Im Vorstellungsthread hat mir der neue User Amdir geantwortet; damit es nicht zu OT wird antworte ich ihm in diesem eigenen Thread, in dem es um HIP generell gehen soll, nicht nur um bestimmte Teilaspekte.
Hosenrolle1
Ja, ich beschäftige mich auch mit der HIP, allerdings weitestgehend in der Theorie bzw. höre ich mir auch gerne mal HIP-Aufnahmen an. In der (Geigen-)Praxis hatte ich bisher aber noch fast gar nichts damit zu tun, was wohl vor allem daran liegt, dass ich kein Profigeiger oder Violine studiere (ich als Lehramtsstudent habe "nur" weiterführenden Instrumentalunterricht) und ich dementsprechend bisher auch noch keinen Rundbogen oder gar eine Barockgeige benötigt habe. Was am ehesten in die Richtung ging war, dass ich von der Lehrerin einer Kommilitonin mit der ich zusammenspiele gefragt wurde, ob ich nicht den Bogen wie im Barok üblich, also näher an der Mitte als am Frosch, halten könne.
Würde das etwas bringen? Der barocke Bogen, den du erwähnt hast, war ja doch anders gebaut. Die Spannung war geringer, und ich las, dass seine Form bestimmte Spieltechniken, die mit dem modernen Bogen nicht so gut oder gar nicht realisierbar sind, ermöglichte. Etwa 3 Saiten gleichzeitig zu spielen, oder so ähnlich. Ist schon länger her, dass ich das gelesen habe.
Persönlich bin ich aber sowieso kein Freund davon, unterschiedliche Stile zu spielen, wenn man nicht völlig drin ist in der Materie. Wie Harnoncourt schon meinte:
ZitatGenaugenommen erhält der heutige Musiker eine Ausbildung, deren Methode sein Lehrer so wenig durchschaut wie er selbst. Er lernt die Systeme von Baillot und Kreutzer, die für die Musiker von deren Zeitgenossen konstruiert wurden, und wendet sie auf die Musik völlig anderer Zeiten und Stile an. (...) Da wir nun einmal Musik aus etwa vier Jahrhunderten aufführen, müssen wir, anders als die Musiker früherer Zeiten, die optimalen Aufführungsbedingungen jeder Art von Musik studieren. Ein Geiger mit der perfektesten Kreutzer/Paganini-Technik möge nicht glauben, damit das Rüstzeug für Bach oder Mozart erworben zu haben. Dafür müsste er die technischen Voraussetzungen und den Sinn der „sprechenden“ Musik des 18. Jahrhunderts wieder zu verstehen und zu erlernen trachten.
Darmsaiten hatte ich bisher glaube ich nur einmal aufgezogen, mit gefallen die zu starke Beeinträchtigung des Spiel- und Klangverhaltens sowie das leichtere Verstimmen durch äußere Einflüsse wie Temperatur und Feuchtigkeit nicht, ebenso wie die Tatsache, dass man viele Darmsaiten durch die fehlende Kugel nicht mit dem Feinstimmer stimmen kann. Den Klang von Darmsaiten habe ich aber recht gerne, vielleicht werde ich mal wieder darauf zurückgreifen, bisher siegten aber immer Gewohnheit und Bequemlichkeit
Auch das kann ich sehr gut nachvollziehen; Darmsaiten haben natürlich ihre praktischen Nachteile. Auch darauf ging Harnoncourt ein:
ZitatDie nächste große Umwälzung, die heute sehr heruntergespielt wird, war die Einführung der Stahlsaite zwischen ca. 1920 und 1960. Zuerst war die Violin-Stahl-E-Saite eine billige Lösung des teuren Saitenproblems für Schüler. Eine Geige quintenrein für einen Solisten zu besaiten, kostete einen Geigenbauer mehrere Stunden und zahlreiche weggeworfene, weil nicht genügend reine, Saiten. Eine Stahlsaite hielt sehr lange, blieb quintenrein, war billig - dass sie nicht schön klang, hielt vorerst die Solisten von ihr ab. Auch viele Orchestermusiker lehnten sie ab. Die Saiten wurden dann etwas besser, klangen weniger vulgär, und schließlich siegte doch die Bequemlichkeit. - Einige Dirigenten wie Felix Weingartner und Franz Schalk (der ihre Verwendung in der Oper verbot) lehnten sie ab. Erst in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts setzten sie sich endgültig durch - eine traurige Konzession an die Sicherheit zu Lasten der Schönheit. Immerhin, die übrigen Saiten blieben vorerst aus Darm. Als ich 1948 nach Wien kam (mit Stahlsaiten auf meinem Cello), spielte kein einziger Cellist hier Stahlsaiten. Die ersten Worte meines Lehrers Prof. Emanuel Brabec (Solocellist der Wiener Philharmoniker) waren: "Weg mit dem Draht!". Wenige Jahre später spielten alle Cellisten auf Stahlsaiten, und bald folgten sogar die Kontrabässe.
Das klangliche Resultat war sehr eigenartig: die Instrumente klangen nun beim Ohr lauter, im Saal weniger voll - praktisch ohne Bogengeräusch, was vor allem bei den tiefen Streichern, den Kontrabässen auffiel. - Später wurde die Besaitung wegen des Tonqualitätsverlustes modifiziert, man spielt jetzt teils wieder umsponnene Darmsaiten, Seilsaiten aus Metall oder Plastik, aber kaum nackte Darmsaiten. Nach meinem Geschmack war der alte Streicherklang viel schöner, wärmer, voller - ich habe das mit verschiedenen Orchestern ausprobiert.
Ich bin kein Kenner, was unterschiedliche Saitenmarken bei der Violine angeht, ich weiß nicht welche Firmen und Qualitäten es da gibt. Sicher gibt es auch schlechte Darmsaiten oder Imitate, die wie Plastik klingen. Aber ich bevorzuge unbedingt den Darmsaitenklang, und wie man an dem Zitat sieht, wurde der auch noch bis ins 20. Jahrhundert hinein bevorzugt, die Stahlsaiten wurden nur mehr aus praktischen Gründen aufzogen, nicht aus klanglichen. Ich persönlich halte den Stahlsaitenklang in keinster Weise aus, weder als Soloinstrument noch im Orchester.
Vom Quatuor Terpsychordes, das du vielleicht kennst, gibt es eine tolle Aufnahme von Schuberts Streichquartett "Der Tod und das Mädchen", auf alten Instrumenten mit Darmsaiten bespielt. Ich fand es erstaunlich, wie vielseitig diese Klänge sind. Harnoncourt schreibt hier "voll" und "warm", aber ich habe da noch mehr Klänge gehört. Zu Beginn des 2. Satzes etwa, bei dieser Trauermusik, klangen die Streicher sehr fahl und düster, ohne dabei aber "hässlich" im negativen Sinne zu klingen.
Wenn ich dann nur 2 Takte einer Stahlsaitenaufnahme anhöre, höre ich nur metallisches Schnarren, ein stählerner, angespannter Klang, der mir wehtut. Wie eine Maschine, wie ein Roboter klingt das für mich - überhaupt kein Vergleich mit den Darmsaiten. Davon einmal abgesehen, dass die Stahlsaiten-Geiger die Stücke generell immer zu hoch spielen, wodurch die Musik zusätzlich noch überreizt klingt.
(Falls du Interesse hast kann ich dir mal auf YouTube ein Vergleichsvideo HIP vs. modern erstellen)
In einer anderen HIP-Aufnahme habe ich mir Mendelssohn-Bartholdys "Sommernachtstraum" angehört. Wie die Streicher da herumschwirren, wie lebendig und "organisch" dieser Klang ist .... als ich zum Vergleich eine reguläre Aufnahme von der Stange gehört habe, habe ich nur stählernes Geschrubbe gehört, wie wenn man mit einem Stahlschwamm auf einem Teller kratzt. Dieser "natürliche" Ton des Waldlebens war völlig verschwunden, es klang "industriell".
Es freut mich, dass du da als Musiker doch ein Ohr dafür hast
LG,
Hosenrolle1