Grolle lauter, zürnend Gewitter,
Sturmwind, rase, du wilder Geselle,
Öffne dem Blitz das Wolkengitter,
Daß er die schwarze Nacht mir erhelle.
Tröstlich ist mir, o Himmel, dein Hadern:
Zweifel im Herzen, Zorn in den Adern,
Bin ich von meinem Mädchen geschieden,
Ohne Kuß und Wort, so ging ich fort
In die grollende Nacht und suche Frieden.
Weh! Auf ewig ist mir verloren
Jenes selige Glück des Bundes,
Das ihr Auge mir zugeschworen
Und der glühende Hauch des Mundes.
Träume der Jugend, wie seid ihr verflogen,
Falsch wie die Schwüre habt ihr gelogen!
Schneidend fühl' ich durchs Herz mir beben
Das Blitzeslicht:"Sie liebt mich nicht!"
Mein Herz ist gebrochen, was soll ich leben?
Grolle lauter, Gewitterstimme,
Flammender Himmel, wild und vermessen
Laß mich eifern mit deinem Grimme,
Laß die Kälte mich ewig vergessen!
Aber du schweigst in säuselnden Regen
Wandelt dein Zorn sich, Himmel, in Segen,
Tränen der Liebe, o rieselt nieder!
Ach! ohne sie genes' ich nie!
Mädchen, Geliebte, liebe mich wieder!
(Karl Wilhelm Osterwald)
In diesem Gedicht des Pädagogen, Schriftstellers und Kirchenlied-Verfassers Karl Wilhelm Osterwald (1820-1887) wird das Gewitter zur Metapher für all das, was die Trennung von der Geliebten für das lyrische Ich mit sich bringt. Sie wird lyrisch-sprachlich kräftig und plastisch gezeichnet und in unmittelbaren Kontext zur menschlichen Ebene, der Konkretisierung der nun aufgekündigten Liebesbeziehung gebracht, wenn von den verflogenen Träumen der Jungend gesprochen und die Erkenntnis „sie liebt mich nicht“ zur „Blitzeslicht“-Erfahrung wird. Am Ende aber ereignet sich Erstaunliches: Das Gewitter klingt ab, der „säuselnde Regen“ wird zu „Tränen der Liebe“ und das lyrische Ich bricht in den Ruf aus: „Mädchen, Geliebte, liebe mich wieder!“
Das ist ein entsprechend gewaltiges emotionales und lyrisch-sprachliches Gewitter, was sich in diesen Versen ereignet, und so mutet auch die Liedmusik von Robert Franz darauf an: Sie wirkt in einer Weise hochgradig expressiv und sich in melodischen, harmonischen und dynamischen Extremen entfaltend, wie das dem Hörer in den bislang hier vorgestellten Liedern noch nicht begegnet ist und wie es auch wohl einen Ausnahme-Fall in seinem liedkompositorischen Werk darstellen dürfte. Das muss aber eine Vermutung bleiben, da sich diese Feststellung nicht auf eine umfassende Kenntnis dieses Werkes zu stützen vermag. Die grelle Metaphorik des lyrischen Textes und die darin zum Ausdruck kommenden, zwischen elegischer Erinnerung und unmittelbar gegenwärtigem emotionalem Ausbruch pendelnden Aussagen des lyrischen Ichs finden jedenfalls adäquaten liedmusikalischen Ausdruck.
Robert Franz hat seine Komposition als variiertes Strophenlied angelegt. Dabei hat er die drei Strophen in ein A-B-Schema untergliedert, bei der dritten Strophe daraus aber einen A-C-Teil gemacht. Auf den ersten vier Versen der drei Strophen liegt jeweils die – nur unwesentlich variierte – Liedmusik. Sie bildet den A-Teil des Strophenlied-Schemas. Nach einem dreitaktigen Zwischenspiel, das vor der letzten Strophe einer Variation unterzogen wird, erklingt bei der ersten und zweiten Strophe auf den nachfolgenden fünf Versen eine im zweiten Fall in Melodik und Klaviersatz zwar variierte, aber in ihrer Substanz identische Liedmusik, - der B-Teil des Liedes also. Die überraschende Wandlung in der Haltung des lyrischen Ichs in den letzten fünf Versen der dritten Strophe bewirkt einen ebenso tiefgreifenden Wandel der Liedmusik, so dass aus dem „Allegro maestoso ed appassionato“, das „mit größter Energie“ auszuführen und vorzutragen ist, nun ein „Larghetto“ wird, für das die Anweisung „Mit innigster Empfindung“ gilt und in dem die melodische Linie, die sich zuvor unter Moll-Harmonisierung in heftigem Auf und Ab bewegte, sich jetzt mit einem Mal „dolce“ und überwiegend in Des-Dur-und Ges-Dur-Harmonik entfaltet. Darin stellt sich dieser letzte Teil des Liedes als das „C“ im liedkompositorischen Strophen-Schema dar.
Wird aus all diesen Gegebenheiten seiner liedkompositorischen Faktur ein einheitliches, in sich geschlossenes liedmusikalisches Gebilde? Seinem Rezipienten begegnet es durchaus so, und daran dürfte eben dieses kompositorische Strophenlied-Konzept einen maßgeblich-ursächlichen Anteil haben. Das hat freilich seinen Preis, was den Grad anbelangt, in dem die Melodik die lyrische Aussage zu reflektieren vermag. Diesbezüglich ist – besonders in der zweiten Strophen - zweifellos ein partieller Mangel an Binnendifferenzierung zu konstatieren. Auf den klanglichen Eindruck, den das Lied zu vermitteln vermag, und damit ebenso auf seine musikalische Aussage, wirkt sich das nicht wirklich aus. Immerhin, und das gibt zu denken, hat ein Hugo Wolf diesem Lied als einzigem im Werk von Robert Franz seine Anerkennung gezollt. Man möchte vermuten, dass dies an der Intensität liegt, mit der die Liedmusik die Aussage des lyrischen Textes und seine Metaphorik reflektiert.
Und die ist in der Tat hochgradig ausgeprägt, wie anhand einiger repräsentativer Beispiele aus dem A- und B-Teil der ersten Strophe und dem C-Teil der dritten aufgezeigt werden soll. Das Lied setzt ohne Vorspiel ein, und die melodische Linie entfaltet sich sofort in einem geradezu stürmischen Gestus. Sie durchmisst im A-Teil mit Sprüngen und Fallbewegungen über z.T. große Intervalle beachtliche tonale Räume, und dies in Forte und Fortissimo-Deklamation. So liegt auf dem Wort „grolle“ ein gedehnter Quintfall, und danach geht es mit der melodischen Linie auf dem ersten Vers abwärts über das Intervall einer Undezime bis in extrem tiefe Lage. Beim zweiten Vers wiederholt sich diese melodische Fallbewegung noch einmal, nur dieses Mal nur über das Intervall einer Septe, sie sinkt also bei dem Wort „Geselle“ nicht weiter in die Tiefe, sondern verharrt in Gestalt einer Tonrepetition. Bei den Worten „Öffne dem Blitz das Wolkengewitter“ reflektiert die melodische Linie die Metaphorik mit einem fortissimo auszuführenden Auf und Ab über eine Sexte und zwei Quinten, die das Klavier, das bislang mächtige triolisch angelegte Akkordfolgen im mit vorgeschalteten Oktaven erklingen ließ, nun mit Figuren aus fallenden und repetierenden Achteln im Diskant begleitet. Beim letzten Vers geht die melodische Linie nach einem Quintfall bei den Worten „schwarze Nacht mir erhelle“ in eine Bogenbewegung in tiefer Lage über, die vom Klavier mit einem Auf und Ab von Achteln im Diskant und Oktaven im Bass unisono mitvollzogen wird.
Die Harmonik bewegt sich bei der A-Strophe im wesentlichen zwischen der Grundtonart es-Moll und ihrer Dominante. Erst am Ende, bei der Tonrepetition der melodischen Linie auf den letzten Silben des Wortes „erhelle“, die das Klavier mit einem mächtigen Tremolo begleitet, ereignet sich in Gestalt Aufstiegs von Terzen im Diskant eine Rückung nach b-Moll, mit der das Zwischenspiel eingeleitet wird, in dem das Klavier noch zwei weitere Male mächtige Tremoli im Klavierbass erklingen lässt, bevor nach einer fast ganztaktigen Generalpause die Liedmusik der B-Strophe einsetzt. Diese hebt sich in den ersten vier Versen durch eine stärker gebundene, weniger sprunghaft ausgerichtete und kleinere tonale Räume durchmessende Melodik von der A-Strophe ab. Die Harmonik weist deutlich größeren modulatorischen Reichtum auf. Sie vollzieht zunächst – also bei den ersten vier Versen – Rückungen im Bereich von C-Dur und f-Moll, kehrt aber im letzten Teil in den Bereich der Grundtonart es-Moll zurück und moduliert dort im Raum von Dominante und Subdominante. Die Dynamik verbleibt anfänglich durchgehend auf der Stufe des Pianos, bricht aber dann bei den Worten „ohn Gruß und Wort, so ging ich fort“, ins Forte und Fortissimo aus.
Das ist ohnehin in jeglicher Hinsicht eine Art herausgehobene Passage in der Liedmusik der B-Strophe. Zwei Mal beschreibt die melodische Linie, durch eine Pause unterbrochen, einen Quintfall aus einer Dehnung und geht zunächst in ein Auf und Ab über, gipfelt dann aber über eine Kombination aus Terz- und Quartsprung mit Dehnung in hoher Lager auf. Das Klavier begleitet mit forte angeschlagenen drei- und vierstimmigen Akkorden, und die Harmonik rückt erst von es-Moll nach b-Moll, dann von es-Moll nach as-Moll.
Die melodische Linie wirkt bei den ersten vier Versen in ihrer Anlage so, als bewege sie sich auf diesen Ausbruch der Liedmusik in die Fortissimo-Expressivität in Gestalt eines langsamen Sich-Steigerns zu. Ohne zwischengeschaltete Pause beschreibt sie bei den ersten vier Versen aus einem Fall hervorgehende bogenförmige Bewegungen, bei denen sich in der Wiederholung die tonale Ebene jeweils anhebt, und das Klavier lässt dazu durchweg im Diskant Folgen von fünf Achtelakkorden erklingen, die jeweils nach einer Achtelpause einsetzen. Am Ende, bei den Worten „in die grollende Nacht und suche Frieden“ senkt sich die melodische Linie nach einem kurzen Anstieg in unterer Mittellage in tiefe Lage ab und beschreibt bei dem Wort „Frieden“ einen gedehnten Sekundfall mit nachfolgendem Sekundanstieg. Zuvor lässt das Klavier wieder sein as-Moll-Tremolo im Bass erklingen, - nun aber im Pianissimo. Nach dem expressiven Forte-Ausbruch bei den Worten „so ging ich fort“ hat die Liedmusik nun erst einmal zur Ruhe gefunden.
Beim „Larghetto“, der C-Strophe also, leitet das Klavier wieder mit seinem Zwischenspiel aus aufsteigenden Achteln über, nun aber ohne das Tremolo in den Bässen. Die Liedmusik nimmt nun einen lieblichen Ton an. Die melodische Linie bewegt sich ruhig in mittlerer Lage und neigt dazu, auf der gerade eingenommenen tonalen Ebene zu verbleiben. Nur dort, wo es die lyrische Aussage, bzw. das lyrische Bild es verlangen, geht sie zu Sprungbewegungen über, so bei „säuselnden Regen“ (Septfall mit nachfolgendem triolischem Aufstieg) und bei „Tränen der Liebe“. Hier geht sie aus einem Fall in einen, dolce auszuführenden Sextsprung über und beschreibt bei „Liebe“ einen Septfall, wobei das Klavier einen klanglich lieblich wirkenden Bogen aus Oktaven über repetierenden Akkordfolgen im Bass beschreibt. Die Harmonik, die in dieser Schlussstrophe nur wie flüchtig das Tongeschlecht Moll streift, vollzieht hier eine Rückung von Ges-Dur nach Des-Dur. Genauso lieblich klingt der melodische Bogen auf den Worten „o rieselt nieder“, den das Klavier im Diskant wieder mit zunächst fallenden, dann ebenfalls einen Bogen beschreibenden Oktaven begleitet.
Noch einmal, bei dem Wort „Geliebte“ nämlich. Vollzieht die melodische Linie einen, dieses mit einem Akzent versehenden Sextsprung mit nachfolgendem Sekundfall, und dann klingt sie bei den Worten „liebe mich wieder“ mit einem ruhigen Fall in Sekunden und einer Dehnung auf dem Wort „wieder“ aus. War sie bei dem Wort „Geliebte“ in Moll (es-Moll) harmonisiert, so ist sie es hier auch bei dem Wort „liebe“ noch einmal. Dieses Moll (as-Moll) fungiert aber als klanglich liebliche Vor-Dominante zu der nachfolgenden harmonischen Rückung von Ges-Dur über Des-Dur und zurück nach Ges-Dur, in der das Lied ausklingt.
Im dreitaktigen, in einen Ges-Dur-Akkord mündenden Nachspiel vollzieht das Klavier mit bitonalen Achtel-Figuren die letzte Bewegung der melodischen Linie noch einmal nach.