Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt, Dresden Semperoper


  • Der Ausflug nach Dresden hat sich gelohnt. Ich war in der zweiten Vorstellung der "Toten Stadt" an der Semperoper. Das Parkett war nur mäßig gefüllt, die Ränge wahrscheinlich noch dünner besetzt.
    Diese Zurückhaltung des Dresdner Publikums ist nicht gerechtfertigt. David Böschs Inszenierung ist ausgesprochen überzeugend.
    Die Sächsische Staatskapelle - mit vielen jungen Musikern im Graben - begeistert unter Dmitri Jurowski mit Präzision in allen drei Akten. Ich hatte großes Vergnügen am Schlagwerk und am wuchtigen Blech.
    Burkhard Fritz singt den Witwer Paul, der von seiner toten Frau nicht lassen kann, ökonomisch. Er weiß, welche Passagen "kommen" müssen und schont seine Stimme zwischendurch. Manuela Uhl gibt eine quirlige, begehrenswerte Marietta, deren Stimme mit der Partie keine Mühe hat und stellenweise wunderbar mit Fritz' Tenor harmoniert.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Lieber Hans,


    schön, dass du eine überzeugende "Tote Stadt" gesehen hast. Inszenatorisch sieht das vom Bild her werkgerecht aus. Es gibt aber sicher auch in dieser Oper nur wenig, was der Regisseur verfälschen könnte.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Das Parkett war nur mäßig gefüllt, die Ränge wahrscheinlich noch dünner besetzt.

    Das wundert mich. Als häufiger Besucher der Semperoper (zumindest bis etwa 2010 4-6 mal im Jahr, danach wegen mir nicht zusagender Inszenierungen immer seltener) habe ich immer ein volles Haus erlebt, im Parkett leere Plätze so gut wie nie.


    Liegt es am doch sehr komplizierten Verständnis der "Scheinwelt" dieser Oper? Oder doch an der Inszenierung? Dieter David Scholz hat die Inszenierung ja geradezu verrissen. Er schreibt von einer "albtraumhaften" Regie, angesiedelt in einem mit Gerümpel gefüllten häßlichen Raum, die Wände vollgekritzelt mit "Marie". Er spricht von theatralischer Holzhammerpsychologie. Auch die Sänger lobt er nicht durchgehend, besonders Fritz und Uhl bekommen ihr Fett ab. Scholz sieht die Regie von Bösch also völlig anders als Du.


    Ich brauche nicht zu betonen, daß ich auf diese Einfälle zurückgreifen würde, und diese lassen nicht den Wunsch in mir aufkommen, diese herrliche Musik wieder einmal zu erleben. Wird doch gerade die musikalische Seite mit einer phantastischen Staatskapelle als Lichtblick hervorgehoben. Aber das alleine reicht mir nicht für einen Besuch in Dresden! Leider!!!


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.


  • Das wundert mich. Als häufiger Besucher der Semperoper (zumindest bis etwa 2010 4-6 mal im Jahr, danach wegen mir nicht zusagender Inszenierungen immer seltener) habe ich immer ein volles Haus erlebt, im Parkett leere Plätze so gut wie nie.


    Ich bin von der ersten Reihe halbrechts nach der Pause in die zentrale Position der ersten Reihe gerückt. Man konnte sich die Plätze praktisch aussuchen.


    Liegt es am doch sehr komplizierten Verständnis der "Scheinwelt" dieser Oper? Oder doch an der Inszenierung? Dieter David Scholz hat die Inszenierung ja geradezu verrissen. Er schreibt von einer "albtraumhaften" Regie, angesiedelt in einem mit Gerümpel gefüllten häßlichen Raum, die Wände vollgekritzelt mit "Marie". Er spricht von theatralischer Holzhammerpsychologie. Auch die Sänger lobt er nicht durchgehend, besonders Fritz und Uhl bekommen ihr Fett ab. Scholz sieht die Regie von Bösch also völlig anders als Du.


    Bösch hat einige überzeugende Einfälle umgesetzt. Daß der halb verwahrloste Paul in einem wenig schönen und mit Erinnerungsstücken überladenen Zimmer lebt, ist keine Überraschung. Daß er, in Selbstmitleid zerfließend, das Leiden anderer nicht wahrnehmen kann, macht Bötsch sehr deutlich, indem er Frank in den Rollstuhl setzt und ihn als Pierrot im zweiten Akt aus jenem auferstehen läßt. Daß die fetischisierten blonden Haarflechten der Toten im dritten Akt auf die Bühne herabhängen, wie von Rapunzel aus dem Totenreich, ist ein einleuchtendes Bild.
    Am beeindruckendsten aber ist, wie Bösch Fritz die ständige Nähe zur Gewalt spielen läßt. Gewalt ist hier für den schwachen Paul der einzige Weg zur Konfliktlösung. Im Traum wird sie radikal externalisiert und Marie/Marietta zweimal erwürgt.
    Am Schluß läßt Paul, noch benommen vom Tagtraum, Marietta ziehen. Gewalt muß er sich hier selbst antun, mit jeder anderen Lösung lüde er Schuld auf sich.


    Ein großer Abend. Und Frau Uhl - fabelhaft.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*