Neue Fragen (Ergänzungsthread zu "Drei Fragen")

  • Hier eine umgekehrte Fragestellung an alle.


    Angenommen, ein Komponist hört sich auf eure Bitte hin eure Lieblingseinspielung und/oder eure Lieblingssänger an, und meint danach, dass das überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was er komponiert hat, oder die Sänger absolut ungeeignet sind.


    Oder er sieht sich eine Aufführung auf der Bühne an, und meint, nach der Inszenierung befragt, dass ihm diese modernisierte Fassung durchaus gefällt, oder umgekehrt, diese traditionelle Inszenierung überhaupt nicht werktreu sei, weil er sich sowas nicht gedacht hat.


    Oder er besucht eine Vorstellung eines Konzerts, und verlässt nach einer Minute selbiges. Ihr fragt ihn warum, und er meint, die Akustik sei ungeeignet, der Hall sei zu gering, denn er hat das Stück so komponiert, dass die Töne mehr verschwimmen, und nicht so klar konturiert ihr Ohr dringen.


    Was würdet ihr davon halten, wenn der Komponist eine Aufführung einer Oper besucht, und anfängt zu essen, ihr ihn darauf ansprecht und er sagt "Das ist doch lächerlich hier, wie alle in diesen Anzügen stumm herumsitzen. Zu meiner Zeit war die Oper ein Fest, da haben die Leute gegessen. Das wirkt direkt komisch, wie alle unbeweglich da sitzen".



    Wie würdet ihr damit umgehen? Würdet ihr euch vom Komponisten persönlich sagen lassen, was werktreu ist und was nicht? Würdet ihr es akzeptieren, wenn er meint, dass eure Lieblingssänger für seine Oper ungeeignet sind, weil er etwas ganz anderes haben wollte?
    Oder wäre euch das ziemlich egal, würdet ihr vielleicht sogar denken "Was weiß der denn schon?".




    LG,
    Hosenrolle1

  • Zitat

    Angenommen, ein Komponist hört sich auf eure Bitte hin eure Lieblingseinspielung und/oder eure Lieblingssänger an, und meint danach, dass das überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was er komponiert hat, oder die Sänger absolut ungeeignet sind.


    Diesen Fall hat es - der Überlieferung zufolge - in der Tat gegeben, und zwar in etwa um 1865. Eim Mann hört eine Sängerin und hört sie die brilliantesten Verzierungen einer offensichtlichen Opernarie singen. Er spricht die Künstlerin an und fragt, wer dernn diese Arie komponiert habe. "Das ist von Rossini" ist die Antwort der jungen attraktiven Sängerin, die in etwa zwischen 18 und 22 gewesen sein muß. "Das kann nicht sein, denn das kenne ich nicht.- Das habe ich nie komponiert" entggenet daraufhin der Fragesteller, denn es handelt sich dabei um Rossini (1793-1868) persönlich. Die ausschmückenden Koloraturen haben die ursprüngliche Arie bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Rossini soll daraufihn mit der Sängeri die Originalversion der Arie einstudiert haben.
    Ach ja, bei der Sängerin handelte es ich um Adelina Patti (1843-1919).......


    Gefragt war aber, wie ICH drauf reagieren würde. Eigentlich gar nicht, denn diese Aussage wäre vermutlich die zu erwartende.
    Wieso das ?


    Ich will es an einem Beispiel zu erkären versuchen: Ich wurde 1949 geboren, bin also 68, fühle mich aber wie 50 (Ich hab mich schon mit 30 wie 50 gefühlt)
    Da meine Elterrn geschieden waren, lebent meine Mutter und Ich bei den Großeltern, Weil meine Mutter berufstätig war wurde ich großteils von meiner Grißmutter erzogen. Das ist nicht ungewöhnlich, allerdings war meine Großmutter bei der Geburt meiner Mutter bereits 39 Jahre alt, sie war Jahrgang 1888. Das bedeutet, daß ich eine Erziehung bekommen habe, die der Zeit von etwa 1913/18 entsprach. Der Wortschatz, die Redewendungen der damaligen Zeit war ein völlig anderer und generell die Gepflogenheiten, ebenso die Geschwindigkeit des Sprechens etc etc. die Küche, Bekleidungsgewohnheiten etc. Ich habe das lange nicht bemerkt, wenn ich aber heute die ganz jungen Leute im internet (vorzugsweise bei den Podcasts, wo technische Geräte erklärt werden)sprechen höre, Da fühle ich mich in eine andere Welt versetzt und empfinde ausgesprochenen Widerwillen, wenn da jemand ein technische Gerät als "Cooles Tool" bezeichnet oder als "geil" bezeichnet, dazu verschlucken die Sprecher oft Silben und reden in einem olympiareifen Tempo.
    Und genau hier bin ich denn och am Thema. Ich konnte die Entwickung der Welt - virtuell - 100 Jahre lang beobachten, und man kann sich vorstellen was ein Komponist für Erwartungen hat, der vor - sagen wir mal 250 Jahren gelebt hat.
    Früher wurde pathetische, bedeutungsschwerer gesungen, mehr auf die Brillianz des Vortrags als auf dramatischen Ausdruck bedacht. Es war alles ganz anders. Kein Wunder, wenn ein Komponist von 1770 das Heutige nicht hören wollte.......


    mfg aus Wien
    Alfred


    PS: die beiden offenen Antworten folgen......

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Angenommen, er sagt jetzt also, dass deine Lieblingssänger in einer bestimmten Partie völlig ungeeignet sind, und begründet das auch nachvollziehbar. Du würdest ihn fragen "Gibt es andere Sänger von heute, die deiner Vorstellung entsprechen?", und er stimmt dem zu und nennt dir Namen. Würdest du da Konsequenzen daraus ziehen und sagen, dass die Lieblingssänger in der Partie doch nicht geeignet sind, und würdest sie ebenfalls als ungeeignet ansehen?
    Oder würdest du (überspitzt formuliert) sagen "Für mich zählt nur was MIR gefällt beim Anhören, und nicht was der Komponist sich vorstellt"?




    LG,
    Hosenrolle1

  • Zitat

    Oder würdest du (überspitzt formuliert) sagen "Für mich zählt nur was MIR gefällt beim Anhören, und nicht was der Komponist sich vorstellt"?


    Das ist aber ein sehr komplexes Thema und es wurde scho mal versucht es auszudiskutieren, was aber meiner Meinung nach gescheitert ist. Auch ich würde heute vermutlich einen etwas anderen Standpunkt vertretten als damals


    Der Wille des Komponisten - Dogma oder Empfehlung ?


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Was würdet ihr davon halten, wenn der Komponist eine Aufführung einer Oper besucht, und anfängt zu essen,


    Ich würde ihn fragen, ob es ihm schmeckt und was er so isst. Ich, der jegliche Speisung im öffentlichen Raum ablehnt, wäre also gütig und tolerant. ;)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Das ist aber ein sehr komplexes Thema und es wurde scho mal versucht es auszudiskutieren, was aber meiner Meinung nach gescheitert ist. Auch ich würde heute vermutlich einen etwas anderen Standpunkt vertretten als damals


    Der Wille des Komponisten - Dogma oder Empfehlung ?

    Wobei es in meiner Fragestellung ja so ist, dass wir direkt vom Komponisten persönlich die Info bekommen, dass ihm das nicht gefällt, und wir nicht spekulieren müssen, was er wollte. Da würde mich interessieren, ob die Leute das einsehen würden, oder weiterhin vom Komponisten als "verfälschend" oder "schlecht gespielte" Aufnahmen oder Sänger toll finden.



    LG,
    Hosenrolle1

  • Wenn man in der Zeit der Komponisten bleibt gibt es durchaus bekannte Fälle, in denen Komponisten auf ihre Interpreten gehört haben. Herbert von Karajan erwähnt dies mit Bezug auf Richard Strauss und dessen (wundervollen) Metamorphosen. Ebenso berichtete Ernest Ansermet über (fruchtbare) Diskussionen mit Igor Strawinski. Das waren allerdings Diskussionen auf Augenhöhe. Ob ich als Hörer das akzeptieren würde? Durchaus. Ob es meine Einstellung zu der Aufnahme beeinflussen würde? Weiß ich nicht, eher nicht. Ich glaube auch nicht, dass es da etwas "einzusehen" gibt. Die Werke sind nun mal in der Welt, und nur ein Tor wird davon ausgehen, dass sie statisch unverändert immer wieder nur auf eine Weise aufgeführt werden. Das gibt's halt nur bei Schalplattten.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich kenne von Karajan aus dem 1984er Interview die Geschichte, dass er sich nach einer Aufführung der Elektra mit dem alten Strauss getroffen habe, und ihn gefragt hat, was ihm NICHT gefallen hat.
    Strauss meinte darauf hin, dass er selbst von diesen Werken schon so weit entfernt ist, und Karajan wird es schon richtig machen.


    Deswegen würde ich Komponisten auch immer zu einer Zeit fragen, wo sie ihre Werke gerade frisch rausgebracht haben. Ich würde einen 70 jährigen Komponisten nicht nach einem Werk fragen, das er als 25 jähriger geschrieben hat, sondern den 25 jährigen fragen.



    Persönlich bin ich halt immer am Werk und der Werknähe interessiert, koste es was es wolle. Nicht das Werk muss sich an mich, sondern ICH muss mich an das Werk, bzw. den Willen des Komponisten anpassen, soweit der eruierbar ist.


    Ich habe z.B. viele Klassikaufnahmen gesammelt - als ich gesehen habe, dass diese mit dem Werk nichts zu tun haben, waren sie für mich uninteressant. Ich habe nicht gesagt "Was soll´s, die letzten 10 Jahre hatte ich Freude daran, mir doch egal was der Komponist wollte", sondern höre mir diese Sachen nie wieder an, eben weil ich am Werk interessiert bin.


    Wenn ich nun aus erster Hand - nämlich vom Komponisten wüsste - dass ihm mein Lieblingssänger in einer Partie gar nicht gefällt, er vielleicht meint, dass er hier an eine ganz andere Stimme, einen ganz anderen Ausdruck gedacht habe, dann ziehe ich daraus meine Konsequenzen und finde den Sänger in dieser Partie ebenfalls unpassend.
    Vielleicht bringt der Komponist dann Beispiele von anderen Sängern, die er ideal findet, und MIR gefallen diese aber überhaupt nicht. Dann bin ich konsequent und sage "Ok, das gefällt mir nicht" und distanziere mich von dem Werk.
    Aber ich würde nicht wollen, dass es auf meinen, oder irgendeinen Publikumsgeschmack getrimmt wird, egal ob sängerisch, musikalisch, in der Größe der Besetzung, oder sonstwie.



    LG,
    Hosenrolle1

  • Daß dieser Thread so wenig Resonanz bekomm ist einerseits verwunderlich, andrereseits auch dadurch erklärbar, daß nach längerer sommerlicher Siesta nun (glücklicherweise) jede Menge Threads auf uns einstürmen. die gar nicht alle überblickbar sind.


    Generell möchte ich sagen, daß den meisten Komponisten ziemlich egal war, wie und unter welchen Bedingungenihre Kompositionen aufgeführt wurden. Beispiele werden folgen und auch Begründungen.


    Es gibt aber auch sehr pingelige Komponisten auf diesem Gebiet.
    Und dank der bereits ca 135 Jahre alten Geschichte der Tonaufzeichnung und der über 110 Jahre alten Geschichte von Welte- Mignon Klavierrollen wissen wir auch, daß Komponisten nicht notwendigerweise selbst die besten Interpretationen ihrer Werke ablieferten.


    So - das sollte fürs erste genug sein. Der Tag ist noch lang


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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