Das Haus war gut gefüllt, für ein so populäres Werk wie Puccinis Bohème allerdings nicht gut genug. Das Publikum war am Ende recht begeisert und spendete für alle Mitwirkenden ausgiebigen, Jubel-gemischten Beifall. Optisch passten alle Sängerinnen und Sänger gut zu dem Stück. Gesanglich gefiel mir der Bariton Kartal Karagedik als Marcello am besten. Arturo Chacón-Cruz (Rodolfo) hatte anfangs deutliche Schwierigkeiten, mit seinem vor allem in der Mittellage nicht sehr strahlstarken Tenor bei dem überlauten Orchester (Leitung Stefano Ranzani) durchzudringen. Seine Höhen waren in Ordnung, allerdings entwickelten sich diese nicht unbedingt dynamisch aus der Gesangslinie heraus zum Forte hin, sondern wurden recht unvermittelt eingesetzt, wohl auch um gut über dem lauten Orchester zu liegen. Vor gut zweieinhalb Jahren hatte ich diesen jungen mexikanischen Tenor als Don José noch weitaus besser gehört bzw. ihn in sehr guter Erinnerung behalten. Vielleicht ist der José auch einfacher zu singen, bei der Rosenarie muss er wohl auch nicht so gegen das Orchester ankämpfen, wie es Puccini seinen Tenören zumutet. Die Mimi war mit Julia Maria Dan besetzt. Ihre slawisch-dunkle, fast schon mezzohaft und manchmal etwas hart klingende Stimme passte in meinen Augen nicht unbedingt zu der schüchternen, an Schwindsucht verblühenden Mimi. Bei Frau Dan fehlte das Verblühen, was auch ein vorausgehendes Stimmblühen einschließt. Sie wirkte stimmlich zu gesund und darstellerisch in meinen Augen auch zu manieriert schüchtern. Darstellerisch autentischer war da Katarina Tretyakova als Musetta, wenngleich mir ihre Auftrittsarie zu exaltiert-grell geriet. Von Alexander Roslavets (Colline) hätte ich mir mehr erwartet, seine kurze Mantelarie, die in dieser Inszenierung über lange Zeit der Bass Alexander Tsymbalyuk zum Höhepunkt des letzten Bildes werden ließ, ging etwas unter. Dafür waren das Duett Rodolfo/Marcello sowie auch das die Oper schließende Melodram mit Frau Dan und Herrn Chacón-Cruz schön gesungen und genügend tief empfunden.
Bühnenbild (Johannes Leiacker) und Inszenierung (Guy Joosten) gefiel dem Publikum immer noch, wie man hören konnte. Im Vordergrund ist zunächst der Querschnitt durch ein dreigeschossiges Mietshaus zu sehen, in dem oben Mimi und eine Etage tiefer u.a. die Bohème-Künstler vor sich hin frieren (warum können die jungen Männer eigentlich nicht zwischendurch mal was vernünftiges, Geld-bringendes arbeiten?). Dieses Haus verschwindet zum zweiten Bild hin im Unterboden und macht einer großen von hinten nach vorn auf einer Drehbühne gezogenen Bar Platz. Im dritten Bild ist links die Seitenwand eines Hauses zu sehen, vorn schneit es. Beim Übergang zum letzten Bild taucht das Etagenhaus wieder aus der Versenkung auf, jetzt leergewohnt und dem Abriss anheim gegeben. Hier treibt sich nur noch die Bohème herum.
Der Schluss der Puccinioper ist doch irgendwie berührend, auch wenn man das ja alles schon kennt. Wenn dann noch überirdisch schön gesungen wird, was heute nicht unbedingt, aber früher manchmal der Fall war (Domingo/Saunders, Pavarotti/Freni, Shicoff/Freni, Araiza/Gauci, Brenciu/Kwon, Filianoti/Georghiu) schmelzen wohl auch die schlimmsten Puccini-Ignoranten dahin.