Karita Mattila als Küsterin (Jenufa), Bayerische Staatsoper, 14.07.2017

  • 1998 und 2014 hörte ich Karita Mattila als Jenufa an der Hamburgischen Staatsoper (1998 mit der herausragenden Eva Marton und 2014 mit der nicht ganz so guten Deborah Polaski als Küsterin). Mattila war eine großartige Jenufa, die mit glanzvoller, die Emotionen der Partie auslotender Stimme zu berühren vermochte. Gestern sang Karita Mattila an der Bayerischen Staatsoper die Küsterin. Was war das wieder für eine gesangskünstlerische Leistung, die mich voll in den Bann zog. Mit überzeugenden gesanglichen Mitteln, mit ihrer leuchtenden, auch im Forte warm bleibenden und glanzvollen Stimme, vor allem aber auch mit ihrem gestalterische Spiel ließ sie tief in die Seele der Küsterin Burya blicken. Mattila gelangen tief berührende Töne, ihr Spiel ist so verinnerlicht, dass man meint, sie sei die Küsterin selbst, die hier und heute mit ihrem Herrgott hadert und glaubt, für ihre Ziehtochter Jenufa das Beste zu tun. Anders als Eva Marton, die damals eher das Herrische und Strenge der Küsterin zum Ausdruck brachte, jedenfalls in meiner Erinnerung, war Mattila die liebende, sorgende, verzweifelnde und schließlich zur bösen Handlung getriebene Frau, nicht um ihrer selbst, sondern um der Ziehtochter willen. Höhepunkt der gestrigen Aufführung war daher auch der zweite Akt mit ihrem flehenden Apell an Steva (Pavel Cernoch), sich wenigstens sein Kind doch einmal anzusehen und ihr aus dem Augenblick geborener Entschluss zur Tötung des Kindes, als sie Lacas (Stuart Skelton) Zögern, geradezu Unwillen bemerkt, nachdem sie diesem die Schwangerschaft Jenufas gebeichtet hatte.


    Schade, dass als Jenufa die vom Typ her eher herbe Eva-Maria Westbroek besetzt war. Mit ihrer Wagner-geschulten Heroinenstimme gab sie der Partie zu wenig von dem Liebreiz, der für die Männer des Dorfes so anziehend gewesen sein muss. Pavel Cernoch passte optisch gut zu dem Hallodri Steva, auch besaß sein eher heller Tenor genügend Kraft und auch Höhenschmelz, um zu verstehen, warum ihm die Frauen nachlaufen. Stuart Skelton übertraf mit Heldentenorkraft seinen Widerpart, so dass klar wurde, welcher der beiden Männer letztlich der Vertrauenswürdigere war. Die Partie der Großmutter Burya war mit der 1943 in Hamburg geborenen Hanna Schwarz hochkarätig besetzt. Es ist schon erstaunlich, wie man in diesem Alter noch so kraftvoll, klangschön und ohne störendes Vibrato singen kann. Großer und langanhaltender Beifall im nicht ganz voll besetzen Münchner Nationaltheater sowie großer Jubel für Stuart Skelton, Karita Mattila und Eva-Maria Westbroek. Das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung des Tschechen Tomas Hanus spielte fabelhaft. Ich mag nicht sagen, dass ich die Musik schön fand (was sie eigentlich ist), dafür ist die Handlung zu tragisch, vor allem, wenn eine so großartige Sängerdarstellerin wie Karita Mattila den Zuhörer resp. Zuseher in die Abgründe und Qualen einer menschlichen Seele blicken lässt.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Danke, lieber Ralf, für diesen einfühlsamen und aussagekräftigen Bericht.


    Da ich Karita Mattila sehr schätze, war ich gespannt, wie sie, einst eine wunderbare Jenufa, jetzt die Küsterin umsetzt. Ich meine nämlich, dass diese Partie mehr als einem Typ von Sängerin zugänglch ist: Einer erfahrenen, nicht mehr jungen Sängerin des hochdramatischen Fachs (wie einst die Varnay) bietet sie ein anderes Spektrum das Zugangs als einer Sängerin, die dem jugendlich-dramatischen Fach entwachsen ist. Im ersten Fall ist es mehr die strenge, verbitterte Frau; im zweiten mehr die Frau, die ihrem eigenen verfehlten Leben nachtrauert - und ein solches der jungen Jenufa ersparen will. Vermutlich hat Mattila beides zu bieten, aber der Schwerpunkt liegt sicher auf dem Letzteren, was du ja auch betont hast.


    In einem Punkt muss ich dir energisch widersprechen: dass die Musik nicht schön sei. Da empfehle ich dringend als Abhilfe mehrmaliges Anhören, besonders des herrlichen 2.Akts - und des Schlussduetts.
    Viel Vergnügen und herzliche Grüße von Sixtus

  • Lieber Sixtus, ich stimme Dir natürlich zu, die Musik ist schön. Die Dramatik des Bühnengeschehens lässt einem nur nicht genügend Platz, um sich ganz den Melodien hingeben zu können. mit herzlichen Grüßen, Ralf Reck

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv