Klapsmühle, wenn er versucht, Gilda zu verführen.
Nun könnte ich es mir einfach machen, und beifallheischend sagen, "Regietheater", "Werkverfälschung", also alles gr0oßer Mist.
So einfach ist die Sache aber nicht. Das Ganze ist nämlich hervorragend umgesetzt.
Die Personenregie ist exzellent; die Interaktion der Personen, und der schauspielerische Aspekt sind ganz hervorragend gelöst, so dass ich dem Spektakel wirklich fasziniert gefolgt bin.
Übrigens hat es auch meiner Mutter (die immerhin schon auf die 90 zu geht) sehr gut gefallen.
Das Ganze hat hohen Unterhaltungswert und ist, wenn man einmal von der handwerklichen Umsetzung ausgeht, hervorragendes, spannendes Theater.
Auch die Idee ist ja nicht schlecht.
Nur hat das ganze meiner Meinung nach mit der Vorlage überhaupt nichts mehr zu tun.
Das ist ein anderes Stück zu Verdis Musik zu Rigoletto.
Außerdem bin ich schon immer misstrauisch, wenn Regisseure meinen, im Programm ihre Inszenierung langatmig erklären zu müssen. Zum anderen, und das hat mich wirklich sehr gestört und ist entlarvend, wurde die deutsche "Übersetzung" (das Ganze wird in der Originalsprache gesungen) teilweise passend gemacht. Am italienischen gesungenen Libretto wurde zwar mE nichts geändert, aber die deutsche Übersetzung, die über das Bühnenportal projiziert wurde, war teilweise eine völlig andere als der italienischen Text und wurde regelrecht nach dem Motto hergestellt, „was nicht passt, wird passend gemacht“, wohl damit kein allzu krasser (lächerlicher?) Widerspruch zwischen Text und Aktion merkbar wird.
Das ist meiner Meinung nach nun doch ein viel zu massiver Eingriff in die Substanz des Werkes. Da müsste aus Gründen der künstlerischen Redlichkeit im Spielplan stehen "frei nach und zur Musik von Verdis Rigoletto".
Insgesamt trotzdem ein sehr anregender und vor allen Dingen musikalisch sehr schöner Theaterabend.
Wen es interessiert: Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit ist geplant.