• Die Marienvesper von Monteverdi begleitet mich schon 45 Jahre. Noch nie habe ich sie satt gehabt, wie das bei manch anderen Klassikwerken durchaus der Fall war. Ich habe eine Reihe von Aufnahmen, 3x habe ich sie live gehört (z.B. unter Ralf Otto im Werdener Dom in Essen, angekündigt als "Marinevesper").
    Heute Nachmittag war sie zu hören unter Philippe Herreweghe und seinen Ensembles, und zwar in der Maschinenhalle der Zeche Zollern. Ein wunderbares Ambiente mit toller Akustik; jetzt weiß ich, was eine Kathedrale der Industrie ist. Die Karten waren ganz schön teuer (50 Zechinen), aber letzten Endes stimmte das Preis-Leistungsverhältnis doch. Herreweghe hatte für jeden Satz eine besondere Sitz- und Stellordnung ausgetüftelt, was dafür sorgte, dass die Stücke trotz der Wucht immer durchhörbar blieben. Herreweghes Prinzip, die Solisten den Chor mitsingen zu lassen und den Choristen kleinere Solos zu geben, zahlte sich wieder aus. Die Messe war nicht die einzige großartige, die ich kenne (Gardiner, Suzuki, Ralf Otto), aber nie war eine besser.
    Noch drei Nachträge:
    1. Morgen 1930 ist die zweite Aufführung.
    2. Bertarido hatte mich auf diese Aufführung hingewiesen, aber wir haben beide verpasst, uns zu treffen.
    3. Nach der Vorstellung traf ich auf einen netten sympathischen Künstler, der mir auch seine Signatur (auch wenn unleserlich) in mein Programmheft schrieb: Herrweghe himself. Ich gratulierte ihm noch zur Kölner Matthäuspassion von 2010, die er auch sehr schön fand. Durch seine Unterschrift auf meinem Programm stieg die Liste meiner Autogramme um 33% (1. Hiroshi Wakasugi, 2. Hilary Hahn, 3. Philippe Herreweghe).
    Was auch diesmal wieder auffiel: Das Publikum, das die alte Musik besucht, ist vom Feinsten: kein Tuscheln, kein Husten, kein Handy, dafür am Schluss rauschender Beifall

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Lieber dottore, schade dass wir uns verpasst haben - das nächste Mal klappt es hoffentlich.


    Danke für den Bericht, dessen Bewertung ich mich voll und ganz anschließen kann - ein wundervolles Konzert. Monteverdi kann ich nicht genug hören, es ist wirklich perfekte Musik, una grande bellezza.


    Mit Herreweghes Aufnahme habe ich die Marienvesper kennengelernt, und sie ist immer noch eine meiner liebsten:


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Die von Bertarido genannte CD von Herreweghe habe ich auch und ich habe sie sofort gehört. Dabei kam Erstaunliches zutage: es handelt sich um eine komplett andere Produktion. Kein Mitglied der damaligen Aufnahme, ob Solisten, Chor oder Musiker ist noch dabei. Das geschieht ja bei diesen Ensembles regelmäßig. Das Große an unseren großen Dirigenten wie Herreweghe, Gardiner, Minkowski, Ralf Otto, William Christie, ist ja, dass die besten Nachwuchssänger Europa sich darum reißen, dort mitsingen zu dürfen.
    Die Aufführung, die ich gehört und oben besprochen habe, ist von der Interpretation eine, die die Kraft und die Klangpracht Monteverdis betont. Die CD ist vollkommen anders, sie ist sozusagen die Kammer-Version des Stückes. Sehr zurückgenommen, die lyrischen Stellen sind natürlich besonders schön. Entscheiden kann ich mich für keine von beiden.
    Übrigens, Gardiner hat eine ähnliche Entwicklung gemacht. Er hat das Werk in San Marco aufgenommen und sehr geschickt den Raum genutzt für immer neue Konstellationen. Alle Solisten und alle Chormitglieder singen das ganze Stück auswendig! Die Musiker dürften im Alter so bei 40 Jahren liegen. Vollkommen anders ist die Aufführung, die bei den BBC-Proms gemacht wurde. Lauter junge Leute mit frischen Stimmen.
    Hier eine Kostprobe (mein Lieblingschor, Nr. 7, "Nisi Dominus")



    Die jungen Mädchen: eine Augen- und Ohrenweide!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)