Vorsicht - überlanger Beitrag.
Gestern hab ich überlegt, ob ich in den aktuelle RT-Themfaden einsteigen soll. Letztlich hat man hier als Neumitglied die Wahl - geht man rein oder hält man sich raus. Das Thema polarisiert dermassen, dass der Instikt mir sagt: halt Dich raus. Das gibt ein hin-und-her, das gibt Missverständnis, Angriff und sich-angegriffen-fühlen, das könnte mich mehr belasten als bereichern.
Auf der anderen Seite hab ich natürlich eine Meinung. Bzw. zwei.
Eine zum Thema (ob ein Konzept aufgeht geht oder nicht entscheide ich für mich nachdem ich die Inszenierung gesehen habe – und manchmal ändere ich meine Meinung im Nachhinein, ich definiert mich nicht darüber)
und eine zur Diskussion über das Thema.
Anstatt also in den Nahkampf zu gehen, der in diesem Forum schon so viele verletzt hat, werd ich das jetzt hier mal grob hinschreiben – nicht nur für die Leser, sondern auch für mich: ich hab dann das Gefühl gesagt zu haben was ich sagen wollte, und kann mich selbst daran erinnern wenn es in den Fingern juckt einen Beitrag in einem der dann aktiven RT-Fäden zu schreiben. Um mich dann mit Leuten zu zanken, die aus dem selben Grunde hier sind wie ich: aus der Liebe zur Musik.Das möchte ich nicht.
Also wähle ich den Weg, meine Gedanken einfach etwas ausführlicher darzulegen. Es sind nur Gedanken, wahrscheinlich redundant und unscharf formuliert, sicher angreifbar oder missverstehbar, aber da ist weiter kein Anspruch dahinter. Einfach Meinung.
Vielleicht zur Einordnung: Ja, ich gehe in die Oper! Am Wochenende zB. stehen Tannhäuser und Holländer an.
Und: Nach dem Abi war Bühnenregie etwas, das ich sehr gerne gemacht hätte. Ich hab damals einiges an Zeit, Geld und Aufwand reingesteckt um die übliche Tour der Aufnahmeprüfungen (natürlich erfolglos) zu absolvieren. Das Thema war mir also einmal sehr wichtig.
***
Man kann doch wirklich, auch als Nicht-Verächter derzeitiger Aufführungspraxis mal einen Schritt zurück gehen und sich die Frage "was soll denn dieses Herumhacken?" in dem Sinne beantworten, dass hier (und so seh ich das wenigstens zum Teil) eine Art von Trauerarbeit statt findet; die Verarbeitung der Erfahrung, dass einem eine einstmals wichtige Sache (der Opernbesuch), dem man in seinem Leben schöne und wertvolle Momente verdankt, nicht mehr möglich ist.
Gerade wenn man das sog. "Regietheater" auf intellektueller Ebene verteidigt kann man doch auch vielleicht daran denken, dass die Bedürfnisse ganz offensichtlich verschieden sind. Nicht besser oder schlechter; intellektueller oder emotionaler; höher oder tiefer - sondern einfach verschieden.
Ich sehe diesen Verarbeitungsaspekt gerade darin, dass alle entsprechende Themen einen immer gleichen Verlauf nehmen. Man braucht nur den Namen des Autors zu sehen und weiss, aus welcher Richtung er kommt. Es gibt keine Überraschung, keinen Fortschritt, keine Annäherung sondern das Ganze ist eine Fuge aus der Hölle, mit unendlich variierten Stimmen und Gegenstimmen aber dem immer durchscheinenden, immer gleichen Thema, und es ist vielleicht schieres Glück wenn am (vorläufigen, immer vorläufigen...) Ende der Auseinandersetzung noch alle da sind, die am Anfang da waren. Dieser Kampf,den keine Seite je gewinnen wird, kostet nur Opfer. Er kennt kein Ende, sondern nur zeitweilige Erschöpfung. Es ist ein Stellungskrieg, ein Abnutzungskrieg – und ja, verglichen mit allen anderen Auseinandersetzungen in allen anderen Themen, ist es Krieg. Wem das Bild zu stark ist – akzeptiere ich. Eher gibt es hier Einigung darüber, dass Karajan ein absoluter Bach-Spezialist war, als darüber ob man eine Inszenierung an Hand eines Fotos berurteilen kann/soll/darf/muss. Das ist überspitzt, aber das ist der Eindruck, den ich als Mitleser über die Jahre hier gewonnen habe.
Die Idee, in einem Austausch für sich neu dazu zu lernen ist ganz sicher nicht die Idee, die diese Themenfäden antreibt.
Im Gegensatz, so denke ich, zu 99% aller anderen Themen wo die Neugier auf die Position des anderen mir grösser scheint und auch die Bereitschaft sich durch neue Perspektiven bereichern zu lassen.
***
Es gibt daher für mich nur, neben dem eingangs genannten, den Aspekt diese Diskussionen als eine Art Demonstration zu verstehen, nach aussen (nebenbei bemerkt: ich denke, dafür wäre ein blog zum Thema eventuell geeigneter).
Dass man damit praktische Änderungen bewirken kann, glaube ich nicht – um in der Kunstindustrie wirksam gehört zu werden, muss man vielleicht Teil von ihr sein und die Initiationen wie Diplome, Stipendien oder Preise überstanden haben; den richtigen Lebenslauf. Laienmeinung zählt dort in etwa soviel wie auf einem Mathematikerkongress (was man nicht unbedingt seinem Publikum sagt), aber das ist eigener Eindruck und nicht mehr – die Zuschauer bleiben jedenfalls nicht weg, wenn Wagner oder Mozart läuft ist die Hütte voll. Bei Henze vielleicht nicht ganz so. Egal wie inszeniert wird.
Aber auch die Funktion solche Diskussions-threads als Demonstration zu sehen uä. ist in meinen Augen eine Art Verarbeitung eines Zustandes den man beklagt, Trauer, unter der man leidet.
Ja, leidet!
Diese emotionale Komponenten wird, denke ich, von Verteidigern des sog. RT nicht immer ganz ernst genommen - denngegenüber einer solchen Emotion gibt es kein Argument. Auch hier liegt das Problem darin, dass ganz verschiedene Bedürfnisse vorhanden sind, die auf verschiedenen Ebenen liegen und die vielleicht manchmal tückischerweise qualitativ bewertet werden (oder so verstanden werden!), damit zu entsprechenden Kränkungen führen und dem Bedürfniss in einem mehrseitigen Faden, den kaum ein Mensch mehr nachliest, sich zu "rechtfertigen" usw.
***
Die derzeit herrschende Bühnenpraxis ist mMn tatsächlich ohne Kenntnisse von Dramentheorien, der Entwicklung des Sprechtheaters seit der Wende zum 20. Jahrhundert hin, ohne Kleist, Brecht, meinetwegen W. Benjamin usw. kaum zu verstehen. Das sind Dinge, die Regiesseure usw. in ihrer Ausbildung spätestens kennen lernen und rezipieren. Dazu kommen andere Entwicklungen des 20. Jahrhunderts sowohl geistes- als auch naturwissenschaftlich, die Fundamente freigelegt, hinterfragt und teilweise beseitigt haben, die über Jahrhunderte für selbstverständlich gehalten wurden. Das muss einen nicht interessieren, man muss das nicht wissen – aber Kunst nimmt das auf bzw. nimmt Stellung, wenn der Künstler es will.
Schon weil auf der Bühne in der Praxis Antworten auf Fragen gegeben werden, die sich eben nicht jeder Besucher stellt oder stellen will (er will seine Oper sehen); weil die Inszenierungen Reaktionen auf Entwicklungen und Reflektionen sind, die man eben nicht kennen muss (denn man will seine Oper sehen), kann das im Eindruck gegenseitigen Unverständnisses münden: man versteht das Angebot nicht (es interessiert einen nicht einmal), das Angebot nicht die Nachfrage (die es eigentlich auch nicht interessiert).
Die Bedürfnisse, die aktuell befriedigt werden, haben manche Menschen nicht.
Das ist kein Mangel. Das ist keiner Wertung zugänglich so wie Liebe zu einem Menschen keiner Wertung zugänglich ist.
Die Betroffenen sehen (!) aber, dass ihre Bedürfnisse an einen Opernbesuch nicht berücksichtigt werden.
Würde ab morgen jeder Siegfried im Bärenfell über die Bühnen dieser Welt stürmen wäre ich doch auch enttäuscht. Abgesehn vielleicht, dass die Naturalisten vielleicht einen echten Drachen anbrächten, da wär ich natürlich schon drauf gespannt. Es wäre zweifelslos werkgetreu.
Auch das, was die "Konservativen" hier zurück wünschen war mal Avantgarde.
Bühnenprospekte und gemalte Hintergründe zB. durch echte Bäume zu ergänzen oder Tiere auf die Bühne zu bringen, war einmal revolutionär - die Differenzierung zwischen diesen Stilen ist heute kaum nachvollziehbar und vielleicht sogar für den Anhänger traditioneller Ansichten kein sehr scharfer. In damaligen Diskussionen hätten sie sich vielleicht auf Seiten der Modernisierer gefunden. Vielleicht sogar wäre zB. der ein oder andere, der hier mit der Entwicklung der Opernregie unglücklich ist, damals auf Wielands Seite gewesen in der Diskussion mit Kna um die Taube.
***
Was interessiert angesichts des Verlustes von etwas, was einem ein wichtiges, persönliches und emotionales Bedürfnis befriedigte, warum es so ist? Man trauert. Man will es anders als es ist. Man kann es nicht ändern. Es tut weh.
Was nutzt da Camus?
Was nutzt da Kommunikations- oder Medientheorie?
Was die Nachwirkung von Beckett oder Ionescu?
Wird diese Leere dadurch gefüllt, dass man die Rolle des Regiesseurs und ihren Wandel nachvollzieht? Das Wissen um die Akademisierung der Theaterpraxis, die angehende Regiesseure zur Auseinandersetzung mit den o.g. Themen und vielen anderen regelrecht zwingt?
Nein. Es interessiert nicht. Man trauert. Die Todesursache ist hier weniger gewichtig als die Tatsache, dass etwas tot ist. Jede Erläuterung geht automatisch daran vorbei, denn es wird gar keine Erläuterung verlangt. Sondern, dass das was stört und ärgert wieder das wird, was glücklich machte und bereicherte.
Was interessiert da die Rolle eines Dramaturgen? Das Verhältnis zwischen Regie und Bühnenbild?
Das Warum ist egal, weil das Dass als so schrecklich empfunden wird. Denn die Oper verweigert einem nicht nur das ästhetische Bedürfnis – sie gibt einem (aus eigener Sicht, so lese ich das) sogar das Gegenteil! Hässliches wo man Schönes sucht usw.
Was zählt da warum?
Was die Suche nach einer Antwort auf die Frage nach Schönheit, Hässlichkeit, Ästhetik?
Wenn seine Frau nach dem Aufwachen aus einem Koma auf einmal eine total andere, fast entgegen gesetzte Persönlichkeit hat – dann kann der Gatte darunter leiden. Das darf er.
Der Neurologe mag einem erklären wie und warum.
Aber man darf trotzdem trauern und leiden, oder?
***
Selbst steh ich ein bisschen zwischen den Stühlen. Ein naturalistischer Ring, sklaventreu dem Wort (als wenn das Wort an sich den Sinn schon trüge...) käme mir leer vor. Da sind dermassen viele Themen drin, und er spiegelt über seine Entwicklungszeit eben auch die Entwicklung Wagners wieder, nicht nur musikalisch, dass es ohne Interpretation für mich ein Märchenspiel wäre. Da steckt mehr drin, da steckt soviel drin dass man als Regiesseur entscheiden muss, was man betont, was man weniger betont usw. Entscheiden... der Regiesseur wird meiner Ansicht nach von Wagners Werk zuEntscheidungen gezwungen - und da sind wir mitten im künstlerischen Prozess schon drin, den eben manche von einer Regie gar nicht erwarten. Aber dafür haben sie andere Erwartungen. Und nicht jedes Libretto bringt solche Aufgaben in dieser Dringlichkeit mit sich...
Ich kann zB. nicht nachfühlen (es ist vielleicht das bessere Wort als "verstehen"), wie man von einem Bühnenbild, einem Kostüm dermassen stark negativ beeindruckt wird, dass die Leistung der Sänger usw. kein Genuss mehr bringt.
Kann ich nicht nachfühlen. Aber - es muss schrecklich sein. Man liest es aus der Empörung, der Emotionalität, der Verallgemeinerung, Übertreibung doch heraus: hier wird gelitten. Das ist authentisch.
Hier sind Musikfreunde, deren Zugang zu einem echten Lebenskraftwerk versperrt ist. Die darunter leiden!
***
Man möchte manchmal den RT-Nichtverächtern zurufen:
„Ihr braucht das RT nicht zu verteidigen! Das Selbstverständnis des Regiesseurs hat sich dauerhaft geändert, und er wird keinen Grund finden das aufzugeben – dass es Gegenstimmen gibt und immer geben wird, gegen alles, ist eh klar. Aber der Regisseur ist nicht mehr in der Situation sich rechtfertigen zu müssen; er tut es auch nicht. Wer heute Regie unterrichtet hat sein Handwerk bereits bei den Leute gelernt, die kämpfen mussten.
Auch die Nichtverächter des RT führen eine Diskussion, die vor 50 Jahren in den Kantinen der Theater geführt wurde. Betrachtet die Gegenauffassung nicht als Bedrohung – sie ist Trauer, Verarbeitung und Leiden. Sie will vielleicht keine Antworten. Vielleicht will sie einfach nur da sein, und hier hat sie einen Platz dafür.
Wenn Ihr es auf intellektuelle Ebene nicht ernst nehmt, dann vielleicht auf emotionaler? Kann man das nicht respektieren – das Verlustgefühl eines anderen, dass man selbst nicht teilt? Emotion!
Es ist verloren. Es ist wirklich verloren. Oder glaubt Ihr, in 10 Jahren würde eine ganze Generation Theaterschaffende auf einmal alles nur noch konservativ inszenieren?
Wo sollen die denn herkommen??? Sicher nicht aus den Regie-Seminaren.“
Dieser Aspekt kommt mir in der Diskussion zu kurz, und er unterläuft eben den intellektuellen Diskurs, der von RT-Nichtverächtern natürlich geführt werden muss, weil dies die Ebene ist auf der ihre Bedürfnisse liegen.
Dies ist aber nicht die Ebene, auf der die Verletzung statt findet.
Deswegen redet man immer und grundsätzlich und ausschliesslich aneinder so sehr vorbei, dass einen die Argumente der anderen Seite eigentlich nicht wirklich interessieren weil man an der Quelle dieser Argumente, den versch. Bedürfnissen, kein eigenes Interesse hat.
***
Was schade ist, wirklich schade und mir schon als Mitleser hier wehgetan hat:
Ihr, beide Parteien, seid Euch in einem einig. Ihr liebt Musik. Klassische Musik. Nur weil das hier so selbstverständlich ist, ist es nicht selbstverständlich. Geht mal raus, versucht Nicht-Klassikern Klassik nahe zu bringen – und dann hätten wir alle,RT-Verächter und Nichtverächter ganz ähnliche Erfahrungen.
Es ist sauschwer.
Aufmerksamkeit für ein Stück zu bekommen, dass länger als 4 Minuten dauert, verschiedenen Stimmungen vermittelt, nicht auf Anhieb völlig erfassbar ist und vielleicht erst nach dem zehnten Hören oder dem Kennenlernen einer anderen Interpretation „zündet“... das ist kein Selbstläufer.
Wir sind wie ein Haufen Protestanten und Katholiken in einem zutiefst atheistischen Land und streiten über die Ästhetik der Kircheninnenräume. Während um uns herum doch eher die Frage gestellt wird: brauchen wir Kirchen? Uns eint mehr als uns trennt, und im Zweifel stehen wir eh zusammen. Machen wir das uns doch nicht schwieriger...
***
Die Idee, dass das was man heute unter RT versteht von jetzt an für ewig der Massstab ist, würde wohl von den reflektierteren Regiesseuren nicht mal geteilt. Gerade die Aufwertung des Regiesseurs als Intepret und Künstler bringt eine Individualisierung mit sich, in der Abgrenzung und eine eigene Stimme aus meiner Sicht automatisch dazu führen werden, dass es eine grössere Vielfalt an Inszenierungen geben wird, und da wird auch wieder Platz sein für ganz unironische „Werktreue“ (ohne den Begriff näher zu hinterfragen, da inzwischen jeder die dazu hier ausgetauschten Argumente kennt).
Man sieht das doch schon am Sprechtheater. Es geht (das ist meine subjektive Beobachtung, nicht mehr!) differenzierter zu als noch vor 20 Jahren. Die alte Generation tritt ab – und das was nachkommt ist nicht unbedingt radikaler. Aber auf eigene Art selbstbewusst, ohne ideologische Begründung, sondern aus dem Selbstverständnis als Künstler und individueller Interpret eines Werkes, das in sich keine Wahrheit kennt sondern nur Anschauung. Keine Sicherheit sondern Wahrscheinlichkeit. Kein schwarz oder weiss sondern unendlich viel grau. Die eben das letzte Jahrhundert und seine intellektuellen Entwicklungen nicht mehr gegen angelernte Dogmen stellen müssen – sondern Kinder dieser Entwicklung sind. Ein Student der Regie heutzutage wird sehr wahrscheinlich nicht verstehen (!) was für einige hier ganz selbstverständlich und sehr wichtig ist: die Bedeutung dem Stück zeitgemässer Bühne und Kostüme. Das wird nicht vermittelbar sein, dass dies essentiell für die Inszenierung zu sein hat. Auch ich würde ganz spontan sagen: „wenn das essentiell ist, dann hat das Stück wohl nur historischen Wert, dann ist das Museum, dann hat es die Kraft nur in jeder Zeit für jenes Publikum gehabt, aber heute hat es diese Kraft nicht mehr“. Da würde vielleicht mancher RT-Gegner sagen: „Ja. Und was ist denn daran falsch?“
Es wäre ein totales aneinander vorbei reden.
Aber die Generation der Regiesseure veränder sich auch. Es ist mMn keine Provokation, kein Schock (mehr) gefragt. Wen soll man denn noch provozieren? Womit? Das schliesst natürlich nicht aus, dass je nach Persönlichkeit man eine Sache als reinen Schock empfindet und der Tabubruch (den ich zB. gar nicht sehen würde) so stark ist, dass gar kein Platz für die Frage nach dem Warum mehr bleibt. Aber die Provokationen sind in der Tat heute eher Mittel zum Zweck. Wenn man den Zweck nicht sieht, ok. Aber heute als Regiesseur mit dem Konzept anzutreten: „Wir provozieren! Das ist alles!“ kann man vergessen. Da ist das intellektuelle Selbstbewusstsein der Leute schon ein wenig grösser um solche Spielchen zu treiben. Abgesehen davon, dass ein Publikum fehlt, dass sich provozieren lässt.
Das ändert sich langsam, political correctness sei „Dank“.
Vielleicht droht tatsächliche der Kunstfreiheit Gefahr von der Seite, die sich einst so sehr auf sie berief, um sich und seine Ideen zu verwirklichen. Vielleicht sind unter denen, die damals unter einem „das kann man doch nicht machen!“ litten heute welche, die selbst „das kann man doch nicht machen!“ rufen. Aber das ist ein anderes Thema.
***
Im Sprechtheater sehe ich einen Trend zu einer stärkere Diversifizierung. Gerade weil der Regisseur sich als künstlerisches Ego nicht mehr verteidigen oder rechtfertigen muss (da sehe ich eine Ursache mancher tatsächlich rein provokant gemeinter Ansätze) sondern die neue Generation selbstverständlicher und selbstbewusster und damit eben freier ist. Und diese Freiheit des Regiesseurs als künsterlisches Individuum und als Leiter eines Teams führt mE eher dazu, dass jemand seine Stimme in dem finden kann, was manche hier Werktreue nennen.
Aber über eine autoritäre Bewegung, über Staat oder „die Gesellschaft“ usw. wird das nicht kommten. Nur durch das schaffende Individuum als Ausdruck seines künstlerischen Empfindens. Das werden sich die Opern/Theaterschaffenden nie wieder weg nehmen lassen. Es wäre ein Wunder, wenn die Souveräntität und gerade die künstlerische Freiheit nicht Platz liessen für Ansätze, die konventioneller aussehen. Aber es nicht sind, sondern Ergebnis individueller Verwirklichung.
Für die Konservativeren ist das natürlich kein Trost. Diese Trauer kennt keinen Trost.
Aber: das RT anzugreifen ist Illusion. Es ist nicht angreifbar. Die Revolutionäre treten langsam schon als Lehrer ab, die Sache ist durch – das Selbstverständnis der Regiesseure, Dramaturgen usw. als Künstler ist unumkehrbar für die absehbare Zeit. Aber gerade dieser Rahmen wird ermöglichen, dass sich Kunstschaffende bewusst für einen Stil entscheiden, der „unmodern“ ist. Es wird gerade über das laufen, was manche als Teil des gegenwärtigen Problems sehen: Das Selbstbild des Regiesseurs als Künstler und seinem Verhältnis zum Werk.
***
Die RT-Gegner müssen denken, die gegenwärtigen Zustände wären absolut usw. Aber das ist wirklich ein Missverständnis, denke ich. Gerade die Freiheit und das Relative sind die Chance, dass ein Team sich sagen kann: wir machen das 1:1, wir treten hinter den Text zurück, wir stellen dar und sehn mal was passiert.
Aber was nicht kommen wird ist: „wir machen es wie früher, da war es schön“. Im Ergebnis mag es dann mal so sein, aber das nicht der Weg. Mit so einer Einstellung würde es schwierig überhaupt das Auswahlverfahren für einen Studienplatz zu überstehen. Aus der Weite wird auch das Alte kommen, denn es hat seinen Platz.
***
So, ich entschuldige mich bei allen, die sich das ganz durchgelesen haben. Diese Zeit ist verloren. Aber auf der anderen Seite hat es den Vorteil, dass man dann von mir zu diesem Thema wahrscheinlich nichts mehr hört. Das hoffe ich wenigstens, das ist ein Stück Selbstbeschwörung.
Sollte es mich dann doch mal in den Fingern jucken ist es möglich, dass ich einfach in die Diskussion einen link zu dem Beitrag hier setze.