Die Diskussion über das Regietheater aus meiner Sicht

  • Vorsicht - überlanger Beitrag.

    Gestern hab ich überlegt, ob ich in den aktuelle RT-Themfaden einsteigen soll. Letztlich hat man hier als Neumitglied die Wahl - geht man rein oder hält man sich raus. Das Thema polarisiert dermassen, dass der Instikt mir sagt: halt Dich raus. Das gibt ein hin-und-her, das gibt Missverständnis, Angriff und sich-angegriffen-fühlen, das könnte mich mehr belasten als bereichern.

    Auf der anderen Seite hab ich natürlich eine Meinung. Bzw. zwei.
    Eine zum Thema (ob ein Konzept aufgeht geht oder nicht entscheide ich für mich nachdem ich die Inszenierung gesehen habe – und manchmal ändere ich meine Meinung im Nachhinein, ich definiert mich nicht darüber)
    und eine zur Diskussion über das Thema.

    Anstatt also in den Nahkampf zu gehen, der in diesem Forum schon so viele verletzt hat, werd ich das jetzt hier mal grob hinschreiben – nicht nur für die Leser, sondern auch für mich: ich hab dann das Gefühl gesagt zu haben was ich sagen wollte, und kann mich selbst daran erinnern wenn es in den Fingern juckt einen Beitrag in einem der dann aktiven RT-Fäden zu schreiben. Um mich dann mit Leuten zu zanken, die aus dem selben Grunde hier sind wie ich: aus der Liebe zur Musik.Das möchte ich nicht.

    Also wähle ich den Weg, meine Gedanken einfach etwas ausführlicher darzulegen. Es sind nur Gedanken, wahrscheinlich redundant und unscharf formuliert, sicher angreifbar oder missverstehbar, aber da ist weiter kein Anspruch dahinter. Einfach Meinung.
    Vielleicht zur Einordnung: Ja, ich gehe in die Oper! Am Wochenende zB. stehen Tannhäuser und Holländer an.
    Und: Nach dem Abi war Bühnenregie etwas, das ich sehr gerne gemacht hätte. Ich hab damals einiges an Zeit, Geld und Aufwand reingesteckt um die übliche Tour der Aufnahmeprüfungen (natürlich erfolglos) zu absolvieren. Das Thema war mir also einmal sehr wichtig.

    ***

    Man kann doch wirklich, auch als Nicht-Verächter derzeitiger Aufführungspraxis mal einen Schritt zurück gehen und sich die Frage "was soll denn dieses Herumhacken?" in dem Sinne beantworten, dass hier (und so seh ich das wenigstens zum Teil) eine Art von Trauerarbeit statt findet; die Verarbeitung der Erfahrung, dass einem eine einstmals wichtige Sache (der Opernbesuch), dem man in seinem Leben schöne und wertvolle Momente verdankt, nicht mehr möglich ist.

    Gerade wenn man das sog. "Regietheater" auf intellektueller Ebene verteidigt kann man doch auch vielleicht daran denken, dass die Bedürfnisse ganz offensichtlich verschieden sind. Nicht besser oder schlechter; intellektueller oder emotionaler; höher oder tiefer - sondern einfach verschieden.

    Ich sehe diesen Verarbeitungsaspekt gerade darin, dass alle entsprechende Themen einen immer gleichen Verlauf nehmen. Man braucht nur den Namen des Autors zu sehen und weiss, aus welcher Richtung er kommt. Es gibt keine Überraschung, keinen Fortschritt, keine Annäherung sondern das Ganze ist eine Fuge aus der Hölle, mit unendlich variierten Stimmen und Gegenstimmen aber dem immer durchscheinenden, immer gleichen Thema, und es ist vielleicht schieres Glück wenn am (vorläufigen, immer vorläufigen...) Ende der Auseinandersetzung noch alle da sind, die am Anfang da waren. Dieser Kampf,den keine Seite je gewinnen wird, kostet nur Opfer. Er kennt kein Ende, sondern nur zeitweilige Erschöpfung. Es ist ein Stellungskrieg, ein Abnutzungskrieg – und ja, verglichen mit allen anderen Auseinandersetzungen in allen anderen Themen, ist es Krieg. Wem das Bild zu stark ist – akzeptiere ich. Eher gibt es hier Einigung darüber, dass Karajan ein absoluter Bach-Spezialist war, als darüber ob man eine Inszenierung an Hand eines Fotos berurteilen kann/soll/darf/muss. Das ist überspitzt, aber das ist der Eindruck, den ich als Mitleser über die Jahre hier gewonnen habe.

    Die Idee, in einem Austausch für sich neu dazu zu lernen ist ganz sicher nicht die Idee, die diese Themenfäden antreibt.
    Im Gegensatz, so denke ich, zu 99% aller anderen Themen wo die Neugier auf die Position des anderen mir grösser scheint und auch die Bereitschaft sich durch neue Perspektiven bereichern zu lassen.

    ***

    Es gibt daher für mich nur, neben dem eingangs genannten, den Aspekt diese Diskussionen als eine Art Demonstration zu verstehen, nach aussen (nebenbei bemerkt: ich denke, dafür wäre ein blog zum Thema eventuell geeigneter).
    Dass man damit praktische Änderungen bewirken kann, glaube ich nicht – um in der Kunstindustrie wirksam gehört zu werden, muss man vielleicht Teil von ihr sein und die Initiationen wie Diplome, Stipendien oder Preise überstanden haben; den richtigen Lebenslauf. Laienmeinung zählt dort in etwa soviel wie auf einem Mathematikerkongress (was man nicht unbedingt seinem Publikum sagt), aber das ist eigener Eindruck und nicht mehr – die Zuschauer bleiben jedenfalls nicht weg, wenn Wagner oder Mozart läuft ist die Hütte voll. Bei Henze vielleicht nicht ganz so. Egal wie inszeniert wird.

    Aber auch die Funktion solche Diskussions-threads als Demonstration zu sehen uä. ist in meinen Augen eine Art Verarbeitung eines Zustandes den man beklagt, Trauer, unter der man leidet.


    Ja, leidet!


    Diese emotionale Komponenten wird, denke ich, von Verteidigern des sog. RT nicht immer ganz ernst genommen - denngegenüber einer solchen Emotion gibt es kein Argument. Auch hier liegt das Problem darin, dass ganz verschiedene Bedürfnisse vorhanden sind, die auf verschiedenen Ebenen liegen und die vielleicht manchmal tückischerweise qualitativ bewertet werden (oder so verstanden werden!), damit zu entsprechenden Kränkungen führen und dem Bedürfniss in einem mehrseitigen Faden, den kaum ein Mensch mehr nachliest, sich zu "rechtfertigen" usw.

    ***

    Die derzeit herrschende Bühnenpraxis ist mMn tatsächlich ohne Kenntnisse von Dramentheorien, der Entwicklung des Sprechtheaters seit der Wende zum 20. Jahrhundert hin, ohne Kleist, Brecht, meinetwegen W. Benjamin usw. kaum zu verstehen. Das sind Dinge, die Regiesseure usw. in ihrer Ausbildung spätestens kennen lernen und rezipieren. Dazu kommen andere Entwicklungen des 20. Jahrhunderts sowohl geistes- als auch naturwissenschaftlich, die Fundamente freigelegt, hinterfragt und teilweise beseitigt haben, die über Jahrhunderte für selbstverständlich gehalten wurden. Das muss einen nicht interessieren, man muss das nicht wissen – aber Kunst nimmt das auf bzw. nimmt Stellung, wenn der Künstler es will.

    Schon weil auf der Bühne in der Praxis Antworten auf Fragen gegeben werden, die sich eben nicht jeder Besucher stellt oder stellen will (er will seine Oper sehen); weil die Inszenierungen Reaktionen auf Entwicklungen und Reflektionen sind, die man eben nicht kennen muss (denn man will seine Oper sehen), kann das im Eindruck gegenseitigen Unverständnisses münden: man versteht das Angebot nicht (es interessiert einen nicht einmal), das Angebot nicht die Nachfrage (die es eigentlich auch nicht interessiert).

    Die Bedürfnisse, die aktuell befriedigt werden, haben manche Menschen nicht.
    Das ist kein Mangel. Das ist keiner Wertung zugänglich so wie Liebe zu einem Menschen keiner Wertung zugänglich ist.
    Die Betroffenen sehen (!) aber, dass ihre Bedürfnisse an einen Opernbesuch nicht berücksichtigt werden.

    Würde ab morgen jeder Siegfried im Bärenfell über die Bühnen dieser Welt stürmen wäre ich doch auch enttäuscht. Abgesehn vielleicht, dass die Naturalisten vielleicht einen echten Drachen anbrächten, da wär ich natürlich schon drauf gespannt. Es wäre zweifelslos werkgetreu.

    Auch das, was die "Konservativen" hier zurück wünschen war mal Avantgarde.
    Bühnenprospekte und gemalte Hintergründe zB. durch echte Bäume zu ergänzen oder Tiere auf die Bühne zu bringen, war einmal revolutionär - die Differenzierung zwischen diesen Stilen ist heute kaum nachvollziehbar und vielleicht sogar für den Anhänger traditioneller Ansichten kein sehr scharfer. In damaligen Diskussionen hätten sie sich vielleicht auf Seiten der Modernisierer gefunden. Vielleicht sogar wäre zB. der ein oder andere, der hier mit der Entwicklung der Opernregie unglücklich ist, damals auf Wielands Seite gewesen in der Diskussion mit Kna um die Taube.

    ***


    Was interessiert angesichts des Verlustes von etwas, was einem ein wichtiges, persönliches und emotionales Bedürfnis befriedigte, warum es so ist? Man trauert. Man will es anders als es ist. Man kann es nicht ändern. Es tut weh.
    Was nutzt da Camus?
    Was nutzt da Kommunikations- oder Medientheorie?
    Was die Nachwirkung von Beckett oder Ionescu?
    Wird diese Leere dadurch gefüllt, dass man die Rolle des Regiesseurs und ihren Wandel nachvollzieht? Das Wissen um die Akademisierung der Theaterpraxis, die angehende Regiesseure zur Auseinandersetzung mit den o.g. Themen und vielen anderen regelrecht zwingt?
    Nein. Es interessiert nicht. Man trauert. Die Todesursache ist hier weniger gewichtig als die Tatsache, dass etwas tot ist. Jede Erläuterung geht automatisch daran vorbei, denn es wird gar keine Erläuterung verlangt. Sondern, dass das was stört und ärgert wieder das wird, was glücklich machte und bereicherte.
    Was interessiert da die Rolle eines Dramaturgen? Das Verhältnis zwischen Regie und Bühnenbild?
    Das Warum ist egal, weil das Dass als so schrecklich empfunden wird. Denn die Oper verweigert einem nicht nur das ästhetische Bedürfnis – sie gibt einem (aus eigener Sicht, so lese ich das) sogar das Gegenteil! Hässliches wo man Schönes sucht usw.
    Was zählt da warum?
    Was die Suche nach einer Antwort auf die Frage nach Schönheit, Hässlichkeit, Ästhetik?
    Wenn seine Frau nach dem Aufwachen aus einem Koma auf einmal eine total andere, fast entgegen gesetzte Persönlichkeit hat – dann kann der Gatte darunter leiden. Das darf er.
    Der Neurologe mag einem erklären wie und warum.
    Aber man darf trotzdem trauern und leiden, oder?

    ***

    Selbst steh ich ein bisschen zwischen den Stühlen. Ein naturalistischer Ring, sklaventreu dem Wort (als wenn das Wort an sich den Sinn schon trüge...) käme mir leer vor. Da sind dermassen viele Themen drin, und er spiegelt über seine Entwicklungszeit eben auch die Entwicklung Wagners wieder, nicht nur musikalisch, dass es ohne Interpretation für mich ein Märchenspiel wäre. Da steckt mehr drin, da steckt soviel drin dass man als Regiesseur entscheiden muss, was man betont, was man weniger betont usw. Entscheiden... der Regiesseur wird meiner Ansicht nach von Wagners Werk zuEntscheidungen gezwungen - und da sind wir mitten im künstlerischen Prozess schon drin, den eben manche von einer Regie gar nicht erwarten. Aber dafür haben sie andere Erwartungen. Und nicht jedes Libretto bringt solche Aufgaben in dieser Dringlichkeit mit sich...

    Ich kann zB. nicht nachfühlen (es ist vielleicht das bessere Wort als "verstehen"), wie man von einem Bühnenbild, einem Kostüm dermassen stark negativ beeindruckt wird, dass die Leistung der Sänger usw. kein Genuss mehr bringt.
    Kann ich nicht nachfühlen. Aber - es muss schrecklich sein. Man liest es aus der Empörung, der Emotionalität, der Verallgemeinerung, Übertreibung doch heraus: hier wird gelitten. Das ist authentisch.
    Hier sind Musikfreunde, deren Zugang zu einem echten Lebenskraftwerk versperrt ist. Die darunter leiden!

    ***

    Man möchte manchmal den RT-Nichtverächtern zurufen:
    „Ihr braucht das RT nicht zu verteidigen! Das Selbstverständnis des Regiesseurs hat sich dauerhaft geändert, und er wird keinen Grund finden das aufzugeben – dass es Gegenstimmen gibt und immer geben wird, gegen alles, ist eh klar. Aber der Regisseur ist nicht mehr in der Situation sich rechtfertigen zu müssen; er tut es auch nicht. Wer heute Regie unterrichtet hat sein Handwerk bereits bei den Leute gelernt, die kämpfen mussten.
    Auch die Nichtverächter des RT führen eine Diskussion, die vor 50 Jahren in den Kantinen der Theater geführt wurde. Betrachtet die Gegenauffassung nicht als Bedrohung – sie ist Trauer, Verarbeitung und Leiden. Sie will vielleicht keine Antworten. Vielleicht will sie einfach nur da sein, und hier hat sie einen Platz dafür.
    Wenn Ihr es auf intellektuelle Ebene nicht ernst nehmt, dann vielleicht auf emotionaler? Kann man das nicht respektieren – das Verlustgefühl eines anderen, dass man selbst nicht teilt? Emotion!
    Es ist verloren. Es ist wirklich verloren. Oder glaubt Ihr, in 10 Jahren würde eine ganze Generation Theaterschaffende auf einmal alles nur noch konservativ inszenieren?
    Wo sollen die denn herkommen??? Sicher nicht aus den Regie-Seminaren.“

    Dieser Aspekt kommt mir in der Diskussion zu kurz, und er unterläuft eben den intellektuellen Diskurs, der von RT-Nichtverächtern natürlich geführt werden muss, weil dies die Ebene ist auf der ihre Bedürfnisse liegen.
    Dies ist aber nicht die Ebene, auf der die Verletzung statt findet.
    Deswegen redet man immer und grundsätzlich und ausschliesslich aneinder so sehr vorbei, dass einen die Argumente der anderen Seite eigentlich nicht wirklich interessieren weil man an der Quelle dieser Argumente, den versch. Bedürfnissen, kein eigenes Interesse hat.

    ***


    Was schade ist, wirklich schade und mir schon als Mitleser hier wehgetan hat:
    Ihr, beide Parteien, seid Euch in einem einig. Ihr liebt Musik. Klassische Musik. Nur weil das hier so selbstverständlich ist, ist es nicht selbstverständlich. Geht mal raus, versucht Nicht-Klassikern Klassik nahe zu bringen – und dann hätten wir alle,RT-Verächter und Nichtverächter ganz ähnliche Erfahrungen.
    Es ist sauschwer.
    Aufmerksamkeit für ein Stück zu bekommen, dass länger als 4 Minuten dauert, verschiedenen Stimmungen vermittelt, nicht auf Anhieb völlig erfassbar ist und vielleicht erst nach dem zehnten Hören oder dem Kennenlernen einer anderen Interpretation „zündet“... das ist kein Selbstläufer.
    Wir sind wie ein Haufen Protestanten und Katholiken in einem zutiefst atheistischen Land und streiten über die Ästhetik der Kircheninnenräume. Während um uns herum doch eher die Frage gestellt wird: brauchen wir Kirchen? Uns eint mehr als uns trennt, und im Zweifel stehen wir eh zusammen. Machen wir das uns doch nicht schwieriger...


    ***



    Die Idee, dass das was man heute unter RT versteht von jetzt an für ewig der Massstab ist, würde wohl von den reflektierteren Regiesseuren nicht mal geteilt. Gerade die Aufwertung des Regiesseurs als Intepret und Künstler bringt eine Individualisierung mit sich, in der Abgrenzung und eine eigene Stimme aus meiner Sicht automatisch dazu führen werden, dass es eine grössere Vielfalt an Inszenierungen geben wird, und da wird auch wieder Platz sein für ganz unironische „Werktreue“ (ohne den Begriff näher zu hinterfragen, da inzwischen jeder die dazu hier ausgetauschten Argumente kennt).



    Man sieht das doch schon am Sprechtheater. Es geht (das ist meine subjektive Beobachtung, nicht mehr!) differenzierter zu als noch vor 20 Jahren. Die alte Generation tritt ab – und das was nachkommt ist nicht unbedingt radikaler. Aber auf eigene Art selbstbewusst, ohne ideologische Begründung, sondern aus dem Selbstverständnis als Künstler und individueller Interpret eines Werkes, das in sich keine Wahrheit kennt sondern nur Anschauung. Keine Sicherheit sondern Wahrscheinlichkeit. Kein schwarz oder weiss sondern unendlich viel grau. Die eben das letzte Jahrhundert und seine intellektuellen Entwicklungen nicht mehr gegen angelernte Dogmen stellen müssen – sondern Kinder dieser Entwicklung sind. Ein Student der Regie heutzutage wird sehr wahrscheinlich nicht verstehen (!) was für einige hier ganz selbstverständlich und sehr wichtig ist: die Bedeutung dem Stück zeitgemässer Bühne und Kostüme. Das wird nicht vermittelbar sein, dass dies essentiell für die Inszenierung zu sein hat. Auch ich würde ganz spontan sagen: „wenn das essentiell ist, dann hat das Stück wohl nur historischen Wert, dann ist das Museum, dann hat es die Kraft nur in jeder Zeit für jenes Publikum gehabt, aber heute hat es diese Kraft nicht mehr“. Da würde vielleicht mancher RT-Gegner sagen: „Ja. Und was ist denn daran falsch?“
    Es wäre ein totales aneinander vorbei reden.



    Aber die Generation der Regiesseure veränder sich auch. Es ist mMn keine Provokation, kein Schock (mehr) gefragt. Wen soll man denn noch provozieren? Womit? Das schliesst natürlich nicht aus, dass je nach Persönlichkeit man eine Sache als reinen Schock empfindet und der Tabubruch (den ich zB. gar nicht sehen würde) so stark ist, dass gar kein Platz für die Frage nach dem Warum mehr bleibt. Aber die Provokationen sind in der Tat heute eher Mittel zum Zweck. Wenn man den Zweck nicht sieht, ok. Aber heute als Regiesseur mit dem Konzept anzutreten: „Wir provozieren! Das ist alles!“ kann man vergessen. Da ist das intellektuelle Selbstbewusstsein der Leute schon ein wenig grösser um solche Spielchen zu treiben. Abgesehen davon, dass ein Publikum fehlt, dass sich provozieren lässt.
    Das ändert sich langsam, political correctness sei „Dank“.
    Vielleicht droht tatsächliche der Kunstfreiheit Gefahr von der Seite, die sich einst so sehr auf sie berief, um sich und seine Ideen zu verwirklichen. Vielleicht sind unter denen, die damals unter einem „das kann man doch nicht machen!“ litten heute welche, die selbst „das kann man doch nicht machen!“ rufen. Aber das ist ein anderes Thema.



    ***



    Im Sprechtheater sehe ich einen Trend zu einer stärkere Diversifizierung. Gerade weil der Regisseur sich als künstlerisches Ego nicht mehr verteidigen oder rechtfertigen muss (da sehe ich eine Ursache mancher tatsächlich rein provokant gemeinter Ansätze) sondern die neue Generation selbstverständlicher und selbstbewusster und damit eben freier ist. Und diese Freiheit des Regiesseurs als künsterlisches Individuum und als Leiter eines Teams führt mE eher dazu, dass jemand seine Stimme in dem finden kann, was manche hier Werktreue nennen.



    Aber über eine autoritäre Bewegung, über Staat oder „die Gesellschaft“ usw. wird das nicht kommten. Nur durch das schaffende Individuum als Ausdruck seines künstlerischen Empfindens. Das werden sich die Opern/Theaterschaffenden nie wieder weg nehmen lassen. Es wäre ein Wunder, wenn die Souveräntität und gerade die künstlerische Freiheit nicht Platz liessen für Ansätze, die konventioneller aussehen. Aber es nicht sind, sondern Ergebnis individueller Verwirklichung.


    Für die Konservativeren ist das natürlich kein Trost. Diese Trauer kennt keinen Trost.



    Aber: das RT anzugreifen ist Illusion. Es ist nicht angreifbar. Die Revolutionäre treten langsam schon als Lehrer ab, die Sache ist durch – das Selbstverständnis der Regiesseure, Dramaturgen usw. als Künstler ist unumkehrbar für die absehbare Zeit. Aber gerade dieser Rahmen wird ermöglichen, dass sich Kunstschaffende bewusst für einen Stil entscheiden, der „unmodern“ ist. Es wird gerade über das laufen, was manche als Teil des gegenwärtigen Problems sehen: Das Selbstbild des Regiesseurs als Künstler und seinem Verhältnis zum Werk.


    ***



    Die RT-Gegner müssen denken, die gegenwärtigen Zustände wären absolut usw. Aber das ist wirklich ein Missverständnis, denke ich. Gerade die Freiheit und das Relative sind die Chance, dass ein Team sich sagen kann: wir machen das 1:1, wir treten hinter den Text zurück, wir stellen dar und sehn mal was passiert.
    Aber was nicht kommen wird ist: „wir machen es wie früher, da war es schön“. Im Ergebnis mag es dann mal so sein, aber das nicht der Weg. Mit so einer Einstellung würde es schwierig überhaupt das Auswahlverfahren für einen Studienplatz zu überstehen. Aus der Weite wird auch das Alte kommen, denn es hat seinen Platz.


    ***


    So, ich entschuldige mich bei allen, die sich das ganz durchgelesen haben. Diese Zeit ist verloren. Aber auf der anderen Seite hat es den Vorteil, dass man dann von mir zu diesem Thema wahrscheinlich nichts mehr hört. Das hoffe ich wenigstens, das ist ein Stück Selbstbeschwörung.


    Sollte es mich dann doch mal in den Fingern jucken ist es möglich, dass ich einfach in die Diskussion einen link zu dem Beitrag hier setze.



  • Lieber Lucas,


    danke für diesen höchst wertvollen, lesenswerten, originellen Artikel! :hail: Die Lektüre war keineswegs "verlorene Zeit" und legt in vielfacher Hinsicht den Finger in die Wunde, trägt aber auch m.E. potentiell dazu bei, -was noch viel bedeutsamer ist- Wunden zu schließen. Ich (und sicher auch andere) werden bei Gelegenheit sicherlich noch ausführlicher darauf reagieren bzw. sich darauf beziehen -- und ich halte es auch für richtig, Deine Gedanken hier aus dem Getümmel des RT-Disputes herauszuheben und außerhalb der "Schußzone" in einen eigenen Thread einzubetten.


    Liebe Grüße

  • Lieber Lucas,

    ein sehr verständnisvoller und interessanter Artikel, wie er hier von denen, die uns das Regisseurstheater als einzige derzeit zulässige Form nahe bringen wollten, nicht zustande gebracht wurde. Ich habe die Betrachtungen mit sehr viel Interesse gelesen. Auch für mich war das keine verlorene Zeit, wie ich sie mir für die Ausführungen einiger Befürworter mit immer dem gleichen Tenor garnicht mehr nehme. Ich erwarte von Ihnen aber auch nicht, dass sie meine Ausführungen lesen.
    Wir Gegner des Regisseurstheaters verlangen auch garnicht, dass alles wieder so wird wie früher. Aber wir erwarten, dass die Handlung des Werks respektiert wird, auch wenn sie mit den Mitteln der modernen Bühnentechnik dargestellt wird. Für mich waren z.B. die Inszenierungen von Wieland Wagner, der zwar die Bühne entrümpelt hat, sich aber an die Handlung in ihrer Zeit und an ihren vorgesehenen Orten durchaus erhalten hat, maßstabgebend für eine moderne Regie, ohne Klosettschüsseln und Müllberge auf der Bühne. Maßstabgebende moderne Inszenierungen, die ich hier z.B. schon mehrfach erwähnt habe, waren für mich z.B. Inszenierungen von Harry Kupfer, von dem ich die Inszenierung aus Bayreuth vom Fliegenden Holländer besitze, in der er die Oper als Phantasiegebilde der Senta deutet, dabei aber die im Libretto vorgegebene Handlung vollständig und mit packenden Bildern erzählt und z.B. zum Spinnerlied auch Spinnräder und keine Ventilatoren, Waschmaschinen oder Schreibmaschinen und aktentragende Büroangestellte einsetzt. Ebenso habe ich hier auch die Inszenierung von "Tristan und Isolde" von Patrice Chereau in der Mailänder Scala, mit zeitlosen Kostümen und sparsamer Kulisse, aus der man aber die drei Handlungorte erkennen konnte schon mehrfach erwähnt. Es geht also auch ohne Verdrehungen und sonstige Mätzchen.
    Was aber heute passiert sind Inszenierungen, in denen die Handlung vom Regisseur durch eine eigene absurde Phantasie bis zur Unkenntlichkeit verdreht und oft gegen das Stück sinnentstellend verdreht wird.

    Mir ist bewußt, dass ich unter den wenigen Verteidigern dieser Entstellungen der meistgehasste Gegner bin, weil ich mich nicht bemühe, das mit hochtheoretischen Worten zu umschreiben, sondern die Wahrheit klar ausspreche, wie ich sie auch von vielen Opernbesuchern höre.
    Ich will hier zu deinen Ausführungen ein anders Beispiel aufführen:
    Nehmt dem Rheinländer seinen Karneval, dem Süddeutschen sein Fasnet, dem Münchener sein Oktoberfest. Zerstört alles, was auf Tradition beruht. Was geschieht? Es wird einen gewaltigen Aufstand geben. Ist es daher dem Opernbesucher zu verdenken, wenn ihm alles, was nach Tradition riecht, genommen wird, er fast nur noch "German trash" erhält, dass er sich wehrt? Und wenn eine Minderheit das Recht zu haben glaubt, alles nur noch für sich zu verlangen?
    Warum kann es keinen Kompromiss geben, so dass eine Mehrheit, die heute das Opernhaus flieht, den ihr entsprechenden entsprechenden Anteil erhält und ihr als einzige Fluchtmöglichkeit das Kino mit seinen größtenteils noch ansprechende Inszenierungen aus der MET bleibt.
    In Köln gibt es z.B. auch eine Alternative zu den Karnevalssitzungen, die Stunksitzung. Diese wird als solche bezeichnet und wer dahin geht, weiß auf was er sich einlässt. Bei der Oper aber wird das Werk als das echte bezeichnet, und der uninformierte Zuschauer weiß vorher nicht, dass er bemogelt wird. Ich habe immer wieder gesagt, dass die Liebhaber der entstellten Handlungen durchaus eine der Nachfrage entsprechende Anzahl an, aber dann auch als solche gekennzeichneten Inszenierungen erhalten soll. Ich wehre mich aber gegen deren alleinigen Anspruch.
    Bezeichnend ist für mich auch die Antwort einer Referentin in einer Einführungsveranstaltung zum "Fliegenden Holländer" in einem ohne hin schon weit unterbesetzten Opernhaus, warum man das Stück ohne Pause inszeniere: "Weil uns sonst in der Pause die Leute laufen gehen"
    Danke noch einmal für das Verständnis auch für die Liebhaber der echten Werke.


    Liebe Grüße
    Gerhard


    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Die Idee, in einem Austausch für sich neu dazu zu lernen ist ganz sicher nicht die Idee, die diese Themenfäden antreibt.
    Im Gegensatz, so denke ich, zu 99% aller anderen Themen wo die Neugier auf die Position des anderen mir grösser scheint und auch die Bereitschaft sich durch neue Perspektiven bereichern zu lassen.

    Lieber Lukas,


    ich bin verblüfft über so einen klugen Beitrag eines "Neulings"! :hail:


    Was Du oben schreibst stimmt leider. Schön wäre, wenn es anders wäre.

    Aber auch die Funktion solche Diskussions-threads als Demonstration zu sehen uä. ist in meinen Augen eine Art Verarbeitung eines Zustandes den man beklagt, Trauer, unter der man leidet.



    Ja, leidet!

    Das siehst Du völlig richtig. Bei den RT-Gegnern geht es um "Trauerarbeit". Nur ist die Frage, ob es der richtige Weg ist, andere Menschen, welche dieses Leiden nicht kennen, mit dieser Trauerarbeit zu belasten. Muss nicht jeder seine Trauer letztlich selber alleine tragen? "Die Sonne, sie scheinet allgemein, das Unglück, es geschah nur mir allein" ist eine sehr schwer zu (er)tragende Last, zweifellos. Zu schwer für manche, so dass sie der Versuchung nicht widerstehen, das Leiden in Tun zu verwandeln im Sinne von Freisetzung aggressiver Energie mit Anderen und gegen Andere, die sich gegen die Ursache des Leidens richtet.

    Wird diese Leere dadurch gefüllt, dass man die Rolle des Regiesseurs und ihren Wandel nachvollzieht? Das Wissen um die Akademisierung der Theaterpraxis, die angehende Regiesseure zur Auseinandersetzung mit den o.g. Themen und vielen anderen regelrecht zwingt?
    Nein. Es interessiert nicht. Man trauert. Die Todesursache ist hier weniger gewichtig als die Tatsache, dass etwas tot ist. Jede Erläuterung geht automatisch daran vorbei, denn es wird gar keine Erläuterung verlangt. Sondern, dass das was stört und ärgert wieder das wird, was glücklich machte und bereicherte.
    Was interessiert da die Rolle eines Dramaturgen? Das Verhältnis zwischen Regie und Bühnenbild?
    Das Warum ist egal, weil das Dass als so schrecklich empfunden wird. Denn die Oper verweigert einem nicht nur das ästhetische Bedürfnis – sie gibt einem (aus eigener Sicht, so lese ich das) sogar das Gegenteil! Hässliches wo man Schönes sucht usw.
    Was zählt da warum?

    Auch richtig beschrieben. Nur wenn man kein Verständnis mehr aufbringen kann und will für all das, weil das Leiden keinen Aufschub duldet, ist das auch nicht ungefährlich. Leiden, was nicht mehr ertragen wird, kann auch zu Gewalt führen. Das kennen wir aus der Geschichte.

    Aber man darf trotzdem trauern und leiden, oder?

    Darf man. Nur bleibt es leider nicht bei der Trauer. Da liegt das Problem.

    Aber die Generation der Regiesseure veränder sich auch. Es ist mMn keine Provokation, kein Schock (mehr) gefragt. Wen soll man denn noch provozieren? Womit? Das schliesst natürlich nicht aus, dass je nach Persönlichkeit man eine Sache als reinen Schock empfindet und der Tabubruch (den ich zB. gar nicht sehen würde) so stark ist, dass gar kein Platz für die Frage nach dem Warum mehr bleibt. Aber die Provokationen sind in der Tat heute eher Mittel zum Zweck. Wenn man den Zweck nicht sieht, ok. Aber heute als Regiesseur mit dem Konzept anzutreten: „Wir provozieren! Das ist alles!“ kann man vergessen. Da ist das intellektuelle Selbstbewusstsein der Leute schon ein wenig grösser um solche Spielchen zu treiben. Abgesehen davon, dass ein Publikum fehlt, dass sich provozieren lässt.

    Auch völlig richtig. Schon in den 30iger Jahren war das klar.

    Auch die Nichtverächter des RT führen eine Diskussion, die vor 50 Jahren in den Kantinen der Theater geführt wurde. Betrachtet die Gegenauffassung nicht als Bedrohung – sie ist Trauer, Verarbeitung und Leiden. Sie will vielleicht keine Antworten. Vielleicht will sie einfach nur da sein, und hier hat sie einen Platz dafür.
    Wenn Ihr es auf intellektuelle Ebene nicht ernst nehmt, dann vielleicht auf emotionaler? Kann man das nicht respektieren – das Verlustgefühl eines anderen, dass man selbst nicht teilt? Emotion!
    Es ist verloren. Es ist wirklich verloren.

    Trauer ist keine Bedrohung. Richtig. Und Verlustgefühle kann und soll man akzeptieren und nicht "werten" wollen. Völlig richtig. Das nicht zu tun, wäre inhuman. Nur nicht die Kompensation, wo dann Passivität in Aktivität in Form von aggressiver Gewalt umschlägt - und sei diese nur verbal. Das ist eindeutig nicht die richtige Form von Trauerarbeit. Wenn das aber passiert, dann verschwindet als Folge auch die Mitleidbereitschaft der Anderen. So ist das nun mal.

    Deswegen redet man immer und grundsätzlich und ausschliesslich aneinder so sehr vorbei, dass einen die Argumente der anderen Seite eigentlich nicht wirklich interessieren weil man an der Quelle dieser Argumente, den versch. Bedürfnissen, kein eigenes Interesse hat.

    Man kann sich leisten, nur die eigenen Bedürfnisse für maßgeblich zu halten, solange man nicht auf andere Bedürfnisse trifft. Genau dann muss man sich nämlich mäßigen. Dazu sollten Argumente eigentlich dienen - tun sie aber leider nicht, wie die Erfahrung zeigt.

    Wir sind wie ein Haufen Protestanten und Katholiken in einem zutiefst atheistischen Land und streiten über die Ästhetik der Kircheninnenräume. Während um uns herum doch eher die Frage gestellt wird: brauchen wir Kirchen? Uns eint mehr als uns trennt, und im Zweifel stehen wir eh zusammen. Machen wir das uns doch nicht schwieriger...

    Auch richtig. Die wirklichen Kulturbanausen freuen sich darüber schadenfroh - zum Schaden von allen streitlustigen Klassik- und Opernliebhabern, die sich nur den Ast absägen, auf dem sie selber alle sitzen.

    Die Idee, dass das was man heute unter RT versteht von jetzt an für ewig der Massstab ist, würde wohl von den reflektierteren Regiesseuren nicht mal geteilt. Gerade die Aufwertung des Regiesseurs als Intepret und Künstler bringt eine Individualisierung mit sich, in der Abgrenzung und eine eigene Stimme aus meiner Sicht automatisch dazu führen werden, dass es eine grössere Vielfalt an Inszenierungen geben wird, und da wird auch wieder Platz sein für ganz unironische „Werktreue“ (ohne den Begriff näher zu hinterfragen, da inzwischen jeder die dazu hier ausgetauschten Argumente kennt).

    Sehr schön!

    Aber: das RT anzugreifen ist Illusion. Es ist nicht angreifbar. Die Revolutionäre treten langsam schon als Lehrer ab, die Sache ist durch – das Selbstverständnis der Regiesseure, Dramaturgen usw. als Künstler ist unumkehrbar für die absehbare Zeit. Aber gerade dieser Rahmen wird ermöglichen, dass sich Kunstschaffende bewusst für einen Stil entscheiden, der „unmodern“ ist. Es wird gerade über das laufen, was manche als Teil des gegenwärtigen Problems sehen: Das Selbstbild des Regiesseurs als Künstler und seinem Verhältnis zum Werk.

    Treffend analysiert!

    Die RT-Gegner müssen denken, die gegenwärtigen Zustände wären absolut usw. Aber das ist wirklich ein Missverständnis, denke ich. Gerade die Freiheit und das Relative sind die Chance, dass ein Team sich sagen kann: wir machen das 1:1, wir treten hinter den Text zurück, wir stellen dar und sehn mal was passiert.
    Aber was nicht kommen wird ist: „wir machen es wie früher, da war es schön“. Im Ergebnis mag es dann mal so sein, aber das nicht der Weg. Mit so einer Einstellung würde es schwierig überhaupt das Auswahlverfahren für einen Studienplatz zu überstehen. Aus der Weite wird auch das Alte kommen, denn es hat seinen Platz.

    :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Lucas,


    vielen herzlichen Dank für Deinen Beitrag. Er hat auch gar nichts, überhaupt nichts mit den Intentionen eines "Neulings" zu tun, es ist einfach ein kluger, neutraler, ja auf Vermittlung durch gegenseitiges Verständnis ausgehender Versuch. Leider glaube ich nicht an einen Erfolg. Ich halte ihn dennoch für einen der besten Beiträge zum RT, der in den letzten Jahren hier geschrieben wurde. Du hast versucht, genau das zu beschreiben, was RT-Befürworter und RT-Gegner beim Besuch einer Theateraufführung erwarten könnten und von welcher Voraussetzung jeder der beiden Parteien ins Theater geht.


    Als RT-Gegner kann ich Dir sagen, daß mich die Castorf-Inszenierung des Ring und sein Verhalten danach zutiefst empört haben, Du hast Gründe dafür angegeben. Andererseits halte ich die Chemnitzer Ring-Inszenierung aus den 90-ern für eine der besten, die ich je gesehen habe (jeden Teil bis zu 3x). Und da ist keine Walküre mit Flügelhelm rumgerannt, keine Pferde waren auf der Bühne, die Riesen waren symbolische Baugeräte - und es hat mich begeistert, weil ich das Original erkannt habe. Moderate Abweichungen von den Regieanweisungen kann ich jederzeit akzeptieren, aber keine Affen im Rigoletto. Und eigentlich geht der Streit hier im Tamino nur um solche gravierenden Umsetzungen auf der Bühne. Auch Gerhard hat schon mehrfach betont, moderaten Modernisierungen nicht abgeneigt zu sein.


    Was uns immer wieder auf die Palme treibt, das sind die Voraussetzungen, die RT-Befürworter zur Grundlage nehmen. Für mich und viele andere sind in der Oper wichtig die Musik, der Gesang, das Orchester und auch keine sinn- und textentstellenden Aufführung, in denen Raum und Zeit verschoben werden.


    Die andere Seite geht mit theoretischen Vorstellungen in die Oper. Sie mögen sicher auch die Musik, aber ohne belehrende Darstellung ist das für sie ein verlorener Theaterabend. Sie sprechen von usealen Aufführungen ohne Erkenntnisgewinn.


    Du brauchst nur den Beitrag Nr 6 zu lesen, und Du wirst wissen, was ich meine.


    Aber Du hast in einem Punkt völlig recht, wir alle lieben die Musik. Ich liebe die Musik nur mehr als die Gewinnung neuer Erkenntnisse. Neue Erkenntnisse bringen mir Dokumentationen, z.B. auf Phoenix oder arte. In der Oper brauche ich sie nicht, und das ist der Grund, warum beide Seiten sich nicht verstehen können oder sogar wollen.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber Lucas, auch ich habe Deinen Beitrag mit großem Interesse und mit großer Sympathie gelesen. Seit langem bist Du der erste, der etwas Neues zu dieser Debatte beigetragen hat.


    Was interessiert angesichts des Verlustes von etwas, was einem ein wichtiges, persönliches und emotionales Bedürfnis befriedigte, warum es so ist? Man trauert. Man will es anders als es ist. Man kann es nicht ändern. Es tut weh.


    Ich kann zB. nicht nachfühlen (es ist vielleicht das bessere Wort als "verstehen"), wie man von einem Bühnenbild, einem Kostüm dermassen stark negativ beeindruckt wird, dass die Leistung der Sänger usw. kein Genuss mehr bringt.
    Kann ich nicht nachfühlen. Aber - es muss schrecklich sein. Man liest es aus der Empörung, der Emotionalität, der Verallgemeinerung, Übertreibung doch heraus: hier wird gelitten. Das ist authentisch.
    Hier sind Musikfreunde, deren Zugang zu einem echten Lebenskraftwerk versperrt ist. Die darunter leiden!


    Ich verstehe das. Wirklich. Ich würde auch leiden, wenn ich Opern nur noch in der von den Traditionalisten geliebten Form auf der Bühne sehen könnte. Wenn ich in jedem "Freischütz" Wolfsschlucht und Jungfernkränze ertragen müsste, wenn Wotan nur noch mit Flügelhelm den prangenden Bau der Götterburg besingen würde und jede "Rusalka" in einem Märchenland spielen würde. Ich würde frustriert und gelangweilt aus der Oper kommen und nach einigen derartigen Erlebnissen die Opernhäuser meiden und mich stattdessen an meinen DVDs und Blu-rays mit Inszenierungen von Bieito, Kušej und Sellars erfreuen. Und vielleicht würde ich mir auch ein Forum mit Gleichgesinnten suchen und gemeinsam den schönen alten Zeiten nachtrauern. Aber ich würde bestimmt nicht Regisseure beschimpfen, als hirnkrank verunglimpfen und ihnen unterstellen, vorsätzlich die Oper zerstören zu wollen. Ich würde auch nicht Opernfreunden, die den von mir ungeliebten Aufführungsstil mögen, das Recht absprechen, ein echtes Interesse an Oper zu haben, es für unmöglich erklären, dass sie die Oper wirklich lieben können. Und ich würde mich auch nicht einem argumentativen Austausch mit Andersdenkenden verweigern. Da hört mein Verständnis dann auf.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Bertarido,
    Jetzt aber drehst du die Verhältnisse auf den Kopf. Ich verstehe (mit Mühe!), warum Du nicht gewillt bist, die Vorgabe der Librettisten und Komponisten für sakrosankt zu erklären. Aber, bitte,warum gehst du dann überhaupt in die Oper? Warum schaust du dir dann nicht stattdessen ein Werk aus der Jetztzeit, das den Anforderungen der Schöpfer entspricht an (Phantome of the opera etc.)?

  • Mir ist bewußt, dass ich unter den wenigen Verteidigern dieser Entstellungen der meistgehasste Gegner bin, weil ich mich nicht bemühe, das mit hochtheoretischen Worten zu umschreiben, sondern die Wahrheit klar ausspreche, wie ich sie auch von vielen Opernbesuchern höre.

    Was uns immer wieder auf die Palme treibt, das sind die Voraussetzungen, die RT-Befürworter zur Grundlage nehmen. Für mich und viele andere sind in der Oper wichtig die Musik, der Gesang, das Orchester und auch keine sinn- und textentstellenden Aufführung, in denen Raum und Zeit verschoben werden.

    Ich verstehe das. Wirklich. Ich würde auch leiden, wenn ich Opern nur noch in der von den Traditionalisten geliebten Form auf der Bühne sehen könnte. Wenn ich in jedem "Freischütz" Wolfsschlucht und Jungfernkränze ertragen müsste, wenn Wotan nur noch mit Flügelhelm den prangenden Bau der Götterburg besingen würde und jede "Rusalka" in einem Märchenland spielen würde. Ich würde frustriert und gelangweilt aus der Oper kommen und nach einigen derartigen Erlebnissen die Opernhäuser meiden und mich stattdessen an meinen DVDs und Blu-rays mit Inszenierungen von Bieito, Kušej und Sellars erfreuen. Und vielleicht würde ich mir auch ein Forum mit Gleichgesinnten suchen und gemeinsam den schönen alten Zeiten nachtrauern. Aber ich würde bestimmt nicht Regisseure beschimpfen, als hirnkrank verunglimpfen und ihnen unterstellen, vorsätzlich die Oper zerstören zu wollen. Ich würde auch nicht Opernfreunden, die den von mir ungeliebten Aufführungsstil mögen, das Recht absprechen, ein echtes Interesse an Oper zu haben, es für unmöglich erklären, dass sie die Oper wirklich lieben können. Und ich würde mich auch nicht einem argumentativen Austausch mit Andersdenkenden verweigern. Da hört mein Verständnis dann auf.

    Und ich ergänze, lieber Bertarido, worunter ich leide! Es leidet nämlich mein philosophischer Eros, der um Wahrheit und Gerechtigkeit bemüht ist. "Ich leide, also bin ich wahr" liest man aus den oben zitierten Beiträgen. Mir scheint hier doch sehr der "Schmerz als Tröster" zu fungieren, nämlich: Ich leide zwar darunter, dass ich nicht mehr auf der Bühne sehen kann, was ich mir wünsche, aber ich lebe wenigstens in der Wahrheit, und das spendet mir Trost und Genugtuung. Was mich in meinem unendlichen Schmerz tröstet, ist zu wissen, dass RT keinen Sinn hat.


    Nur ist das Leiden nur weil es Leiden ist leider keine Quelle von Evidenz. Wenn man darunter leidet, keinen "Sinn" zu erkennen, weil Ort und Zeit der Handlung verschoben sind, dann ist der Grund dafür lediglich, dass man keinen Sinn darin erkennt. Genauso moralisch, wie das gekränkte Leiden argumentiert, kann man deshalb leider auch gegen das gekränkte Leiden argumentieren. Das spezielle Leiden entsteht hier überhaupt nur, weil man sich der Erkenntnis verweigert, dass die Verschiebung von Ort und Zeit der Handlung Sinn nicht im allergeringsten zerstört. Ist das aber leider die Wahrheit, dann ist der Leidende für sein Leiden letztlich selbst verantwortlich - der Grund des Leidens ist dann nämlich die Weigerung, sich um ein Sinnverständnis zu bemühen. Der leidende RT-Gegner ist so schließlich genauso bemitleidenswert wie der Betrunkene, der auf die Nase fällt und deshalb Schmerzen hat. Er hätte eben nicht trinken sollen, dann würde er auch nicht leiden. Für sein Leiden ist also nicht RT verantwortlich zu machen, sondern der RT-Gegner ist letztlich dafür ganz allein selbst verantwortlich. Was mich auf die Palme treibt, ist genau diese Selbstgerechtigkeit von RT-Gegnern: "Ich leide so unendlich, also habe ich (haben "wir") Recht!"


    Tut mir leid, es gibt keine weinerliche Wahrheit, die mehr Wahrheit zu sein beanspruchen darf als eine, die nicht weint.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Lieber Lucas K, auch ich möchte mich für deinen Beitrag bedanken, weil er sachlich ist in jedem Satz. Darum habe ich ihn auch zweimal gelesen.


    Über einiges kann man allerdings trefflich diskutieren.

    Eine zum Thema (ob ein Konzept aufgeht geht oder nicht entscheide ich für mich nachdem ich die Inszenierung gesehen habe – und manchmal ändere ich meine Meinung im Nachhinein, ich definiert mich nicht darüber)
    und eine zur Diskussion über das Thema.

    Hier sind wir völlig d'accord. Eine seriöse Diskussion über Bühnenkunst kann man nur führen, wenn man eine Inszenierung gesehen hat. Die von vielen hier und woanders ins Spiel gebrachten "aussagekräftigen Farbfotos" geben nur einen vagen Eindruck bezüglich der Stilistik der Ausstattung. Und auch da finde ich sie sehr trügerisch - ein gutes Bühnenbild zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass in ihm gut Theater gespielt werden kann und nicht dadurch, dass es auf Fotos gut aussieht.


    Zitat

    Gerade wenn man das sog. "Regietheater" auf intellektueller Ebene verteidigt kann man doch auch vielleicht daran denken, dass die Bedürfnisse ganz offensichtlich verschieden sind. Nicht besser oder schlechter; intellektueller oder emotionaler; höher oder tiefer - sondern einfach verschieden.

    Auch diese Aussage kann ich voll und ganz unterschreiben. Jeder hat seine ganz individuelle Sicht auf das, was er von einem Opernabend erwartet und jeder hat das Recht, seine Ansicht dazu zu vertreten. Es gibt keine Wahrheit, sondern jeder hat seine individuelle Meinung.


    Zitat

    Im Gegensatz, so denke ich, zu 99% aller anderen Themen wo die Neugier auf die Position des anderen mir grösser scheint und auch dieBereitschaft sich durch neue Perspektiven bereichern zu lassen.

    Hier möchte ich dir zum ersten Mal widersprechen. Ich habe in den letzten Tagen, auch, weil ich hier neu bin, mich mal die Sänger-Threads durchgearbeitet. Da ist manchmal der Fundamentalismus fast größer als in jeder Regietheater-Debatte. Auch in der aktuellen Diskussion über Sänger-Eindrücke der Jubilare gibt es Positionen, die völlig unverrückbar sind und zum Teil schon seit Jahrzehnten bestehen. Die Bereitschaft, sie nach Jahrzehnten einer Überprüfung zu unterziehen, ist in einigen Fällen gleich null.


    Zitat

    Laienmeinung zählt dort in etwa soviel wie auf einem Mathematikerkongress (was man nicht unbedingt seinem Publikum sagt), aber das ist eigener Eindruck und nicht mehr – die Zuschauer bleiben jedenfalls nicht weg, wenn Wagner oder Mozart läuft ist die Hütte voll. Bei Henze vielleicht nicht ganz so. Egal wie inszeniert wird.

    Da wäre ich mir nicht so sicher: Jede Presseabteilung berücksichtigt heutzutage auch solche Presse-Erzeugnisse, die von Laien betriebenen Seiten (Opernfreund, Opernnetz oder ähnliches) stammen, von Liebhaberzeitschriften wie dem "Merker" mal ganz abgesehen. Auch in den meisten Tageszeitungen, die nicht in den Großstädten ansässig sind, schreiben Laien, also keine professionellen Jounalisten die Opernkritiken. Wenn da mal drei schlechte hintereinander geschrieben werden, ist die Stimmung bei jeder Operndirektion im Keller, das kannst du mir glauben.


    Zitat

    Die derzeit herrschende Bühnenpraxis ist mMn tatsächlich ohne Kenntnisse von Dramentheorien, der Entwicklung des Sprechtheaters seit der Wende zum 20. Jahrhundert hin, ohne Kleist, Brecht, meinetwegen W. Benjamin usw. kaum zu verstehen.

    Da denke ich, dass das etwas zu absolut formuliert ist. Es gibt und gab immer Bühnenlösungen mit mehr und welche mit weniger Querverweisen zu anderen Künsten, zur Literatur etc. Ich habe gerade an der Komischen Oper Berlin eine aus meine Sicht sehr überzeugende Inszenierung von "Pelléas und Melisande" von Barrie Kosky gesehen, die so puristisch in ihren Mitteln war, das wirklich jeder, der ohne jede Kenntnis hineingegangen ist, den Abend verstehen konnte. Und das, obwohl es beileibe kein einfaches Stück ist. Man muss nichts über Theatertheorie, Maeterlinck, Debussy oder Symbolismus wissen. Wenn man sich auf das, die Darsteller anbieten, einlässt, hat jeder einen packenden Abend. Auch der, der nichts über die Hintergründe des Werkes weiß.


    Zitat

    Abgesehn vielleicht, dass die Naturalisten vielleicht einen echten Drachen anbrächten, da wär ich natürlich schon drauf gespannt. Es wäre zweifelslos werkgetreu.

    Hier liegt meiner Ansicht nach ein Missverständnis bezüglich der Begrifflichkeit vor. Das eigentliche Werk im Theater , insbesondere in der Oper ist die Aufführung, sie kommt zustande auf der Grundlage verschiedener anderer Werke, wie u.a. dem Text, der Musik, der Inszenierung, der Ausstattung etc. Daher könnte man vielleicht höchstens von "Libretto-Treue" sprechen, was ich auch für sehr unglücklich halte, weil es in einer ästhetischen Debatte nichts bringt, wenn ästhetische Begriffe wie "Werk" oder "Libretto" mit einem ethischen Begriff wie "Treue" verknüpft werden. Aber das ist ein weites Feld.



    Zitat

    Wenn seine Frau nach dem Aufwachen aus einem Koma auf einmal eine total andere, fast entgegen gesetzte Persönlichkeit hat – dann kann der Gatte darunter leiden. Das darf er.

    Diesen Vergleich finde ich etwas geschmacklos. Der Verlust eines geliebten Menschen ist für jeden, der ihn erfahren muss, ein derartiger Einschnitt, dass man ihn nicht mit Problemen bezüglich Opernaufführungen, die einem nicht gefallen, in einen Topf werfen sollte.


    Zitat

    Da steckt mehr drin, da steckt soviel drin dass man als Regiesseur entscheiden muss, was man betont, was man weniger betont usw. Entscheiden... der Regiesseur wird meiner Ansicht nach von Wagners Werk zuEntscheidungen gezwungen - und da sind wir mitten im künstlerischen Prozess schon drin, den eben manche von einer Regie gar nicht erwarten. Aber dafür haben sie andere Erwartungen. Und nicht jedes Libretto bringt solche Aufgaben in dieser Dringlichkeit mit sich...

    Auch ein Regisseur, der den "Ring" völlig naturalistisch auf die Bühne bringt, ist auf einer szenischen Probe permanent zu künstlerischen Entscheidungen gezwungen: Auch, wenn er dem Darsteller des Wotan sagt: Du setzt dich jetzt 20 Minuten auf den Stein und bewegst dich nicht, während du deine große Erzählung singst, ist das eine künstlerische Entscheidung.


    Zitat

    Man liest es aus der Empörung, der Emotionalität, der Verallgemeinerung, Übertreibung doch heraus: hier wird gelitten. Das ist authentisch.

    Von der Empörung auf die Authentizität oder gar die Berechtigung eines Anliegens zu schleißen, ist für mich ein sehr problematischer Vorgang. Es liest sich in etwa so, wie das alte Sprichwort "Wo Rauch ist, ist auch Feuer". Nicht der, der sich am lautesten beschwert hat Recht. Auch wenn man hier nicht politisieren soll, kommt mir dabei in den Sinn, dass sich gerade in Deutschland sehr viele Leute über eine Gruppe Menschen empören, die nach Deutschland gekommen sind. Am lautesten empören sich übrigens Leute in denjenigen Regionen unseres Landes, wo am wenigsten von diesen Menschen hingekommen sind.


    Zitat

    Aber über eine autoritäre Bewegung, über Staat oder „die Gesellschaft“ usw. wird das nicht kommten. Nur durch das schaffende Individuum als Ausdruck seines künstlerischen Empfindens. Das werden sich die Opern/Theaterschaffenden nie wieder weg nehmen lassen. Es wäre ein Wunder, wenn die Souveräntität und gerade die künstlerische Freiheit nicht Platz liessen für Ansätze, die konventioneller aussehen. Aber es nicht sind, sondern Ergebnis individueller Verwirklichung.

    Hier bin ich völlig bei dir.



    Habe ganz herzlichen Dank für diese interessanten Denkanstöße!

  • Warum schaust du dir dann nicht stattdessen ein Werk aus der Jetztzeit, das den Anforderungen der Schöpfer entspricht an (Phantome of the opera etc.)?

    Vielleicht, weil das Werk für ihn die Aufführung ist - und die ist immer "Jetztzeit", egal, von wann (Gegenwart oder Vergangenheit) das Aufgeführte ist. ;)

  • .... hier sagt genau das der Theaterfachmann!

    Hier liegt meiner Ansicht nach ein Missverständnis bezüglich der Begrifflichkeit vor. Das eigentliche Werk im Theater , insbesondere in der Oper ist die Aufführung, sie kommt zustande auf der Grundlage verschiedener anderer Werke, wie u.a. dem Text, der Musik, der Inszenierung, der Ausstattung etc. Daher könnte man vielleicht höchstens von "Libretto-Treue" sprechen, was ich auch für sehr unglücklich halte, weil es in einer ästhetischen Debatte nichts bringt, wenn ästhetische Begriffe wie "Werk" oder "Libretto" mit einem ethischen Begriff wie "Treue" verknüpft werden. Aber das ist ein weites Feld.

    Dazu könnte ich jetzt einiges sagen, lieber Melomane, tue es aber nicht. Der Begriff "Werktreue" ist nicht besonders glücklich, das ist gewiss. Und auf dem Theater ist der Werkbegriff sowieso hoch problematisch. :hello:

  • Ich glaube ja, dass die Vermittlung scheitern wird, weil sie schon gescheitert ist. Es gibt hier ein paar Leute, die so in der Mitte sind und bei jedem Stück ad hoc entscheiden. Rodolfo gehört z.B. dazu. Bei mir ist der Widerwille nicht das theoretische Konzept des Regisseurs (außer, man muss das im Programmheft nachlesen), sondern die ekligen Umsetzungen. Ich will auf der Bühne einfach keine fetten Nackten oder 20 Leute auf 20 Klos sehen oder (es gibt ein Bild) wie Tristan der Isolde zwischen die Beine fasst.
    Fazit: wir, die wir so denken, werden hier komplett ignoriert. Da denke ich, dass es nicht um die Sache, sondern um den Kampf geht. Und da kann man uns "mittlere Positionen" einfach nicht gebrauchen.

    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Wir Gegner des Regisseurstheaters verlangen auch garnicht, dass alles wieder so wird wie früher. Aber wir erwarten, dass die Handlung des Werks respektiert wird, auch wenn sie mit den Mitteln der modernen Bühnentechnik dargestellt wird... Maßstabgebende moderne Inszenierungen, die ich hier z.B. schon mehrfach erwähnt habe, waren für mich z.B. Inszenierungen von Harry Kupfer, von dem ich die Inszenierung aus Bayreuth vom Fliegenden Holländer besitze, in der er die Oper als Phantasiegebilde der Senta deutet, dabei aber die im Libretto vorgegebene Handlung vollständig und mit packenden Bildern erzählt und z.B. zum Spinnerlied auch Spinnräder und keine Ventilatoren, Waschmaschinen oder Schreibmaschinen und aktentragende Büroangestellte einsetzt. Ebenso habe ich hier auch die Inszenierung von "Tristan und Isolde" von Patrice Chereau in der Mailänder Scala, mit zeitlosen Kostümen und sparsamer Kulisse, aus der man aber die drei Handlungorte erkennen konnte schon mehrfach erwähnt.

    Das wundert mich jetzt aber sehr: Ich hatte dich so verstanden, dass du von einer Regie erwartest, dass sie die Handlung des Stückes, so wie sie Komponist und Librettist geschrieben hat, wiedergibt und keine Veränderungen an ihr vornimmt.
    Harry Kupfer hat in seiner - wie ich finde sehr gelungenen - Inszenierung des "Fliegenden Holländers" in Bayreuth 1978 allerdings sehr gravierend in die Handlung eingegriffen. Ich nenne mal die drei aus meiner Sicht wichtigsten Punkte:
    1. Senta ist während des ganzen ersten Aktes auf der Bühne - davon steht im Stück gar nichts. In jeder Szene hat Wagner sehr genau beschrieben, wer auf der Bühne zu sein hat und wer nicht. Da ist Senta den ganzen ersten Akt nicht dabei.
    2. Daland bringt im zweiten Akt nicht den Holländer zu Senta, sondern einen anderen Fremden. In der Partitur heißt es hingegen: "Die Türe geht auf, der Holländer und Daland zeigen sich."
    3. Ein sehr großer Eingriff in die Handlung ist der Schluss dieser Inszenierung. Hier heißt es im Stück, nachdem Senta in die See gesprungen ist, in der Regieanweisung: "Im Glührot der aufgehenden Sonne sieht man über den Trümmern des Schiffes die verklärten Gestalten Sentas und des Holländers sich umschlungen haltend dem Meere entsteigen und aufwärtsschweben." Bei Kupfer springt Senta aus dem Fenster und tötet sich. Im gleichen Moment verschwindet der Holländer, der nur eine Phantasie von ihr war. Erik bleibt mit der Leiche allein zurück. Von gemeinsamer Erlösung mit dem Holländer ist nichts zu sehen.


    Kupfer hat sich dem Werk mit seinen Mitteln genährt. Er, der aus einer Tradition des realistischen Musiktheaters kommt, hat gravierende Änderungen an der Handlung vorgenommen, aber dabei einen in sich stimmigen, packenden, für seine Theatersprache passenden Theaterabend kreiert. Viele Leute, die solche Eingriffe in die Handlung nicht schätzen, nennen das, was Kupfer gemacht hat, übrigens "Regietheater".


    Auch dein Lob für Chéreau und seine "Tristan"-Inszenierung überrascht mich. Ich dachte immer, dir wäre es wichtig, dass ein Werk in der vom Komponisten beabsichtigen Zeit spielt.


    Auch, dass du die Kostüme in dieser Inszenierung "zeitlos" nennst, wundert mich. Ian Storey trägt auf diesem Foto einen Mantel und eine Hose, die beide klar aus dem 20. Jahrhundert stammen. Weder Schnitt noch Material der Hose gab es im 19. Jahrhundert, geschweige denn im Mittelalter. Wagners Handlung spielt aber im Mittelalter. Chéreau hat sie jedoch ins 20. Jahrhundert verlegt. Auch das ist für viele Traditionalisten ein Kennzeichen des so genannten "Regietheaters".


    Zitat

    Mir ist bewußt, dass ich unter den wenigen Verteidigern dieser Entstellungen der meistgehasste Gegner bin, weil ich mich nicht bemühe, das mit hochtheoretischen Worten zu umschreiben, sondern die Wahrheit klar ausspreche, wie ich sie auch von vielen Opernbesuchern höre.

    Ich kann nur für mich sprechen, aber ich hasse dich ausdrücklich nicht. Wenn ich etwas angreife, dann ist es deine Argumentation, aber nicht dich als Person. Von Hass kann überhaupt keine Rede sein. Ich bin allerdings auch nicht der Meinung, dass du die Wahrheit verkündest, sondern deine Meinung in Bezug auf Operninszenierungen. (Bei Gefallen und Nicht-Gefallen gibt es aus meiner Sicht keine Wahrheit.)


    Zitat

    Bezeichnend ist für mich auch die Antwort einer Referentin in einer Einführungsveranstaltung zum "Fliegenden Holländer" in einem ohne hin schon weit unterbesetzten Opernhaus, warum man das Stück ohne Pause inszeniere: "Weil uns sonst in der Pause die Leute laufen gehen"

    Diese Antwort, die du da erhalten hast, ist aus meiner Sicht nicht bezeichnend, sondern ziemlich unbedarft. Sie hätte dir sehr gut antworten können, dass Wagner das Stück ursprünglich für Paris als Einakter konzipiert hat. Dass der "Holländer" im 19. Jahrhundert aus bühnenpraktischen Gründen zwar immer mit Pause gespielt wurde, in Bayreuth jedoch seit der dortigen Erstaufführung 1901 ohne. Auch die von dir geschätzte Holländer-Inszenierung von Harry Kupfer hatte keine Pause. Heute ist es fast überall üblich, den "Fliegenden Holländer" ohne Pause zu spielen.

  • Ich will auf der Bühne einfach keine fetten Nackten oder 20 Leute auf 20 Klos sehen oder (es gibt ein Bild) wie Tristan der Isolde zwischen die Beine fasst.
    Fazit: wir, die wir so denken, werden hier komplett ignoriert. Da denke ich, dass es nicht um die Sache, sondern um den Kampf geht. Und da kann man uns "mittlere Positionen" einfach nicht gebrauchen.

    Sehr dramatisch ausgedrückt. Aber nichts anderes hat die Renaissance mit dem Mittelalter gemacht, indem sie in der prüden und verklemmten Christenwelt die antike Freude an der Nacktheit wieder bildfähig machte. Wann in der Geschichte der Kunst hat sich denn Kunst von Tabus, die Rezipienten für unübertretbar halten, abhalten lassen zu tun, was sie tun will? Für die Künstler der Renaissance war die Antike maßgeblich, also die Kunst von Menschen, die längst tot waren. Wegen dieser wurden die Vorbehalte der Lebenden ignoriert - auf dass sie wieder lernen so zu sein wie die Toten.

  • Der Beitrag war sehr ausgewogen, aber er hat natürlich auch Schwächen. Irgendwie zielt er - sprachlich glänzend unterstützt - darauf ab. daß sich die RT-Gegner trauernd ins Unvermeidliche fügen sollen und daß der Lauf der "Geschichte" irreversibel ist.
    Und das ist hier keineswegs der Fall. Schon die Idee. daß die "Regisseure" dank ihrer Ausbildung gar nicht mehr konservativ inszenieren "können" halte ich für in verschiedener Hinsicht für eine falsche Argumentation, die vor allem von der derzeit überschätzten Wichtigkeit eines Regisseurs bei der Oper ausgeht.
    Denn jedermann mit einigermaßen Talent zum Theater kann das ohne jegliche Ausbildung vollbringen, in Ausnahmefällen sogar in der Güte eines Zeffirelli, Hampe, Schenk oder Pizzi, wenn das Telent und der Geschmack vorhanden ist. Aber die sind ja auch in der professionellen Szene Ausnahmeerscheinungen.


    Daß man gesellschaftliche Enwicklungen (wenn man das so bezeichnen will) sehr wohl rückgängig machen kann wird uns vernutlich demnächst die Zukunft zeigen. abr auch in der Geschichte gib es zahlreiche Beispiele, siehe Sichwort Resatauration. Charles II setzte die Geschichte der Stuarts in England fort, nachdem Oliver Cromell gestorben war und sich dessen Sohn Richard als regierungsunfähig und -willig erwiesen hatte.
    Wikipedia schreibt an diese Stelle sei platisch was "trauernde" imstande sind, wenn sie er mal die Glegenheit ergibt.


    Zitat

    Das Parlament verlieh danach 1660 Karl II. die Königswürde. 1661 wurde der Leichnam Oliver Cromwells zusammen mit denen Henry Iretons und John Bradshaws aus Westminster Abbey exhumiert und einer postumen symbolischen Hinrichtung als Königsmörder zugeführt. Die Köpfe der drei wurden auf Stangen gegenüber von Westminster Hall zur öffentlichen Abschreckung ausgestellt.


    Ähnliches in Frankreich wo nach der Französischen Revolution und der Enthauptung ihrer Anführer Luwig XVIII eingesetzt wurde, Ludwig der XVII wurde auf Wunsch der Monarchisten ausgelassen., da der Kronprinz Louis Charles de Bourbon im Alter von 10 Jahren im Gefängnis starb


    Auch der berühmte österreichische Staatsmann Fürst Klemens Wenzel Lothar von Metternich betrieb eine Politik der Restauration, wobei er sich icht als besonders zimperlich zeigte.


    Hier nun MEINE persönliche und natürlich SUBJEKTIVE Einschätzung der momentanen Situation, wobei ich mich bemühe mein persönlichen Wünsche so gut es halt geht auszuklammern.


    Das Regietheater - als Alternative zum Bürgerlichen Theater ent stand vor einigen Jahrzehnten, anfangs teilweise unbemerkt, teilweise nicht ernst genommen und verlacht, teilweise ausgepfiffen. Die Proteste dagegen hatte eher PR Wirkung. Aber am schädlichesrn war eine gewisse Fehleinschätzun durch das Establishmnent, welches meinte, do etwas sei so abstrus, daß man es nicht ernst nehmen müsse - Eine veritable Fehleinschätung, die RT überhaupt erst möglich machte.


    Heute ist es genau umgekehrt. Die Anhänger des RT meinen so fest im Sattel zu sitzen, daß sie meinen, sich über ihrer Gegner lustig machen zu können, der Zug sei abgefahren, Nur wenige erkennen die tönernen Füße auf dnen sich ihre Welt befindet. Denn die Trauer und Resignatin ist inzwischen in etwas umgeschalgen, das man als Haß auslegen kann, jedenfalls ist der Widerstand so groß wie nie. Man fragt sich dann sieso sich das RT Lager so siegessicher gebärdet ? Eben darum !!
    Ein letztes Aufbäumen (das kann nich 2 bis 5 Jahre dauern - kann aber über Nacht kommen), so wie viele dem Brexit, Trump, Ungarn, Polen, Katalonien, Griechenland, AfD und dem rausfliegen der Grünen aus dem österreichischen Parlament fassungslos gegenübestehen.


    Ich glaube, wir befinden uns auf dem Weg in eine erzkonsevative Weltordnung, wo auch Zensur kein Unwort mehr sein dürfte.


    Das URPROBLEM dürfte folgendes sein:
    Man hat den Konsevativen etwas weggenommem was eren Ureigenstes Eigentunm war
    alles schien gelaufen
    nun hat sich der Wind gedreht
    und die einstigen Besitzer fordern ihr Eigentum zurück
    da gibt es keine Kompromisse, kein Entgegenkommen
    sondern nur ein
    ALLES oder NICHTS


    -----------------------------------------------------------------------------------------------------
    Zu den "schrecklichen" RT Threads möchte ich als Forenbetreiber zweierlei sagen:


    1) Ich hole sie gern hervor, wenn im Forum Ebbe ist. Aber das ist derzeit nicht der Fall, wir hätten sie momentan nicht gebraucht


    2) Ich habe des öfteren angeboten, daß Mitglieder diesen Forentei AUSBLENDEN können, aber das ist nicht gewünscht
    Die gesamte Klassikwelt fliet zu diesen RT-Threads wie die Motte zum Licht - und geniesst sie.....


    Die RT Threds haben mit Abstand die beste Einschaltquote in diesem Forum.


    Dr Pingel schrieb:

    Zitat

    Ich will auf der Bühne einfach keine fetten Nackten oder 20 Leute auf 20 Klos sehen oder (es gibt ein Bild) wie Tristan der Isolde zwischen die Beine fasst.


    Ich bin hier toleranter. Wenn das gewünscht wird, dann soll man es halt machen
    ABER NICHT AN OPERNHÄUSERN die einst von der ELITE gebaut wurden.
    und auch nicht in klassischem Opernrepertoire.
    War sowas will, der soll ein Stück schreiben, einen zeitgenössischen Komponisten suchen und versuche ein Publikum zu finden
    Ohne Subvention- versteht sich
    Was mich so abstäößt ist, daß hier nicht nur unter falscher Falgge gesegelt wird,
    sondern daß es noch dazu die Flagge des Feindes ist.
    Etwa so, als würde man in einem Vortragsraum der Heilsarmee
    ein Bordell einrichten :hahahaha::hahahaha:


    Ich nehms momentan mit Humor...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    ich kann dazu nur eines tun: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich auch! Ein Kabarettist würde jetzt fragen: :D


    Und wo ist die ELITE nach dem Opernbesuch hingegangen? Dreimal darfst Du raten! Es muss halt immer der Schein gewahrt werden beim Ästhetiker. Es gibt eben nicht nur ein Vor-der-Oper, sondern immer auch ein Nach-der-Oper! Erst das vollendet den Abend-Genuss. :D :D :D


    (Ich habe jetzt gut gelaunt die Anekdote mit Rubinstein und Strawinsky im Kopf und einer einschlägigen Lokalität in Paris - habe ich in einem anderen Thread schon gepostet.) :angel:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ein letztes Aufbäumen (das kann nich 2 bis 5 Jahre dauern - kann aber über Nacht kommen), so wie viele dem Brexit, Trump, Ungarn, Polen, Katalonien, Griechenland, AfD und dem rausfliegen der Grünen aus dem österreichischen Parlament fassungslos gegenübestehen.


    Ich glaube, wir befinden uns auf dem Weg in eine erzkonsevative Weltordnung, wo auch Zensur kein Unwort mehr sein dürfte.


    Lieber Alfred,


    ich kann dazu nur eines tun:
    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    Liebe Grüße
    Gerhard

    ?( ?( ?(

  • Sehr dramatisch ausgedrückt. Aber nichts anderes hat die Renaissance mit dem Mittelalter gemacht, indem sie in der prüden und verklemmten Christenwelt die antike Freude an der Nacktheit wieder bildfähig machte. Wann in der Geschichte der Kunst hat sich denn Kunst von Tabus, die Rezipienten für unübertretbar halten, abhalten lassen zu tun, was sie tun will? Für die Künstler der Renaissance war die Antike maßgeblich, also die Kunst von Menschen, die längst tot waren. Wegen dieser wurden die Vorbehalte der Lebenden ignoriert - auf dass sie wieder lernen so zu sein wie die Toten.


    Chapeau, Holger, und Chapeau für Schopenhauers Eristik.
    Ich spreche von fetten nackten Frauen (eine Laiendarstellerindie Erda, die nicht singt, sondern völlig nackt, völlig fett, etwa 70 Jahre alt; ein Segen, dass wir Augenlider haben), du verwandelst sie in Botticellis Aphrodite, die Schönheit pur. Alle diese Figuren, die du erwähnst, sind übrigens nicht völlig nackt.
    Fazit: die Renaissance bietet uns Musik und Malerei auf höchstem Niveau, von dem die heutigen Regisseure nur träumen können. Da sie das aber doch wollen, "beglücken sie uns mit...."!

    Schönheit du kannst zwar wol binden...

    Schönheit machet viel zu blinden...

    Schönheit alle Freyer grüssen...

    Schönheit reitzet an zum küssen...

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Chapeau, Holger, und Chapeau für Schopenhauers Eristik.
    Ich spreche von fetten nackten Frauen (eine Laiendarstellerindie Erda, die nicht singt, sondern völlig nackt, völlig fett, etwa 70 Jahre alt; ein Segen, dass wir Augenlider haben), du verwandelst sie in Botticellis Aphrodite, die Schönheit pur. Alle diese Figuren, die du erwähnst, sind übrigens nicht völlig nackt.
    Fazit: die Renaissance bietet uns Musik und Malerei auf höchstem Niveau, von dem die heutigen Regisseure nur träumen können. Da sie das aber doch wollen, "beglücken sie uns mit...."!

    Du solltest diese alberne Polemisiererei wirklich lassen. Denn damit zeigst Du nur, dass Du von Kunstgeschichte nicht viel verstehst.


    Es gibt z.B. das Skandalbild von Gustave Courbet "Der Ursprung der Welt" von 1866 (Courbet ist bekanntlich einer der bedeutendsten Vertreter des "Realismus" in der Malerei des 19. Jhd.), das sich im Besitz des berühmten Psychoanalytikers Jacques Lacan befand. Das ist ein Verständnis von Schönheit (für Courbet selbst war das nämlich schön), das sich Dir bestimmt nicht erschließen wird:




    Schöne Grüße
    Holger

  • Kupfer hat sich dem Werk mit seinen Mitteln genährt. Er, der aus einer Tradition des realistischen Musiktheaters kommt, hat gravierende Änderungen an der Handlung vorgenommen, aber dabei einen in sich stimmigen, packenden, für seine Theatersprache passenden Theaterabend kreiert. Viele Leute, die solche Eingriffe in die Handlung nicht schätzen, nennen das, was Kupfer gemacht hat, übrigens "Regietheater".

    In der Sprache der Marine gesprochen hieße das, lieber Melomane, "Volltreffer und versenkt", das Schiff der RT-Gegner hat einen Volltreffer bekommen und ist auf den Meeresgrund abgetaucht, wo es in aller Stille das Dasein eines Seemannsgrabes fristet. :D Die ganze RT-Diskussion hat sich damit als absurd entlarvt. In Wahrheit gibt es auf der Bühne nichts anderes als nur Regie-Theater. Der Fall Kupfer zeigt: Das, was die RT-Gegner für eine "werktreue" Inszenierung halten, ist lediglich Regietheater, dass sie nur nicht in der Lage sind als Regietheater zu erkennen! Selten fand ich Tamino so amüsant! Ihr ganzer "Kampf" gegen RT ist nicht mehr als der von Don Quichotte gegen Windmühlenflügel! :angel:


    Schöne Grüße
    Holger

  • ich bin verblüfft über so einen klugen Beitrag eines "Neulings"

    Lieber Holger,
    Du bist in exponierter Form in einem lehrenden Beruf tätig .Hast Du da nicht schon Neulinge erlebt, die durch Wissen, Können, Klugheit, Fähigkeiten und ständig ausgewertete Erfahrungen niicht nur verblüffen, sondern von denen man auf Anhieb lernen kann. Lass' es mich etwas ironisch ausdrücken, wir die Erfahrenen in einem Beruf oder Wissensgebiet sind immer in de Gefahr besonders bei Jungen un d Neuen nicht genug zuzuhören und erkennen deshalb die Brillanz oft nicht!
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Liebe taminos,


    erst einmal danke ich Euch allen herzlich für Eure Reaktionen, die ich teilweise so nicht erwartet habe.


    Es gibt da einige Punkte die angesprochen wurden, auf die ich gerne eingehen möchte weil sie ein wenig über den Gegenstand hinausgehen (da hab ich meine Haltung dargelegt) und die Diskussion über den Gegenstand betreffen.
    Allerdings nehme ich etwas Zeit dafür. Zum einen, weil ich zum Wochenende Besuch bekomme -
    eine Freundin, die seit etwa 20 Jahren nicht mehr in der Oper war und das nun ändern will.
    Wir werden mit Sicherheit über die Vorstellungen diskutieren; über konkrete Inszenierungen, die wir beide vollständig gesehen haben.
    Beide Opern kennt sie, das sind gute Voraussetzungen.


    Zum anderen brauche ich etwas Zeit, weil ich ein wenig nachdenken möchte bevor ich mich äussere.


    Ich hoffe, das ist nachvollziehbar.


    Allen hier, wirklich allen, wünsche ich ein schönes Herbstwochenende!

  • Es ist wie immer. Da kommt einer, schreibt etwas sinnvolles, versucht, Gräben zu überbrücken, den Krieg zumindest in einen Waffenstillstand zu verwandeln. Ein Großteil der Leser hier hat das anerkannt und ist sicher auch bereit dazu.


    Und dann kommt wieder einer (immer derselbe), der alle Friedensvorschläge zerpflückt, mit fadenscheingen Begründungen falsches Denken hineininterpretiert und zum Schluß sogar behauptet

    In der Sprache der Marine gesprochen hieße das, lieber Melomane, "Volltreffer und versenkt", das Schiff der RT-Gegner hat einen Volltreffer bekommen und ist auf den Meeresgrund abgetaucht, wo es in aller Stille das Dasein eines Seemannsgrabes fristet. :D Die ganze RT-Diskussion hat sich damit als absurd entlarvt. In Wahrheit gibt es auf der Bühne nichts anderes als nur Regie-Theater. Der Fall Kupfer zeigt: Das, was die RT-Gegner für eine "werktreue" Inszenierung halten, ist lediglich Regietheater, dass sie nur nicht in der Lage sind als Regietheater zu erkennen! Selten fand ich Tamino so amüsant! Ihr ganzer "Kampf" gegen RT ist nicht mehr als der von Don Quichotte gegen Windmühlenflügel!

    Wie lachhaft und töricht. Lucas als Verfasser des Threads möge sich die von Dr. Kalteha gegebene Antwort genau durchlesen. Es gibt leider Leute, die nichts begreifen und immer das letzte Wort haben müssen. Schlimm ist nur, daß sich Dr. Kalteha einbildet, daß nur seine Meinung die wahre Meinung ist. Eigentlich ist jeder Beitrag dazu zu schade. Ich möchte auch nur darauf hinweisen, daß wieder einmal die Verschärfung des Tones von ihm ausging.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Kupfer hat sich dem Werk mit seinen Mitteln genährt. Er, der aus einer Tradition des realistischen Musiktheaters kommt, hat gravierende Änderungen an der Handlung vorgenommen, aber dabei einen in sich stimmigen, packenden, für seine Theatersprache passenden Theaterabend kreiert.


    Ich möchte diese Aussage noch einmal besonders hervorheben, weil sie das auch aus meiner Sicht wesentliche Kriterium für die Bewertung einer Opernaufführung benennt: Es kommt darauf an, ob das Ergebnis schlüssig und packend ist. Das kann sowohl in einer eher traditionellen als auch in einer sehr "modernen" Inszenierung der Fall sein und lässt sich natürlich nicht allein aus den Kostümen und Kulissen ableiten. Deswegen ist es auch völlig verfehlt, Inszenierungen lediglich anhand von Bildern oder einzelnen kurzen Videoclips zu beurteilen. Auch die Frage, ob der Regisseur die Handlung verändert hat, ist kein Kriterium, weil sich auch daraus eben eine in sich stimmige und packende Aufführung ergeben kann. (Das beste Beispiel für eine sehr weitgehende Veränderung, bei der das Ergebnis schlüssig und äußerst packend ist, stellt Kušejs Münchner "Rusalka" dar). "Kann" heißt natürlich nicht "muss", eine Differenzierung, die hier oft unterlassen wird, wenn man uns "RT-Freunden" unterstellt, kritiklos alles gut zu finden, was unter diesen Begriff fällt. Das könnte zumindest für mich nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lucas K.
    hat mit einer Fleißarbeit, weiten Assoziationen und klugen Schlussfolgerungen eine Diskussion auf hohem Niveau entfacht. Danke, für diese zum Teil neuen Gedanken. Ich habe mich zumindest aus dem Regietheaterkrieg zurückgezogen. Es stimmen einfach Grundfragen nicht. In jederAufführung muss es in irgend einer Form Regie geben, sonst gibt es keine Aufführungen. (Lustiger Weise hörte ich schon von Inszenierungen, bei denen die Sänger selbst Regie führten, wenn der Regisseur seiner Aufgabe in keiner Weise gewachsen war.) Auch die Fragestellung tradtionell oder modern geht ins Leere. Es muss heißen sowohl als auch, sogar Mischformen sind möglich. Das Urteil kann also nur lauten, gelungen oder nicht gelungen und dann bitte mit Begründung des Urteils. Wobei man sich noch auf Beurteilungsmaßstäbe einigen müsste. Wir stehen also vor einem ähnlichen Problem wie die Medizin bei der Frage Allopathie oder Homöopathie? Kluge Ärzte arbeiten mit beiden Richtungen. In der Opernszene und besonders auch bei uns im Forum, wo engagierte Opernfreunde konzentriert sind, wird verbissen über diese Fragen diskutiert und gestritten. Wobei ich sogar Bewunderung für die beiden Fraktionen, die Traditionalisten mit ihren Protagonisten Gerhard Wischniewski und La Roche und den Anhängern de rmodernen Rrichtung mit Holger Kaletha und Bertarido hege. Nur liebe Freunde, ihr seid wie Sissyphos in ein unlösbares Problem verstrickt. Wie wäre es, wenn wir angeregt durch diese Diskussion unsere Standpunkte noch einmal überdenken und kritisch hinterfragen würden? Viel wäre schon gewonnen, wenn wiir uns vornähmen, künftig ohne persönliche Angriffe ausschließlich auf der Sachebene zu argumentieren und dem Diskussionspartner zugestehen, dass er das Recht auf eine andere Meinung hat. Wir würden der Zielsetzung, Tamino endgültig zum qualifiziertesten Diskussionsforum für Klassik zu profilieren einen großen Schritt näher kommen, wenn es uns gelänge auch unterschiedliche Themen sachlich zu diskutieren. Schaffen wir das? Kollegen in anderen Bereichen des Forums schaffen dies trotz kontroverser Meinungen und Diskussionen vorbildlich. Nur bei uns im Opernbereich werden Wunden geschlagen und fließt Blut. Lasst uns bitte andere Wege gehen. Vielleicht ist es ein Königsweg, wenn neue Mitglieder uns auf den Pfad der Tugend führen würden. Luka K hat den Anfang gemacht.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    Operus: Nur bei uns im Opernbereich werden Wunden geschlagen und fließt Blut. Lasst uns bitte andere Wege gehen. Vielleicht ist es ein Königsweg, wenn neue Mitglieder uns auf den Pfad der Tugend führen würden. Luka K hat den Anfang gemacht.


    Mein lieber Hans! Da bin ich sehr skeptisch. Provokateure brauchen eben ihre Bühne!

    W.S.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose