Cavalleria rusticana (Mascagni) und Bajazzo (Leoncavallo), Hamburgische Staatsoper, 22.09.2017, empfehlenswert

  • Die Besetzung war vielversprechend, es wurde auch eine großartige Aufführung der Verismusoper Cavalleria rusticana in dem alten schönen Bühnenbild von Michael Scott (1988, auch Bajazzo, damalige Regie: Gian-Carlo del Monaco). Das Orchester spielte unter der Leitung von Josep Caballé-Domenech (nicht mit Montserrat Caballé verwandt) fabelhaft, mit weich-warmen Klang, schönen Piani, fast so, als ob lange geprobt worden war. Auch der Chor war entsprechend gut vorbereitet. Unter den Sängern gab es keinen Ausfall, alle waren gut bis hervorragend. Auch Renate Spingler überzeugte mit der Mutterrolle Lucia. Elena Zhidkova war eine darstellerisch mehr extrovertierte, sich im Spiel (deutlicher als andere Sängerinnen dieser Partie) dem Hass hingebende, stimmstarke und gleichzeitig stimmschöne Santuzza, eine überragende Leistung. Ihr gleich kam der Turiddu von Teodor Ilincai, der über eine kraftvolle, schöne Tenorstimme verfügt; das Leise und Lyrisch-seelenvolle tritt bei dieser Partie ja etwas in den Hintergrund. Die Partie der Lola war mit Dorottya Lang ebenfalls herausragend besetzt; schade, dass die Lola nicht mehr zu singen hat. George Gagnidze hatte für den Alfio die richtige Statur und auch den entsprechend stimmstarken Bariton. Sein Spiel war sowohl als Alfio, als auch als Tonio im Bajazzo überzeugend. Er neigt ein wenig dazu, den Orgelton seiner Stimme in den Vordergrund zu stellen und die Modulation etwas zu vernachlässigen, zum Beispiel im Prolog der Oper Bajazzo. Das ist unter Berücksichtigung seiner hervorragenden Gesamtleistung aber zu vernachlässigen und mindert nicht das Opernerlebnis.


    Dominiert wurde der „Bajazzo“ allerdings von Hayoung Lee, mit ihrer strahlkräftigen, sowohl die Koloraturen beherrschenden und zum Lyrisch-dramatischen fähigen Stimme war sie die gesanglich beste Nedda, die ich über die Jahre in bisher 10 Aufführungen gehört habe; außerdem ist Hayoung Lee eine überzeugende Darstellerin. Ihr Liebhaber Silvio (Alexey Bogdanchikov) fiel dagegen stimmlich leider ab, vor allem im Zusammenklang mit Hayoung Lee, auch machte er das durch darstellerisches Charisma nicht wett. Oleksiy Palchykov war als Beppe gut besetzt. Zum Canio; gesungen hat Alfred Kim. Meinem Eindruck nach war seine Stimme zu weiß, d.h. sie hatte zu wenig farblichen Spielraum, um in der sicher nicht einfachen Rolle stimmlich voll zu überzeugen. Auch empfand ich leisere Passagen eher abgeflacht, fast tonarm, während er im Forte, d.h. vor allem in der Höhe, durchaus respektabel über die Rampe kam. Zum tragischen Ausdruck, der unter die Haut geht, reichten die stimmlichen Mittel Alfred Kims an diesem Abend aber nicht. Vor allem seine Klage „Ridi, pagliaccio“, die sonst mit zum Höhepunkt dieser Oper zählt, wirkte eher beiläufig und wäre von manchem Zuschauer wohl gar nicht recht wahrgenommen worden, wenn danach nicht der Zwischenvorhang gefallen wäre. Insgesamt war es vor allem dank Hayoung Lee eine sehens- und hörenswerte Aufführung des Bajazzos mit einer ganz exzellenten Cavalleria vorneweg. Die beiden Stücke werden noch mehrere Male gespielt, und zwar am 26.9. sowie am 4., 7. und 12.10.2017. Der Besuch ist zu empfehlen, auch wegen des „klassischen“ Bühnenbildes (Dorfplatz mit im Halbrund stehenden geschlämmten Häusern, wie man sie aus Süpditalien kennt).

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Der Besuch ist zu empfehlen, auch wegen des „klassischen“ Bühnenbildes (Dorfplatz mit im Halbrund stehenden geschlämmten Häusern, wie man sie aus Süpditalien kennt).

    Lieber Ralf,


    wäre Hamburg nicht so weit weg, wäre schon diese Bemerkung wert, die Aufführung anzusehen. Aber rund 500 km für eine Tour sind mir leider zu weit. Aber mein Intersse ist geweckt!!


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber Ralf,
    wäre Hamburg nicht so weit weg, wäre schon diese Bemerkung wert, die Aufführung anzusehen. Aber rund 500 km für eine Tour sind mir leider zu weit. Aber mein Intersse ist geweckt!!
    Herzlichst La Roche

    Hallo, Ralf
    Den Worten von La Roche kann ich mich nur anschließen.
    Erneut meinen Dank an Dich, für Deinen gut geschilderten informativen Bericht.
    Wir haben ja Freunde in Hamburg, die wir auch ab und zu mal besuchen. Und sollte bei einem unserer nächsten Besuche die "Cavalleria" auf dem Spielplan stehen,
    ist Dein Bericht eine Empfehlung zu einem ersten Besuch in der Hamburger Oper.


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Danke, lieber Ralf, für deine fundierte Rezension.


    Ich bin kommende Woche in HH und werde ein Konzert der Elbphilharmonie besuchen.
    Bin gespannt, ob für die Oper auch noch ein Zeitfenster frei ist, denn ich bin ein alter Verismo-Fan
    und würde die beiden Highlights gerne mal wieder erleben.


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Tja, lieber Ralf, da waren wir gleich zu Beginn der neuen Saison einmal mehr in der selben Vorstellung :thumbsup: Es war, ich darf dies ergänzen, für diese Inszenierung die 70te seit der Premiere am 28. Januar 1988. Und tatsächlich meine ich, damals sogar in der Premiere gewesen zu sein: Varady, Cappuccilli, Antlantov (?) - leider habe ich meine alten Programmhefte in einem Anfall geistiger Umnachtung anläßlich eines Umzuges vor einigen Jahren entsorgt ... Zudem war es nach der Saisoneröffnung am vorvergangenen Freitag mit der Neuproduktion des Parsifal (abgesehen von einigen Ballett-Abenden) überhaupt erst die zweite Opernaufführung der Spielzeit und vielleicht lag es genau daran, dass mir sowohl Orchester, als auch Chor (Ltg. Eberhard Friedrich) in der Cavalleria rusticana noch etwas zu sehr getragen, unflexibel und wackelig vorkamen. Ein Eindruck aber, der sich dann im Pagliacci deutlich wandelte. Insofern hat mir der zweite Teil des Abends besser gefallen, als der Erste, wobei auch dieser seine Meriten hatte - ich kann da nur auf Ralfs Einschätzungen verweisen, die ich bzgl. der Einzelleistungen im Wesentlichen so teile. Zu kritisieren ist wohl tatsächlich die etwas zu dicke stimmliche Zeichnung Gagnidzes als Alfio bzw. Tonio / Taddeo. Ausnehmend gut gefallen hat mir neben Hayoung Lee (Nedda) Alfred Kims Canio.


    Die Inszenierung Gian-Carlo del Monacos hat auch nach knapp dreißig Jahren ihren Charme nicht verloren. Verwendet wird in beiden Stücken dasselbe Bühnenbild mit dem Unterschied einer langen, von links nach rechtes ansteigenden Rampe zum Kirchenportal in der Cavalleria rusticana. Insofern mag man sich gut vorstellen, dass beide Geschichten am selben Ort, d.h. im selben Dorf irgendwo auf Sizilien spielen. Dabei ist die Cavalleria rusticana etwa zur Entstehungszeit anzunehmen, während Pagliacci in die 1950er Jahre verlegt wurde - die fahrende Bühne der Komödianten ist ein dreirädriger Pritschenwagen (Tempo Hanseat oder Goliath Goli). - Überhaupt handelt es sich - anders, als z.B. der neue Parsifal in der Inszenierung von Achim Freyer, den ich am kommenden Samstag besuchen will - wohl um Werke der Opernliteratur, die sich einer Modernisierung oder Abstraktion eher entziehen und man sollte schon ein starkes Konzept haben, um hier von einer eher klassischen Sichtweise abzuweichen.


    Jedenfalls kann ich Ralfs Empfehlung nur unterstreichen!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Hallo Siegfried,


    Ich bin kommende Woche in HH und werde ein Konzert der Elbphilharmonie besuchen.

    da bin ich natürlich total neugierig und hoffe hier auf einen Ohren- und Augenzeugen-Bericht. Ich selber habe nun auch schon wieder zwei Konzerte der Sommerbespielung bzw. der neuen Spielzeit hinter mir: Messiaens Turangalîla-Sinfonie mit dem Gustav-Mahler-Jugendorchester unter Ingo Metzmacher und die Opening-Night des NDR-Elbphilharmonie Orchesters u.a. mit Beethovens 4ter, sowie der Schauspielmusik zu Egmont.


    Was wirst Du hören? - Ich bin mir sicher, optisch wird es Dir sicher gefallen. Auf Deinen aktustischen Eindruck bin ich sehr gespannt. :hello:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Ralf,


    vielen Dank für diene schöne Schilderung deines Erlebnisses. Soweit ich jetzt gelesen habe, handelt es sich um die Wiederaufnahme einer älteren werkgerechten Inszenierung, die sich - anders als die heutigen Eintagsfliegen - schon seit vielen Jahren gehalten hat. Würde ich näher an Hamburg wohnen, würde ich diese Aufführung sofort buchen. Und ich glaube, sehr viele Opernbesucher würde sich freuen, wenn diese Produktionen endlich auch an anderen Stellen wieder aufgenommen würden oder das Fernsehen statt des schäbigen Regisseurstheaters wieder mehr solche bewährten Produktionen zeigen würde.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Und ich glaube, sehr viele Opernbesucher würde sich freuen, wenn diese Produktionen endlich auch an anderen Stellen wieder aufgenommen würden oder das Fernsehen statt des schäbigen Regisseurstheaters wieder mehr solche bewährten Produktionen zeigen würde.

    Schön wäre es ja, aber weder war die Vorstellung am Freitag ausverkauft, noch werden es die folgenden Vorstellungen z.B. morgen oder am übernächsten Samstag sein ... Insofern garantieren auch werkgerechte Inszenierungen leider keine vollen Häuser, auch wenn man dies gerne so hätte.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Liebe Mitstreiter, zunächst einmal vielen Dank für die Kommentare. MSchenk hat ja noch einiges Erläuterndes zum Bühnenbild beigetragen. Ganz bei ihm bin ich ja bezüglich der gesanglichen Leistung von Alfred Kim nicht. Da gab es für mich schwergewichtigere Vorgänger wie Johan Botha und Carl Tanner (2006) oder Jose Cura (2003). Die erste Aufführung, die ich in dieser Inszenierung sah, war am 15. Mai 1988 mit Grace Bumbry als Santuzza, Natalia Troitskaya als Nedda, Giorgio Lamberti als Turridu und Wladimir Atlantow als Canio (den Tonio sang damals Juan Pons). Der berühmteste an diesem Haus an der Dammtorstraße aufgetretene Canio war übrigens Enrico Caruso (1908, 1912). Er sang hier in Hamburg auch noch u.a. den Herzog, Jose, Radames, Lyonel, Ricardo, Alfred und Rodolfo (nach Joachim Wenzel: Geschichte der Hamburger Oper 1678-1978, Eigenverlag der Staatsoper).

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv