Regisseurstheater und modernes Orchester

  • Immer wieder liest man von den Verteidigern des Regisseurstheaters, dass die Musik ja auch von einem modernen Orchester gespielt wird. Eine Argumentation, die mir völlig sinnlos erscheint und von Hilflosigkeit zeugt.
    Violinen sind Violinen geblieben, Flöten sind Flöten, Fagotte sind Fagotte, Harfen sind Harfen usw., auch wenn sie modernerer Bauart sind. Es handelt sich also nur um klangliche Nuancen. Und die hat es immer schon gegeben. Feine Nuancen bestehen für das empfindsame Gehör z.B. schon zwischen zwei Violinen verschiedener Bauart (z.B. Amati und Stradivari). Wer kennt – bei allen modernen Versuchen, den Originalklang wieder herzustellen, diesen Originalklang genau. Auch zur Entstehungszeit gab es zwischen den einzelnen Orchestern gewiss Nuancen. Und ein Dirigent der Neuzeit wird die Instrumente wohl so einsetzen, wie sie der Komponist in der Partitur vorgesehen hat. Oder werden von Dirigenten etwa Saxophone statt Trompeten, Hörnern oder anderer Blasinstrumente eingesetzt? Oder E-Gitarren statt der Violinen oder anderer Streicher?
    Und auch bei den Stimmen gibt es diese Nuancen.
    Das Wesentliche ist doch: Die Musik ist wiederzuerkennen!
    Auch die Handlung ist in der Partitur von Komponisten vorgegeben. Das Regisseurstheater aber verunstaltet diese bis zur völligen Unkenntlichkeit. Da kann man doch wirklich nur von Willkür und Respektlosigkeit reden.
    Einen Vergleich mit dem modernen Orchester als Argument heran zu ziehen, hinkt nicht nur, sondern ist für mich völlig daneben gegriffen.
    Um auf den richtigen Vergleich zurückzukommen: Wir lehnen es ja auch durchaus nicht nicht ab, wenn die vom Komponisten vorgegebene Handlung mit den Mitteln der modernen Bühnentechnik dargestellt wird. Ich habe von vielen Opern mehrere verschiedene Inszenierungen (Nuancen) gesehen, ohne dass die Handlung entstellt worden wäre. Während in der Musik die Noten der Partitur so umgesetzt werden sollen, wie sie dort stehen, verlangt aber wohl niemand, dass die Regieanweisungen detailgenau umgesetzt werden. Aber die wesentlichen Dinge, die auch die Orte und Zeiten der echten Handlung erkennen lassen, sollten vorhanden sein. Ein arger Missbrauch des Werkes bleibt für mich, die Handlung zu verlegen oder so zu verdrehen, sogar oft ins Gegenteil zu verkehren, wie es die modischen Regisseure tun, weil sie es einem verrückten Zeitgeist schuldig zu sein glauben.
    Jeder einigermaßen gebildete Zuschauer sollte doch wissen, dass z.B Julius Caesar in der Zeit vor Christus gelebt hat, und nicht im Zeitalter der Stahlhelme, Panzer,Maschinengewehre und Raketen. Und das gilt bei vielen Opern, die einen historischen Hintergrund als Handlung haben. Auch wenn man die Zeit und die Geschehnisse, die hier behandelt werden, nicht jahrgenau weiß, so weiß jeder einigermaßen Gebildete doch in etwa, wohin sie gehören und, dass sie nicht in unsere Zeit gehören. Sie in andere Zeiten zu legen ist einfach gesagt Geschichtsverfälschung und kehrt damit den Bildungauftrag, den auch die Oper hat, in sein Gegenteil um.
    Was soll Rigoletto auf dem Planet der Affen oder dem im Regisseurstheater inzwischen so gern für alles Mögliche und Unmögliche angewendeten Zirkus oder Varieté? Was haben die Ratten und andere dumme Mätzchen im Lohengrin zu suchen? Was soll man überhaupt von den vielen hier schon häufiger genannten „-grins“ halten? Wie erklären sich solche groben Verirrungen wie der „Freischütz“ von Bieito oder der von Kay Voges in Hannover? Was hat Tannhäuser im Biogasbehälter zu tun? Ist Carmen eine billige Nutte, die man im Puff darstellen muss? usw.usw.
    Auf diese und Hunderte ähnlicher konkreter Fragen, habe ich bisher von den Befürwortern des Regisseurstheater keine konkrete Antwort bekommen. Sie schreiben nur endlos lange, abwegige, theoretische Betrachtungen. Ich muss also annehmen, dass sie selbst nicht ohne vorherige Anleitung hinter die Mätzchen dieser Regisseure kommen und daher auf konkrete Fragen keine Antwort wissen.
    Doch halt, um der Wahrheit die Ehre zu geben, auf zwei Fragen habe ich eine Antwort erhalten. Ich habe nicht die Zeit und Lust, sie hier wörtlich aufzusuchen, und kann sie daher nur sinngemäß wiedergeben:
    Die erste betraf den Epilepsiegrin aus der Scala. Hier lautete die Antwort, dass Wagner Lohengrin als Schwächling angelegt habe. Das möge glauben wer will, ich nicht.
    Die zweite betraf den Tannhäuser im Biogasbehälter. Hier lautete die Antwort sinngemäß: Wenn auf dem Behälter das Wort „Wartburg“ steht, dann ist das die Wartburg. Ein besonderes Zeugnis hoher „Intelligenz“!


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich gebe zu, daß mir der Lohengrin an der Scala 2012, den ich allerdings nur vom Video kenne, eigentlich ganz gut gefallen hat. Claus Guth bringt den Geist des Ortes in seinen Inszenierungen zum Sprechen.


    Jetzt ziehe ich mir das Jackett an und pilgere zum Lohengrin in die Deutsche Oper.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Die erste betraf den Epilepsiegrin aus der Scala. Hier lautete die Antwort, dass Wagner Lohengrin als Schwächling angelegt habe.

    Wenn ich mich richtig erinnere, war die Frage eher, ob Lohengrin tatsächlich der strahlende Held ist, zu dem er beizeiten gerne gamcht wird - aber wer fragt schon nach Details. Passt schon!


    p.s. Wahrscheinlich lohnt sich die Mühe nicht aber ich habe die "Diskussion" nochmal herausgesucht: Opernaufführungen als Übertragungen per Rundfunk und Fernsehen

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Hans Heuenkamp,


    auch ich habe mir diesen Lohengrin aus der Scala angetan. Das ist 5 Jahre her, und in meiner Erinnerung ist nur eines geblieben: Lohengrin (Kaufmann, dessen Gesang ich hier nicht bewerten will) litt offensichtlich unter Epilepsie. Es hat mich erheblich gesört (und nur das ist mir in Erinnerung geblieben), daß er sich ständig unter Anfallserscheinungen auf dem Boden wälzte, wohl Schaum vor dem Munde hatte und offensichtlich nicht ganz gesund war, ja sogar ziemlich krank.


    Daß sich Elsa diesen Mann in ihren Träumen vorstellte mit der Mission, sie zu retten, daß erscheint abwegig. Wenn eine Frau von einem starken Mann träumt, dann hat der nicht gebrechlich zu sein. Und wenn er sie retten soll ("er soll mein Streiter sein"), dann besteht doch eher die Gefahr, daß es ihm im entscheidenden Moment des Kampfes mit Telramund gerade wieder einmal schlecht wird. Ich hätte es ja noch verstanden, wenn an dieser Stelle eine Werbung erschienen wäre mit dem Text "das passiert Ihnen nicht, wenn Sie bei doc Morris das richtige und preiswerte Medikament kaufen". Dann hätten wir das hier im Satirethread besprechen können. Aber so muß ich Gerhard voll zustimmen.


    Arme Elsa, das konnte von vornherein nichts werden. Und so ist das meine einzige Erinnerung an diesen Lohengrin. Eigentlich traurig.


    Herzlichst La Roche


    PS: Gerade habe ich den Beitrag von MSchenk gelesen. Frage an Dich: Würdest Du diesen tappeligen Lohengrin als Streiter für Deine Probleme haben wollen??

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • w

    Regisseurstheater und modernes Orchester

    Ein sehr guter, treffender Beitrag, lieber Gerhard, dem ich inhaltlich voll zustimme. :hail: Vielen Dank.


    Vor kurzem kam im TV wieder mal der Film "Der Name der Rose" nach dem Roman von Umberto Eco.
    Ich habe vor einiger Zeit in einem anderen Thread schon mal dazu m. M. geäußert, deshalb will ich mich in Wiederholung kurz auf das Wesentliche beschränken:
    Ich glaube, jeder, der diesen Film kennt, wird mit mir einer Meinung sein und wir alle sind uns wohl einig und haben uns erfreut an den, der damaligen Zeit entsprechenden
    "treffenden Kulissen, den einfachen, dürftigen Kleidungen der Mönche, ihrer äußeren Erscheinung (einschließlich der teilweise furchtbaren Zähne, oder das,
    was davon noch übrig war), den Transportmitteln Eseln, Pferden, Kutschen und, und, und..."
    Dies alles empfinden wir doch in diesem Film völlig normal und akzeptabel wiedergegeben. Keiner käme wohl auf die Idee, die Handlung in die heutige Zeit transferiert sehen zu wollen,
    also - statt Esel Auto oder Bus, dazu die Mönche in moderner Kleidung. Da wäre wohl keiner von uns einverstanden. Warum also, sollte das auf der Opernbühne anders sein???


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Zitat

    Zitat von Hans Heukenkamp: Ich gebe zu, daß mir der Lohengrin an der Scala 2012, den ich allerdings nur vom Video kenne, eigentlich ganz gut gefallen hat.

    Lieber Hans,


    ich kann dir nur insofern recht geben, als die Gesamtinszenierung, abgesehen von manchen Mätzchen, von allen den "-grins", die der Zuschauer in den letzten Jahren über sich ergehen lassen musste, noch die erträglichste Verunstaltung des Werkes war. Was allerdings diese Auffassung vom Lohengrin als Epileptiker im Zuschauer bewirkt, haben La Roche und Crissy sehr treffend geschildert. Dem ist nichts hinzuzufügen.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Auf diese und Hunderte ähnlicher konkreter Fragen, habe ich bisher von den Befürwortern des Regisseurstheater keine konkrete Antwort bekommen.

    Das ist wirklich nicht nett, wenn man auf konkrete Fragen keine Antwort bekommt. Ich habe übrigens vier konkrete Fragen zum Verständnis deines Beitrages: Ich gehe davon aus, dass du sie mir beantworten wirst, da es dir ja offensichtlich umgekehrt auch sehr wichtig ist, Antworten auf deine Fragen zu bekommen.


    Du schreibst wörtlich:


    Zitat

    Ein arger Missbrauch des Werkes bleibt für mich, die Handlung zu verlegen oder so zu verdrehen, sogar oft ins Gegenteil zu verkehren, wie es die modischen Regisseure tun, weil sie es einem verrückten Zeitgeist schuldig zu sein glauben.

    Meine Frage ist nun: Was hat das Wort "Missbrauch" in einer ästhetischen Debatte zu tun? Fakt ist, dass es offensichtlich Regisseure gibt, die Theaterstücke und Opern so inszenieren, dass es dir nicht gefällt. Um es etwas allgemeiner auszudrücken: Es geht um ein Ergebnis darstellender Kunst, das dir nicht gefällt. Warum sagtst du nicht "Es gefälllt mir nicht aus dem und dem Grund", sondern wählst mit "Missbrauch" ein Wort, welches die Diskussion von einer ästhetischen Ebene weglenkt und in einen moralischen, wenn nicht gar juristischen Kontext stellt. Faktisch missbraucht ein Regisseur ein Stück nicht, wenn er es inszeniert, sondern macht genau das damit, wofür es geschrieben ist, nämlich er bringt es auf die Bühne. Wieso wählst du einen derart unpassenden Begriff, wenn es eigentlich nur darum geht, dass dir eine Operninszenierung nicht gefällt?


    Nächste Frage. Du schreibst wörtlich:


    Zitat

    Das Wesentliche ist doch: Die Musik ist wiederzuerkennen!

    Wer entscheidet was wesentlich ist? In einem anderen thread schreibt ein Teilnehmer, dass ihn Mozart der nicht auf historischen Instrumenten und in einer der Uraufführungszeit angemessenen Stilistik aufgeführt wird, mehr stört als eine Inszenierung, die von den Angaben des Librettos abweicht. Wer entscheidet, welcher Grad der Abweichung der größere ist? Bzw. wer entscheidet, was "wesentlich" ist? Du? Und wenn ja, warum gerade du und nicht zum Beispiel "Hosenrolle1"?


    Zitat

    Violinen sind Violinen geblieben, Flöten sind Flöten, Fagotte sind Fagotte, Harfen sind Harfen usw., auch wenn sie modernerer Bauart sind.

    Sicher sind Violinen Violinen geblieben, sie klingen aber nun einmal anders als vor 250 Jahren. Das kann einen stören, muss es aber nicht. Häuser sind übrigens auch Häuser geblieben, sehen nun aber einmal anders aus als vor 250 oder 500 Jahren. Wenn jetzt in einer "Meistersinger"-Aufführung im zweiten Akt - wie im Libretto vorgesehen - das Haus von Sachs und das Haus von Pogner zu sehen ist, könnte man ja, wenn man deine Argumentationsstruktur anwendet, sagen, das sind jetzt zwar keine Fachwerkhäuser mehr, sondern Plattenbauten, das macht aber nichts, ein Haus ist schließlich ein Haus. Ebenso könnte man sagen, eine Waffe ist eine Waffe, egal, ob sie ein Schwert oder ein Maschinengewehr darstellt. Wie kommt es, dass du in dem einen Fall (Instrumente) so großzügig bist, in dem anderen Fall aber nicht?


    Zitat

    Ist Carmen eine billige Nutte, die man im Puff darstellen muss?

    Was genau ist eine "billige Nutte"? Würde es etwas für dich ändern, wenn Carmen als eine teure Nutte dargestellt werden würde? Oder ist mit "billig" etwa nicht der Preis gemeint, sondern soll es die moralisch oder meinetwegen auch gesellschaftlich niedere Stellung der Prostituierten unterstreichen? Würdest du dann umgekehrt eigentlich auch von einem "billigen Freier" sprechen?

  • Lieber Gerhard,


    wenn man den "einfachen Mann auf der Straße" oder Heranwachsende fragen würde, was ihm zum Begriff "Oper" als Allererstes einfällt oder was er sich da vorstellt, geboten zu bekommen, dann bekommt man sicher auch heute 2017 noch zu einem sehr hohen Prozentsatz einfache, aber ehrlich formulierte Anworten wie "schöne Musik", "prächtige Kostüme und Kulissen" , "spannende, historische Handlung" oder ähnlich zu hören.


    Kaum einer dieser ( in diesem Sinne unbeleckten) Leute wird Dir sagen: Ich erwarte Maschinenpistolen, Kloschüsseln etc. als Requisite oder sexuell anzügliche oder physisch brutale Handlungen, die in die Gegenwart verlagert wurden."


    Wenn also o.g. Leute ( vor allem auch jüngere) zum ersten Mal in die Oper gehen, sollten sie zumindest die CHANCE bekommen zu sehen, wie ein solches Stück in einem normalen traditionellen Sinne aufgeführt wird.


    SPÄTER dann, wenn man schon eine gewisse Opernerfahrung hat, kann man sich ja mal ansehen, was heutzutage unter dem Begriff "Oper" noch so alles läuft bzw. wie ein solches Stück AUCH alternativ inszeniert werden kann.


    Die "Gefahr" bei Neuinteressenten ist nur, wenn sie zum ersten Mal in die Oper gehen und bekommen gleich eine Hardcore-RT-Aufführung serviert, dass sie für Jahrzehnte oder gar ihr ganzes Leben kein Opernhaus mehr betreten, weil sie irritiert sind oder sich schlicht vera....t fühlen, da retten wohl selbst ansprechende musikalische Leistungen wahrscheinlich nicht mehr viel.


    Leider wird diese angesprochene "CHANCE" zunehmend kleiner, weil in Wohnnähe stattfindende traditionelle Inszenierungen seltener aufzufinden sind.

    Ich habe bisher von den Befürwortern des Regisseurstheater keine konkrete Antwort bekommen. Sie schreiben nur endlos lange, abwegige, theoretische Betrachtungen. Ich muss also annehmen, dass sie selbst nicht ohne vorherige Anleitung hinter die Mätzchen dieser Regisseure kommen und daher auf konkrete Fragen keine Antwort wissen.

    Da Du zu Deutungen bestimmter Inszenierungselemente gefragt hast: ja, es hat sie hier im Forum durchaus schon gegeben.


    lch stelle mal zwei Beispiele, die ich auf die Schnelle gefunden habe , herein:


    Alviano antwortete auf Fragen von Mengelberg zu "La Fanciulla del West" 2007 in Stuttgart:


    La Fanciulla del West in Stuttgart


    MSchenk hat diesbezügliche Fragen von La Roche zum Lohengrin 2012 in Mailand (Beitrag 653):


    Opernaufführungen als Übertragungen per Rundfunk und Fernsehen
    .
    Man muss immerhin den Mut zu diesen Deutungsversuchen ausdrücklich anerkennen ( ich meine das wörtlich so, kommt im Internet oft ungewollt ironisch herüber), möglicherweise ist die Auslegung falsch und die Intentionen des Regisseurs waren ganz andere. Leider wirst Du, Gerhard, solche Deutungsversuche wohl nicht allzu viele finden, weil das in der Tat nicht so einfach oder manchmal unmöglich ist.



    +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++


    Ich schließe mit der (sehr freien Abwandlung) eines bekannten Bibelwortes:


    "Wer sich in die Gefahr einer Regietheater-Debatte begibt, kann darin umkommen." :rolleyes:


    Ich weiß, dass ich das Thread-Thema größtenteils verfehlt habe, wollte mich aber auch einmal ganz grundsätzlich zur generellen Kontroverse äußern.


    Schönen Restsonntag hier allen,


    MDM :hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<


  • Ich glaube, jeder, der diesen Film kennt, wird mit mir einer Meinung sein und wir alle sind uns wohl einig und haben uns erfreut an den, der damaligen Zeit entsprechenden
    "treffenden Kulissen, den einfachen, dürftigen Kleidungen der Mönche, ihrer äußeren Erscheinung (einschließlich der teilweise furchtbaren Zähne, oder das,
    was davon noch übrig war), den Transportmitteln Eseln, Pferden, Kutschen und, und, und..."

    Ich weiß nicht, ob der Film nun jedem gefällt, der ihn kennt, das halte ich für unwahrscheinlich, da er von mehreren Millionen Menschen gesehen wurde, wird es sicher auch Leute geben, denen er nicht gefällt. Im folgenden Artikel kann man einiges über die gemischte Rezeption des Filmes nachlesen:


    http://www.faz.net/aktuell/rhe…ean-connery-11131769.html


    Ich fürchte, die Annahme, dass "jeder mit dir einer Meinung" sein wird im Zusammenhang mit Kunstrezeption immer ein frommer Wunsch bleiben wird. Es wird immer Leute geben, die der gleichen Meinung sind wie du, aber auch immer welche, die eine andere haben.


    Unabhängig davon ist übrigens auch folgende Erklärung von Umberto Eco zum Film sehr interessant:


    http://www.zeit.de/1986/45/erste-und-letzte-erklaerung

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  • Oder werden von Dirigenten etwa Saxophone statt Trompeten, Hörnern oder anderer Blasinstrumente eingesetzt?


    Ja. Saxophone etwa an Stelle von barocken Bläsern.


    Und ein Dirigent der Neuzeit wird die Instrumente wohl so einsetzen, wie sie der Komponist in der Partitur vorgesehen hat.


    Wenn ein Dirigent statt eines Zinks oder Serpents moderne Blechbläser einsetzt, dann setzt er diese nicht nur nicht so ein, wie sie der Komponist vorgesehen hat, sondern er setzt die in der Partur vorgesehenen Instrumente überhaupt nicht ein. Trotz der rudimentären Notierung darf man eine Karajan-Poppea schon als nicht so recht partiturgetreu betrachten?



    Violinen sind Violinen geblieben


    Na und? Eine mit nichtumsponnenen Darmsaiten versehene Vionline mit barocken Steg und ebensolchem Bogen klingt von einer modern ausgestatteten Violine wesentlich verschiedener als eine moderne Bratsche, vom hier irrelevanten Ambitus abgesehen. Nun ist die Bratsche per definitionem ein anderes Instrument, die Barockvioline nicht. Freilich ist hier nicht die Taxonomie eintscheidend, sondern "was hinten raus-" b.z.w ins Ohr des Hörers hineinkommt, nämlich der - fundamental verschiedene - Klang, noch begleitet jenen Aspekten der Artikulation und Phrasierung, die vom Instrumentarium forciert werden.


    Feine Nuancen bestehen für das empfindsame Gehör z.B. schon zwischen zwei Violinen verschiedener Bauart (z.B. Amati und Stradivari)


    Noch einmal: eine halbwegs dem Originalzustand angenäherte Stradivari würde von einer "rezenten" Stradivari verschiedener klingen als diese von einer Amati (freilich klingen auch die Strads höchst verschieden, je nach Erhaltungszustand und Art der Umbauten). Wie beim Naturhorn oder der claringeblasenen Trompete geht es nicht um "Nuancen", schon gar nicht um feine.


    Einen Vergleich mit dem modernen Orchester als Argument heran zu ziehen, hinkt nicht nur, sondern ist für mich völlig daneben gegriffen.


    In der Regel lassen sowohl Regietheater als auch Aufführungen mit modenem Orchester die "lineare Dramaturgie" weitgehend intakt: den gesungenen Text b.z.w. die gespielten Noten - evt. Kürzungen beträfen beide Aspekte. Was sich ggf. gravierend ändert ist in einem Fall der visuelle Aspekt wie Bühnenbild oder Kostüme (ein wesentlicher Aspekt des Theaters) im anderen Fall der Klang (ein mindestens ebenso wesentlicher Aspekt der Musik). Wie lautet die übliche Begründung für Aufführungen mit modernem Instrumentarium? Wir leben in der heutigen Zeit und nicht in der Vergangenheit, also spielen wir auf dem entsprechenden - wenn nicht gar "uns entsprechenden" - Instrumentarium. Wie lauten die Argumente des Regietheaters? War da nicht irgendwas mit "Vergegenwärtigung"?


    Nein, die Gadamer-Debatte zwischen Helmut und Holger werde ich hier nicht aufgreifen, auch nicht die "illusionäre Werkästhetik" vs. "bornierte Rezeptionsästhetik" im Sinne eines Dahlhaus. Eigentlich sind die hiesigen Theaterdebatten in ihrer ungemeinen Hyperredundanz ermüdend. Holger Kalethas ästhetischer Standpunkt ist immerhin konsequent und sowohl auf dramaturgische wie musikalische Umsetzung bezogen. Hosenrolle1 legt allerdings den Finger in eine latente Wunde: vielen RT-Gegner scheint das Libretto sankrosankt, die musikalische Anteil der Partitur hingegen eher schnurz zu sein.


    Zumindest wird die küntlerische Autonomie des Librettisten bis ins Detail verteidigt. Wenn der Komponist hingegen einer durchdachten und werkbildenen musikalischen Dramaturgie folgt, der barocken Rhetorik oder gar einer durch modernes Instrumentarium negierten Tonartencharakteristik, sind dies offenbar zu vernachlässigbare Nuancen (zudem darf uminstrumentiert werden oder der depperte Komponist offenbart seine Unfähigkeit, fürs Ventilhorn in mehr als ca. zwei Tonarten zu schreiben).


    Selbst wenn es sich Marginalien handelte, so stellte Hosenrolle1, der den Anlass für das Thema bot, jenseits der Aufführungspraxis-Debatte letztlich vor allem die Frage, warum für viele Hauptprotagonisten der RT-Threads die Musik eine derart marginale Rolle zu spielen scheint - und selbst in einem Musikforum (threadübergreifend) kaum als diskurswürdig.

  • Wie man auch immer zum Regietheater steht, hier hat melomane eine Unart praktiziert, die leider hier sehr verbreitet ist. Da wird immer verwiesen: "ja, das ist deine Meinung, deine Sicht, und andere sehen das anders." Jetzt mal zum Mitschreiben: Das ist doch klar, eine Binsenweisheit. Ich nenne es die Disclaimer-Krankheit und sie ist hier sehr verbreitet. Fazit: das ersetzt nicht ein Argument!

    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Unbelehrbarkeit sollte man nun wirklich nicht zur Tugend erheben. Warum liest das nur keiner:


    Friedrich Schiller und die Frage: Müssen Kostüme und Kulissen historisch sein?


    Ich zitiere daraus mal Schlusspassage, allerdings ohne die Illusion, dass dies von denen, die es eigentlich angeht, überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Denn wer ist schon Friedrich Schiller?


    Der Sinn für das „Historische“ hat erst das 19. Jhd. in einer Weise kultiviert, wo der Segen historischen Bewusstseins schließlich zum Fluch wird, weswegen sich ein Friedrich Nietzsche genötigt sah, eine unzeitgemäße Betrachtung über den Nutzen wie auch den Nachteil der Historie für das Leben zu schreiben. Quisquilien wie ein ordinärer Nachttopf auf der Bühne bekommen auf einmal wesentliche Bedeutung, was bereits G.W.F. Hegel nicht ohne Ironie bemerkt. Während in Schillers idealistischem Theater das Allgemeine das Besondere dominiert, entsteht im Historismus ein Individualismus der Darstellung, dem es vor allem darum geht, den Handelnden als eingebettet in ein historisches Milieu zu zeigen. Doch der Fluch dieser Individualisierung sind die Aporien des Historismus. Eine Kunst, die ganz und gar historisch sein will, gibt sich dem Vergänglichen anheim und wird letztlich unwiederholbar. Nun wird aber auch das historische Drama wiederholt aufgeführt – selbst nach 100 oder 200 Jahren. So aber entsteht das Dilemma, dass das, was zur Entstehungszeit gar nicht historisch gemeint war, geradezu zwangsläufig als „Historisches“ rezipiert wird und umgekehrt das Historische seinen historischen Sinn verliert, indem sich dieser in einen aktuellen verwandelt.


    Regisseure von heute haben leider nicht die Gunst der späten Stunde der Geburt. Sie müssen sich nämlich den Aporien des Historismus stellen, die sich ihre „Erfinder“ ersparen konnten, weil ihr Geschichtliches eben – noch – aktuell war. Für Richard Wagner war die Sinnstiftung, die der Schöpfung eines Kunstwerkes wie der des Musikdramas zugrunde liegt, mit dem sozialen und historischen Milieu seiner Entstehung untrennbar verbunden und damit unwiederholbar. Die Frage, wie es möglich ist, dass ein solches historisches Kunstwerk nach 200 oder 300 Jahren aufgeführt werden kann und wird, selbst dann, wenn die von ihm selbst gestiftete Bayreuther Aufführungstradition nicht mehr tragfähig ist, hat Wagner schlicht weder theoretisch noch praktisch gestellt und beantwortet. Hier behält Schillers idealistische Auffassung des Theaters seine Aktualität, denn sie bietet eine Lösung der unlöslich scheinenden Aporien des Historismus. Mit dem Opernbesucher von heute, der im Geist des 19. Jhd. auf historische Treue der Darstellung fixiert ist und somit Quisquilien wie Bühnenbilder und Kulissen für das Wesentliche hält, droht mit Blick auf Schiller der Verlust des Symbolischen, der es möglich macht, das Zeitliche auf das Zeitlose in ihm zu überschreiten. Dieser drohende Verlust kann und darf deshalb auch von einer modernen Inszenierung so aufgehalten werden, dass die Personen in ein anderes – zeitgenössisches und nicht historisches – Kostüm gesteckt werden. Denn damit wird wirksam unterbunden, die handelnde Person auf der Bühne mit der historisch kostümierten gleichzusetzen und so im Sinne Schillers die „poetische“ Darstellung mit einer „historischen“ zu verwechseln, wie es bei einer betont historisierenden Inszenierung geschieht. Auch das redlichste Bemühen um historische „Treue“ bleibt letztlich aporetisch, denn das – unwiederholbare – Vergangene wird nicht wieder lebendig, es entsteht lediglich ein täuschendes, verführerisch-reizvolles Bild von ihm. Auch wenn er es nicht wahrhaben will: Der Historismus bildet das Gewesene keineswegs „orginalgetreu“ ab, er verzeitlicht das Vergangene vielmehr zu einem narzistischen Spiegelbild der eigenen Gegenwart, zu einem Wunschbild des Begehrens seiner ephemeren Bedürfnisse. Denn anders als Schillers Überschreitung des Historisch-Realen auf das Ideale hin verweigert sich der Historismus dem Unhistorischen, ist in seinem Zeitbezug nicht transzendent, sondern reszendent: Die Zeit wird nicht mehr in der Zeit aufgehoben, das Zeitliche verweist vielmehr immer nur wieder auf sich selbst zurück.

    Der Beitrag von "Melomane" ist wunderbar! :thumbsup:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wie man auch immer zum Regietheater steht, hier hat melomane eine Unart praktiziert, die leider hier sehr verbreitet ist. Da wird immer verwiesen: "ja, das ist deine Meinung, deine Sicht, und andere sehen das anders." Jetzt mal zum Mitschreiben: Das ist doch klar, eine Binsenweisheit. Ich nenne es die Disclaimer-Krankheit und sie ist hier sehr verbreitet. Fazit: das ersetzt nicht ein Argument!

    Grundsätzlich sollte man davon ausgehen, dass das eine Binsenweisheit ist. In dem Moment, wo hier aber, zum Beispiel vom user "chrissy" wörtlich behauptet wird: "Ich glaube, jeder, der diesen Film kennt, wird mit mir einer Meinung sein..." drängt sich zumindest mir der Eindruck auf, dass das nicht allen ganz so klar ist.
    Von Unart würde ich also in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Was ich hingegen als eine Unart empfinde, ist bestimmte Sätze eines Beitrages in Fettdruck zu setzen. Das erweckt zumindest bei mir immer den Eindruck, der Schreiber würde mit dem Fuß aufstampfen und schreien. Was ich als eine noch größere Unart empfinde, ist, dem Gegenüber in einer Diskussion eine wie auch immer geartete "Krankheit" zu unterstellen. Das hat mit einer sachlichen Diskussion rein gar nichts zu tun, sondern ist einfach nur rüpelhaftes Benehmen. Ich verbitte mir das ausdrücklich.


  • Hallo!


    Ich möchte mich ja nicht einmischen, wenn Ihr gerade ein neues RT-Schlachtfeld eröffnen wollt.


    Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass die literarische Vorlage zum Coppola-Film Apocalypse now von Joseph Conrad stammt: Herz der Finsternis.


    Gruß
    WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Die Haltung von Leuten wie Gerhard Wischniewski ist höchst inkonsequent, da hat Hosenrolle1 völlig Recht, und Melomane hat das in seinem Beitrag #7 wunderbar entlarvt (ich habe auch schon des öfteren darauf hingewiesen). Natürlich ist es legitim, sich an gravierenden musikalischen Abweichungen von der Intention des Komponisten nicht zu stören, aber bei Szene und Kostümen auf "Originaltreue" (was immer das ist) zu beharren, das ist dann einfach eine Frage des persönlichen Geschmacks und der eigenen Präferenzen. Aber diesen persönlichen Geschmack zum ästhetischen Maßstab zu erheben mit dem Argument, der unterstellte Wille des Komponisten sei sakrosankt und jede Abweichung von Partitur und Libretto sei ein Missbrauch, führt sich selbst ad absurdum, wenn gerade die Musik davon ausgenommen wird, also das, was nach Meinung der meisten hier der wesentliche Bestandteil einer Oper ist.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.


  • :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel:

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Aber diesen persönlichen Geschmack zum ästhetischen Maßstab zu erheben mit dem Argument, der unterstellte Wille des Komponisten sei sakrosankt und jede Abweichung von Partitur und Libretto sei ein Missbrauch, führt sich selbst ad absurdum, wenn gerade die Musik davon ausgenommen wird, also das, was nach Meinung der meisten hier der wesentliche Bestandteil einer Oper ist.

    Genau! Denn was genau garantiert denn die "Wiedererkennbarkeit" eines Stücks? Es wird einfach davon ausgegangen, das müsse all das sein, was im Libretto steht. Dann wird aber implizit unterstellt, dass das "Werk" identisch sei mit der Partitur oder dem Libretto. Kein Werktheoretiker von Rang versteigt sich aber zu dieser abenteuerlichen Gleichsetzung. Die Behauptung, dass das Werk "zerstört" oder "verunstaltet" würde, wenn man die handelnden Personen in ein anderes Kostüm steckt oder Ort und Zeit der Handlung ändert, nimmt genau diese nivellierende Gleichschaltung vor. Das ist aber einfach Bequemlichkeit und Denkfaulheit - wie Schillers Unterscheidung von Historischem (Realem) und "Poetischem" ("Symbolischem") zeigt. Ein Theaterstück ist kein Zeitungsbericht über historische Ereignisse und auch kein Roman, der historische Begebenheiten schildert. Immerhin ein Richard Wagner hat penibel zwischen (historischem) Roman und (nicht historischem, mythischen) Drama unterschieden. So einen Unsinn kann nur behaupten, wer die komplette Theatergeschichte und Ästhetik einfach ignoriert. Diese Ignoranz zeigt letztlich nur: Die ganze moralisierende Betonung von "Werktreue" ist lediglich ein vorgeschobenes Argument, um den eigenen, sehr subjektiven "Interessen" und Bedürfnissen die höheren Weihen der Allgemeinverbindlichkeit zu verleihen.


    Im anderen Thread ging es um den Dialog zwischen Herrn Mösch und Herrn Lütteken. Mösch hat da für die Vielfalt von verschiedenen Auffassungen von Theater geworben. Die besteht eben z.B. darin, dass es nicht nur den Historismus aus dem 19. Jhd. gibt, sondern auch den Idealismus Schillers, für den das "Historische" nur ein akzidenteller und kein wesentlicher Bestandteil eines Theaterstücks ist. Es ist von daher einfach verwegen, einem Regisseur von heute verbieten zu wollen, sich in dieser Schiller-Tradition des Theaters zu bewegen, nur weil man den eigenen Geschmack, der nach einer historistischen Ästhetik verlangt, verabsolutiert und damit den Künstler als "Verunstalter" von Werken beschimpft.


    Nächste Woche, wenn ich etwas Zeit habe, werde ich dem Wunsch und Anliegen von Operus nachkommen - das habe ich nicht vergessen. ;)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wenn also o.g. Leute ( vor allem auch jüngere) zum ersten Mal in die Oper gehen, sollten sie zumindest die CHANCE bekommen zu sehen, wie ein solches Stück in einem normalen traditionellen Sinne aufgeführt wird.

    Lieber MDM,
    Meines Erachtens hast Du das Thema nicht verfehlt, sondern sehr populär verständlich beleuchtet. Es ist ein wichtiges Argument, dass der Jugend durch die Neuinszenierungen häufig die Chance genommen wird, die Handlung traditionell zu erleben. Meine Tochter ist eine fleissige Operngängerin. Wir nehmen sie auch gelegentlich nach Bayreuth mit. Dort konnte sie die "Meistersinger Inszenierung von Katharina Wagner mit den verschiedensten Künstlerpersönlichkeiten auf der Bühne, den Schwellköpfen und dem farbschmierenden Stolzing erleben.Sie fand das alles durchaus spannend. Auch eine weitere Aufführung in Köln war ihrer Schilderung nach weit weg vom Original, Sie hat und wird also kaum die Chance bekommen, die "Meisteringer" in der früheren Tradition, in aller Pracht, mit dem Aufzug der Zünfte, dem alten Nürnberg, dem Zauber des Flieders und einer überwältigenden Festwiese zu erleben. Damit sieht sie unter Umständen sogar intelliigente Neudeutungen, jedoch nicht die tradtionellen "Meistersinger". Wie können die Werkadaptionen beurteilt werden, wenn man die traditionelle Auffassung nicht kennt? Überspitzte Formulierung: Sollten tradtionelle Inszenierungen nicht erhalten und sogar geschützt werden, um zu zeigen, so war es und so wird es heute gesehen.Ist wirkliches Werkverständnis gerade auch der Neudeutungen nur durch Kenntnis der Tradition möglich?
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber MDM,
    Meines Erachtens hast Du das Thema nicht verfehlt, sondern sehr populär verständlich beleuchtet. Es ist ein wichtiges Argument, dass der Jugend durch die Inszenierung häufig die Chance genommen wird, die Handlung original zu erleben. Meine Tochter ist eine fleissige Operngängerin. Wir nehmen sie auch gelegentlich nach Bayreuth mit. Dort konnte sie die "Meistersinger Inszenierung von Katharina Wagner mit den Künstlerpersönlichkeiten, den Schwellköpfen und dem farbschmierenden Stolzing erleben.Sie fand das alles durch aus spannend. Auch eine weitere Aufführung in Köln wa

    Das überzeugt mich deshalb alles nicht, lieber Operus, weil wir anders als noch vor 50 Jahren in einem Medienzeitalter mit seinen vielfältigen Möglichkeiten leben. Gerade die Jugend wächst mit dem Computer auf. Es wird alles gegoogelt und "Youtube" ist eine gängige Quelle. Das Theater braucht so längst nicht mehr die Funktion zu erfüllen, ein Stück dem Publikum bekannt zu machen "wie es eigentlich gewesen ist". Die ist schlicht überflüssig geworden. Das alles kann man nämlich bequem durch die Internet-Quellen tun oder sich die entsprechenden DVDs kaufen oder in der Bibliothek ausleihen. Es ist zudem nicht einleuchtend, nicht darauf zu reflektieren, wie sich die Funktion von Theater im Medienzeitalter grundlegend ändert.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • @ Melomane
    Nochmal kurz zum Film "Der Name der Rose" betr. Meinungsübereinstimmung /Zustimmung
    Da hast Du und vielleicht auch einige andere, mich völlig falsch verstanden, bzw. ich habe mich da nicht klar ausgedrückt, was ich damit meinte.
    Es geht hier überhaupt nicht darum, ob und wem der Film gefallen hat, das ist völlig egal und da sei jedem seine Ansicht und Meinung unbenommen.
    Was ich eigentlich meinte ist - daß wohl alle mit mir übereinstimmen, die den Film kennen, was die Umsetzung der Thematik der Handlung und daraus resultierend die Darstellung
    von Kulissen, Kostümen und Optik der Darsteller betrifft, daß dies alles glaubhaft, anschaulich und nachvollziehbar der Zeit des Mittelalters nachempfunden und gestaltet wurde.


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Meines Erachtens hast Du das Thema nicht verfehlt


    Meines Erachtens haben bislang sämtliche 20+ Antwortbeiträge das Thema "Regisseurstheater und modernes Orchester" verfehlt, von den Beiträgen 7 und 11 einmal abgesehen.


  • Meines Erachtens haben bislang sämtliche 20+ Antwortbeiträge das Thema "Regisseurstheater und modernes Orchester" verfehlt, von den Beiträgen 7 und 11 einmal abgesehen.


    Völlig richtig, was sehr schade ist.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Das überzeugt mich deshalb alles nicht, lieber Operus, weil wir anders als noch vor 50 Jahren in einem Medienzeitalter mit seinen vielfältigen Möglichkeiten leben. Gerade die Jugend wächst mit dem Computer auf. Es wird alles gegoogelt und "Youtube" ist eine gängige Quelle. Das Theater braucht so längst nicht mehr die Funktion zu erfüllen, ein Stück dem Publikum bekannt zu machen "wie es eigentlich gewesen ist". Die ist schlicht überflüssig geworden. Das alles kann man nämlich bequem durch die Internet-Quellen tun oder sich die entsprechenden DVDs kaufen oder in der Bibliothek ausleihen. Es ist zudem nicht einleuchtend, nicht darauf zu reflektieren, wie sich die Funktion von Theater im Medienzeitalter grundlegend ändert.


    Schöne Grüße
    Holger

    Lieber Holger,


    mit "bekannt machen" meinte ich nicht das Konsumieren von youtube-Schnipseln ( oder sogar vollständigen Aufführungen), sondern das reale, echte Erlebnis eines Opernbesuches mit der ganzen Atmosphäre und allem Drum und Dran, was zu solch einem festlichen Anlass ( das ist es doch wohl hoffentlich noch?) in seiner ganzen "Pracht" dazugehört.


    Warum ist es "überflüssig" geworden, dass sich die Jugend oder "reifere Jugend" real über eine klassische Aufführung freuen darf? Das ist auch eine Art von Kennenlernen und Lernen, die man niemanden vorenthalten sollte.


    Ob sich später dann mit einer gewissen Erfahrung und näherem Befassen mit dem Stoff ein anderer Geschmack in Richtung moderne Inszinierungen enwickelt, steht auf einem anderen Blatt. Man sollte den Bildungsauftrag öffentlicher Opernhäuser aber nicht so eng im Sinne zuletzt genannter Aufführungspraxis fassen.


    (Mir ist übrigens schon klar, das die wenigsten Leute heutzutage völlig naiv und ohne Vorinformation einfach losstiefeln und dann plötzlich aus allen Wolken fallen. Ein Liveerlebnis doch wohl eher ist ein echtes "Bekanntmachen" als DVD`s oder youtube.)


    Über die sich ( wie du es genannt hast) wandelnde Funktion von Theater im Medienzeitalter in die eine oder andere Richtung könnte man sich ebenfalls trefflich streiten, aber das ist nicht mein Thema.


    Weiter oben hast Du übrigens den Begriff der "Unbelehrbarkeit" eingeführt. Wahrscheinlich mit der Hoffnung, dass jemand darauf anspringt. Ich bin jetzt mal so naiv, tappe in diese Falle und frage: wer will hier wen warum und worüber belehren? Wer möchte gerne belehrt werden?


    Es könnte vielleicht um das Überzeugen gehen, aber ein "belehrt werden" ist ein Anspruch, den wir uns zumindest hier nicht unbedingt vorrangig stellen sollten.


    Vielleicht ist das aber jetzt zu rabulistisch von mir, aber Du schreibst ja selten aus Versehen etwas, was Du nicht auch meinst.


    Es grüßt freundlich,


    MDM

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Lieber MDM,


    ich finde Deine Beiträge sehr ausgewogen und zutreffend und pflichte dem bei. Ich bin zwar auch ein Anhänger von Interpretationen, die sich möglichst eng an die Vorgaben des Librettos im Bezug auf Ort, Zeit und Handlung halten, will aber auch nicht moderne Inszenierungen mit Bausch und Bogen verurteilen; ich denke nur, dass es bei extremen Abweichungen richtig wäre, man würde z. B. dann das Ganze nicht "Verdis Aida" nennen, sonden "Aida nach Motiven von Giuseppe Verdi" - eine solche Inszenierung könnte sich dann größere Freiheiten nehmen (ich denke da an Jazzmusik: man nimmt ein Thema, greift es auf, und variiert es dann völlig frei) - dennoch wäre aber jedem Musikfreund völlig klar, dass hier nicht eine möglichst buchstabengetreue Umsetzung des ursprünglichen Librettos erfolgt (um den missverständlichen Begriff "Originaltreue" zu vermeiden), sondern eine Adaptation, die sich vom Libretto in manchen Punkten loslöst, um eine andere Lesart zu ermöglichen. Allerdings denke ich auch, dass nicht jede Inszenierung, die die Gegebenheiten des Librettos verbatim auf die Bühne bringen möchte, notwendigerweise unmodern sein muss. Auch innerhalb der Vorgaben des Librettos gibt es sicherlich genug Frei- und Spielräume, die man nutzen kann, um eine neue, ansprechende Deutung zu erzielen, ohne dass Aida auf einmal zur Zeit des Zweiten Weltkrieges in Europa spielen muss. Man kann natürlich alle möglichen Gegebenheiten abstrahieren, nach dem Motto, "ob Schwert oder Maschinengewehr, ist doch egal, Waffe ist Waffe" (ich gebe das in einem vorherigen Post genannte Argument etwas freier wieder), allerdings denke ich, dass eine solche Abstrahierung oder Generalisierung die Gefahr in sich birgt, dass alles austauschbar und beliebig wird. Dann reduziert sich alles in letzter Konsequenz auf allgemeine Plots wie "Frau liebt Mann und umgekehrt, beide sterben tragisch" - nur weiß man dann nicht mehr, ob es um "Romeo und Julia" oder "Aida" geht...
    Ort, Zeit, Identität, Namen sind für mich mehr als nur schmückendes Beiwerk oder Kolorit, sie sind für mich sinnstiftende, charakteristische Faktoren, die nicht einfach entbehrlich und austauschbar sind.
    Insgesamt denke ich auch, alle Formen der Inszenierung sollten zu ihrem Recht kommen, allerdings klar benannt werden, wobei dank der heutigen Kommunikationsmittel eigentlich jeder wissen kann, was ihn erwartet - ich informiere mich vor jedem Opernbesuch in den Medien, um mir Enttäuschungen zu ersparen.

  • Alles schön und gut, hat aber leider nichts mit dem Thema dieses Threads zu tun. Ich warte weiterhin gespannt auf die Beantwortung von Melomanes Fragen, z.B. warum es ein "Mißbrauch" ist, wenn eine Oper nicht in den im Libretto beschriebenen historischen Kulissen gegeben wird, warum es aber überhaupt nichts macht, wenn sie auf modernen, ganz anders klingenden Instrumenten gespielt wird als denen, für die die Oper komponiert wurde.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Melomane,


    Jawohl, ich werde deine Fragen nicht unbeantwortet lassen. Will aber hier nicht wieder die langen Ausführungen aus Nr. 7 dazu zitieren. Die kann ja jeder, der möchte selbst dort nachlesen.
    1.
    Missbrauch ist für mich ganz einfach, dass Musik und - oft völlig unpassender - Text sowie der Name eines Autors und der titel seines Werkes als Mogelpackung verwendet werden, um irre Phantasien eines Regisseurs vorzuführen und unter diesem Deckmantel unbedarfte Zuschauer ins Opernhaus zu locken. Dies ist nicht nur meine alleinige Meinung, sondern die Meinung einer gewaltigen Menge an Opernfreunden. Den auch heute noch allgemein so verstandenen Begriff "ästhtisch" und wie ich und die große Allgemeinheit ihn verstehen, habe ich in einem anderen Thema genannt. Deswegen gehen mir alle diese Belehrungsversuche über sogenannte "Opernästhetik" mit der auch die Verfälschungen, Veralberungen und Brutalitäten auf der Bühne beschönigt werden sollen, am A.... vorbei.
    2.
    Auch die Befürworter des Regisseurstheaters wollen, dass sich das Orchester an die Noten der vorgegebenen Partitur hält und das jede Note "sitzt". Da wird oft schon über die Abweichung um einen halben Ton diskutiert.
    In Bezug auf die vom Autoren in derselben Partitur vorgegebenen Handlung ist es ihnen aber völlig egal, wenn diese verdreht und völlig entstellt wiedergegeben wird.
    Wir Liebhaber der echten Werke sind hingegen viel bescheidener. Wir haben - wie schon gesagt - nichts dagegen, dass die echte Handlung mit Mitteln der Modernen Bühnentechnik umgesetzt werden. Wir verlangen nicht, dass jedes Detail in den Regieanweisungen der Partitur auch wörtlich - wie vom Autor beschrieben (und die sind manchmal bis ins kleinste ausführlich) - auch auf der Bühne so zu sehen ist. Aber die Aufbauten und Gegenstände, die in der Handlung eine Rolle spielen, gehören für mich zum Wesentlichen und müssen auch Ort und Zeit der Handlung erkennen lassen.
    3.
    Wenn es dir gleichgültig ist, wenn der Sänger vom Schwert spricht und ein Maschinengewehr zieht. Wenn du tatsächlich glaubst, das es z.B. zu Caesars Zeiten schon Stahlhelme, Panzer, Maschinengewehre und Raketen gab, dann tut es mir leid und sei dir dieser Glaube belassen. Für mich aber sind das alles Verfälschungen dieses und ähnlicher Werke.
    4.
    Ich will nichts gegen Prostituierte sagen, die mir eher leid tun. Aber wenn ein Regisseur das Wesen der "Carmen" - wie ja schon geschehen - als Nutte im Puff sieht, dann hat er die "Carmen" in meinen Augen völlig verkannt. Und da gibt es eigentlich kein besseres Wort als "billig".
    Ich hoffe, deinem Wunsch damit Genüge getan zu haben.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Nunja. Das hängt natürlich erst einmal davon ab, wann die Oper komponiert worden ist, bei einer Barockoper ist die Diskrepanz der verwendeten Instrumente bei einem modernen Orchester natürlich größer als bei einer Oper aus dem 19. Jahrhundert. Ansonsten, wenn ich Gerhard richtig verstanden habe, meint er, solange die Geige noch eine Geige ist, egal, ob mit Darm- oder Stahlsaiten, ist es OK; wenn aber aus dem Ägypten der Pharaonenzeit eine nationalsozialistisches Land irgendwo in Europa wird, ist dies ein Eingriff in das Werk, der weitaus größer und einschneidender ist als die Frage, ob man eine ältere oder neuere Geige verwendet. Da stimme ich ihm übrigens auch zu. Dass Vokabeln wie "Missbrauch", "Verstümmelung" "Verunstaltung" natürlich sehr scharf und bisweilen sogar verletzend sind, und eine unsachliche Diskussion erschweren, sehe ich allerdings auch.


    Edit: da war Gerhard schneller als ich - von daher hat er es ja selbst schon erklärt.

  • Den auch heute noch allgemein so verstandenen Begriff "ästhtisch" und wie ich und die große Allgemeinheit ihn verstehen, habe ich in einem anderen Thema genannt. Deswegen gehen mir alle diese Belehrungsversuche über sogenannte "Opernästhetik" mit der auch die Verfälschungen, Veralberungen und Brutalitäten auf der Bühne beschönigt werden sollen, am A.... vorbei.


    "Alltagssprachlich wird der Ausdruck ästhetisch heute meist als Synonym für schön, geschmackvoll oder ansprechend verwendet. In der Wissenschaft bezeichnet der Begriff die gesamte Palette von Eigenschaften, die darüber entscheiden, wie Menschen wahrgenommene Gegenstände bewerten." (Wikipedia, zuletzt aufgerufen am 12.11.2017)

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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