Felix Mendelssohn Bartholdy: Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 11 – der scheinbare Erstling

  • Auf den ersten Blick ist die Sache bei Mendelssohn hinsichtlich seiner Symphonien recht einfach: fünf an der Zahl, davon nur zwei, die "Italienische" und die "Schottische", wirklich bekannt. Bei genauerem Blick entdeckt man aber noch zwölf Streichersymphonien (plus eine unvollendete), von denen zumindest eine, Nr. 8 in D-Dur, auch in einer voll orchestrierten Fassung vorliegt. Die heute als Symphonie Nr. 1 gezählte bezeichnete Mendelssohn auch ursprünglich als seine Sinfonia Nr. 13. Erst später erkannte sie als seine erste "vollgültige" Symphonie an, wohl nicht zuletzt wegen des vollbesetzten Orchesters (auch wenn dies eben auch bereits auf die Streichersymphonie Nr. 8 in der Bearbeitung zutrifft).


    Wie dem auch sei: op. 11 hatte als einzige der fünf heute anerkannten Mendelssohn-Symphonien bislang keinen eigenen Thread. Über die Gründe wird man nicht lange spekulieren müssen. Sie ist eben schlichtweg die unbekannteste und wird auch nur selten im Konzert gespielt.


    Die Uraufführung fand wahrscheinlich am 14. November 1824 anlässlich des Geburtstages von Mendelssohns Schwester Fanny im Rahmen eines Privatkonzerts statt. Öffentlich wurde sie erst am 1. Februar 1827 im Gewandhaus zu Leipzig präsentiert. Das Werk wurde nachträglich der Royal Philharmonic Society in London gewidmet. Für die englische Erstaufführung am 25. Mai 1829 in London tauschte Mendelssohn das Menuett gegen das Scherzo aus seinem Oktett op. 20 aus. In die Druckfassung von 1830 gelangte indes die ursprüngliche Version.


    Die Symphonie ist folgendermaßen besetzt: zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, zwei Hörner, zwei Trompeten, Pauken sowie Streicher.


    Die vier Sätze gliedern sich in:


    I. Allegro di molto
    II. Andante
    III. Menuetto. Allegro molto
    IV. Allegro con fuoco


    Die Forschung beschreibt das Werk als noch dem Vorbild der Wiener Klassik verpflichtet – kein Wunder, Beethoven lebte damals ja noch. Es werden Anklänge an die 95. Symphonie von Haydn und an die 5. Symphonie von Beethoven festgestellt. Insgesamt erfuhr das Werk keine sonderlich hohe Wertschätzung und wurde bereits zu Mendelssohns Lebzeiten von den späteren Symphonien verdrängt. Viele Dirigenten, die Mendelssohn an sich gewogen waren, konzentrierten sich auf die nachfolgenden Werke und ließen die Erste links liegen.


    Aufnahmen entstanden meist im Zuge von Gesamteinspielungen der Mendelssohn-Symphonien. Die alternative Fassung des dritten Satzes wurde diskographisch bislang offensichtlich lediglich von Sir John Eliot Gardiner berücksichtigt. Hier eine Auswahl:






    Welche sind eures Erachtens die empfehlenswertesten Aufnahmen dieses Werkes?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich habe die Sinfonie 2014 mit dem Orchestre de la Suisse Romande unter Neeme Järvi gehört und obgleich ich sowohl die beiden berühmten Nachfolger von Konzert und CD bereits kannte, war ich von der Frische der Komposition mehr begeistert als von den späteren Werken - ja, ich gehe sogar soweit und sage, dass sie meine liebste Mendelssohn-Sinfonie ist. Der stürmische Charakter, aber besonders die mitreißende Fuge zum Schluss machen das Werk schon sehr reizvoll. Die vierte z.B. empfand ich immer als ziemlich glatt...
    Ich habe mehrere Aufnahmen der 1. Sinfonie. Die Abbado-Box besitze ich, ebenso die Aufnahme mit Norrington - den Vorzug gebe ich aber immer öfter auch youtube, wo Paavo Järvi m.E. eine fabelhafte Interpretation abliefert.



    LG
    Christian

  • Von der Sinfonie Nr.1 C-moll op.11 kannte bisher "nur" die Karajan-Aufnahme ! Die hat mit im Prinzip für Jahrzehnte ausgereicht, denn Alternativaufnahmen, hatte ich bislang nur von den Sinfonien Nr.3, 4 und 5.
    Letzte Woche hatte ich dann endlich mal meine Dohnanyi - Einzel-CD der Sinfonien Nr.3 und 4 gegen seine Decca-GA ausgetauscht.
    Und siehe da, Dohnanyi war, trotz der ausgezeichenten Karajan-GA, ein Gewinn.


    Dohnanyi ist ja deutlich zügiger und weniger nobel unterwegs, als Karajan, dies bekommt insbesondere der Sinfonie Nr. 1 (und 4) besonders gut:
    Interessant, dass Dohnanyi für dieses frische und schöne Werk in den schnellen Sätzen gut eine Minute weniger Spielzeit erfordert ... und mir gefällt seine Aufnahme äusserst gut, denn die flotten Spielzeiten passen noch besser zu diesen positiven Meisterstück !


    Karajan ... = 8:14 - 6:26 - 7:01 - 8:31
    Dohnanyi = 7:18 - 6:40 - 5:23 - 8:03


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    Decca, 1976-1980, ADD/DDD



    Die Sinfonie Nr.1 ist tatsächlich die erste Sinfonie (wenn man die Streichersinfonien ausser acht lässt) und somit der sinfonisch tatsächliche Erstling.
    Bei den weiteren Sinfonien sieht die tatsächliche Reihenfolge anders aus:


    1 Sinfonie Nr. 1 c-moll op. 11 (1824)
    2 Sinfonie Nr. 5 d-moll op. 107 (1829/1830) Reformation
    3 Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 (1833) Italienische
    4 Sinfonie Nr. 2 B-Dur op. 52 (1840) Lobgesang
    5 Sinfonie Nr. 3 a-moll op. 56 (1842) Schottische



    PS.: Hallo Josef,
    gute Idee einen eigenen Thread für die Sinfonie NR.1 zu erstellen. Ich hatte es letzte Woche auch schon vor, aber hatte mich dann für den allgemeinen Mendelssohn-Sinfonie - Thread entschieden, weil die Reformationssinfonie mit Dohnanyi für mich auch noch zur Debatte stand.


    Warums die Erste so wenig gespielt wird und auch bei Tamino kein weiteres Interesse ausgelöst hat, verstehe ich nicht so ganz ... zumal wenn ich überlege welche eher nichtssagenden Sinfonien und Komponisten oft Threads spendiert bekommen ... :pfeif:
    *** Nach der Dohnanyi-Aufnahme hat die Sinfonie Nr.1 op.11 bei mir noch einmal an Wertschätzung zugelegt !
    ;) Ausserdem im TOP-Decca-Sound !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Die sehr guten Aufnahmen dürften wahrscheinlich recht eng beieinander liegen, wenn auch zeit- und modebedingt durchaus sehr unterschiedlich klingend (Karajan versus Gardiner zum Beispiel, aber beide durchaus gut). Wäre vielleicht fast spannender zu fragen, ob es wirklich schlechte und missratene Aufnahmen gibt.


    Zu den guten und noch nicht genannten gehört, wenn ich mich richtig erinnere, auch Hengelbrock.


    Er hat Jehova gesagt!

  • Diese Ausgabe mit LSO unter Claudio Abbado mit den 5 Symphonien und 3 Ouvertüren befriedigt mich klangtechnisch nicht (mehr).
    Die Aufnahme erfolgte 1985. Von den Symphonien 1 und 2 besitze ich nur diese und verfolge mit großem Interesse der Diskussion, da nach gut 30 Jahren eine Neuanschaffung sinnvoll wird.



    Musikalische Grüße
    Justin

    Ich verliere nie! Entweder ich gewinne oder ich lerne. (Unbekannt)

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    Eine wirklich vorzügliche Einspielung dieses Werkes legte der Mendelssohn-Experte Peter Maag kurz vor seinem Tod mit dem Orquesta Sinfónica de Madrid vor (Aufnahme: Juni 2000). Sie war Teil eines Zyklus, ist aber auch einzeln erschienen (auch als DVD-Audio). Die Tonqualität ist audiophil zu nennen. Publikumsgeräusche sind nicht vorhanden, obwohl es sich um Live-Aufnahmen handelt. Das eher wenig bekannte Orchester überrascht positiv mit beseelt-energischem Spiel und kommt nicht so schmächtig herüber wie viele jüngere Aufnahmen. Ich habe gestern bei Spotify in etliche Aufnahmen gehört, aber in keiner Nicht-HIP-Interpretation sind die Pauken derart exponiert wie bei Maag. Dagegen erscheint die an sich nicht schlechte Karajan-Einspielung (jahrelang meine einzige) lauwarm, denn sie kann weder klanglich noch interpretatorisch mithalten. Maags Zugriff ist zupackend, sehr romantisch und verleiht diesem Frühwerk das Antlitz großer Symphonik.


    Die Spielzeiten: 10:40 - 7:06 - 7:03 - 8:55


    Übrigens scheint der komplette Maag-Zyklus als Geheimtipp überaus empfehlenswert zu sein. Hier einer überschwängliche Rezension. Ich muss ihn in den nächsten Tagen mal genauer durchhören.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões