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Natürlich mag das Publikum verschiedene Gründe haben, eine Hosenrolle ansprechend zu finden. Sicher wird es genügend geben, die es lustig oder auch aufregend finden, aber was spricht dagegen? Es gibt auch genügend Leute, die bestimmte Sänger toll finden und sich freuen, wenn er fesche Kostüme anhat, und andere, die Sängerinnen gerne in Korsagen und tiefem Ausschnitt sehen. Der erotische Reiz einer Hosenrolle liegt vielleicht auch darin, dass eine Sängerin hier nicht versucht, weibliche Reize aktiv (oder gar aggressiv) zur Schau zu stellen, sondern umgekehrt diese möglichst zu verstecken, so dass es dann umso stärker wirkt, wenn doch mal etwas davon aufblitzt.Der Sinn der echten Hosenrolle - ich meine also nicht die Ersatzlösung Frau anstelle Kastrat bzw. Countertenor - erschließt sich mir nicht wirklich, außer, man unterstellte ggfs. eine erotische und verwirrende Wirkung auf diesbezüglich empfängliche Herren
Vielleicht wollten Beaumarchais/Mozart und Barrie ihren Cherubino und Peter Pan anders darstellen als die "echten" Männer auf der Bühne, vielleicht zarter, geschmeidiger, "engelhafter", weicher, anmutiger, je nachdem.
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Diese Rolle kann nur von einer jungen, sehr hübschen Frau gespielt werden, da wir an unseren Theatern keine wirklich jungen Männer haben, die ihre Feinheiten spüren. Äußerst schüchtern vor der Gräfin, ist er überall sonst ein charmanter Schlingel; der Grundzug seines Wesens ist ein unbetimmtes, unruhiges Sehnen. Er stürzt sich planlos, kenntnislos in die Männlichkeit und gibt sich voll jedem Erlebnis hin.
Dazu habe ich ja jetzt einiges gesagt, aber speziell beim Cherubino sollte es auch eine Frau sein, weil es ein paar Sätze gibt, die ich als kleinen Wink ans Publikum sehe. Susanna meint da sowohl bei Beaumarchais als auch bei Mozart, dass Cherubino viel weissere Haut hat als sie, und sie ganz eifersüchtig ist auf ihn.Welche Funktion hat auf den Threadtitel bezogen eigentlich Mozarts Cherubino? Eine Hosenrolle - also eine Frau in Männerklamotten... und das zu einer Zeit, als Castraten durchaus noch aktiv waren (allerdings weniger genutzt wurden, was ich auf deren Zickigkeit zurückführe- beim Tito hat Mozart IMO den Sesto zunächst als Kastratenrolle konzipiert, gesungen wurde er dann von einer Frau...).
Ich würde sagen, das Geheimnis der Hosenrolle liegt darin, daß hier eben noch mehr oder weniger "Knaben" oder "Jünglinge" dargestellt werden sollen. Das Wort "Jüngling" an sich ist heute ja schon ein wenig angestaubt" "Tamino" ist eine Rolle, wo nicht ganz klar hervorgeht ob er einen Jüngling oder einen jungen Mann (was IMO nicht das gleiche ist.) handeln soll, das wechselt wwährend der gesamten Oper- Bewusst oder unbewusst. Deshalb hat auch dieser Charakter irgendetwas unglaubwürdiges an sich.
Da Pontes Intentionen kenne ich natürlich nicht, aber Mozart hat diese Partie für eine Sängerin geschrieben; diese künstlerische Entscheidung des Komponisten würde ich niemals anzweifeln, eben weil er schon wusste, was er tat, und welche Ergebnisse er erzielen würde. Mozart hätte die Partie ja auch sonst jemandem geben können, dass er es aber nicht getan hat und ausdrücklich eine Sängerin wollte, zeigt mir, dass das so schon richtig ist.Anders als Hosenrolle1 meine ich nicht, dass da Pontes Text unbedingt auf einen weiblichen Darsteller rekurriert, Mozarts Musik schon gar nicht (damit sind nicht die technischen Anforderungen der Partie gemeint, sondern die musikalische Charakterisierung)
Was genau meinst du mit "darstellerische Probleme"?In der Regel haben die Damen ja eher darstellerische Probleme als gesangstechnische.
Wobei das aber auch an der Zensur damals gelegen haben könnte, die solche zu offensichtlichen Anspielungen oder tatsächliche homosexuelle Paare erst gar nicht erlaubt hätte.Die Gattung Oper ist wohl dafür auch zu gediegen-konservativ
Da bin ich ganz bei dir; im Theaterstück "Salomé" von Wilde wird auch deutlicher, dass der Page und Narraboth zumindest SEHR enge Freunde waren, denn der Page sagt, dass er Narraboth Parfüm und Ohrringe geschenkt hat.In dieser Zeit, als Enfants terribles wie Oscar Wilde öffentliche Personen waren, sind (wenn auch subkuttan) homoerotische Motve nicht auszuschließen.
Das sehe ich genauso. Ein anderer User hat in einem anderen Thread einmal geschrieben, dass es komisch ist, gerade in einer Kunstgattung, die alles andere als realistisch ist, nach Realismus zu suchen. Wenn jemand tödlich verwundet noch eine Arie hinlegt, wenn da Hexen und Zauberer und Drachen auftauchen, dann stört es nicht, aber wenn eine männliche Figur weiblich aussieht, dann stört man sich daran?Strauss wußte eigentlich immer, was er wollte.
Die Oper kenne ich zwar nicht, aber mir gefällt die Erklärung, für mich klingt das einleuchtend!Bei Massenet hat die Besetzung des Prinzen mit einem Mezzo sicher den Sinn, das Liebespaar ganz ihrer Umwelt zu entrücken, die im übrigen bemerkenswert karrikierend gezeichnet wird. Während die Musik am Hofe ansonsten eher eine barocke Klangwelt nachahmt, werden Cendrillon und der Prinz als Traumfiguren in spätromantische Harmonik und schwelgerische Klangmischungen gehüllt. Ein merkwürdiger wunderbarer Kontrast.
Eine wichtige und gewichtige Hosenrolle ist die Leonore in Beethovens "Fidelio".
Nur die schlanken Hascherln haben oft nicht das stimmliche Gewicht, um die Höhen der Leonore zu stemmen. Die Oper stellt manchmal schwer zu verwirklichende Anforderungen oder verlangt Kompromisse. Ist es ein Traum?
Deshalb schrieb er im Rosenkavalier eine der schönsten Tenorarien der Operngeschichte. Damit hat er bewiesen, es zu können. Aber so weit zu gehen, dem Octavian noch eine Tenorrolle zuzuordnen, das wollte er wohl nicht. Noch nicht. Vielleicht wäre er 20 Jahre später dazu bereit gewesen, denn in seinen mythologischen Opern sind die Liebhaber wieder das, was sie bei den Italienern immer waren - Tenöre!
Seine Oper im "Mozartstil" sehe ich in Anlehnung an den Figaro und Octavian als Kopie des Cherubin.
...............Leonore in Beethovens "Fidelio". Damit die Verkleidung als Mann noch halbwegs glaubhaft ist, darf die Interpretin nicht zu gewichtig
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Erstes Stadium
Das erste Stadium ist angedeutet in dem Pagen der Oper Figaro. Selbstverständlich darf man in ihm nicht ein einzelnes Individuum sehen. Sieht man ihn von jemandem dargestellt, oder stellt man ihn sich danach in Gedanken vor, so mischt sich leicht etwas Zufälliges, der Idee Fernliegendes ein. Durch jeden Zusatz wird er mehr, als er sein soll; aber durch dieses Mehr verliert er: er hört hiermit auf, die Idee zu sein. Daher darf man ihm nicht, wie andern, gestatten zu replizieren; sondern der einzige adäquate Ausdruck bleibt die Musik, weshalb es wohl zu bemerken ist, dass sowohl Figaro als Don Juan, wie beide aus Mozarts Hand hervorgegangen sind, zu den opera seria gehören. Betrachtet man nun also den Pagen als eine mythische Figur, so wird man in der Musik das Eigentümliche des ersten Stadiums ausgedrückt finden.
Die Sinnlichkeit erwacht, jedoch nicht zu bewegten Lebensäußerungen, sondern zu stiller Quieszenz, nicht zu Lust und Freude, sondern zu tiefer Melancholie. Die Begierde ist noch nicht erwacht: sie wird schwermütig geahnt. In der Begierde ist beständig das Begehrte gegenwärtig; es steigt aus dieser empor und erscheint in verwirrender Dämmerung. Unter Schatten und Nebeln weicht das Bild zurück; indem es sich in diesen abspiegelt, wird es wieder mehr in die Nähe gebracht. Die Begierde besitzt gewissermaßen, was Gegenstand derselben werden soll, aber ohne es bisher wirklich recht begehrt zu hoben; so besitzt sie es in Tat und Wahrheit nicht. Dieses ist der schmerzliche, aber auch durch seine Süßigkeit betörende und bezaubernde Widerspruch, der mit seiner Wehmut, seiner Schwermut dieses Stadium durchtönt. Wie das Begehren ein stilles und zurückhaltendes ist, ebenso auch die Sehnsucht, die Schwärmerei, welche gerade darum schwermütig wird, weil sie es nicht zu rechtem, vollem Begehren bringt. Sobald die Begierde erwacht, ja, unter und mit ihrem Erwachen, atmet sie frei und gesund. Sie trägt dann nicht bloß ein Nebelbild des Begehrten in sich selbst, welches sie bezauberte, umstrickte, ja fast ängstigte. Jetzt steht das Begehrte vor ihr et apparet sublime (erscheint als ein Höheres über ihr). Bemalt man die ganze Decke eines Zimmers mit Figuren, eine neben der andern, so »drückt«, wie der Maler sagt, eine solche Decke; bringt man eine einzige Figur leicht und flüchtig an, so wird die Decke dadurch gehoben. So verhält es sich mit der Begierde und dem Begehrten, nachdem sie auseinandergetreten sind, in dem ersten und dem weiteren Stadium. Wiewohl nun solche bloß ahnende Begierde hinsichtlich ihres Gegenstandes noch völlig unbestimmt ist, so ist doch eine nähere Bestimmung von ihr auszusagen, nämlich diese, dass sie unendlich tief ist. Gleich dem Gotte Tor, fangt sie mittels eines Hornes, dessen Spitze ins Weltmeer taucht; jedoch fangt sie ihren Gegenstand keineswegs zu sich heran. Es ist eben nichts andres, als das Seufzen der Seele; und dieses ist gewiß ein unendlich tiefes.
Mit der gegebenen Beschreibung des ersten Stadiums harmoniert es unstreitig und ist von großer Bedeutung, dass die Partie des Pagen in musikalischer Hinsicht so eingerichtet ist, dass sie die Lage einer weiblichen Stimme hat. Hiermit ist der innere Widerspruch, der diesem Stadium eignet, angedeutet. Das Verlangen ist noch ein so unbestimmt schwebendes, sein Gegenstand noch so wenig von ihm ausgeschieden, zu einem Gegenüber, dass das Begehrte gleichsam androgynisch in dem Verlangen ruht, sowie im Pflanzenleben das Männliche und Weibliche einer und derselben Blume innewohnt.
Obgleich die Repliken des Libretto nicht die des mythischen (ideellen) Pagen sind, sondern nur des Pagen im Stücke jener poetischen Figur Cherubin, und teils, als gar nicht vom Tondichter Mozart stammend, in diesem Zusammenhange außer acht zu lassen sind, teils etwas ganz andres ausdrücken, als wovon hier die Rede ist, so will ich doch eine Replik hervorheben, weil sie mich veranlaßt, das gegenwärtige Stadium in seiner Analogie mit einem nachfolgenden zu betrachten. Susanne spottet über Cherubin, weil er auch in Marseline etwas verliebt sei, und der Page hat keine andre Antwort zur Hand, als diese: Sie ist ein Mädchen! Bei dem Pagen im Stücke ist es wesentlich, dass er in die Gräfin verliebt ist, unwesentlich, dass er sich in Marseline verlieben kann - weiter nichts als ein indirekter und paradoxer Ausdruck für die Glut der Leidenschaft, welche ihn an die Gräfin fesselt. Hinsichtlich des mythischen Pagen ist es gleich wesentlich, dass er in die Gräfin und in Marseline verliebt ist. Sein Gegenstand ist nämlich die Weiblichkeit, und diese ist beiden gemeinsam. Wenn wir später Leporello von seinem Herrn singen hören:
Sechzigjährige Kokette
Zieht er auch an seiner Kette,
so ist dieses hierzu die vollkommene Analogie, nur dass die Begierde in ihrer Intensität und Entschiedenheit hier weit entwickelter ist.
Soll ich nun versuchen, das Eigentümliche der Mozartschen Musik, wie diese aus dem Pagen im Figaro ertönt, durch ein einzelnes Prädikat zu bezeichnen. So möchte ich sagen: sie ist liebestrunken. Allein, wie jeder Rausch, kann auch der Liebesrausch auf zweierlei Art wirken, entweder zu gesteigerter gegenseitiger Liebeswonne, oder zu mehr verdicktem, unklarem Trübsinn. Letzteres trifft hier bei der Musik zu; und so ist's auch richtig. Den Grund kann die Musik nicht angeben, weil das ihr Vermögen übersteigt. Die Stim-mung an sich kann das Wort nicht ausdrücken: sie ist zu schwer und wuchtig, als dass die Rede sie tragen könnte. Nur die Musik ist im stande, sie wiederzugeben. Der Grund dieser Melancholie liegt in dem tiefen innern Widerspruch, auf den wir im vorhergehenden aufmerksam gemacht haben.
Indem wir von dem ersten Stadium scheiden, lassen wir den mythischen Pagen schwermütig fortträumen über das, was er hat, melancholisch begehren, was er innerlich besitzt. Weiter kommt er nicht. Ein andres ist es mit dem Pagen im Stücke. Für seine Zukunft wollen wir uns mit aufrichtiger Teilnahme interessieren; wir gratulieren ihm, dass er Kapitän geworden ist; wir erlauben ihm, noch einmal die Susanne zu küssen, zum Abschied zu küssen; wir werden ihn nicht verraten hinsichtlich des Males, das er auf der Stirn trägt, welches niemand sehen kann, als wer davon weiß. Aber auch nicht mehr, mein guter Cherubin; oder wir rufen den Grafen, und alsdann heißt es: »Fort, zur Tür hinaus, zum Regimente! er ist ja kein Kind; das weiß niemand besser, als ich.«
Gleich noch eine Bitte: Wer ist die Unbekannte/der Unbekannte, der hier zum Thema passend ein Verwirrspiel in gekonntester Opernmanier spielt? Vorstellung und Demaskierung erbeten. Die Glock" schlägt 12 - Maske runter![]()
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(Übrigens sogar der Holzwurm ist bereits verwirrt.)
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Schließlich ist da noch Cherubino, den Hermann Abert mit Recht als „eine der genialsten Gestalten“ bezeichnete, „die je für die Bühne geschaffen wurden“. Es dürfte schwerfallen, eine Figur des europäischen Theaters zu nennen, die einnehmender, hinreißender wäre. Cherubino, der übrigens schon bei Beaumarchais als Hosenrolle konzipiert wurde, ist der personifizierte Liebreiz, engelhaft wie sein Name. Seine Zeit ist der unwiederbringliche Augenblick zwischen Jugend und Reife, der „Unschuld des Werdens“, der Augenblick, in dem das Ahnen in Wissen übergeht, der Glanz ewiger Jugend von Sehnsucht nach menschlich-endlicher Erfahrung und Erfüllung durchwebt ist. Seinem Zauber kann daher weder Susanna noch die Gräfin ganz widerstehen – wenngleich die von Beaumarchais in La Mére coupable gebotene Version, die eine Liebesbeziehung zwischen der Gräfin und Cherubino voraussetzt (es tritt der uneheliche Sohn der beiden auf), sicherlich eine vergröbernde Interpretation der Verhältnisse in Le mariage de Figaro darstellt. Cherubino ist die einzige Figur des Schauspiels, für den in der Opera buffa bzw. in der volkstümlichen Typenkomödie kein Muster vorgegeben war. (…) Cherubino bringt Eigenschaften mit (sofern dies trockene Wort überhaupt zutrifft), die Ursprüngliches bewahren, neu aufleben lassen: schwebende Jugendfrische und jenen Widerschein einer unsagbar anmutigen Schönheit.
In der besonderen Färbung der „Charaktere“ hat sich Da Ponte an die sehr präzisen Vorstellungen von Beaumarchais halten können, die er für jede Rolle detailliert in seinem Vorspann zum Schauspiel beschrieb. (…) Die Rolle der Gräfin hielt Beaumarchais für die schwierigste des Stücks: „La Comtesse, agitée de deux sentiments contraires, ne doit montrer qu´unte sensibilité réprimée, ou une colére trés modeérée: rien surtout qui dégrade, aux yeux du spectateur, son caratére aimable et vertueux […]“. Zweifellos ist hier die geheime Neigung der Gräfin zu Cherubino gemeint, die bei Da Ponte weniger deutlich wird.
Die Hosenrolle Cherubino also als "anarchische" Figur, die die Geschlechterdifferenz irritiert, und sich nicht klar zuordnen lässt in männlich oder weiblich, wenn ich das richtig verstanden habe. Vielleicht auch das einer der Gründe für die Wahl einer jungen Frau für diese Rolle - das Publikum soll hier nicht ein bestimmtes Geschlecht sehen und es zuordnen können, sondern "verwirrt" werden.
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Bei Mozart und bei Beaumarchais fungiert Chérubin als die Geschlechterdifferenz irritierendes und ganz prinzipiell anarchisches Prinzip. Er figuriert – wie alle Transvestiten, deren Verkleidungen immer auch für das Prinzip von (verkleidender) Fiktion stehen – auch als Prinzip der (künstlerischen) Metamorphose. Chérubins Anarchie stört die sorgfältig ausgeklügelten Intrigen der dramatis personae – und bringt sie zu Fall; der Page bringt jenes Chaos, jene Verwirrung hervor, die am Ende des Stücks rücküberführt wird in die wiederhergestellte Ordnung. Eben um diese Ordnung, in der das Ende des Tollen Tages wieder mündet, ist es allerdings wohl prekär bestellt. Ob Graf Almaviva etwa künftig ein besserer Ehemann sein wird, ist genauso unsicher, wie die Antwort auf die Frage nach Figaros künftiger ehelicher Treue. Mozart wird dieses Spiel von der Blindheit und Brüchigkeit der menschlichen Gefühle, das sich am Ende der Journée folle und auch von Le nozze di Figaro ankündigt, auskomponieren (in bezug auf eine andere Geschichte und anderes Personal): im dramma giocoso Cosi fan tutte.
Sind fast alle Personen, die Beaumarchais in seinem Mariage auftreten lässt, so angelegt, dass der Zuschauer, die Zuschauerin sie auf ihre Moralität hin befragen, gilt das für Chérubin nicht. Die Figur des Pagen „ist nicht allein Katalysator der geheimen Wünsche anderer, sondern sie selbst inkarniert eine quasi-mythische Triebhaftigkeit, die sich aller Moral entzieht. […] Chérubin steht metonymisch für die das gesamte Stück charakterisierende sexuelle Anarchie, für den temporären Identitätsverlust aller Figuren, für die Aufhebung aller Ordnung in der Tollheit“, für die Ver-rückungen des gesellschaftlichen Repräsentationssystems.
(Im Theaterstück gibt es noch andere kleine "Hinweise" darauf, dass Cherubino überraschend weiblich aussieht, wenn Susanna etwa meint: "Der gute Junge mit seinen langen, scheinheiligen Augenwimpern". Für mich ebenfalls ein kleines Gag des Autoren, dass die Figuren sich wundern, das Publikum, das es besser weiß, aber nicht.)
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Faszinierend ist Chérubin für die Gräfin und die anderen Frauen, weil er Kind, Mann, Mädchen – alles zugleich ist. Auf der Schwelle zur Adoleszenz wird er noch nicht fixiert durch eine, und nur eine Identität. Seine Position im sozialen Gefüge ist eine gleitende; Chérubin, der Page, wird vom Grafen zum Hauptmann promoviert, eine Stellung, die für den Zuschauer weit inadäquater und grotesker anmutet als Chérubins Verkleidung als Bauernmädchen im 4. Akt. Chérubin ist fast noch Kind. Deshalb kann er „den ganzen Tag um die Frauengemächer herumstreichen, [bekommt] Windbeutel […] [und] Sahne zum Frühstück, […] [spielt] Pfänderspiele und Blinde Kuh“. Dieses (fast-noch, aber nicht-mehr-ganz) Kind lässt sich von Suzanne in Gegenwart der Gräfin entkleiden und als Mädchen verkleiden in einer Szene, die voller Erotik ist, interessanterweise nicht ob der Männlichkeit, sondern ob der Weiblichkeit Chérubins: „Ah, was für einen weißen Arm er hat“, ruft Suzanne aus. „Weißer als meiner! Sehen Sie doch nur, Madame!“
Die Hosenrolle Cherubino also als "anarchische" Figur, die die Geschlechterdifferenz irritiert, und sich nicht klar zuordnen lässt in männlich oder weiblich, wenn ich das richtig verstanden habe.
Das liegt daran, dass ich nicht Kierkegaard binNach der Lektüre von Sören Kierkegaard, den ich lange nicht mehr gelesen hatte und erst wieder hervorgeholt habe, als mich die Frage dieses Threads umzutreiben begann, wirkt diese Aussage sonderbar platt.
Lieber Rüdiger,Lieber operus, ich verstehe nichts, rein gar nix
Alles klarMeine Bemerkung bezog sich nicht auf das, was du gesagt hast, sondern auf den von Dir zitierten Kunze (oder von wem auch immer das zweite Zitat war)!
Beim Cherubino ist über den philosophischen Spekulationen Kierkegaards wohl die ganz nüchterne Überlegung von Da Ponte und Mozart aus dem Focus geraten, dass mit diesem chaotischen, aber zugleich charmanten Knaben und seiner wild wuchernden Erotik ein dramaturgischer Katalysator das Geschehen der Komödie immer wieder beflügelt.
Sollten wir aber nicht, nach dieser ausführlichen Würdigung der beiden prominentesten echten Hosenrollen, auch die weniger echten mit in den Blick nehmen, von denen es so viel mehr gibt? Ich denke da an die vielen Partien, die, in der Nachfolge der Kastraten, vorwiegend von Mezzos (und inzwischen zunehmend von Countern) übernommenen jungen Männer.