Johanna Gadski - Weltstar aus Berlin


  • Johanna Gadski war eine deutsche Opernsängerin, die am 15. Juni 1872 in Anklam (heute Mecklenburg-Vorpommern) geboren wurde. Ihre Lehrerin war Anna Schröder-Chaloupka, die sich durch ihre Vielseitigkeit einen Namen auf deutschen Bühnen machte, indem sie zwischen Lucia, Ortrud, Rezia oder Königin der Nacht hin und her wechselte. Diese Breite des Repertoires vermittelte sie offenbar auch ihrer gelehrigen Schülerin, die bereits mit 17 Jahren an der Berliner Krolloper, die heute nicht mehr existiert, debütierte. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere etablierte sie sich im dramatischen und hochdramatischen Fach. 1900 wurde die Gadski Mitglied der Metropolitan Opera und blieb bis 1917 in New York, wo sie auch mit Caruso aufgetreten ist. Zurück in Deutschland, widmete sie sich vornehmlich dem Liedgesang, kehrte aber 1928 – wie es bei Wikipedia heißt - mit einer eigenen Wanderoper-Truppe, der German Opera Company, noch einmal für zwei Jahre in die USA zurück und sang in dieser Zeit auch wieder Opernpartien. Sie hinterließ zahlreiche Schelllackplatten, die auch auf CD gelangten. Eine Auswahl findet sich hier:



    Auch auf YouTube ist Johanna Gadski mit vielen Proben ihrer Kunst – und in ihrer phänomenalen Bandbreite zu hören:



    Johanna Gadski, die dem Autofahren zugeneigt war, starb am 22. Februar 1932 in Berlin an den Folgen eines Unfalls, den sie nicht selbst verursachte. Am Steuer saß eine junge Verwandte, die eine entgegenkommende Straßenbahn übersehen hatte. Das war insofern besonders tragisch, weil die Sängerin als sehr geübte Autofahrerin galt und dem Vernehmen nach die erste Berlinerin gewesen sein soll, die ihr eigenes Auto chauffierte. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof Berlin-Zehlendorf an der Onkel-Tom-Straße 26, schräg gegenüber der letzten Ruhestätten von Heinrich und Götz George. Es ist – wie es im Amtdeutsch heißt - zur Auflassung freigegeben. Soll heißt, es wird eingebnet.


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold!


    Hab herzlichen Dank, dass Du der großen Johanna Gadski einen Thread eröffnet hast. Ich würde mir wünschen, dass dadurch viele Stimmenliebhaber und Melomanen animiert werden, Aufnahmen dieser bedeutenden Sängerin zu hören.


    Da kann man einer Sängerin begegnen, die dramatische Partien mit bewundernswerter technischer Souveränität, stets geschmeidig und flexibel, einem auffälligen Reichtum der Farben und des Klanges in jeder Lage sowie mit einer glühenden Intensität gesungen hat!
    Da diese Stimme - im Gegensatz zu manch anderen Sopranen der Zeit - in den alten Aufnahmen erstaunlich gut klingt und auch heute noch bestens 'rüber' kommt, kann man hier studieren, wie viel eindringlicher die dramatischen Partien Wagners und Verdis klingen, wenn sie nicht erkämpft, der Stimme gleichsam abgerungen werden müssen.


    Dieser Sopran entfaltet sich in allen Aufnahmen brillant und absolut sicher, sie brauchte keine Kraft einzusetzen, um kraftvoll zu klingen, und kein Dauerespressivo zu produzieren um eindringlich und ausdrucksvoll zu sein. Es ist ein schieres Wunder, mit welch natürlicher Energie und überwältigender Intensität sie etwa die letzten Phrasen von Brünnhildes Schlussgesang singt! Und immer wieder frappiert die Mühelosigkeit ihrer hohen "C"s - etwa im Duett Valentin-Marcel (Les Huguenots) oder im 'Inflammatus' von Rossinis "Stabat Mater"!
    In den Duettaufnahmen zu Beispiel mit dem großen Pasquale Amato (Aida, Trovatore) oder mit Enrico Caruso (Aida) setzt sie packende dramatische Akzente entfaltet darstellerische Überzeugungskraft allein mit gesanglichen Mitteln.


    Dass sie auch als Mozart-Sängerin interessant ist, verdient bei einer späteren Gelegenheit eingehender beleuchtet zu werden. Nicht nur ihr technisch makelloses und flüssiges Singen sondern auch die sprechenden Appoggiaturen sollten wirklich mal genauer studiert werden!



    Glücklicherweise gibt es eine hervorragende Edition mit 5 CDs, die so gut wie alle veröffentlichte Aufnahmen der Gadski enthält und sogar einige bisher unveröffentlichte.


    JOHANNA GADSKI - The Complete Recordings
    Marston 5202 The Victor Recordings 1903-1909 (2 CDs)
    Marston 53015 The Victor Recordings 1910-1917 and Mapleson Cylinder Recordings (3 CDs)


    Volume I (62:56 & 74:26)
    Volume II (72:00 & 76:30 & 75:55)



    Übrigens noch eine Anmerkung zu Biografie.


    Du hast, lieber Rheingold, erwähnt, dass sie 1917 die New Yorker Metropolitan Opera verließ. Das war nicht ganz freiwillig! Ihr Mann arbeitete für Krupp in den USA , was während des Weltkrieges zunehmend Unmut und Ablehnung hervorrief, die sich auch gegen Johanna Gadski wandten. Als dann bei einem privaten Konzert in ihrem Hause ein höhnischer Spottgesang auf die Versenkung des britischen Passagierschiffes "Lusitania" durch die Deutsche Marine - dabei waren 1.198 Menschen ums Leben gekommen, unter ihnen 128 US-Amerikaner - gesungen wurde und ihr Mann noch einen anzüglichen Toast auf die Versenkung der "Lusitania" ausbrachte, entstand ein ziemlicher Skandal, der eine Fortsetzung ihrer Karriere in den USA erst mal unmöglich gemacht hat. Nach Deutschland zurückgekehrt, hat sie kaum Opern gesungen sondern nur einige wenige Liederabende gegeben. Als sie 1926 in die USA zurückkehrte, sang sie zunächst in einigen Wagner-Konzerten und gründete dann die "German Opera Company", die in mehr als 10 Städten regelmäßig gastierte und dabei nicht zuletzt den "Ring des Nibelungen" aufführte.


    Der Friedhof auf dem sie ruht, liegt direkt an der Strecke, die ich jahrelang gejoggt bin. Ich habe bisher aber nicht gewusst, dass sich darauf das Grab von Johanna Gadski befindet! Da ich die Sängerin sehr schätze, werde ich das bei meinem nächste Berlinaufenthalt ("Le Prophète" im November) besuchen. Passt ja gut, denn die Berthe gehörte auch zu Gadskis Partien.


    Liebe Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Danke, lieber Rheingold, dass Du an die großartige Johanna Gadski erinnert hast. Ich habe das mit Begeisterung und Interesse gelesen und würde auch mal gerne wieder über die eine oder andere begnadete Stimme schreiben - aber mir fehlt (noch) die Zeit. Ich habe mir vorhin das Schlussduett aus Verdis "Aida" - "O terra addio" - mit Johanna Gadski und Enrico Caruso (1909) angehört und war sofort wieder begeistert. Hier muss man schon zu Rosa Ponselles Aufnahme (mit Martinelli) greifen, um ähnlich Gutes zu hören!


    Gruß
    Manfred

    "Menschen, die nichts im Leben empfunden haben, können nicht singen."
    Enrico Caruso


    "Non datemi consigli che so sbagliare da solo".
    ("Gebt mir keine Ratschläge, Fehler kann ich auch allein machen".)
    Giuseppe di Stefano

  • Lieber Caruso, lieber Manfred, herzlich Dank für die Erwiderungen mit den zusätzlichen Hinweisen. Die Geschichte mit dem Ehemann der Gadski, Hans Tauscher, ist mir bekannt, nur nicht in dieser Ausführlichkeit. Er liegt auf dem Friedhof neben seiner Frau begraben, die dort ja auch mit Doppelnamen erscheint.


    Die schöne Edition, die Caruso teilweise abbildete, befindet sich auch in meinen Beständen. Sie klingt meist besser als das, was bei YouTube zu finden ist. Im Moment ist sie aber vergriffen oder nur für einen hohen Preis zu haben. Vielleicht erbarmt sich ja ein Label, sie erneut auf den Markt zu bringen, was ich aber bezweifle. Bei gelegentlichen Recherchen über Johanna Gadski stieß ich auf geballte Ahnungslosigkeit. In Anklam wusste man gar nicht, wovon und von wem ich rede. In Berlin ist das nicht viel anders. Immerhin bildet die Gadski gemeinsam mit Frida Leider und Lilli Lehmann das Dreiergestirn der ersten deutschen Weltstars der Oper. Alle drei sind in Berlin begraben. Inzwischen sehe ich das sehr milde. Woher soll heute auch jemand wissen, wer die Gadski war.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold,


    toll, wen Du alles ausgräbst. Ich gestehe, diesen Namen bisher nicht zu kennen. Lilli Lehmann und Frida Leider sind mir ein Begriff, sie gab es sogar auf Eterna. Gadski aber nicht. Aber wer neben Caruso stand, der muß schon bedeutend gewesen sein. Die eingestellten Aufnahmen können das ungefähr wiedergeben. Ich gestehe, daß mich die "Alten" mehr interessieren als die "Jungen", das macht mein Interesse an der Historie, die die "Jungen" ja noch vor sich haben.


    Danke nochmals.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Ich gestehe, diesen Namen bisher nicht zu kennen. Lilli Lehmann und Frida Leider sind mir ein Begriff, sie gab es sogar auf Eterna. Gadski aber nicht. Aber wer neben Caruso stand, der muß schon bedeutend gewesen sein. Die eingestellten Aufnahmen können das ungefähr wiedergeben.


    Zwischen 1899 und 1917 Johanna Gadski hat immerhin 499 Aufführungen an der MET beziehungsweise auf der MET-Tour gesungen.
    Sie hat eigentlich mit allen großen Sängern der Zeit auf der Bühne gestanden! Außer mit Enrico Caruso auch mit Tenören wie Alessandro Bonci, Leo Slezak oder Giovanni Martinelli.


    Interessant ist, dass sie Mozart, Meyerbeer, Wagner, Verdi und auch schon Leoncavallo gesungen hat - dazu auch noch Partien wie die Michaela in Carmen, Marenka in der Verkauften Braut, Anna in La Dame Blanche und Eurydice in Glucks in Orfeo et Eurydice.


    Zwischen 1902 und 1916 sang sie 27 mal die Pamina (dazu immerhin 8 mal die Figaro Gräfin und 9 mal die Donna Elvira).


    Zwischen 1901 und 1917 sang sie 44 mal die Aida ( dazu immerhin 18 mal Leonore in Trovatore und 4 mal die Amelia in Ballo in Maschera).


    Zwischen 1900 und 1903 sang sie die Valentine in Les Huguenots 11 mal.


    Am häufigsten stand sie in Wagner-Partien auf der Bühne:
    Eva (45mal), Elisabeth (42 mal), Elsa (41 mal), Senta (8 mal), Sieglinde (29 mal), Brünnhilde in der Walküre (46 mal), Brünnhilde in Siegfried (24 mal) und Brünnhilde in Göttersdämmerung (14 mal) und last not least Isolde (29 mal).


    Es lohnt sich, auch mal anzusehen, wer ihre Partner bei Wagner waren.
    Das liest sich wie der Who is Who der Gesangskunst.
    Ihre Tenorpartner etwa waren Erik Schmedes, Ernst Kraus, Carl Burrian, Johannes Sembach, Heinrich Knothe, Rudolf Berger, Ernest van Dyck, Alois Burgstaller und am häufigsten Jaques Urlus. Mit ihm hat sie in Tristan, Lohengrin, Tannhäuser, Meistersinger, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung gesungen! Er war auch der Tamino in der Zauberflöte bei den meisten Aufführungen, in denen sie die Pamina sang.


    Was gäbe ich dafür, eine Tristan mit Gadski und Urlus zu hören!!! Dazu dann noch Louise Homer (oder Margarete Matzenauer), Walter Soomer und Robert Blass. Solche Besetzungen gab es tatsächlich! WAHNSINN!!!


    In einer Kritik des New York Globe über eine Götterdämmerung heißt es:

    Zitat


    Johanna Gadski, the greatest topnote artist left after Caruso and Tetrazzini and now, at last, acknowledged in her own right, publicly, as the "first woman absolute" for Italian or German opera at the elder house, took her life in her hands at 12:15 o'clock this morning and led a fire-seared horse into the flaming finale of Wagner's "Götterdämmerung." A huge audience for Lent sat and drank in the golden topnotes from 7:30 o'clock to the close of the longest performance yet. .......


    Mme. Gadski was the Brünnhilde, a splendid picture for the eye and, with her beautiful voice in perfect sonority, a delight to the ear. Germany has no better Brünnhilde to send us.


    Der Dirigent übrigens war Toscanini (24. Februar 1909)


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Liebe Freunde!


    Hier sollten eigentlich keine historischen Stimmen besprochen werden. :yes:


    Renate Holm, Flaviano Labo oder Hertha Toepper, über die zuletzt geschrieben wurde, sind auch historische Stimmen. Nur die Gadski ist eine ganz andere Liga! Und wenn tatsächlich mal hier im Forum über Stimmen diskutiert wird, sollten wir froh sein - in welchem Kapitel das auch immer ist.


    Gute Nacht


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


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  • Zitat


    DIE BERÜHMTE STIMME - SÄNGERPORTRAIT (48)
    Hier findet man Sängerportraits aus allen Sparten des Gesanges - sei es Lied , Oper oder Oratorium Künstler der Schellack-Ära sind hiervon jedoch ausgenommen - sie haben ein eigenes Unterforum.


    Ich wollte nur darauf hinweisen. Mir ist selber mal ein Beitrag der neueren Vinyl-Ära hier hineingeraten, der dann in den Schellack-Bereich verschoben wurde. Mir ist es eigentlich Wurscht! ;)

    W.S.

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  • Lieber Wolfgang!


    Ich habe Dich schon richtig verstanden!
    Rheingold hat aber meiner Meinung nach zu Recht die Diskussion über Johaana Gadski hier in den Zusammenhang "Die berühmte Stimme" gestellt! Sie zu hören sollte nicht nur der Spleen von Historikern und Schellack - Archeologen bleiben! Sie hat Massstäbe gesetzt, an denen sich auch die Sopranistinnen anderer Zeiten messen lassen müssen - zumal die heutigen. Viele können da leider nicht bestehen.


    Darum finde ich es sehr angemessen, eine der Großen wie Johanna Gadski nicht in eine Nische zu stellen, die nur wenig Aufmerksamkeit findet!


    Aber das gilt natürlich auch für andere, die in dem Schellack-Thread behandelt wurden. Wenn wenigstens die beiden Threads nebeneinander in dem selben Kapitel stünden.


    Liebe Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Zitat

    Aber das gilt natürlich auch für andere, die in dem Schellack-Thread behandelt wurden. Wenn wenigstens die beiden Threads nebeneinander in dem selben Kapitel stünden.


    Natürlich! Denn da gibt es ja Nelli Melba, Rosa Ponselle, Elisabeth Rethberg, Meta Seinemeyer, Miliza Korjus u. . . .


    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Ich finde die Unterscheidung generell unglücklich, zumal es ja viele Sänger gibt, die sowohl auf Schellack als auch anderweitig verewigt wurden (Lauritz Melchior zum Beispiel).
    Insofern würde ich mir wünschen, alle Rubriken aus dem Schellack-Nischen-Forum in dieses Unterforum zu verschieben.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich finde die Unterscheidung generell unglücklich, zumal es ja viele Sänger gibt, die sowohl auf Schellack als auch anderweitig verewigt wurden (Lauritz Melchior zum Beispiel).
    Insofern würde ich mir wünschen, alle Rubriken aus dem Schellack-Nischen-Forum in dieses Unterforum zu verschieben.



    Den Wusch mache ich mir nachdrücklich zu eigen!


    Ich habe eben mal geschaut, wie viele Sänger unter DIE BERÜHMTE STIMME - SÄNGERPORTRAIT abgehandelt werden, die einen erheblichen Teil ihrer Aufnahmen noch auf Schellack-Platten eingesungen, dann aber auch LPs produziert haben. Es sind wirklich sehr viele. Zudem gibt es Sänger, die in beiden Foren einen Thread haben. Das wohl prominenste Beispiel: Jussi Björling!


    Warum sollen Milanov, Callas und Tebaldi ín einem anderen Forum Unterschlupf finden als Maria Caniglia und Grace Moore?


    Aber ich fürchte, das ist den Moderatoren eine zu lästige Arbeit :stumm::stumm::stumm:


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!