Händel - Messiah - Chorstücke - Interpretationsvergleich

  • Wie der Titel schon sagt, soll es um Chorstücke aus dem Messiah gehen. Thematisch ist das dem Thread "Messiah" besser nicht zuzuordnen, da es um eine relativ spezielle Sicht auf den Messiah geht, wobei es natürlich wieder zum Einsatz von youtube-Links kommt.

  • ich fange mal an mit einem der etwas weniger populären Messiah-Chöre, dem "Lift up your heads", der musikalisch allerdings höchsten Ansprüchen gerecht wird.


    Hier zunächst der Mormon Tabernacle Choir in einer sehr guten Interpretation:



    Schon erstaunlich, wie präzise ein solcher Riesenchor sein kann.

  • das musikalisch allerdings höchsten Ansprüchen gerecht wird.


    Bei allem Respekt, aber da unterscheidet sich unsere Definition von "höchsten Ansprüchen". Den Messiah auf modernen Oboen zu spielen tut weh - mir zumindest. Mein Anspruch an eine gelungene Interpretation ist der, dass man die Musik Händels nicht durch die Verwendung der falschen Instrumente ihrer Klangfarben und ihres Charakters beraubt. Barocke Musik wird aber heutzutage sowieso hauptsächlich auf den richtigen Instrumenten gespielt; dass es da immer noch Ensembles gibt, die davon nichts halten, wundert mich.


    Die Verwendung dieser modernen Instrumente wäre - umgelegt auf Operninszenierungen - so, als würde man die "Alcina" in einem modernen Büro spielen lassen, mit Aktentaschen und Computern. Und dagegen würden die Leute protestieren. Nur die Auswahl der Instrumente scheint irgendwie ALLEN egal zu sein.



    LG,
    Hosenrolle1

  • Eine ebenfalls noch gute Interpretation, der aber die letzte Leichtigkeit und Frische fehlt, ist die folgende:



    Brussels Choral, Eric Delson

  • Höchst interessant (nicht nur aus historischer Sicht):



    Eine der ältesten Aufnahmen des "Halleluja" (1938!!!), hier auf Deutsch gesungen vom Toonkunstkoor Amsterdam. Willem Mengelberg dirigiert das Concertgebouw-Orchester.


    Ich mag das Pathos und die genialen Temporückungen, die Mengelberg einbaut. :hail: Natürlich ist das meilenweit entfernt von einer "historisch korrekten" Interpretation. Allein, ist zumindest mir einerlei. ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Außerdem ist das mit den "falschen" Instrumenten pure Geschmackssache.


    Das moderne Grand Piano gab es zur Barockzeit auch nicht - und Stücke, die ursprünglich auf dem Hammerklavier aufgeführt wurden, gewinnen ohne Ende, wenn sie auf einem modernen Flügel gespielt werden. Eigentlich werden sie dadurch erst richtig anhörbar.

  • Das moderne Grand Piano gab es zur Barockzeit auch nicht - und Stücke, die ursprünglich auf dem Hammerklavier aufgeführt wurden, gewinnen ohne Ende, wenn sie auf einem modernen Flügel gespielt werden. Eigentlich werden sie dadurch erst richtig anhörbar.


    Ernsthaft?
    Ok, damit bin ich raus. Was soll man auf sowas sagen? :no::no:


    Werktreue auf der Bühne - UNBEDINGT! Werktreue in der Musik? Geh bitte, wozu, wer will den alten Käse, da muss modernisiert werden! ... "Klassikliebhaber" im Jahr 2017.

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  • Ich kenne den Messias sehr gut, weil ich einige Aufnahmen habe und das Stück in vier verschiedenen Chören gesungen habe. Ich neige dazu, alle (selbst die letzte Aufnahme - zu dünn!)hier erwähnten Produktionen Interpretationen in den Ordner YouFailzu verlagern. Leider habe auch ich bei solchen Aufnahmen mitgewirkt und mitgelitten, wenn das Orchester nichts taugte.
    Was nicht geht beim Messias: Riesenchor, Riesenorchester, moderne Instrumente, Solisten, die im Singen alter Musik unerfahren sind. Was mich auch irritiert, wenn jetzt in der kleinsten Vorortkirche das Stück auf englisch dargebracht wird und man jede Menge Aussprachefehler korrigieren muss. Man sieht, dass man da eine Menge falsch machen kann.
    Übrigens habe ich bemerkt, dass bei Laienchören ein Chor immer Mühe macht und endlose Proben erfordert: "Durch seine Wunden sind wir geheilet". Das liegt m.E. daran, dass dieses Stück von Händel im alten polyphonen Stil komponiert wurde. Für Laienchorsänger heißt das, dass sie öfter, als ihnen lieb ist, rausfliegen und nicht wieder hineinfinden.
    Mein schönster Messias war vor Jahren in der Essener Philharmonie. Das war am 2. Weihnachtstag der "Messias zum Mitsingen"! Ein sehr gutes Orchester, sehr gute Solisten, dazu 500 Sänger, die nach Stimmen verteilt im Parkett saßen und Zuhörer, die sich auf dem Rang einfanden. Eine Stunde Probe vorher, und man staunte wie gut das klappte. Man hatte das ja schon an den mitgebrachten Klavierauszügen sehen können, dass hier versierte Messias-Sänger am Werk waren. 2016 gab es in dieser Reihe "...zum Mitsingen" die ersten 3 Kantaten des Weihnachtsoratoriums, was dann auch in diesem Jahr wieder gesungen wird - und ganz bestimmt mit meiner Mitwirkung. Trotz unserer Mitwirkung kostete der Spaß auch für die Sänger über 20 €, aber das war es wert.

    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Sagitt meint:


    Ein interessantes Finanzierungsmodell. Ich habe es in Halle erlebt. Händels birthday wird dort in regelmäßigen Abständen mit dem Messias gefeiert. Um die 500 Sängernnen, die jeweils fast 50 € zahlen. Einer berichtete aus London, wo der Messias angeblich mit über 3000 SängerInnen aufgeführt wurde, jeder soll 50 Pfund gezahlt haben. Auf eine solche Weise ist die Aufführung dann finanziert.
    Die Veranstaltung in Halle ist so etabliert, dass sogar aus Japan dazu SängerInnen anreisen.


  • Mein Favorit unter den "Messias"-Aufnahmen (und ich habe etlich, einschließlich des Wefelmeier-Pop-Projekts) ist diese Naxos-Einspielung (trotz des unerquicklichen Counters Angus Davidson). Hier fehlt - für mich zum großen Glück! - das Pompöse, das "Zu-Dick-Aufgetragene"; hier wird jener Händel hörbar, wie er bei der Uraufführung in Dublin 1742 gegeben wurde: Handel had sixteen singers including both female and boy sopranos. Enstprechend ist das benutzte Instrumentarium des Ensembles "The Scholars Baroque Ensemble" auf 16 reduziert - und das mit hervoragendem Klang. Dass der Komponist später (in London) selbst größere Besetzungen gewählt hat, lasse ich für mich außen vor. Das hier Gebotene ist toll!. Übrigens fand ich bei Youtube von diesem Ensemble lediglich das Halleluja...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Messiah wurde seit den 1780ern mit Riesenbesetzung aufgeführt. Das ist nichts Neues und hat dem Werk anscheinend 200 Jahre lang nicht viel geschadet. Und selbst zu Händels Lebzeiten hat der sich sicher nicht mit 16 Sängern begnügt, wenn er mehr hatte. Man kann aus der seinerzeitigen Praxis nicht viel ableiten, weil zwischen minimal und monumental (Feuerwerksmusik...) praktisch alles vorkam, je nach Gelegenheit. Gerade Messiah musste ja, wegen der relativ begrenzten Mittel in Dublin, die mit London kaum vergleichbar waren, mit möglichst einfachen Mitteln große Wirkungen (was bei dem erhabenst möglichen Thema auch notwendig warerreichen.


    Ich habe einmal eine Aufführung mit einem Projekt/Laienchor gesehen, in der die professionellen Solisten einen oder zwei Chöre übernommen haben, weil anscheinend nicht genügend Zeit gewesen war, um die zur Zufriedenheit des Leiters hinzukriegen, oder sie waren einfach zu schwierig für diesen Chor. Einer davon war "His yoke is easy", falls es noch einer war, weiß ich nicht mehr, welcher.


    Mich stört bei einigen Stücken, wenn sie, unabhängig von der Besetzungsgröße, als "Choretüden" abgespult werden. "His yoke" ist davon manchmal betroffen, aber das ist ja auch ein "heiteres", bewegtes Stück. Aber z.B. bei "And he shall purify" habe ich manchmal den Eindruck, dass das als Wettrennen gesungen wird (wie auch das Kyrie aus Mozarts Requiem) und dadurch an Gewicht verliert.
    Was nicht bestreiten soll, dass andere, oft ältere Interpretationen zu breit und bräsig unterwegs wären. Mengelberg fällt für mich bei dem Hallelujah aber nicht darunter. Er tritt ja erst bei "The kingdoms of the world" auf die Bremse, vorher ist es ziemlich normal, wenn auch ein bißchen breiter als heute üblich.


    Bzgl. "Lift up your heads". Davon gibt es auch eine lustige Instrumentalversion in einem der Concerti a due cori.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Hallo Joseph, der Mengelberg rockt !!!


    Schade, daß es diese tolle Interpretation nicht in moderner Tonqualität gibt.


    Sehe ich genauso! Ja, die mangelhafte Tonqualität ist wirklich ein Jammer, weil ich eigentlich keine bessere Interpretation kenne.


    Was nicht bestreiten soll, dass andere, oft ältere Interpretationen zu breit und bräsig unterwegs wären. Mengelberg fällt für mich bei dem Hallelujah aber nicht darunter. Er tritt ja erst bei "The kingdoms of the world" auf die Bremse, vorher ist es ziemlich normal, wenn auch ein bißchen breiter als heute üblich.


    Dieser Tempowechsel, der mir persönlich hervorragend zur Dramaturgie des Chors erscheint, scheint früher relativ üblich gewesen zu sein. Karl Richter hat ihn in seiner deutschsprachigen Aufnahme ebenfalls, genauso wie Leopold Stokowski in seiner "Phase 4 Stereo"-Einspielung.


    Überhaupt finde ich, dass der "Messiah" auch sehr gut auf Deutsch funktioniert. Aufgewachsen bin ich gewissermaßen mit der legendären Richter-Einspielung von 1964, die für mich insgesamt noch heute unerreicht dasteht. Bei Richter habe ich immer das Gefühl, dass er den geistlichen Gehalt der Chöre sehr ernst nimmt. Ob das nun ein gemischter "Riesenchor" ist, fällt für mich nicht ins Gewicht. Seine spätere englischsprachige Aufnahme aus London von 1972 erreicht m. E. diese Sternstunde übrigens auch nicht mehr.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die englischsprachige Richter-Aufnahme kenne ich nicht, die scheint durchaus Fans zu haben. Die deutschsprachige habe ich mal meiner Mutter geschenkt, die finde ich furchtbar. Von einigen wenigen Arien (selbst die illustren Solisten enttäuschen mir hier eher) für mich schwer erträglich. (Nicht wegen der Sprache, obwohl die natürlich auch nicht ideal ist.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)

  • Einer berichtete aus London, wo der Messias angeblich mit über 3000 SängerInnen aufgeführt wurde, jeder soll 50 Pfund gezahlt haben. Auf eine solche Weise ist die Aufführung dann finanziert.

    Der Erlös dieser Aufführungen kommt jeweils einer Institution für Kinder zu Gute (ursprünglich war es the Foundling Hospital (Londoner Findelhaus) gewesen, Händel hatte dies so bestimmt).
    Aus diesem Grunde hat Händels Messias für mich etwas sehr Berührendes (selbst dann wenn das Werk für mich eher unschön aufgeführt wird).
    Mit freundlichen Grüßen, quodlibet

  • Zitat

    musikwanderer: Übrigens fand ich bei Youtube von diesem Ensemble lediglich das Halleluja...


    Doch das finde ich einfach grandios, lieber Musikwanderer, zumal dieser großartige Chor in Zusammenarbeit mit den Instrumentalisten die urwüchsige Kraft, die allein dem Wort "Halleluja" innewohnt, überzeugend nach außen trägt und auf den Zuhörer überträgt. Das war in den zahlreichen Auftritten, bei denen wir diesen zu den großartigsten Chören überhaupt gehörenden Chorsatz aufführten, auch immer unser Bestreben, die Begeisterung und Freude, die Kraft und den Jubel nach außen zu tragen, ohne zu schreien. Nur dann wird man vom Aufführenden zu einem Teil der Musik und ist dann in der Musik.


    Hier gibt es den Messias in dieser Einspielung übrigens komplett:



    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wir haben den Messias Weihnachten in unserer Vorortkirche gesungen, danach war ich 2 Wochen krank. Ich kann drei Stunden singen, aber nicht 3 Stunden stehen. Daher kann ich bei meiner Besprechung auch nur den Messias als Vergangenheit erwähnen. Ich habe ihn zu oft gehört und zu oft gesungen, und lieber William, ich habe daher auch keine Lust, YouTube zu durchforsten. Heute gefallen mir die Opern Händels besser.
    N.B. Ich habe mir Mengelberg und Karl Richter abgehört, allerdings nur je 1 Minute. Ich bin aber zu faul, sie auf die YouFail-Liste zu setzen.

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  • Lieber Dottore,


    ich habe den Messias zur Gänze nur zweimal gesungen, beim ersten Mal zu Christkönig 2003. Danach konnte ich drei Tage nicht sprechen. Ich hatte mich in Haupt- und Generalprobe und dann bei der Aufführung zu sehr verausgabt. Beim zweiten Mal, neun Jahre später, hatte ich diese Probleme nicht mehr.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich habe den Messias nicht zur Gänze gesungen, nur einige Chöre daraus - und die sind ja auch das Faszinierende an dieser Komposition.


    Die Soli zwischendurch mögen stellenweise interessant sein, sie werden vermutlich wesentlich seltener gehört - den kompletten Messias habe ich mir zweimal live angehört, war gut, aber is nu auch genug. Die Chöre könnte ich immer und immer wieder hören!


    Dr. Pingel ist insofern zuzustimmen, daß Riesenchöre normalerweise nicht funktionieren - es sei denn, es ist zwar ein Riesenchor , der aber so exakt ist wie ein eher kleiner Chor


  • Und einer der mächtigsten Chöre, großartige Fugentechnik: der Schlußchor: Worthy is the lamb, mit wohl einem der längsten Amen der Musikgeschichte (hatten wir dazu nicht mal einen Thread ?)


  • Das gehört hier nicht zum Thema und ich habe das vermutlich schon mehrmals irgendwo anders geschrieben, aber eine ganze Reihe von Arien aus dem Messiah sind ebenso bekannt und beliebt wie die Chöre, gehören zu den bekanntesten Werken Händels und finden sich auch auf Arien-Recitals usw. Schon das Tenor Accompagnato + Arie ganz am Anfang, später v.a. "He was despised", "I know that my redeemer liveth". Das Sopran-Alt-Duett "And he shall feed his flock" u.a. Auch die Bassarien "The people that walked in darkness", "The trumpet shall sound", mit Trompete (die ist meiner Ansicht nach aber eine der schwächeren, viel zu lang, interessanterweise eine der wenigen echten Dacapo-Arien in dem Werk).

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    (Bob Dylan)

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